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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 28.01.1993
Aktenzeichen: T-53/92
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 90
Beamtenstatut Art. 91
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Innerhalb des Systems der Rechtsbehelfe der Artikel 90 und 91 des Statuts muß einer Schadensersatzklage, die auf die Wiedergutmachung eines Schadens gerichtet ist, der nicht durch eine beschwerende Maßnahme, deren Aufhebung beantragt wird, sondern durch mehrere Fehler und Unterlassungen der Verwaltung verursacht worden sein soll, ein in zwei Abschnitte unterteiltes Verwaltungsverfahren vorausgehen. Dieses muß zwingend durch einen Antrag eingeleitet werden, mit dem die Anstellungsbehörde zum Ersatz des geltend gemachten Schadens aufgefordert wird, und gegebenenfalls durch eine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Ablehnung des Antrags fortgesetzt werden.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 28. JANUAR 1993. - MIREILLE PIETTE DE STACHELSKI GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-53/92.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Aus der Klageschrift und aus der von der Kommission erhobenen Unzulässigkeitseinrede ergibt sich mittelbar, daß die Klägerin zu einer Gruppe von Beamten und sonstigen Bediensteten der Kommission gehört, die im Dezember 1984 beim Gerichtshof Klage erhoben haben auf Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses für das interne Auswahlverfahren KOM2/82, sie nicht zu den Prüfungen dieses Auswahlverfahrens zuzulassen (293/84 und 294/84). Dieses Auswahlverfahren diente zur Bildung einer Einstellungsreserve von Verwaltungsinspektoren, Sekretariatsinspektoren und technischen Inspektoren der Besoldungsgruppen 5 und 4 der Laufbahngruppe B.

2 Mit zwei Urteilen vom 11. März 1986 (in der Rechtssache 293/84, Sorani u. a./Kommission, Slg. 1986, 967, und in der Rechtssache 294/84, Adams u. a./Kommission, Slg. 1986, 977) hat der Gerichtshof die Entscheidungen des Prüfungsausschusses, mit denen die damaligen Kläger nicht zu den Prüfungen zugelassen worden waren, mit der Begründung aufgehoben, daß diesen nicht die Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu der Stellungnahme zu äussern, die ihre Vorgesetzten gegenüber dem Prüfungsausschuß zu ihrer Person abgegeben hätten. Aufgrund dieser Urteile ließ der Prüfungsausschuß die betroffenen Bewerber im Juni 1986 zu sich kommen, damit sie die gleichen Fragen, die zuvor ihren Vorgesetzten gestellt worden waren, beantworten konnten. Mit Schreiben vom 11. Juli 1986 wurde den Bewerbern mitgeteilt, daß die Entscheidung, sie nicht zu den Prüfungen zuzulassen, bestätigt worden sei.

3 Nachdem einige Bewerber gegen die Entscheidung vom Juli 1986 Beschwerde eingelegt hatten, ließ der Prüfungsausschuß sie erneut zu sich kommen, um ihnen Gelegenheit zu geben, zu den Antworten der Vorgesetzten auf die Fragen des Prüfungsausschusses Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 12. Februar 1987 wurde den betroffenen Beamten mitgeteilt, daß der Prüfungsausschuß der Auffassung sei, die ihnen gegenüber erlassene Entscheidung, die ihnen am 11. Juli 1986 übermittelt worden war, brauche nicht geändert zu werden.

4 Mit Urteil vom 28. Februar 1989 in den verbundenen Rechtssachen 100/87, 146/87 und 153/87 (Basch u. a./Kommission, Slg. 1989, 447) hat der Gerichtshof die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM2/82, die Kläger nicht zu den Prüfungen dieses Auswahlverfahrens zuzulassen, wegen unzureichender Begründung und Rechtswidrigkeit des vom Prüfungsausschuß angewandten Verfahrens aufgehoben.

5 Zur Durchführung dieses Urteils forderte die Kommission den Prüfungsausschuß auf, seine Arbeiten in dem Stadium wieder aufzunehmen, in dem sie vom Gerichtshof für rechtswidrig erklärt worden waren.

6 Nach Beendigung dieser Arbeiten wurde die Klägerin im Mai 1991 zur Teilnahme an den Prüfungen des Auswahlverfahrens zugelassen, nach deren Abschluß sie in die Reserveliste aufgenommen wurde. Am 29. Oktober 1991 wurde sie auf die Stelle einer Verwaltungsinspektorin mit Einstufung in die Besoldungsgruppe B 5, Dienstaltersstufe 4, ernannt.

