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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 01.04.2008
Aktenzeichen: T-412/07
Rechtsgebiete: EU


Vorschriften:

EU Art. 6 Abs. 2
EU Art. 34
EU Art. 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

1. April 2008

"Zulässigkeit - Nichtigkeitsklage - Schadensersatzklage - Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen - Art. 6 Abs. 2 EU, 34 EU und 35 EU - Rahmenbeschluss 2001/220/JI - Offensichtliche Unzuständigkeit - Offensichtliche Unzulässigkeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-412/07

Ammayappan Ayyanarsamy, wohnhaft in Heidenheim (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. Kotzur,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

und

Bundesrepublik Deutschland,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung des Schreibens der Kommission vom 18. September 2007, mit dem diese den Kläger davon unterrichtete, dass sie nicht zu seinen Gunsten bei den deutschen Gerichten intervenieren könne, und Ersatz des Schadens, den der Kläger durch das Verhalten der deutschen Stellen erlitten zu haben behauptet,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter M. Prek und V. Ciuca,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Zwischen Juli und September 2007 richtete der Kläger an die Generaldirektion "Justiz, Freiheit und Sicherheit" der Kommission mehrere Schreiben, in denen er sich darüber beschwerte, dass er Opfer eines strafbaren Verhaltens von Beamten der Bundesrepublik Deutschland und einer diskriminierenden und rassistischen Behandlung durch das Bundesverfassungsgericht sei. Er beantragte, die Kommission solle die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung einer vorläufigen Entschädigung an ihn anweisen und bei Nichterfolg die Gemeinschaftsgerichte anrufen. Er stützte seinen Antrag insbesondere auf die Art. 230 EG und 232 EG, Art. 6 EU sowie die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2). Seinen Schreiben waren mehrere Entscheidungen verschiedener deutscher Gerichte beigefügt, mit denen seine Beschwerden und Anträge verworfen worden waren.

2 Mit Schreiben vom 18. September 2007 teilte die Kommission dem Kläger mit, dass sie nicht zu seinen Gunsten bei den deutschen Gerichten intervenieren könne, da die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. Weiter führte die Kommission aus, dass sie zwischen den behaupteten Verletzungen der Grundrechte des Klägers und den von ihm angeführten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts keinen Zusammenhang habe feststellen können. Zur Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 sei ihm bereits gesondert geantwortet worden.

Verfahren und Anträge der Parteien

3 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 8. November 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

4 Der Kläger beantragt,

- die in dem Schreiben vom 18. September 2007 enthaltene Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären;

- festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 6 Abs. 2 EU und Art. 9 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl. L 82, S. 1, im Folgenden: Rahmenbeschluss) verstoßen hat;

- anzuordnen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihm gegenüber ihren finanziellen Verpflichtungen aus den genannten Bestimmungen nachkommen muss;

- der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

5 Im Übrigen erklärt der Kläger, er wähle als Verfahrenssprache Deutsch, die Sprache, in der die Klageschrift abgefasst ist, und beantragt gemäß Art. 35 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, "seine Argumente auf Englisch formulieren zu dürfen".

Entscheidungsgründe

6 Ist das Gericht für eine Klage offensichtlich unzuständig oder ist eine Klage offensichtlich unzulässig oder fehlt ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage, so kann es nach Artikel 111 der Verfahrensordnung ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

7 Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht durch die Verfahrensunterlagen für ausreichend informiert und beschließt gemäß diesem Artikel, das Verfahren nicht fortzusetzen.

8 Mit seinem ersten Antrag begehrt der Kläger, die Entscheidung der Kommission, die in deren Schreiben vom 18. September 2007 an ihn enthalten sei, für nichtig zu erklären. Die Bundesrepublik Deutschland weigere sich entgegen Art. 9 des Rahmenbeschlusses, seinen Entschädigungsanspruch als Opfer von Straftaten anzuerkennen und ihm eine vorläufige Entschädigung zu zahlen. Überdies verstoße dieses Verhalten der Bundesrepublik Deutschland auch gegen die Grundrechte, die durch Art. 6 Abs. 2 EU und durch das deutsche Grundgesetz anerkannt seien.

