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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 21.04.1993
Aktenzeichen: T-5/92
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 24
EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Obwohl Artikel 24 des Statuts im wesentlichen bezweckt, die Beamten der Gemeinschaften vor Angriffen Dritter zu schützen, besteht die in diesem Artikel vorgesehene Beistandspflicht auch dann, wenn der Urheber der von dieser Bestimmung erfassten Handlungen selbst Beamter der Gemeinschaften ist.

Beim Auftreten eines Zwischenfalls, der mit einem ordentlichen und ausgeglichenen Dienstbetrieb unvereinbar ist, muß die Verwaltung mit aller notwendigen Energie eingreifen und mit der durch die Umstände des Falles gebotenen Schnelligkeit und Fürsorge handeln, um den Sachverhalt festzustellen und daraus in voller Kenntnis der Sachlage die geeigneten Schlußfolgerungen ziehen zu können.

2. Die Verpflichtung, eine beschwerende Entscheidung mit Gründen zu versehen, bezweckt, es dem Gemeinschaftsrichter zu ermöglichen, seine Kontrolle über die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung auszuüben, und dem Betroffenen einen hinreichenden Hinweis darauf zu geben, ob die Entscheidung gut begründet ist oder ob sie mit einem Fehler behaftet ist, der es erlaubt, ihre Rechtmässigkeit zu bestreiten.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 21. APRIL 1993. - SANTO TALLARICO GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - BEISTANDSPFLICHT - ARTIKEL 24 DES STATUTS - BOESWILLIGE HANDLUNGEN. - RECHTSSACHE T-5/92.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger Santo Tallarico ist Beamter des Europäischen Parlaments in der Laufbahngruppe C. Er wurde am 1. Dezember 1983 aufgrund der Sonderbedingungen für Behinderte eingestellt und mit Wirkung vom 2. Februar 1986 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt.

2 Aus den Akten ergibt sich, daß gegen den Kläger seit mehreren Jahren böswillige Handlungen gerichtet wurden, die sich u. a. durch folgende Vorfälle in seinem Büro im Gebäude des Parlaments in Luxemburg äusserten: eine aufgebrochene Schublade im April 1986, die Zerstörung einer Steckdose im April 1986, anonyme und beleidigende Telefonanrufe während des Jahres 1986, der Diebstahl von zwei persönlichen Fotos mit Rahmen am 13. Juli 1987, der Diebstahl eines Wandbehangs am 17. Juli 1987, die Beschädigung von drei Bildern am 20. und 21. Juli 1987, das Verschwinden seines orthopädischen Stuhles am 5. August 1987, die Beschädigung und Blockierung des Schlosses seiner Bürotür am 21. Dezember 1988 und 13. Januar 1989, Beschädigungen an seiner Bürotür am 5. Januar 1990 und das Verschwinden einer Schreibmaschine aus seinem Büro am 5. November 1990.

3 Ferner meldete der Kläger weitere böswillige Handlungen, die ausserhalb seines Büros gegen ihn gerichtet wurden: die "Manipulation" der Verstärker, die er in den Gebäuden des Parlaments in Straßburg betreut, am 11. und 12. Juni 1991 und die Beschädigung der Karosserie seines Fahrzeugs auf dem Parkplatz des Parlaments in Luxemburg am 27. Mai und 31. Oktober 1991.

4 Nach Begehung jeder dieser böswilligen Handlungen führte der Sicherheitsdienst des Parlaments eine Untersuchung durch; dies ergibt sich insbesondere aus den Vermerken von Herrn X, Beamter in der Direktion Infrastrukturen und Innerer Dienst, vom 19. August 1987 an den Leiter des Sicherheitsdienstes, des Leiters des Sicherheitsdienstes vom 26. Mai 1988 an den Generalsekretär, des Leiters des Sicherheitsdienstes vom 24. Januar 1989 an den Kläger, des Leiters des Sicherheitsdienstes vom 7. Februar 1989 an den Generalsekretär, des Generaldirektors für Verwaltung vom 4. Oktober 1989 an den zuständigen Beamten des Sicherheitsdienstes und schließlich des Leiters des Sicherheitsdienstes vom 5. Februar 1991 an den Rechtsberater des Parlaments. Keine dieser Untersuchungen vermochte die Schuldigen ausfindig zu machen, und nach dem letzteren Vermerk "[haben] alle diese Untersuchungen... zu dem Ergebnis geführt, daß Herr Tallarico ein gestörtes Verhältnis zu seinen Kollegen hat und daß nicht auf typische kriminelle Handlungen geschlossen werden kann". Die Schlußfolgerungen dieses Vermerks werden durch einen Vermerk des Juristischen Dienstes vom 29. April 1991 an den Generalsekretär des Parlaments bestätigt, in dem die Stellungnahmen der konsultierten Personen, nämlich des Leiters des Sicherheitsdienstes, des Generaldirektors für Verwaltung, des Vertrauensarztes des Organs und des Rechtsberaters des Parlaments, dargelegt wurden.

