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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 15.07.1994
Aktenzeichen: T-576/93
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 2
EWG/EAG BeamtStat Art. 25 Abs. 2
EWG/EAG BeamtStat Art. 62
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Gericht muß von Amts wegen die Frage prüfen, ob ein Beamter zur Begründung einer Klage, die gegen eine an ihn gerichtete Verfügung gerichtet ist, einen Verstoß des beklagten Organs gegen eine von diesem mit den Gewerkschaften und Berufsverbänden getroffene Absprache rügen kann.

2. Da ein Beamter einem durch das Statut und andere Verordnungen gebildeten Dienstrecht unterliegt, kann er, wenn er individuell handelt, zur Begründung der gegen eine individuelle Entscheidung über Abzuege von seinem Gehalt aufgrund von Streiks gerichteten Anfechtungsklage nicht den Vorwurf eines Verstosses gegen die Bestimmungen einer zwischen dem beklagten Organ und den Gewerkschaften und Berufsverbänden geschlossenen Vereinbarung über Arbeitseinstellungen erheben, soweit diese Vereinbarung nur dazu bestimmt ist, die kollektiven Arbeitsbeziehungen zwischen dem Organ und den genannten Organisationen zu regeln und für den einzelnen Beamten weder Pflichten noch Rechte schafft.

3. Die Verpflichtung gemäß Artikel 25 des Statuts, beschwerende Maßnahmen zu begründen, soll es dem Gemeinschaftsgericht ermöglichen, die Rechtmässigkeit der Entscheidung zu kontrollieren, und dem Betroffenen hinreichende Anhaltspunkte für die Prüfung der Frage geben, ob die Entscheidung begründet ist oder einen Fehler enthält, der ihre Anfechtung erlaubt. Diesem Erfordernis wird genügt, wenn die mit der Klage angefochtene Handlung in einem Kontext geschehen ist, der dem Betroffenen bekannt ist und es ihm erlaubt, die Tragweite einer Maßnahme, die ihn persönlich betrifft, zu erkennen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 15. JULI 1994. - MARTINE BROWET UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - STREIK - VEREINBARUNG MIT DER KOMMISSION - GEWERKSCHAFTEN UND BERUFSVERBAENDE - KONZERTIERUNGSVERFAHREN - NICHTBEZAHLUNG FUER DIE TAGE DER ARBEITSNIEDERLEGUNG - AUF DIE OEFFENTLICHE ORDNUNG GESTUETZTER KLAGEGRUND - BEGRUENDUNGSPFLICHT. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-576/93, T-577/93, T-578/93, T-579/93, T-580/93, T-581/93 UND T-582/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und rechtlicher Rahmen des Verfahrens

1 1991 riefen die Gewerkschaften und Berufsverbände (GuB) das Personal der Organe dazu auf, durch Streiks dagegen zu demonstrieren, daß es bei der Arbeit des Rates an der damals in der Prüfung befindlichen Frage der Modalitäten der Anpassung der Dienstbezuege der Gemeinschaftsbediensteten zu Verzögerungen gekommen sei.

2 In Brüssel wurden Arbeitseinstellungen für den 18. 19. 25. und 26. Juni sowie für den 2. und 3. Oktober 1991 beschlossen. Während dieser Arbeitseinstellungen entschied die Kommission aus Sicherheitsgründen, die Kantinen, den Kindergarten und den Kinderhort zu schließen sowie den Betrieb der Datenverarbeitungssysteme zu unterbrechen.

3 Am 25. Oktober 1991 gab die Kommission in einer Mitteilung an das Personal bekannt, daß gemäß ihrer früheren Entscheidung vom 16. Dezember 1970 ein Gehaltsabzug vorgenommen werde, wobei die näheren Einzelheiten nach Abstimmung mit den übrigen Organen festgelegt werden sollten.

4 Zur Erfassung der Streiktage und Tage der Arbeitseinstellung in diesem Zusammenhang, wurden an das Personal Formblätter verteilt, die der Mitteilung vom 25. Oktober 1991 als Anlage beigefügt waren; diese Formblätter richteten sich an die Beamten und sonstigen Bediensteten, die während der Streiktage entweder freiwillig oder aufgrund einer dienstlichen Weisung ihre Tätigkeit versehen hatten oder die aus einem Grund, der nichts mit den Streiks zu tun hatte, dem Dienst ferngeblieben waren. In diesem Formblatt hieß es ausdrücklich, daß das Ausbleiben einer Antwort innerhalb der festgesetzten Frist "als Beteiligung an allen Arbeitseinstellungen am Dienstort gewertet" werde.

5 Am 15. November 1991 erfolgte ein erster Meinungsaustausch im Rahmen einer technischen Konzertierungssitzung zwischen den GuB und der Kommission über die Einzelheiten der Wiederaufnahme der Arbeit und insbesondere über einen Gehaltsabzug entsprechend der Zahl der Streiktage.

