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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 16.02.1995
Aktenzeichen: T-5/95 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 185
EWG-Vertrag Art. 186
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, in dem keinerlei Umstände angeführt werden, aus denen sich die Dringlichkeit der beantragten Maßnahmen ergäbe, der keinerlei genaue Angaben zum Sachverhalt enthält, der dem Rechtsstreit zugrunde liegt, und in dem das rechtliche Vorbringen durch keinerlei konkrete Argumente untermauert wird, erfuellt nicht die Voraussetzungen des Artikels 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts über die Aussetzung des Vollzugs oder der Zwangsvollstreckung und sonstige einstweilige Anordnungen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 16. FEBRUAR 1995. - AMICALE DES RESIDENTS DU SQUARE D'AUVERGNE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VERFAHREN DES VORLAUEFIGEN RECHTSSCHUTZES - EINSTWEILIGE ANORDNUNGEN. - RECHTSSACHE T-5/95 R.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Mit am 16. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hat die Klägerin gemäß Artikel 173 EG-Vertrag Klage erhoben auf Aufhebung der in den Schreiben der Kommission vom 20. September 1994, 5. Oktober 1994 und 26. Oktober 1994 enthaltenen "deklaratorischen Entscheidungen" der Kommission, eine von ihr erstens gegen den französischen Staat und zweitens gegen bestimmte Unternehmen erhobene Beschwerde über angeblich wettbewerbswidrige Praktiken dieser Unternehmen, die zu einer unverhältnismässigen Erhöhung der Mietnebenkosten der Anwohner des Square d' Auvergne geführt hätten, nicht weiter zu verfolgen.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist, hat die Klägerin gemäß Artikel 185 und 186 EG-Vertrag ferner einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahmen gestellt sowie einen Antrag, der Gemeinschaft aufzugeben, der Klägerin einen Vorschuß von 150 000 ECU auf nicht wiederzuerlangende, ohne angemessenen Grund verursachte Kosten, anzurechnen auf die in dem Verfahren zur Hauptsache festzusetzenden Kosten, zu zahlen.

3 Die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen vom 1. Februar 1995 die offensichtliche Unzulässigkeit dieses Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz geltend gemacht.

4 Vor der Beurteilung des vorliegenden Antrags ist kurz auf die Vorgeschichte des Rechtsstreits einzugehen, wie sie sich aus den Schriftsätzen und den von den Parteien eingereichten Unterlagen ergibt.

5 Mit Schreiben vom 25. Juli 1994, bei der Kommission eingegangen am 5. September 1994, reichte die Klägerin eine Beschwerde ein, in der sie die Praktiken mehrerer Unternehmen beanstandete, die zu einer erheblichen Erhöhung der Mietnebenkosten der Anwohner des Square d' Auvergne geführt hätten und demgemäß u. a. gegen die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag verstießen.

6 Mit Schreiben vom 20. September 1994 teilte der Direktor der Direktion C "Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige Wettbewerbsverzerrungen II" der Generaldirektion Wettbewerb (GD IV) der Kommission dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, die Weiterverfolgung des Verfahrens könne beim gegenwärtigen Stand der Dinge nur zu einer Zurückweisung der Beschwerde führen. Er fügte hinzu: "Aufgrund dieser vorläufigen Untersuchung habe ich demgemäß die Absicht, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um diese Angelegenheit zu den Akten zu legen, falls Sie mir nicht binnen vier Wochen neue Gesichtspunkte mitteilen, die die Weiterverfolgung der Beschwerde rechtfertigen."

7 Mit Schreiben vom 5. Oktober 1994 teilte einer der Referatsleiter in der Direktion B "Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige Wettbewerbsverzerrungen I" der GD IV dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, die Prüfung der Akten "erlaub[e] es nicht, die rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu erkennen, die eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft rechtfertig[ten]"; die Akten seien an den Dienst "Verbraucherpolitik" weitergeleitet worden.

8 Mit Schreiben vom 26. Oktober 1994 teilte einer der Referatsleiter des Dienstes "Verbraucherpolitik" dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, die Kommission könne in der betreffenden Angelegenheit nicht tätig werden, da diese ausschließlich in die Zuständigkeit der französischen Behörden falle.

Gründe

9 Gemäß den Artikeln 185 und 186 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der durch den Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) geänderten Fassung kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, den Vollzug der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

10 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen im Sinne der Artikel 185 und 186 des Vertrages die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Maßnahmen müssen in dem Sinn vorläufig sein, daß sie die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 1. Dezember 1994 in der Rechtssache T-353/94 R, Postbank/Kommission, Slg. 1994, I-0000, Randnr. 17).

