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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 26.11.1993
Aktenzeichen: T-460/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 180
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Gemäß Artikel 180 Buchstabe c des Vertrages kann eine Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluß des Verwaltungsrats der Europäischen Investitionsbank nur von den Mitgliedstaaten oder der Kommission erhoben werden. Demgemäß schließt diese Bestimmung, deren flexiblere Auslegung über die Grenzen hinausginge, die ihr Wortlaut dem Gemeinschaftsrichter gesetzt hat, Klagen natürlicher oder juristischer Personen aus. Dieser Ausschluß bewirkt nicht, daß dieser Kategorie von Klägern ein wirksamer Rechtsschutz genommen wird, da ihnen dieser Rechtsschutz durch die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters bei Streitsachen auf dem Gebiet der ausservertraglichen Haftung der Europäischen Investitionsbank nach Artikel 178 des Vertrages gewährleistet wird.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 26. NOVEMBER 1993. - ETIENNE TETE UND ANDERE GEGEN EUROPAEISCHE INVESTITIONSBANK. - ENTSCHEIDUNG DER EUROPAEISCHEN INVESTITIONSBANK - NICHTIGKEITSKLAGE - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-460/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank (im folgenden: EIB) genehmigte am 12. November 1991 die Gewährung eines Darlehens an die Gemeindevereinigung Lyon zur Finanzierung ihres Beitrags zum Bauvorhaben des nördlichen Teils der äusseren Ringschnellstrasse des Großraums Lyon. Am 15. September 1992 wurde ein Finanzierungsvertrag für dieses Vorhaben von der EIB und der Gemeindevereinigung Lyon unterzeichnet. Diese Unterzeichnung war Gegenstand einer Pressemitteilung, die von der EIB am selben Tag veröffentlicht wurde.

Anträge der Parteien und Verfahren

2 Mit Klageschrift, die am 18. November 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, haben die vorgenannten Kläger sowie Raymond Puget, wohnhaft in Vaulx-en-Velin (Frankreich), die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der EIB über die Genehmigung des Darlehens und auf Nichtigerklärung des Darlehensvertrags selbst erhoben. Die Kläger machen vier Klagegründe geltend, die sich auf einen Verstoß gegen verschiedene Bestimmungen des EWG-Vertrags und des Protokolls über die Satzung der EIB (im folgenden: Satzung) stützen.

3 Mit Schreiben vom 11. Februar 1993 an den Kanzler des Gerichtshofes hat der Anwalt der Kläger erklärt, daß "der Name des Herrn Puget einfach bei den Klägern zu streichen ist", was "von seiten dieser Person einem Verzicht" gleichkomme. Der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts hat die Folgerungen aus dieser Erklärung in einem Beschluß gezogen, der am selben Tag wie der vorliegende Beschluß ergangen ist.

4 Mit Schriftsatz vom 8. März 1993 hat die EIB eine Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung erhoben, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 180 EWG-Vertrag in diesem Fall nicht gegeben seien und Artikel 173 EWG-Vertrag auf die Handlungen der EIB keine Anwendung finde. Hilfsweise macht die EIB geltend, daß die Kläger kein unmittelbares und individuelles Klageinteresse hätten und ihre Klage verspätet sei.

5 In ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit, die am 14. April 1993 eingegangen ist, haben die Kläger erklärt, daß die Klage zulässig sei.

6 Mit Schriftsatz, der am 19. März 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EIB zugelassen zu werden.

7 Durch Beschluß vom 14. Mai 1993 hat der Präsident des Gerichtshofes die Kommission als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EIB zugelassen.

8 Am 14. Juni 1993 hat die Kommission ihren Streithilfeschriftsatz eingereicht, in dem sie die Unzulässigkeit der Klage geltend macht.

9 Gemäß Artikel 4 des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21) hat der Gerichtshof die vorliegende Rechtssache durch Beschluß vom 27. September 1993 an das Gericht verwiesen.

10 Die Kläger beantragen,

° die Entscheidung der EIB über die Genehmigung des Darlehens und den Darlehensvertrag selbst für nichtig zu erklären;

° der EIB alle Kosten aufzuerlegen und sie zur Zahlung von 5 000 ECU Verfahrenskosten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

° die Klage für unzulässig zu erklären;

° die Klage abzuweisen und die Kläger als Gesamtschuldner zur Tragung aller Kosten zu verurteilen.

Die Kommission als Streithelferin beantragt,

° die Klage für unzulässig zu erklären;

° die Kläger als Gesamtschuldner zur Tragung aller Kosten zu verurteilen.

11 Das Gericht hat über die Prozeßvoraussetzungen nach Maßgabe des Artikels 114 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung zu entscheiden. Im vorliegenden Fall vertritt das Gericht die Ansicht, daß die sich aus den Akten ergebenden Angaben ausreichend sind und eine Eröffnung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich ist; ausserdem sind nach Auffassung des Gerichts zuerst die Einreden zu prüfen, die sich darauf beziehen, daß Artikel 180 EG-Vertrag der Zulässigkeit der Klage entgegenstehe und die Kläger von der angefochtenen Entscheidung nicht unmittelbar betroffen seien.