6 Am Ende einer politischen Konzertierungssitzung am 25. November 1991 erklärte das für Fragen des Personals und der Verwaltung zuständige Kommissionsmitglied Cardoso e Cunha: "Die Diskussion über dieses Problem ist nicht abgeschlossen."

7 Im Laufe der Sitzung des Kollegiums der Verwaltungschefs vom 29. November 1991 kamen diese überein, ihren Anstellungsbehörden zu empfehlen, Modalitäten für die Wiederaufnahme der Arbeit festzulegen, nach denen für 75 % der Streiktage folgendes gelten solle:

° Gehaltsabzug in Höhe von 25 %,

° Ausgleich in Form von Überstunden, die weder vergütet noch durch Dienstbefreiung abgegolten werden sollten, für die restlichen 50 %.

8 Diese Modalitäten wurden während einer weiteren politischen Konzertierungssitzung am 22. Mai 1992 erneut erörtert; am Schluß dieser Sitzung nahm das Kommissionsmitglied Cardoso e Cunha folgenden Standpunkt ein: "Lege Wert darauf, daß man diese Angelegenheit nicht länger schleifen lassen kann. Stelle ohne Präjudiz fest, daß das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist und daß der Abschluß des Verfahrens abgewartet werden muß, bevor dieses Kapitel geschlossen werden kann. Wünsche Konsultationen mit den GuB wegen des weiteren Vorgehens."

9 Eine letzte politische Konzertierungssitzung fand am 12. November 1992 statt; im Laufe dieser Sitzung erklärte das Kommissionsmitglied trotz der Bedenken der GuB, daß "die Kommission sich der vom Rat und den übrigen Organen gewählten Lösung anschließt", und stellte fest, daß "das Verfahren beendet ist".

10 Die Modalitäten der Wiederaufnahme der Arbeit, insbesondere diejenigen, die die Gehaltsabzuege entsprechend den Empfehlungen der Verwaltungschefs in ihrer Sitzung vom 29. November 1991 (siehe oben, Randnr. 7) betrafen, wurden dem Personal in den Verwaltungsmitteilungen (im folgenden: VM) vom 18. November 1992 mitgeteilt. In dieser Mitteilung heisst es: "In einer letzten politischen Konzertierungssitzung mit den GuB am 12. November 1992 vertrat das für Personal und Verwaltung zuständige Kommissionsmitglied die Ansicht, daß das Konzertierungsverfahren zu dieser Frage abgeschlossen sei, und gab die Entscheidung der Anstellungsbehörde der Kommission bekannt, die gleichen Bestimmungen zu verabschieden, wie sie der Rat erlassen hat, wie oben angegeben ist. Deshalb werden die zuständigen Stellen der GD IX demnächst den vorgesehenen Abzug vornehmen."

11 Gleichzeitig mit den Nachzahlungen auf die für 1992 geschuldeten Dienstbezuege Ende Dezember 1992 nahm die Verwaltung die Abzuege für die mittels der Antworten des Personals im Formblatt vom 25. Oktober 1991 erfassten Zeiten der Abwesenheit vor. Die Begründung für diese Abzuege wurde in den Gehaltsmitteilungen vermerkt.

12 Die Kläger legten am 17. März 1993 (Rechtssache T-576/93), 19. März 1993 (Rechtssache T-577/93), 23. März 1993 (Rechtssache T-578/93), 22. März 1993 (Rechtssache T-579/93), 2. April 1993 (Rechtssache T-580/93) und 18. März 1993 (Rechtssachen T-581/93 und T-582/93) jeweils getrennt Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) gegen diese Verfügung eines Gehaltsabzugs durch die Kommission ein. Die verschiedenen Beschwerden sind gleichlautend abgefasst.

13 Sie wurden mit ausdrücklichen, ebenfalls gleichlautenden Entscheidungen vom 23. Juli 1993, die den Betroffenen durch dienstliches Schreiben vom 13. August 1993, das ihnen zwischen dem 13. und 27. September 1993 zuging, zurückgewiesen.

Verfahren und Anträge der Parteien

14 Unter diesen Umständen haben die Kläger mit Klageschriften, die am 15. Dezember 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, die vorliegenden, gleichlautenden Klagen eingereicht; die Kommission hat am 17. Februar 1994 sieben Klagebeantwortungen eingereicht, die ebenfalls praktisch den gleichen Wortlaut haben. Da keine Erwiderung eingereicht worden ist, ist das schriftliche Verfahren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden.