5 Um den vorerwähnten Vorfällen ein Ende zu setzen, beschloß das Parlament ferner in einer Sitzung, die am 30. Juni 1988 stattfand und an der der Leiter des Sicherheitsdienstes, ein Mitglied des Personalrats und der Kläger teilnahmen, eine Reihe von Maßnahmen zu treffen. Es wurde vereinbart, daß Herr Tallarico die Möglichkeit habe, sich bei jeder Schwierigkeit, auf die er eventuell stossen würde, sofort an den Leiter des Sicherheitsdienstes zu wenden, damit eine gründliche Untersuchung vorgenommen werden konnte und die Urheber böswilliger Handlungen belangt wurden.

6 Im Anschluß an eine am 13. Juli 1988 abgehaltene weitere Sitzung, an der der Direktor des Inneren Dienstes und der Kläger in Begleitung eines Mitglieds des Personalrats teilnahmen, beschloß das Parlament folgende Maßnahmen: Bereitstellung eines persönlichen Büros für den Kläger, Aushändigung eines Schlüssels, mit dem er dieses Büro abschließen konnte, Überprüfung der internen und externen Telefonanrufe an den Kläger sowie Zuweisung einer geheimen Telefonnummer, die nicht im Fernsprechverzeichnis des Parlaments aufgeführt ist.

7 Am 14. September 1988 unterzog sich der Kläger auf Ersuchen des Generaldirektors für Personal, Haushalt und Finanzen einer vertrauensärztlichen Untersuchung. Im Anschluß an diese Untersuchung erklärte der Kläger, daß er mit seiner derzeitigen Situation sehr zufrieden sei, und gab zu verstehen, daß er an einer Versetzung nicht interessiert sei.

8 Im Rahmen weiterer vom Parlament beschlossener Maßnahmen zur Unterbindung der Zwischenfälle setzte der Leiter des Sicherheitsdienstes den Generalsekretär des Parlaments mit Vermerk vom 7. Februar 1989 davon in Kenntnis, daß er erstens das Personal des Überwachungsdienstes sensibilisiert habe, zweitens die Einsetzung eines "Observierungs- und Überwachungsdienstes" durch häufige Kontrollgänge in der Nähe des Büros des Klägers angeordnet habe und schließlich den Hauptinspektor für die Sicherheit im Gebäude speziell gewarnt habe. Mit einem internen Vermerk vom 27. September 1989 an den Sicherheitsdienst wurde an diese Maßnahmen erinnert.

9 Ende 1990 wurde die Situation von Herrn Tallarico unter Mitwirkung seiner Vorgesetzten, des Sicherheitsdienstes, des Juristischen Dienstes und des Vertrauensarztes erneut überprüft. Diese Überprüfung führte zu der Feststellung, daß es eine Reihe von Zwischenfällen gab, die nicht als schwerwiegend oder kriminell zu bewerten waren und deren Urheber nicht ermittelt werden konnten. Ferner wurde festgestellt, daß trotz der zugunsten des Klägers getroffenen Maßnahmen die Probleme nicht gelöst wurden; zugleich wurden die extreme Empfindlichkeit des Klägers, seine schlechten Beziehungen zu seinen Kollegen und seine mitunter überzogenen Reaktionen auf die sich ereignenden Vorfälle erwähnt. Im Anschluß an diese Überprüfung wurden folgende neue Maßnahmen getroffen:

° Auf Anregung des Vertrauensarztes wurde dem Kläger vorgeschlagen, sich von einem Facharzt behandeln zu lassen, um ihm bei der Bewältigung seiner Probleme zu helfen; dies wurde vom Kläger abgelehnt.