Vorbringen der Parteien

11 Zur Unterstützung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz macht die Klägerin erstens geltend, die streitigen Entscheidungen verstießen gegen die Artikel 85 Absatz 1, 86, 89, 155 und 190 EG-Vertrag sowie gegen die Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b, 10 Absätze 1 bis 3 und 12 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 13, S. 204), gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 27 der Kommission vom 3. Mai 1962, Erste Durchführungsverordnung zur Verordnung Nr. 17 des Rats vom 6. Februar 1962 (ABl. 35, S. 118) und gegen die Artikel 6, 10 und 11 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 127, S. 2268).

12 Die Klägerin macht weiter geltend, die Schwere und Bedeutung der beanstandeten Praktiken, die im französischen Hoheitsgebiet und über die Tochtergesellschaften gegebenenfalls in anderen Mitgliedstaaten erhebliches Ausmaß annehmen könnten, rechtfertigten es, die Aussetzung des Vollzugs der genannten Entscheidungen anzuordnen, damit die erforderlichen Nachprüfungen von der Kommission ohne eine schädliche Unterbrechung während des Verfahrens zur Hauptsache fortgeführt werden könnten.

13 Die Kommission ist der Auffassung, der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erfuelle offensichtlich nicht die Voraussetzungen des Artikels 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts. Da die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die der Antrag gestützt werde, noch nicht einmal summarisch bezeichnet seien, sei es ihr unmöglich, sich zu verteidigen.

Würdigung durch den Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung

14 Dem ersten Anschein nach erfuellt der vorliegende Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht die Voraussetzungen des Artikels 104 § 2 der Verfahrensordnung. So werden in ihm keinerlei Umstände angeführt, aus denen sich die Dringlichkeit der beantragten Maßnahmen ergäbe. Er enthält auch keinerlei genaue Angaben zum Sachverhalt, der dem Rechtsstreit zugrunde liegt. Schließlich wird das rechtliche Vorbringen durch keinerlei konkrete Argumente untermauert.

15 Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, daß sich nach ständiger Rechtsprechung die Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnungen nach der Notwendigkeit bemisst, durch diese Anordnungen zu verhindern, daß vor einer Entscheidung über die Klage dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Diese Partei ist dafür beweispflichtig, daß sie die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abwarten kann, ohne einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen hätte (Beschluß Postbank/Kommission, a. a. O., Randnr. 30).

16 Die Klägerin erwähnt in ihrem Antrag auf einstweilige Anordnungen nur "die Schwere und Bedeutung der beanstandeten Praktiken, die im französischen Hoheitsgebiet und über die Tochtergesellschaften gegebenenfalls in anderen Mitgliedstaaten erhebliches Ausmaß annehmen können".

17 Es ist jedoch festzustellen, daß diese Behauptung der Klägerin offensichtlich ungenau und hypothetischer Natur ist und durch keinerlei Vorbringen zur Glaubhaftmachung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens ergänzt wird.

18 Des weiteren ist festzustellen, daß der von der Klägerin angeführte Umstand jedenfalls nicht als eine notwendige oder auch nur wahrscheinliche Folge des Vollzugs der streitigen Entscheidungen angesehen werden kann, die im übrigen zurückweisende Entscheidungen sind und deren Vollzug somit im vorliegenden Fall sinnvollerweise nicht ausgesetzt werden kann.

19 Hieraus folgt, daß die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, daß sie unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, wenn die beantragte Aussetzung des Vollzugs nicht erfolgen sollte, durch die streitigen Entscheidungen einen Schaden erleiden würde, der in Durchführung eines Urteils des Gerichts, das diese im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache gegebenenfalls für nichtig erklären würde, nicht wiedergutzumachen wäre.

20 Zu dem Antrag, der Gemeinschaft aufzugeben, der Klägerin einen Vorschuß von 150 000 ECU auf die im Verfahren zur Hauptsache festzusetzenden Kosten zu zahlen, genügt der Hinweis, daß gemäß Artikel 87 § 1 der Verfahrensordnung über die Kosten im Endurteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren beendet, entschieden wird. Da der vorliegende Beschluß gemäß Artikel 107 § 4 der Verfahrensordnung nur eine einstweilige Regelung darstellt, ist in diesem Stadium des Verfahrens über die Kosten nicht zu entscheiden.

21 Demgemäß ist festzustellen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnungen nicht erfuellt sind und daß der Antrag demgemäß zurückzuweisen ist; dabei braucht nicht geprüft zu werden, ob das Vorbringen der Klägerin zur Unterstützung der Klage dem ersten Anschein nach begründet ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 16. Februar 1995

Ende der Entscheidung

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