15 Jeder Kläger beantragt,

° die ausdrückliche Entscheidung vom 13. August 1993 aufzuheben, durch die seine Beschwerde bei der Kommission zurückgewiesen wurde, mit der die Verfügung angefochten worden war, von seinen Gehaltsnachzahlungen für 1991 Abzuege wegen der Streiks im Juni und Oktober 1991 vorzunehmen;

° der Beklagten gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und sie gemäß Artikel 73 Buchstabe b der Verfahrensordnung zur Erstattung der Aufwendungen, die für das Verfahren notwendig waren, insbesondere Reise- und Aufenthaltskosten sowie die Vergütung der Anwälte zu verurteilen.

16 In allen Verfahren mit Ausnahme der Rechtssache T-577/93 beantragt die Kommission,

° die vom Kläger eingereichte Klage als unbegründet abzuweisen,

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

17 In der Rechtssache T-577/93 (Hubert-Michiels/Kommission) beantragt die Kommission,

° die Klage als unzulässig, jedenfalls als unbegründet, abzuweisen,

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

18 Der Präsident der Dritten Kammer hat mit Beschluß vom 14. Juni 1994 die Rechtssachen T-576/93, T-577/93, T-578/93, T-579/93, T-580/93, T-581/93 und T-582/93 verbunden.

19 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Prozeßbevollmächtigten und Bevollmächtigten der Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 30. Juni 1994 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

Zur Zulässigkeit

20 Gegen die Zulässigkeit der Klagen erhebt die Kommission Einwände nur in der Rechtssache T-577/93. In diesem Fall trägt die Kommission vor, daß die Klägerin ihre Beschwerde am 16. April 1993, also mehr als drei Monate nach der sie angeblich beschwerenden Maßnahme, eingelegt habe, und daß ihre Beschwerde aus diesem Grund als verspätet anzusehen sei. Daher sei diese Klage als unzulässig abzuweisen.

21 In der mündlichen Verhandlung hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ausgeführt, daß die Kommission nicht in der Lage gewesen sei, genau den Zeitpunkt anzugeben, zu dem der Klägerin in der Rechtssache T-577/93 ihre Gehaltsmitteilung für den Monat Dezember 1992 zugegangen sei.

22 Nach Auffassung des Gerichts ist unter den Umständen des vorliegenden Falles zuerst die Begründetheit der Klagen zu prüfen.

Begründetheit

Die Kläger stützen ihre Klagen auf zwei Gründe:

° erstens einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Vereinbarung vom 20. September 1974 über die Beziehungen zwischen der Kommission und den GuB (im folgenden: Vereinbarung);

° zweitens einen Verstoß gegen die Artikel 25 Absatz 2 und 62 des Statuts.

Zum Verstoß gegen Ziffer 12 der Vereinbarung und gegen Ziffer 10 des Anhangs der Vereinbarung

23 Ziffer 12 in Kapitel II der Vereinbarung bestimmt: "Die Konzertierung wird durch den Entwurf einer Vereinbarung oder ein Protokoll abgeschlossen, das die verschiedenen Standpunkte enthält, zu denen sich die Kommission äussert." Ziffer 10 des Anhangs der Vereinbarung, die "Bestimmungen betreffend Arbeitseinstellungen" enthält, lautet: "Die Modalitäten der Wiederaufnahme der Arbeit werden durch eine Konzertierung zwischen der Kommission und den am Konflikt beteiligten Organisationen geregelt."

° Vorbringen der Parteien

24 Die Kläger machen geltend, daß die Vereinbarung rechtlich zwingenden Charakter habe und daß die Kommission daher nicht "einseitig und autoritär" Gehaltsabzuege habe verfügen dürfen, ohne ein Konzertierungsverfahren mit den GuB abgeschlossen zu haben.

25 Diese Verfügung sei zu Beginn der Konzertierungssitzung vom 12. November 1992 angekündigt worden, obwohl der Vertreter der Kommission am Schluß der vorangegangenen Sitzung vom 22. Mai 1992 erklärt habe, daß das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, und seither keine Sitzung mit den GuB abgehalten worden sei. Die Einhaltung der Vereinbarung hätte vorausgesetzt, daß bei Abschluß der Verhandlungen ein Einigungsentwurf abgefasst worden wäre oder daß, bei bestehender Uneinigkeit, ein Protokoll erstellt worden wäre, das die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien zusammengefasst hätte. Erst nach Erstellung dieses Protokolls hätte die Kommission die angefochtenen Verfügungen erlassen dürfen.

26 Zudem habe sich die Kommission nicht an ihre eigene Entscheidung gehalten, die in der Sitzung vom 12. November 1992 angekündigt worden sei und nach der sie sich für die Festlegung der genauen Modalitäten der Wiederaufnahme der Arbeit mit den anderen Organen abstimmen werde. Zwar habe der Rat ebenfalls entschieden, Gehaltsabzuege wegen der Streikaktionen vorzunehmen, diese Entscheidung sei jedoch aufgrund eines ordnungsgemäß durchgeführten Konzertierungsverfahrens mit den GuB erfolgt und ganz und gar auf den Rat zugeschnitten.