° Dem Kläger wurde die Möglichkeit geboten, sich an die Sozialhelferin und an ein Mitglied des Kabinetts des Generalsekretärs zu wenden, der bereit sei, ihn zu empfangen, um mit ihm seine eventuellen Anliegen zu erörtern.

10 Mit Schreiben vom 12. November 1990 an die Generaldirektion Parlamentarische Kanzlei (Sicherheitsdienst) des Parlaments beantragte Herr Tallarico die Anwendung des Artikels 24 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut) und damit den Schutz des Organs auf der Grundlage von dessen Beistandspflicht. Mit Schreiben vom 27. Februar 1991 an den Generaldirektor für Personal, Haushalt und Finanzen beantragte der Kläger ferner gemäß Artikel 25 des Statuts die Einleitung einer Untersuchung der vorgenannten, vor diesem Zeitpunkt gelegenen böswilligen Handlungen. Das Parlament interpretierte dieses Schreiben als weiteren Antrag des Klägers auf Beistand zur Ergänzung des vorgenannten Antrags vom 12. November 1990.

11 Mit Schreiben vom 10. Mai 1991 beantwortete der Generalsekretär des Parlaments den Antrag des Klägers auf Beistand wie folgt:

"Auf Ihren Antrag habe ich die zuständigen Dienststellen gebeten, alle Vorfälle, auf die Sie in Ihrem Antrag hinweisen, erneut zu überprüfen sowie alle möglichen Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, derartige Zwischenfälle zu verhindern. Diese Untersuchung hat jedoch ergeben, daß eine in der Dienststelle gegen Sie oder Ihr Vermögen gerichtete drohende oder aggressive Haltung nicht zu erkennen ist; es bedarf auch keiner sonstigen Vorbeugungsmaßnahmen zusätzlich zu denen, die für Sie schon seit September 1988 getroffen worden sind.

Ich bedauere aufrichtig, Sie in einer schwierigen, von Misstrauen geprägten Geisteshaltung zu wissen; aber glauben Sie mir, niemand in Ihrem Arbeitsumfeld hegt negative Gefühle gegen Sie. Haben Sie Vertrauen zu Ihren Kollegen, denn ich bin davon überzeugt, daß sie ihrerseits Vertrauen zu Ihnen haben und haben werden.

Daher bin ich zwar für Ihren Antrag aufgeschlossen, halte es aber in demselben Geist und mit derselben Aufrichtigkeit für zweckdienlich, Sie daran zu erinnern, daß gute Beziehungen zwischen Kollegen sich einzig und allein auf der Grundlage der Gegenseitigkeit herstellen lassen. Selbst wenn Sie Zielscheibe einiger Boshaftigkeiten waren, dürfen Sie sich deshalb doch nicht diesen schäbigen Gesten unterwerfen und sich damit als Opfer hinstellen, sondern Sie müssen positiv zu reagieren verstehen und die Beziehungen zu den Kollegen enger gestalten, statt sich noch mehr zu isolieren.

Ich möchte daher an Ihren Mut und Ihre Bereitwilligkeit appellieren, da sich die Dinge derzeit noch in Grenzen halten. Unter diesem Gesichtspunkt gegenseitiger Unterstützung können Sie sich stets ° falls es erforderlich sein sollte ° an unsere Sozialhelferin wenden. Persönlich teile ich Ihnen mit, daß Herr X aus meinem Kabinett ebenfalls bereit ist, Sie zu empfangen, um mit Ihnen Ihre eventuellen Anliegen zu erörtern.

Ich erwarte daher von Ihnen eine tapfere und entschlossene Reaktion, denn Sie sind dazu in der Lage. Im übrigen habe ich bei allen Kollegen Ihrer Dienststelle den Willen gesehen, ein Klima des Vertrauens und der Zusammenarbeit herzustellen, wie dies in jeder Arbeitsgemeinschaft zwingend geboten ist."