9 Die Kommission greife mit ihrer Weigerung, Stellung zu nehmen und die Bundesrepublik Deutschland für den ihr vorgeworfenen Verstoß gegen den Rahmenbeschluss zur Rechenschaft zu ziehen, in seine Rechte ein, die ihm im Lichte des Urteils des Gerichtshofs vom 28. Juni 2007, Dell'Orto (C-467/05, Slg. 2007, I-5557) insbesondere aus Art. 6 Abs. 2 EU, 31 EU und 34 Abs. 2 Buchst. b EU zustünden. Ihre Behauptung, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sei Sache der Mitgliedstaaten, gehe fehl, da die Kommission, wenn es sich um eine rein innerstaatliche Angelegenheit handeln würde, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ihre Befugnisse gemäß Art. 17 und 18 des Rahmenbeschlusses nicht würde durchsetzen können.

10 Die Zuständigkeit des Gerichts für den behaupteten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EU beruhe auf Art. 230 EG. Für den behaupteten Verstoß gegen Art. 9 des Rahmenbeschlusses beruhe sie auf Art. 35 Abs. 6 EU.

11 Soweit der Kläger seine Klage insbesondere auf Art. 230 EG stützt, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG gegeben ist, nur diejenigen Maßnahmen sind, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine erhebliche Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen können (Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, Slg. 1981, 2639, Randnr. 9; Urteile des Gerichts vom 22. Juni 1990, Marcopoulos/Gerichtshof, T-32/89 und T-39/89, Slg. 1990, II-281, Randnr. 21, und vom 20. September 2007, Salvat père & fils u. a../Kommission, T-136/05, Slg. 2007, II-0000, Randnr. 34).

12 Dagegen stellt nicht jedes Schreiben eines Gemeinschaftsorgans, mit dem ein Antrag seines Adressaten beantwortet wird, eine Entscheidung im Sinne des Art. 230 Abs. 4 EG dar, gegen die die Nichtigkeitsklage eröffnet ist (Beschluss des Gerichtshofs vom 27. Januar 1993, Miethke/Parlament, C-25/92, Slg. 1993, I-473, Randnr. 10, und Beschluss des Gerichts vom 11. Dezember 1998, Scottish Soft Fruit Growers/Kommission, T-22/98, Slg. 1998, II-4219, Randnr. 34).

13 Zumal wenn das betreffende Gemeinschaftsorgan einem gestellten Antrag nicht stattgeben kann, weil es an einer Rechtsgrundlage für eine Entscheidung in dem vom Antragsteller gewünschten Sinne fehlt, kann das Schreiben, mit dem dieser aus Gründen der Höflichkeit hierüber informiert wird, nicht der Mitteilung einer Entscheidung im Sinne des Art. 230 EG gleichgestellt werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss Miethke/Parlament, Randnrn. 15 und 16).

14 In der vorliegenden Rechtssache stellt das Gericht entgegen dem Vorbringen des Klägers fest, dass die Art. 17 und 18 des Rahmenbeschlusses keinerlei Befugnis der Kommission zum Erlass von Maßnahmen für den Fall vorsehen, dass ein Mitgliedstaat gegen diesen Beschluss verstößt. In Art. 17 des Rahmenbeschlusses ist die Kommission gar nicht erwähnt, während Art. 18 lediglich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten u. a. der Kommission den Wortlaut der Vorschriften übermitteln, mit denen sie ihre Verpflichtungen aus dem Rahmenbeschluss in innerstaatliches Recht umsetzen, und dass die Kommission dem Rat einen schriftlichen Bericht vorlegt, anhand dessen dieser die von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen bewertet.

15 Im Übrigen sehen weder die vom Kläger außerdem angeführten Art. 6 Abs. 2 EU, 31 EU und 34 Abs. 2 Buchst. b EU noch eine sonstige Bestimmung des Gemeinschaftsrechts eine Befugnis der Kommission zum Erlass von Maßnahmen für den Fall vor, dass ein Mitgliedstaat gegen einen nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EU erlassenen Rahmenbeschluss verstößt.