27 Die Kommission führt aus, daß die Konzertierung sehr wohl erfolgt und in zahlreichen Sitzungen zwischen November 1991 und November 1992 konkretisiert worden sei, und vertritt die Ansicht, daß das Fehlen eines Protokolls, das die Standpunkte der an der Konzertierungssitzung Beteiligten zusammenfasse, keinen Verfahrensfehler darstelle. Die Standpunkte der Beteiligten seien in den Sitzungsprotokollen wiedergegeben worden.

28 Ein Konzertierungsverfahren solle es den Beteiligten ermöglichen, ihre Standpunkte zum Ausdruck zu bringen und zu einer möglichst vollständigen Beurteilung der Angelegenheit zu gelangen. Obwohl mit ihr bezweckt sei, die Standpunkte der Beteiligten einander anzunähern, bedeute die "Dialektik einer Konzertierung" nicht notwendig, daß nur mit einer Konzertierung, die zu einer Einigung führe, die Bestimmungen der Vereinbarung erfuellt werden könnten.

29 Die Kommission verneint jeden Widerspruch zwischen den Erklärungen ihres Vertreters, der am 22. Mai 1992 die Ansicht geäussert habe, daß das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, und ihrer Entscheidung vom 12. November 1992, den Verfahrensabschnitt der Konzertierung für beendet zu erklären, ohne daß dazwischen weitere Konsultationen stattgefunden hätten. Das Konzertierungsverfahren habe ein Jahr gedauert, und es habe zahlreiche Kontakte mit den GuB gegeben.

30 Der Umstand, daß kein förmliches Protokoll erstellt worden sei, das die im Konzertierungsverfahren zum Ausdruck gebrachten Standpunkte wiedergebe, könne keinen hinreichenden Grund für die Feststellung der Nichtigkeit eines Verfahrens darstellen, in dem sich die von den Beteiligten zum Ausdruck gebrachten Standpunkte in aller Deutlichkeit schon aus den Sitzungsprotokollen ergäben.

31 Ferner seien die Modalitäten der Anwendung des Grundsatzes des Gehaltsabzugs bei Streik, die 1970 festgelegt worden seien, Gegenstand zahlreicher Erörterungen mit den anderen Organen gewesen, wie die Protokolle der Sitzungen des Kollegiums der Verwaltungschefs und der Umstand belegten, daß sich alle Organe für die gleichen Grundsätze entschieden hätten.

32 Schließlich führt die Kommission aus, selbst wenn man ° entgegen ihrer in der mündlichen Verhandlung geäusserten Ansicht ° annehme, daß ein Beamter einen angeblichen Verstoß gegen die Vereinbarung unmittelbar rügen könnte, habe sie rechtlich hinreichend dargetan, daß ihr keine Verletzung der Vereinbarung vorgeworfen werden könne.

° Würdigung durch das Gericht

33 Nach Ansicht des Gerichts wirft das Vorbringen der Kläger vor allem die Frage auf, ob ein individuell handelnder Beamter zur Begründung einer Klage, die gegen Entscheidungen der angefochtenen Art gerichtet sind, einen Verstoß gegen eine zwischen der Kommission und den GuB getroffene Absprache wie die Vereinbarung rügen kann.

34 Die Kommission hat diese Frage in ihren Antworten auf die sieben Beschwerden der Kläger verneint. In ihren Klagebeantwortungen hat sie, ohne ausdrücklich geltend zu machen, daß dieser Klagegrund nicht vorgebracht werden könne, nur ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Zweifel begründet sei, der in der Antwort auf die Beschwerde hinsichtlich der Frage geäussert worden sei, ob das besondere Instrument, das die Beziehungen zwischen der Kommission und den anerkannten GuB regele, zugunsten eines einzelnen Beschwerdeführers unmittelbare Wirkung entfalte; jedenfalls habe die Kommission hinreichend dargetan, daß die Vereinbarung vom 20. September nicht verletzt worden sei. Schließlich hat die Kommission als Antwort auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß ein individuell handelnder Beamter nicht berechtigt sei, den Verstoß gegen eine zwischen der Kommission und den GuB geschlossenen Vereinbarung zu rügen.

35 Da diese Rüge den Geltungsbereich von Rechtsvorschriften und damit zwingendes Recht betrifft, ist sie von Amts wegen zu prüfen.

36 Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, daß die Beamten der Gemeinschaft grundsätzlich einem durch das Statut und andere Verordnungen gebildeten Dienstrecht unterliegen, von dem nicht durch vertragliche Abmachungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und den GuB abgewichen werden kann.