Zu den Einreden, die sich darauf beziehen, daß Artikel 180 EG-Vertrag der Zulässigkeit der Klage entgegenstehe und die Kläger von der angefochtenen Entscheidung nicht unmittelbar betroffen seien

Vorbringen der Parteien

12 Die Kläger erklären, es solle einem Dritten, der sich durch eine Entscheidung der EIB verletzt fühle, nicht aufgrund von Artikel 180 EG-Vertrag eine Nichtigkeitsklage versagt werden. Bezueglich der ihres Erachtens vergleichbaren Situation bei den Handlungen des Europäischen Parlaments, die gegenüber Dritten Rechtswirkungen entfalten sollten, habe der Gerichtshof durch sein Urteil vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83 (Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, Randnr. 25) eine Nichtigkeitsklage für zulässig erklärt. Die Erwägungen des Gerichtshofes in diesem Urteil seien auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Demnach sei Artikel 180 Buchstabe c EG-Vertrag nur als Beschränkung der Verfahrensbefugnis der Mitgliedstaaten und der Kommission auszulegen. Es sei also weder dem Rat noch Dritten untersagt, eine Nichtigkeitsklage gegen die Beschlüsse der EIB zu erheben. Eine gegenteilige Auslegung hätte zur Folge, daß die EIB den Vertrag ungestraft verletzen könnte.

13 Diese Auslegung finde ihre Bestätigung in Artikel 29 der Satzung, wonach "über Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bank einerseits und ihren Gläubigern, Kreditnehmern oder dritten Personen andererseits die zuständigen nationalen Gerichte vorbehaltlich der Zuständigkeiten [entscheiden], die dem Gerichtshof zuerkannt sind". Ohne die Möglichkeit einer Intervention Dritter beim Gerichtshof hätte dieser Artikel keinen Sinn, soweit er sich auf Rechtsstreitigkeiten zwischen der EIB und Dritten beziehe.

14 Im übrigen zeige das Urteil des Gerichtshofes vom 2. Dezember 1992 in der Rechtssache C-370/89 (SGEEM und Etroy/EIB, Slg. 1992, I-6211), durch das der Gerichtshof bei einer Schadensersatzklage gegen die EIB deren Nichterwähnung in Artikel 215 EWG-Vertrag berichtigt habe, die Notwendigkeit einer weiten Auslegung des Vertrages. Die Kläger bemerken ferner, daß Artikel 173 EWG-Vertrag, der ihres Erachtens auf ihre Klage anwendbar sei, durch den Vertrag über die Europäische Union geändert worden sei. Der neue Artikel 173 EG-Vertrag ermögliche natürlichen und juristischen Personen Nichtigkeitsklagen gegenüber der Europäischen Zentralbank. Die EIB sei in Artikel 173 EG-Vertrag, ebenso wie in Artikel 215, vergessen worden, obwohl ihre Entscheidungen ebenfalls Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen könnten.

15 Die Kläger führen aus, sie hätten ein unmittelbares Klageinteresse. Das Darlehen für die Gemeindevereinigung Lyon fördere den Bau des nördlichen Teils der Aussenringschnellstrasse. Es zwinge Dritte, nämlich die Steuerzahler, zur Rückzahlung. Die Handlungsfreiheit der ° bereits stark verschuldeten ° Gemeindevereinigung Lyon werde künftig bezueglich ihrer Haushaltsführung eingeschränkt, was eine Gefahr für die Demokratie bedeute. Dieses Darlehen, das die Kläger als unrechtmässig ansehen, weil die EIB damit ihre Befugnisse überschreite, beschränke die Möglichkeit für die EIB, Darlehen zu gewähren, die ihrer eigentlichen Aufgabe entsprächen. Um die Unrechtmässigkeit des Darlehens zu zeigen, beziehen sich die Kläger auf die Vorschläge der Kommission aus dem Jahr 1993 zur Schaffung eines Europäischen Investitionsfonds.

Würdigung durch das Gericht

16 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß gemäß Artikel 180 Buchstabe c EG-Vertrag (der identisch ist mit dem früheren Artikel 180 Buchstabe c EWG-Vertrag) Nichtigkeitsklagen gegen Beschlüsse des Verwaltungsrats der EIB nur von den Mitgliedstaaten oder der Kommission erhoben werden können. Demgemäß schließt diese Bestimmung Klagen von einzelnen wie die vorliegende aus.

17 Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Bestimmung des Vertrages in dem Sinne auszulegen ist, den die Kläger vorgeschlagen haben, die sich dabei auf das vorgenannte Urteil Les Verts/Parlament beziehen. Dazu ist festzustellen, daß die in diesem Urteil enthaltene Lösung dadurch begründet ist, daß der EWG-Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung dem Parlament nur beratende Befugnisse und solche der politischen Kontrolle übertragen hat, nicht jedoch die Befugnis zur Vornahme von Handlungen, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten sollen. Als das Parlament später umfangreichere Befugnisse erhielt, die ihm solche Handlungen ermöglichten, erschien es erforderlich, daß der Gerichtshof über sie seine richterliche Kontrolle ausüben kann (vgl. Urteil Les Verts/Parlament, a. a. O., Randnrn. 22 bis 25).