16 Folglich enthält das im ersten Klageantrag angeführte Schreiben der Kommission vom 18. September 2007 keine Entscheidung, die mit einer Klage nach Art. 230 EG anfechtbar ist, sondern dient lediglich der Information des Klägers darüber, dass seinem Antrag nicht stattgegeben werden kann.

17 Ferner ist hervorzuheben, dass nach Art. 46 Buchst. b EU im Rahmen des Titels VI des EU-Vertrags, zu dem die oben in Randnr. 14 genannten Bestimmungen gehören, nur die in Art. 35 EU vorgesehenen Rechtsbehelfe gegeben sind (Urteil des Gerichtshofs vom 27. Februar 2007, Gestoras Pro Amnistía u. a./Rat, C 354/04 P, Slg. 2007, I 1579, Randnrn. 44 bis 46).

18 Art. 35 Abs. 6 sieht zwar einen Rechtsbehelf vor, der der Nichtigkeitsklage entspricht (Beschluss des Gerichts vom 7. Juni 2004, Segi u. a./Rat, T 338/02, Slg. 2004, II 1647, Randnr. 36), wobei im Unterschied zu Art. 230 EG nur die Mitgliedstaaten und die Kommission nach Art. 35 Abs. 6 EU Klage erheben können. Der Kläger hat folglich seine Klage zu Unrecht auch auf diese Bestimmung gestützt. Zum Urteil Dell'Orto, auf das der Kläger verweist, ist festzustellen, dass dieses Urteil ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 35 Abs. 1 EU betrifft und daher nicht relevant ist.

19 Nach alledem ist der erste Klageantrag als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.

20 Mit seinem zweiten Klageantrag begehrt der Kläger im Wesentlichen eine Feststellung allgemeiner Art dahin, dass die Bundesrepublik Deutschland Art. 6 Abs. 2 EU und Art. 9 des Rahmenbeschlusses nicht beachtet hat.

21 Hierzu erinnert das Gericht daran, dass es im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaften keinen Rechtsbehelf gibt, der es dem Richter ermöglichen würde, im Wege einer allgemeinen Feststellung zu einer Frage Stellung zu nehmen, die über den Rahmen der Rechtssache hinausgeht.

22 Der zweite Klageantrag ist daher wegen offensichtlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen.

23 Schließlich begehrt der Kläger mit seinem dritten Klageantrag Ersatz für den Schaden, den er aufgrund des behaupteten Verstoßes gegen den Rahmenbeschluss und seine Grundrechte durch die deutschen Stellen erlitten zu haben meint.

24 Die Zuständigkeiten des Gerichts im Bereich der außervertraglichen Haftung sind in den Art. 235 EG und 288 Abs. 2 EG sowie den Art. 151 EA und 188 Abs. 2 EA aufgezählt. Nach diesen Bestimmungen ist das Gericht nur für Klagen auf Ersatz von Schäden zuständig, die durch Organe oder Bedienstete der Gemeinschaft in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht wurden.

25 In der vorliegenden Rechtssache wurde die Handlung, durch die ein Schaden verursacht worden sein soll, weder von einem Organ noch von einer Einrichtung der Gemeinschaft begangen. Folglich ist der dritte Klageantrag ebenfalls wegen offensichtlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen.

26 Nach alledem ist die vorliegende Klage teilweise als offensichtlich unzulässig und teilweise wegen offensichtlicher Unzuständigkeit abzuweisen, ohne dass es der Zustellung der Klageschrift an die Kommission und an die Bundesrepublik Deutschland oder einer Entscheidung über den Antrag des Klägers, Englisch ganz oder teilweise als Verfahrenssprache zu verwenden, bedarf.

Kostenentscheidung:

Kosten

27 Da der vorliegende Beschluss vor Zustellung der Klageschrift an die Kommission und an die Bundesrepublik Deutschland ergeht und diesen damit keine Kosten entstehen konnten, ist gemäß Artikel 87 § 1 der Verfahrensordnung nur zu entscheiden, dass der Kläger seine eigenen Kosten trägt.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. M. Ammayappan Ayyanarsamy trägt seine eigenen Kosten.

Luxemburg, den 1. April 2008



Ende der Entscheidung

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