37 Zweitens hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Januar 1990 in den verbundenen Rechtssachen C-193/87 und C-194/87 (Maurissen und Gewerkschaftsbund/Rechnungshof, Slg. 1990, I-95) zum Grundsatz der Gleichbehandlung von Beamten im Zusammenhang mit der Behandlung von Gewerkschaftsfunkionären in bezug auf die Verteilung gewerkschaftlicher Mitteilungen festgestellt: "Es trifft zwar zu, daß einige der anderen Gemeinschaftsorgane und -einrichtungen in diesem Bereich den Gewerkschaften oder Berufsverbänden und deren Vertretern ° übrigens in unterschiedlicher Weise ° Vergünstigungen gewähren. Da aber dem Beamtenstatut keine dahin gehende Rechtspflicht zu entnehmen ist, handelt es sich um Vorteile die aufgrund der Befugnisse zur Organisation des Dienstbetriebs oder aufgrund besonderer Vereinbarungen zwischen dem Organ bzw. der Einrichtung und den Personalvertretern freiwillig gewährt werden. Auf diese auf der Eigeninitiative der Organe bzw. Einrichtungen beruhenden Maßnahmen kann der Klagegrund, mit dem eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geltend gemacht wird, nicht gestützt werden" (Randnrn. 26 und 27).

38 Ferner hat der Gerichtshof in diesem Urteil entschieden: "Was schließlich die Fürsorgepflicht angeht, so gehört diese in den Rahmen der individuellen Beziehungen zwischen der Anstellungsbehörde und den ihr unterstehenden Beamten und sonstigen Bediensteten. Eine Berufung auf die Fürsorgepflicht zur Lösung von Problemen in den kollektiven Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und -einrichtungen und den Gewerkschaften oder Berufsverbänden ist nicht möglich" (Randnr. 23).

39 Drittens ist die Frage, ob unter den Umständen des vorliegenden Falles ein individuell handelnder Beamter einen angeblichen Verstoß gegen Bestimmungen der Vereinbarung rügen kann, anhand der ständigen Rechtsprechung zu innerdienstlichen Richtlinien zu prüfen. Nach dieser Rechtsprechung stellt eine Richtlinie "eine Verhaltensnorm dar, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält; die Verwaltung kann hiervon nicht ohne Angabe von Gründen abweichen, da sie andernfalls den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen würde" (vgl. die Urteile des Gerichtshofes vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 148/73, Louwage/Kommission, Slg. 1974, 81, vom 21. April 1983 in der Rechtssache 222/81, Ragusa/Kommission, Slg. 1983, 1245, und vom 10. Dezember 1987 in den verbundenen Rechtssachen 181/86 bis 184/86, Del Plato u. a./Kommission, Slg. 1987, 4991). Nach Ansicht des Gerichts ist diese Rechtsprechung nur dann anwendbar, wenn eine interne Richtlinie Rechte zugunsten des einzelnen Beamten schafft oder für ihn einen Faktor der Rechtssicherheit bildet.

40 Im übrigen ist, wenn auf die Geschäftsordnungen der Organe Bezug genommen wird ° einmal unterstellt, daß, quod non, die Vereinbarung einen Teil der Geschäftsordnung der Kommission bildet ° bei den Bestimmungen der Geschäftsordnung eines Organs zwischen denjenigen zu unterscheiden, deren Verletzung von natürlichen und juristischen Personen nicht gerügt werden kann, weil sie nur die internen Modalitäten der Tätigkeit des Organs betreffen, die nicht in ihre Rechtsstellung eingreifen können, und denjenigen, deren Verletzung im Gegensatz hierzu gerügt werden kann, weil sie für diese Personen Rechte schaffen oder einen Faktor der Rechtssicherheit darstellen.

41 Aufgrund dieser Erwägungen ist das Gericht der Ansicht, daß zu prüfen ist, ob die Bestimmungen der Vereinbarung und ihres Anhangs die individuellen oder kollektiven Arbeitsbeziehungen regeln sollen.