12 Mit Schreiben vom 5. Juli 1991 legte der Kläger gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts Beschwerde ein, in der er insbesondere geltend machte, daß die Vorfälle, von denen er betroffen wurde, alle vom Sicherheitsdienst aufgenommen worden seien und daß er die Schlußfolgerungen des Generalsekretärs, nach denen sein Anliegen unbegründet sei, nicht hinnehmen könne. Er stellte fest, daß keine Untersuchung eingeleitet worden sei, um die Urheber wiederholter, gegen ihn gerichteter böswilliger Handlungen ausfindig zu machen, und seine kooperationsbereite Haltung gegenüber dem Organ werde durch den Umstand bewiesen, daß er dem Sicherheitsdienst jede böswillige Handlung, deren Zielscheibe er gewesen sei, gemeldet habe. Seines Erachtens lasse die Schlußfolgerung des Generalsekretärs den entschiedenen Willen erkennen, die Schuldigen nicht ausfindig zu machen.

13 Mit Vermerk vom 28. Oktober 1991 wies der Generalsekretär die Beschwerde des Klägers zurück und bestätigte den Inhalt seines Schreibens vom 10. Mai 1991, auf das er ausdrücklich Bezug nahm.

Verfahren und Anträge der Parteien

14 Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 29. Januar 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

15 Der Kläger beantragt,

° die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

° festzustellen, daß das Parlament gegen seine in Artikel 24 des Statuts vorgesehenen Verpflichtungen verstossen hat;

° dem Parlament aufzugeben, ihm "aufgrund der gegen ihn und sein Vermögen gerichteten drohenden und aggressiven Handlungen" seinen Beistand zu gewähren;

° das Parlament zu verurteilen, als Entschädigung für seinen immateriellen Schaden einen ECU an ihn zu zahlen;

° das Parlament zu verurteilen, sämtliche Verfahrenskosten zu tragen.

16 Das Parlament beantragt,

° die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten nach den geltenden Bestimmungen zu entscheiden.

17 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es ist jedoch beschlossen worden, das Parlament zu ersuchen, sämtliche Unterlagen über die in der Antwort des Generalsekretärs vom 10. Mai 1991 auf den Beistandsantrag des Klägers genannte Untersuchung sowie gegebenenfalls die Schriftstücke betreffend jede andere Untersuchung, die zuvor über die Situation von Herrn Tallarico in die Wege geleitet worden sein könnte, vorzulegen. Auf dieses Ersuchen hat das Parlament am 23. November 1992 eine Reihe von Unterlagen vorgelegt.

18 Am 3. Dezember 1992 hat der Kläger zu den vom Parlament eingereichten Unterlagen Stellung genommen.

19 Die Vertreter der Parteien haben in der Sitzung vom 11. Dezember 1992 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

20 Am Ende der Sitzung hat der Präsident der Dritten Kammer die mündliche Verhandlung ausgesetzt, um den Parteien zu ermöglichen, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits zu versuchen.

21 Mit Schreiben vom 12. Februar 1993 hat das Parlament dem Gericht mitgeteilt, daß die Versuche, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits herbeizuführen, wegen der ablehnenden Haltung des Klägers nicht gelungen seien und daß dieser im Rahmen des angestrebten Vergleichs weitere Forderungen gestellt habe, die darauf abzielten, einen finanziellen Ausgleich und eine Beförderung in die Laufbahngruppe B zu erhalten.

22 Mit Schreiben vom 15. Februar 1993, das durch ein weiteres Schreiben vom 25. Februar 1993 ergänzt wurde, hat der Kläger dem Gericht mitgeteilt, daß die gütliche Regelung des Rechtsstreits nicht möglich gewesen sei, aber nicht aus finanziellen Erwägungen, sondern weil die Parteien sich nicht auf die Abfassung einer Vergleichsklausel hätten einigen können. Gleichzeitig hat er bestätigt, am 7. Januar 1993 beim Parlament einen Antrag auf Entschädigung gestellt zu haben, der zwar im Rahmen einer globalen Übereinkunft liegt, aber über den Rahmen des beim Gericht anhängigen Rechtsstreits hinausgeht.