Verfahren und Anträge der Parteien

7 Mit Schreiben vom 11. Dezember 1991 beantragte die Klägerin bei der Anstellungsbehörde, eine Entscheidung zu erlassen, mit der sie in die Besoldungsgruppe B 4, Dienstaltersstufe 8, eingestuft werde, um die Verzögerung, die in ihrer Laufbahn eingetreten sei, zu korrigieren. Sie machte insoweit geltend, daß sie innerhalb von acht Jahren, statistisch betrachtet, mindestens einmal von der Besoldungsgruppe B 5 an hätte befördert werden müssen.

8 Da die Kommission dieses Schreiben nicht ausdrücklich beantwortete, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

9 Mit Klageschrift, die am 14. Juli 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt,

1) festzustellen, daß das vorprozessuale Verfahren eine Beschwerde darstellt;

2) für Recht zu erkennen und zu entscheiden, daß die Kommission und der Prüfungsausschuß für die Verzögerung, die die Klägerin in ihrer Laufbahn erlitten hat, verantwortlich sind und daß diese Laufbahn daher in der Weise zu korrigieren ist, daß der Klägerin die Besoldungsgruppe 4, Dienstaltersstufe 8, zuerkannt wird;

3) die Beklagte ° vorbehaltlich weiterer Anträge im Laufe des Verfahrens ° zur Zahlung von 500 000 BFR als Ersatz des materiellen Schadens, zuzueglich 8 % Zinsen, zu verurteilen;

4) die Beklagte ° vorbehaltlich weiterer Anträge im Laufe des Verfahrens ° zur Zahlung von 500 000 BFR als Ersatz des immateriellen Schadens, zuzueglich 8 % Zinsen, zu verurteilen;

5) die Beklagte zur Tragung der Kosten des Verfahrens zu verurteilen.

10 Die Kommission hat mit Schriftsatz, der am 30. September 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 114 § 1 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben und beantragt, über diese vorab zu entscheiden. Die Kommission macht im wesentlichen geltend, das Schreiben der Klägerin vom 11. Dezember 1991 stelle einen Antrag und keine Beschwerde im Sinne der Artikel 90 und 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften dar; entgegen diesen Artikeln sei der vorliegenden Klage keine Beschwerde vorausgegangen.

11 Die Kommission beantragt,

° die Klage für unzulässig zu erklären;

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

12 Mit Schriftsatz, der am 27. November 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die Zurückweisung der von der Kommission erhobenen Einrede beantragt.

Zulässigkeit

13 Will eine Partei vorab eine Entscheidung des Gerichts über die Unzulässigkeit herbeiführen, so wird gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, daß das Verfahren nicht fortgesetzt zu werden braucht.

14 Gemäß Artikel 113 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht jederzeit von Amts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen. Diese Vorschrift findet nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1986 in der Rechtssache 191/84, Barcella/Kommission, Slg. 1986, 1541) insbesondere bei Verstössen gegen das in den Artikeln 90 und 91 des Statuts geregelte Verfahren Anwendung. Ist eine beim Gericht erhobene Klage offensichtlich unzulässig, so kann das Gericht gemäß Artikel 111 seiner Verfahrensordnung ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

15 Im vorliegenden Fall hält es das Gericht für angebracht, sich vor einer etwaigen Prüfung der von der Kommission erhobenen Unzulässigkeitseinrede von Amts wegen zu vergewissern, daß die Klage nicht mit einem offensichtlichen Unzulässigkeitsgrund behaftet ist.

Zu den Schadensersatzanträgen

16 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß das durch Artikel 90 des Statuts geschaffene vorprozessuale Verfahren beim Fehlen einer den betroffenen Beamten beschwerenden Maßnahme grundsätzlich ein Verfahren ist, das in zwei Abschnitte unterteilt ist. Wie aus Artikel 90 Absatz 1 hervorgeht, kann jede Person, auf die das Statut Anwendung findet, einen Antrag auf Erlaß einer sie betreffenden Entscheidung an die Anstellungsbehörde richten. Bei ablehnender Antwort oder ausbleibender Entscheidung kann sich der Betroffene unter den in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts festgelegten Bedingungen mit einer Beschwerde gegen die ausdrückliche oder stillschweigende Entscheidung der Anstellungsbehörde an diese wenden. Das Beschwerdeverfahren soll die Behörde, zu der der Beamte gehört, dazu zwingen, ihre Entscheidung im Lichte der möglichen Einwände des Beamten zu überprüfen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 21. Oktober 1980 in der Rechtssache 101/79, Vecchioli/Kommission, Slg. 1980, 3069, Randnr. 31). Dieses in Artikel 90 des Statuts festgelegte vorprozessuale Verfahren, insgesamt betrachtet, hat den Zweck, eine einverständliche Beilegung des zwischen dem Beamten und der Verwaltung entstandenen Streites zu ermöglichen und zu fördern (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 23. Oktober 1986 in der Rechtssache 142/85, Schwiering/Rechnungshof, Slg. 1986, 3177, Randnr. 11).