42 Kapitel I der Vereinbarung, das sich mit der Anerkennung der GuB befasst, ist sehr allgemein gefasst. Kapitel II erläutert detaillierter das Konzertierungsverfahren, das eine technische und eine politische Ebene umfasst. Artikel 10, der zu diesem Kapitel gehört, bestimmt: "Die Konzertierung auf der technischen Ebene erfolgt mit dem Generaldirektor für Personal und Verwaltung, der gegebenenfalls von anderen betroffenen Generaldirektoren unterstützt wird." Artikel 11 lautet: "Die Konzertierung auf der politischen Ebene findet mit dem oder den zu diesem Zweck bevollmächtigten Mitglied(ern) der Kommission statt." Schließlich heisst es, wie bereits erwähnt, in Artikel 12: "Das Konzertierungsverfahren wird durch den Entwurf einer Vereinbarung oder ein Protokoll abgeschlossen, das die verschiedenen Standpunkte wiedergibt, zu denen sich die Kommission äussert." Kapitel III der Vereinbarung erläutert in den Artikeln 13 bis 17 sehr allgemein die Einzelheiten der Ausübung der gewerkschaftlichen Rechte, insbesondere die Voraussetzungen, unter denen Dienstbefreiung oder Urlaub für gewerkschaftliche Zwecke gewährt werden kann, sowie bestimmte, den repräsentativen GuB eingeräumte Vergünstigungen. Kapitel IV der Vereinbarung widmet sich in den Artikeln 18 und 19 der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Personalvertretung und ihren örtlichen Gruppierungen sowie den GuB. Schließlich behandelt Kapitel V in den Artikeln 20 bis 22 die der Personalvertretung und dem Verbindungsausschuß der GuB zur Verfügung gestellten Mittel.

43 Ferner enthält der Anhang der Vereinbarung Bestimmungen, die die Arbeitseinstellungen betreffen. In den Ziffern 1 bis 5 sind die Einzelheiten der Einreichung einer Ankündigung einer abgestimmten Arbeitseinstellung geregelt; nach Ziffer 6 wird nach der Übermittlung der Ankündigung ein Konzertierungsverfahren zwischen der Kommission und den GuB eingeleitet, um die Liste der Dienstposten zu erstellen, deren Inhaber unter den in Ziffer 7 aufgestellten Voraussetzungen "dienstverpflichtet" werden können; Ziffer 8 bestimmt: "Die Bediensteten, die sich dafür entscheiden, an der ausgerufenen Arbeitseinstellung teilzunehmen, werden nicht behindert und keinem Druck ausgesetzt"; Ziffer 9 stellt klar: "Während der abgestimmten Arbeitseinstellung verfügen die Bediensteten, die sich dafür entscheiden, an der ausgerufenen Arbeitseinstellung nicht teilzunehmen, über freien Zugang zu ihrer Arbeitsstelle, ohne daß sie behindert oder Druck ausgesetzt werden." Schließlich heisst es in Ziffer 10 dieses Anhangs, dessen Verletzung gerügt wird: "Die Modalitäten der Wiederaufnahme der Arbeit unterliegen einem Konzertierungsverfahren zwischen der Kommission und den an der Auseinandersetzung beteiligten Organisationen."

44 Nach Ansicht des Gerichts wird aus dem Wortlaut aller dieser Bestimmungen deutlich, daß die Vereinbarung und ihr Anhang nur dazu bestimmt sind, die kollektiven Arbeitsbeziehungen zwischen der Kommission einerseits und den GuB andererseits zu regeln, und daß sie für den einzelnen Beamten weder Pflichten noch Rechte schaffen. Tatsächlich gehören sie nicht in die Sphäre der individuellen Arbeitsbeziehungen zwischen der Anstellungsbehörde und dem Beamten, sondern in den weiteren Rahmen der Beziehungen zwischen einem Organ und den GuB. Daher kann ein Beamter die gerichtliche Anfechtung einer individuellen Entscheidung über Abzuege von seinem Gehalt aufgrund von Streiks keinesfalls auf den Vorwurf eines Verstosses gegen Bestimmungen der Vereinbarung oder ihres Anhangs stützen (vgl. hierzu das Urteils des Gerichts vom 22. Juni 1994 in den verbundenen Rechtssachen T-97/92 und T-111/92, Rijnoudt und Hocken/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-511, Randnrn. 82 und 86).

45 Darüber hinaus kann nach Ansicht des Gerichts ° einmal unterstellt, daß, quod non, ein individuell handelnder Beamter einen solchen Verstoß gegen Bestimmungen der Vereinbarung oder ihres Anhangs rügen könnte ° im vorliegenden Fall von einem wesentlichen Fehler, der die Rechtmässigkeit der streitigen Entscheidungen beeinträchtigen könnte, keine Rede sein. Schon am vom 25. Oktober 1991 verteilte die Kommission eine Mitteilung an das Personal, aus der zweifelsfrei hervorging, daß entsprechend ihrer früheren Entscheidung vom 16. Dezember 1970 ein Gehaltsabzug vorgenommen werden würde. Im Anschluß hieran wurden am 15. November 1991, 25. November 1991, 22. Mai 1992 und schließlich am 12. November 1992 mehrere technische oder politische Konzertierungssitzungen abgehalten, an deren Schluß das mit Personal- und Verwaltungsfragen betraute Kommissionsmitglied trotz der Einwände der GuB erklärte, daß "die Kommission sich der vom Rat und den anderen Organen gewählten Lösung anschließt" und feststellte, daß "das Verfahren beendet ist".