23 Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die mündliche Verhandlung am 17. Februar 1993 geschlossen worden.

Antrag auf Aufhebung der Entscheidung vom 28. Oktober 1991, mit der es abgelehnt wurde, dem Kläger den in Artikel 24 des Statuts vorgesehenen Beistand zu leisten

24 Zur Untermauerung dieses Antrags macht der Kläger zwei Klagegründe geltend: erstens fehlende Begründung der Entscheidungen des Generalsekretärs vom 10. Mai und 28. Oktober 1991 und zweitens Verletzung des Artikels 24 des Statuts. Da diese beiden Klagegründe in engem Zusammenhang stehen, sind sie nach Ansicht des Gerichts gemeinsam zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

25 Der Kläger macht geltend, das Parlament stütze sich in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1991, mit der seine Beschwerde zurückgewiesen worden sei, ausschließlich auf den Inhalt der Mitteilung vom 10. Mai 1991, mit der sein Antrag vom 12. November 1990 beschieden worden sei. Diese Mitteilung, nach der in der Dienststelle eine gegen den Kläger gerichtete drohende oder aggressive Haltung nicht zu erkennen sei, liefere jedoch keine Erklärung dafür, aus welchem Grund böswillige Handlungen, die von den hierzu ermächtigten Bediensteten ordnungsgemäß festgestellt worden seien, in Wirklichkeit nicht existieren sollten. Im übrigen gebe ihm die vom Parlament erteilte Antwort keine Möglichkeit, den Gegenbeweis zu erbringen und seine Verteidigungsmittel geltend zu machen.

26 Der Kläger weist ferner darauf hin, daß die gegen ihn gerichteten böswilligen Handlungen vom Sicherheitsdienst des Parlaments aufgenommen und exakt festgestellt worden seien. Somit habe der Generalsekretär des Parlaments einen offenkundigen Beurteilungsfehler dadurch begangen, daß er die Beschwerde, mit der er befasst gewesen sei, für unbegründet erachtet habe. Da die zuständigen Dienststellen festgestellt hätten, daß die beanstandeten Handlungen, die in den Anwendungsbereich des Artikels 24 des Statuts fielen, tatsächlich begangen worden seien, wäre es also Sache des Parlaments gewesen, die erforderlichen Maßnahmen zu seinem Schutz zu treffen. Nach Ansicht des Klägers hat das Parlament keinen konkreten Vorschlag gemacht, um eine wirksame Lösung des Problems zu bewirken; sein Generalsekretär habe sich damit begnügt, die vom Kläger erlittenen Schädigungen generell zu bestreiten. Folglich habe das Parlament die in Artikel 24 des Statuts vorgesehene Beistandspflicht nicht beachtet.

27 Schließlich führt der Kläger aus, wenn die vom Parlament bewirkten Lösungen zur Verbesserung seiner Lage unzureichend gewesen seien, so könne dieser Umstand nicht zu seinen Lasten gehen. Es sei Sache des Organs, neue Vorschläge zu machen, um die Situation zu bewältigen, und nicht vom Opfer zu verlangen, sich in sein Schicksal zu ergeben.

28 Das Parlament weist darauf hin, daß die Klage nur für begründet zu halten sei, wenn das Organ seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger nicht nachgekommen wäre. Das Parlament habe jedoch zu wiederholten Malen Versuche unternommen, um Herrn Tallarico zu helfen. Es führt in diesem Zusammenhang alle von ihm beschlossenen Maßnahmen an, die vorstehend (Randnrn. 4 bis 9) aufgeführt sind. Ferner hebt es die Tatsache hervor, daß jede vom Kläger gemeldete böswillige Handlung vom Sicherheitsdienst unverzueglich geprüft worden sei und daß die Vorgesetzten des Klägers sowie die zuständigen Beamten der Verwaltung und der Vertrauensarzt ihn wiederholt empfangen hätten, um seine Beschwerden entgegenzunehmen und seine Lage zu prüfen. Es habe somit seine Fürsorgepflicht in vollem Umfang erfuellt und sei sogar über das hinausgegangen, was ein Beamter, selbst wenn er sich in einer schwierigen Lage befinde, mit Fug und Recht von ihm erwarten könne. Artikel 24 des Statuts sehe einen auf dem Grundsatz der Fürsorgepflicht beruhenden Schutz des Beamten vor, d. h. die Anstellungsbehörde müsse alle Beamten als "bonus pater familias" behandeln. Dieser Verpflichtung sei es weitestgehend nachgekommen.