17 Was die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage angeht, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wie sie das Gericht analysiert und präzisiert hat (Urteile des Gerichts vom 24. Januar 1991 in der Rechtssache T-27/90, Latham/Kommission, Slg. 1991, II-35, Randnr. 38, und vom 25. September 1991 in der Rechtssache T-5/90, Marcato/Kommission, Slg. 1991, II-731, Randnr. 49), daß nur dann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Anfechtungsklage und einer Schadensersatzklage besteht, diese letztgenannte Klage als Zusatz zur Anfechtungsklage zulässig ist, ohne daß ihr notwendigerweise sowohl ein Antrag, mit dem die Anstellungsbehörde zum Ersatz der angeblich entstandenen Schäden aufgefordert wird, als auch eine Beschwerde, mit der die Berechtigung der stillschweigenden oder ausdrücklichen Ablehnung des Antrags bestritten wird, vorausgegangen sein müssen.

18 Im vorliegenden Fall enthält die Klage keinen Antrag auf Aufhebung einer Maßnahme, sondern ist auf den Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden gerichtet, die angeblich dadurch entstanden sind, daß die Klägerin erst mit einer Verspätung von acht Jahren und nach mehreren Gerichtsverfahren zu den Prüfungen eines Auswahlverfahrens zugelassen wurde, was zu einer Verzögerung bei der Entwicklung ihrer Laufbahn geführt haben soll. Die Klage stützt sich also nicht auf den Schaden, der sich aus einer einzigen Maßnahme ergeben soll, deren Aufhebung beantragt wird, sondern auf mehrere angebliche Fehler und Unterlassungen der Verwaltung. Folglich hätte das ihrer Erhebung vorausgehende Verwaltungsverfahren zwingend durch einen Antrag der Betroffenen eingeleitet werden müssen, mit dem die Anstellungsbehörde zum Ersatz dieser Schäden aufgefordert wird (vgl. Beschluß des Gerichts vom 6. Februar 1992 in der Rechtssache T-29/91, Castelletti u. a./Kommission, Slg. 1992, II-77), und gegebenenfalls durch eine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Ablehnung des Antrags fortgesetzt werden müssen.

19 Das Gericht stellt fest, daß dem Schreiben, das die Klägerin am 11. Dezember 1991 an die Anstellungsbehörde gerichtet hat, kein weiterer Schritt bei der Verwaltung, der den Voraussetzungen des Artikels 90 des Statuts entspricht, rechtzeitig vorausgegangen oder gefolgt ist.

20 Auch wenn man davon ausgeht, daß das erwähnte Schreiben, wie die Klägerin vorträgt, als Beschwerde im Sine des Statuts auszulegen ist, so steht folglich doch fest, daß das vorprozessuale Verfahren nicht gemäß Artikel 90 des Statuts in zwei Abschnitten abgelaufen ist, da dieser Beschwerde kein Antrag vorausging. Ist das Schreiben vom 11. Dezember 1991 dagegen, wie die Kommission meint, als Antrag anzusehen, so steht ebenfalls fest, daß keine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Ablehnung dieses Antrags eingelegt wurde. Daraus ergibt sich eindeutig, daß die Klage, soweit sie Anträge auf Gewährung von Schadensersatz enthält, nicht unter den im Statut festgelegten Bedingungen erhoben wurde und daher offensichtlich unzulässig ist.

Zu den Klageanträgen im übrigen

21 Soweit beantragt wird, "für Recht zu erkennen und zu entscheiden", daß die Kommission und der Prüfungsausschuß für die fragliche Verzögerung verantwortlich sind und folglich eine "Korrektur" der Laufbahn der Klägerin in der Weise vorzunehmen ist, daß ihr die Besoldungsgruppe B 4, Dienstaltersstufe 8, zuerkannt wird, ist festzustellen, daß derartige Anträge offensichtlich nicht in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters fallen. Dieser ist nämlich nicht dafür zuständig, solche Anordnungen an die Organe zu richten (in dem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 9. Juni 1983 in der Rechtssache 225/82, Verzyck/Kommission, Slg. 1983, 1991). Diese Anträge sind demnach offensichtlich unzulässig.

22 Nach alledem ist die Klage, auch wenn man unterstellt, daß sie unter Einhaltung der Formvorschriften des Artikels 44 § 2 der Verfahrensordnung erhoben worden ist, jedenfalls als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne daß über die Unzulässigkeitseinrede der Kommission entschieden zu werden braucht.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 28. Januar 1993

Ende der Entscheidung

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