46 Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, daß Artikel 12 der Vereinbarung zwar nicht buchstabengenau beachtet worden ist, weil bei fortbestehender Uneinigkeit ein Protokoll hätte erstellt werden müssen, das die verschiedenen Standpunkte wiedergibt, daß dieser Umstand allein aber angesichts so zahlreicher Konzertierungssitzungen und zumal die Streitpunkte allen bekannt waren, wie sich aus den den Akten beigefügten Sitzungsprotokollen ergibt, keinen wesentlichen Fehler darstellen kann, den Beamte, die individuell einen Gehaltsabzug anfechten, mit Erfolg rügen können. Im übrigen können die Beamten, die über den Stand und den Ausgang der Verhandlungen genauestens informiert waren, nicht geltend machen, daß ihr rechtlich geschütztes Vertrauen oder ihre Rechtssicherheit unter Umständen, mit denen sie nicht rechnen konnten, enttäuscht oder beeinträchtigt worden wäre.

47 Selbst wenn anerkannt würde, daß dieses Argument vorgebracht werden kann, ergibt sich aus den Akten, daß sich die Kommission entgegen dem Vorbringen der Kläger sehr wohl mit den anderen Organen abgestimmt hatte, bevor sie ihren Standpunkt in bezug auf die Bedingungen der Wiederaufnahme der Arbeit festlegte.

48 Nach allem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen, da er von den Klägern nicht vorgebracht werden kann; jedenfalls ist er aber als unbegründet zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen die Artikel 25 Absatz 2 und 62 des Statuts

° Vorbringen der Parteien

49 Die Kläger räumen ein, daß bei einer freiwilligen Arbeitsunterbrechung wegen Streiks der Gehaltsanspruch ausgesetzt wird, und vertreten die Ansicht, daß die Kommission, um einen Abzug vom Gehalt eines Beamten vornehmen zu können, dartun müsse, daß die Arbeitsunterbrechung allein auf die Initiative des Beamten zurückgehe; ein Gehaltsabzug setze voraus, daß der Beamte freiwillig an einem Streik teilgenommen habe. Die Beweislast liege insoweit bei Kommission, die den Streik kontrollieren und jede Entscheidung über einen Gehaltsabzug individuell begründen müsse. Die Kommission habe jedoch die notwendigen Beweise hierfür nicht vorgelegt und daher den Anspruch des Beamten auf die seiner Besoldungsgruppe entsprechenden Dienstbezuege verletzt. Zudem mangele es der Entscheidung der Kommission, einen Abzug vom Gehalt der Kläger vorzunehmen, wegen des Fehlens dieses Nachweises an einer Begründung.

50 Die Kläger machen geltend, es habe ein Fall höherer Gewalt in dem Sinne vorgelegen, daß die Kommission selbst entschieden habe, die Arbeit ihrer Beamten zu unterbrechen und sie "radikal daran gehindert [habe], ihren Dienst in der gewohnten Weise zu versehen". Denn aus Anlaß der in Rede stehenden Streiks habe die Kommission entschieden, den Betrieb ihrer gesamten Infrastrukturen zu unterbrechen, den Zugang zu den Gebäuden und zu den Garagen zu sperren und den Kindergarten zu schließen, die Tätigkeit aller sozialen Infrastrukturen einzustellen und die Datenverarbeitungssysteme abzuschalten. Damit habe sie es den Beamten untersagt, ihre Büros zu betreten. Es handele sich also nicht um eine Protestbewegung gegen den Dienstherrn, sondern um eine Handlungsweise, die einer Entscheidung dieses Dienstherrn entsprochen habe, was jeden Gehaltsabzug ausschließe.

51 Die Kommission weist vorab darauf hin, daß "nach einem im Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz... Streikteilnehmern die auf die Streiktage entfallenden Lohn- und Gehaltsanteile nicht zu[stehen]" (Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 1975 in den verbundenen Rechtssachen 44/74, 46/74 und 49/74, Slg. 1975, 383).

52 Ferner habe sie, nach den Worten des Generaldirektors für Personal und Verwaltung, "keine Stellung zum Streik bezogen und ganz einfach das Streikrecht ihres Personals respektiert". So sei der Zugang zu den Gebäuden keineswegs untersagt gewesen, so daß das dienstverpflichtete Personal und diejenigen, die am Streik nicht teilgenommen hätten, gemäß Ziffer 9 des Anhangs der Vereinbarung in die Lage versetzt worden seien, ihre Tätigkeit wie üblich zu versehen. Die Kläger hätten keinen Beweis vorgelegt, der diese Behauptung in Frage stellen könnte. Zwar habe sich die Kommission aus naheliegenden Gründen der Sicherheit dafür entschieden, den Zugang zu den Garagen, den Kindergarten, die Restaurants und den Kinderhort zu schließen und auch bestimmte Datenverarbeitungssysteme abzuschalten, diese Vorsichtsmaßnahmen hätten jedoch nicht den Zugang zu den Gebäuden und die Möglichkeit für alle Beamten oder sonstigen Bediensteten verhindert, ihr Büro zu betreten und dort ihren Dienst zu versehen.