Würdigung durch das Gericht

29 Gemäß Artikel 24 Absatz 1 des Statuts "leisten die Gemeinschaften ihren Beamten Beistand, insbesondere beim Vorgehen gegen die Urheber von Drohungen, Beleidigungen, übler Nachrede, Verleumdungen und Anschlägen auf die Person oder das Vermögen, die aufgrund ihrer Dienststellung oder ihres Amtes gegen sie oder ihre Familienangehörigen gerichtet werden".

30 Das Gericht erinnert daran, daß nach ständiger Rechtsprechung, obwohl Artikel 24, insbesondere Absatz 1, vor allem geschaffen wurde, um die Beamten der Europäischen Gemeinschaften vor Angriffen Dritter zu schützen, die in diesem Artikel vorgesehene Beistandspflicht auch dann besteht, wenn der Urheber der von dieser Bestimmung erfassten Handlungen ein anderer Beamter der Gemeinschaften ist (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juni 1979 in der Rechtssache 18/78, Frau V./Kommission, Slg. 1979, 2093, Randnr. 15, und vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 178/80, Bellardi-Ricci u. a./Kommission, Slg. 1981, 3187, Randnr. 23).

31 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich auch, daß das Organ beim Auftreten eines Zwischenfalls, der mit einem ordentlichen und ausgeglichenen Dienstbetrieb unvereinbar ist, mit aller notwendigen Energie eingreifen und mit der durch die Umstände des Falles gebotenen Schnelligkeit und Fürsorge handeln muß, um den Sachverhalt festzustellen und daraus in voller Kenntnis der Sachlage die geeigneten Schlußfolgerungen ziehen zu können.

32 Es ist somit zu prüfen, ob im vorliegenden Rechtsstreit, wie der Kläger behauptet, das Parlament nicht die nach den Umständen des Falles angemessenen Maßnahmen getroffen und folglich die in Artikel 24 des Statuts vorgesehene Beistandspflicht verletzt hat.

33 Nach der Feststellung des Gerichts ergibt sich aus den zu den Akten gereichten Unterlagen, daß das Parlament, mit den gegen den Kläger gerichteten böswilligen Handlungen konfrontiert, eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hat, um die Urheber dieser Handlungen zu identifizieren, deren Wiederholung zu verhindern und den Kläger zu beruhigen, nämlich:

° Ausfertigung eines Protokolls durch die Sicherheitsdienste und Einleitung einer Untersuchung nach jeder vom Kläger gemeldeten böswilligen Handlung;

° verstärkte Wachsamkeit in dem Stockwerk, in dem sich das Büro des Klägers befindet, durch häufigere Kontrollgänge und durch Sensibilisierung des Personals des Überwachungsdienstes für den besonderen Fall des Klägers;

° die zahlreichen vorstehend aufgeführten Sitzungen, die mit dem Betroffenen und den zuständigen Beamten der Verwaltungs- und Sicherheitsdienste des Organs abgehalten wurden mit dem Ziel, Untersuchungen vorzunehmen und die Schuldigen ausfindig zu machen;

° Möglichkeit für den Kläger, sich ständig an den Leiter des Sicherheitsdienstes, an ein Mitglied des Kabinetts des Generalsekretärs des Parlaments sowie an die Sozialdienste des Organs zu wenden;

° Bereitstellung eines eigenen Büros, das vom Betroffenen abgeschlossen werden kann;

° Überprüfung der Telefonanrufe durch die Zentrale, sodann, wegen der Unwirksamkeit dieser Maßnahme, Zuweisung einer geheimen Telefonnummer;

° Angebot einer eventuellen Versetzung.