18 Die Kläger haben im vorliegenden Fall nicht dargetan, daß sich die Befugnisse der EIB bis zu der angefochtenen Entscheidung in vergleichbarer Weise entwickelt haben. Die EIB hat nämlich ihre ursprüngliche Aufgabe behalten, die darin besteht, Darlehen und Bürgschaften zu gewähren (siehe Artikel 129 und 130 EWG-Vertrag, 198d und 198e EG-Vertrag). Gegenüber Dritten, die weder Darlehen noch Bürgschaften der EIB erhalten, trifft diese demnach keine Entscheidungen, die Rechtswirkungen erzeugen. Der Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 1993 zur Schaffung eines Europäischen Investitionsfonds, auf den sich die Kläger beziehen, bestätigt diese Auslegung der derzeitigen Befugnisse der EIB.

19 In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, daß sich die künftige Europäische Zentralbank erheblich von der EIB unterscheiden wird. Artikel 108a EG-Vertrag sieht vor, daß sie Verordnungen und Entscheidungen erlässt (die für diejenigen verbindlich sind, an die sie sich richten), was die Notwendigkeit mit sich bringt, für natürliche und juristische Personen die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage zuzulassen. In Anbetracht der unterschiedlichen Befugnisse der beiden Banken erscheint also die von den Klägern vorgeschlagene Analogie nicht gerechtfertigt.

20 Daraus ergibt sich, daß die von den Klägern vorgeschlagene flexiblere Auslegung der Artikel 180 und 173 EG-Vertrag über die Grenzen hinaus ginge, die der Wortlaut des Artikels 180 Buchstabe c EG-Vertrag dem Gemeinschaftsrichter gesetzt hat.

21 Es ist jedoch zu prüfen, ob Artikel 29 der Satzung dieses Ergebnis ändern kann. Das von den Klägern angeführte Urteil SGEEM und Etroy/EIB zeigt indessen, daß dem Gemeinschaftsrichter eine Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten zwischen der EIB und Dritten bezueglich der ausservertraglichen Haftung der Gemeinschaft zuerkannt wurde. Man kann daher nicht behaupten, daß der genannte Artikel 29 keinen Sinn hat, wenn man davon ausgeht, daß eine Nichtigkeitsklage Dritter unzulässig ist. Es ist hinzuzufügen, daß die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters bei Streitsachen nach Artikel 178 EG-Vertrag einen wirksamen Rechtsschutz Dritter gegenüber Handlungen der EIB gewährleistet.

22 Selbst wenn Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag (der identisch ist mit Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag) auf die vorliegende Klage Anwendung fände, wäre zu prüfen, ob die Kläger von der angefochtenen Entscheidung unmittelbar betroffen sind. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß sich die Rechtsposition der Kläger noch nicht durch die Entscheidung geändert hat, der Gemeindevereinigung Lyon ein Darlehen zu gewähren. Die von den Klägern genannten Interessen der Steuerzahler und der künftigen Abgeordneten, die den Haushaltsplan der Gemeindevereinigung feststellen müssen, genügen nicht, um nachzuweisen, daß die Rechtsposition der Kläger durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird. Nur die Entscheidungen der verschiedenen französischen Behörden über den Bau des betreffenden äusseren Ringes, z. B. Enteignungsentscheidungen, können die Rechtsposition der Kläger beeinträchtigen.

23 Der Gerichtshof hat zum Verfahren der Verabschiedung des Haushaltsplans durch das Parlament entschieden, daß dieses lediglich zu einer Ermächtigung führt, Mittel zu binden, und daß somit eine natürliche oder juristische Person von den Rechtsakten, die Teil dieses Verfahrens sind, nicht unmittelbar betroffen sein kann (vgl. Beschluß vom 26. September 1984 in der Rechtssache 295/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1984, 3331, Randnr. 7). Eine solche Person kann daher auch nicht unmittelbar von einer Entscheidung der EIB über die Gewährung eines Darlehens betroffen sein.

24 Daraus ergibt sich, daß die Klage als unzulässig abzuweisen ist, ohne daß die übrigen Einreden der EIB und der Kommission zu prüfen wären.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger mit ihren Anträgen unterlegen sind und die EIB beantragt hat, den Klägern die Kosten aufzuerlegen, sind sie als Gesamtschuldner zur Tragung der Kosten der EIB zu verurteilen.

26 Die Streithelferin hat beantragt, die Kläger zur Tragung "aller Kosten" zu verurteilen. Gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung trägt die Kommission als Organ jedoch ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Kläger tragen die Kosten als Gesamtschuldner mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

Luxemburg, den 26. November 1993

Ende der Entscheidung

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