34 Bei dieser Sachlage vertritt das Gericht unter Berücksichtigung der Art und der Tragweite der böswilligen Handlungen die Auffassung, daß unter den gegebenen Umständen die vorstehend erwähnten Maßnahmen des Parlaments als angemessen und zweckdienlich anzusehen sind. Diese Maßnahmen zielten nämlich darauf ab, die Urheber der böswilligen Handlungen nach Möglichkeit zu identifizieren, deren Wiederholung zu verhindern und den Kläger zu ermutigen. Gerade dieser Ansatz kennzeichnet die Schreiben des Generalsekretärs vom 10. Mai und 28. Oktober 1991. Mithin hat das Parlament die ihm gemäß Artikel 24 des Statuts obliegende Beistandspflicht nicht verletzt.

35 Zur Begründung der Entscheidung vom 28. Oktober 1991 ist festzustellen, daß diese Entscheidung durch ihre Bezugnahme auf die Antwort des Generalsekretärs vom 10. Mai 1991 auf den Antrag des Klägers ausdrücklich begründet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts bezweckt jedoch die Verpflichtung, eine beschwerende Entscheidung mit Gründen zu versehen, es dem Gemeinschaftsrichter zu ermöglichen, seine Kontrolle über die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung auszuüben, und dem Betroffenen einen hinreichenden Hinweis darauf zu geben, ob die Entscheidung gut begründet ist oder ob sie mit einem Fehler behaftet ist, der es erlaubt, ihre Rechtmässigkeit zu bestreiten (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1981 in der Rechtssache 195/80, Michel/Parlament, Slg. 1981, 2861; Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 1992 in der Rechtssache T-23/91, Maurissen/Rechnungshof, Slg. 1992, II-2377).

36 Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß die angefochtene Entscheidung, selbst wenn sie generell "eine in der Dienststelle [bestehende] drohende oder aggressive Haltung" ausschließt, entgegen dem Vorbringen des Klägers doch die Realität der von diesem behaupteten böswilligen Handlungen nicht in Abrede stellt, daß sie versucht, den Kläger zu ermutigen, und daß sie bestätigt, daß bereits alle geeigneten Maßnahmen getroffen wurden, um eine Wiederholung derartiger Handlungen zu verhindern. Im übrigen konnte der Kläger zum einen in voller Kenntnis der Sachlage die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung bestreiten, indem er hiergegen alle seine Klagegründe und Argumente geltend machte; zum anderen war der Gemeinschaftsrichter in der Lage, seine Rechtmässigkeitskontrolle uneingeschränkt auszuüben. Hieraus folgt, daß die Entscheidung vom 10. Mai 1991 und demgemäß die Entscheidung vom 28. Oktober 1991 nicht mit dem vom Kläger gerügten Begründungsmangel behaftet sind.

Antrag auf Verurteilung des Parlaments zur Zahlung von einem ECU an den Kläger als Entschädigung für seinen immateriellen Schaden

37 Das Gericht begnügt sich mit der Feststellung, daß, wie vorstehend ausgeführt, die vorgenannten Entscheidungen vom 10. Mai und 28. Oktober 1991 keine Rechtswidrigkeit enthalten, die einen Amtsfehler des Parlaments begründet, der geeignet wäre, seine Verurteilung zum Ersatz des vom Kläger behaupteten immateriellen Schadens zu rechtfertigen. Da der Kläger seinen Schadensersatzantrag nur auf die Rechtswidrigkeit der genannten Entscheidungen gestützt hat, ist dieser Antrag auf jeden Fall zurückzuweisen.

Antrag, dem Parlament aufzugeben, dem Kläger Beistand zu leisten

38 Nach ständiger Rechtsprechung ist es nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Rechtmässigkeitskontrolle den Gemeinschaftsbehörden Anordnungen zu erteilen oder die Entscheidung dieser Behörden durch seine eigene Entscheidung zu ersetzen (vgl. zuletzt Urteil des Gerichts vom 16. März 1993 in den Rechtssachen T-33/89 und T-74/89, Blackman/Parlament, Slg. 1993, II-249). Daher ist dieser Antrag auf jeden Fall als unzulässig zurückzuweisen.

39 Aus alledem ergibt sich, daß die Klage insgesamt abzuweisen ist, ohne daß über die vom Parlament erhobene Einrede der Unzulässigkeit entschieden werden muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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