53 Daß die Kläger bei der am 25. Oktober 1991 durchgeführten Befragung zu den Arbeitseinstellungen nicht geantwortet hätten, beweise, daß sie an den Streiks teilgenommen hätten, denn wenn sie sich nicht an den Arbeitseinstellungen beteiligt hätten, hätten sie eine entsprechende Erklärung abgegeben müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Die Kommission sei daher zu einem Abzug vom Gehalt der Kläger als "rechtmässige Folge der Feststellung, daß der Dienst nicht versehen wurde", berechtigt gewesen; dieser Grundsatz sei unmißverständlich in der früheren Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1970 aufgestellt worden.

54 Nach ständiger Rechtsprechung seien für die Beurteilung der Begründung für eine Maßnahme "nicht nur das Schriftstück, durch das diese Entscheidung mitgeteilt wurde, sondern auch die Umstände in Betracht zu ziehen, unter denen sie erging und dem Betroffenen zur Kenntnis gebracht wurde, sowie die ihr zugrunde liegenden dienstlichen Mitteilungen, die den Kläger über die für die fragliche Entscheidung maßgeblichen Gründe eindeutig unterrichteten" (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Mai 1980 in den verbundenen Rechtssachen 33/79 und 75/79, Kuhner/Kommission, Slg. 1980, 1677, und vom 7. März 1990 in den verbundenen Rechtssachen C-116/88 und C-149/88, Hecq/Kommission, Slg. 1990, I-599).

55 Schließlich führt die Kommission aus, ihr Standpunkt, daß wegen einer Beteiligung an den Arbeitseinstellungen ein Gehaltsabzug vorzunehmen sei, sei dem Personal seit der genannten Mitteilung vom 25. Oktober 1991 wohlbekannt gewesen. Zudem seien die VM vom 28. November 1992 hierzu völlig klar gewesen. Daher könne ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe die angefochtenen Entscheidungen nicht hinreichend begründet.

° Würdigung durch das Gericht

56 Nach Artikel 25 Absatz 2 des Statuts ist "jede Verfügung aufgrund des Statuts... dem betroffenen Beamten unverzueglich schriftlich mitzuteilen. Jede beschwerende Verfügung muß mit Gründen versehen sein." Ferner hat nach Artikel 62 des Statuts "der Beamte... allein aufgrund seiner Ernennung Anspruch auf die Dienstbezuege, die seiner Besoldungsgruppe und seiner Dienstaltersstufe entsprechen. Der Beamte kann auf diesen Anspruch nicht verzichten. Diese Dienstbezuege umfassen ein Grundgehalt, Familienzulagen und andere Zulagen."

57 Vorab stellt das Gericht fest, daß die Kläger nicht bestreiten, daß das Urteil des Gerichtshofes, Acton u. a./Kommission, Anwendung findet; in diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt: "Nach einem im Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz stehen Streikteilnehmern die auf die Streiktage entfallenden Lohn- und Gehaltsanteile nicht zu. Dieser Grundsatz ist, wie die Kommission schon bei einer früheren Gelegenheit mit ihrem Beschluß vom 16. Dezember 1970 festgestellt hat, nach dem die 'Nichtzahlung der Bezuege für Streiktage ein selbstverständlicher Grundsatz ist' , auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und ihren Beamten anwendbar."

58 Der von den Klägern vorgebrachte Klagegrund besteht aus zwei Teilen: Erstens habe die Kommission nicht den Nachweis der individuellen Beteiligung der Kläger an den Streikaktionen erbracht und habe damit gegen Artikel 62 des Statuts verstossen; zweitens habe die Kommission, indem sie ihre Entscheidungen über den Abzug von den Gehältern der Kläger nicht hinreichend begründet habe, Artikel 25 des Statuts verletzt. Das Gericht hat diese beiden Teile des Klagegrundes nacheinander zu prüfen.

59 Mit dem ersten Teil des Klagegrundes machen die Kläger geltend, die Kommission habe nicht den Beweis für ihre individuelle Beteiligung an den Streiks erbracht, da für sie ein Fall höherer Gewalt in dem Sinne vorgelegen habe, daß die Kommission selbst entschieden habe, die Arbeit ihrer Beamten zu unterbrechen, und sie daran gehindert habe, ihren Dienst wie gewöhnlich zu versehen, insbesondere ihre Büros an den Streiktagen zu betreten. Hierzu ist das Gericht der Ansicht, daß es grundsätzlich demjenigen, der sich auf höhere Gewalt beruft, obliegt, sein Vorbringen hinreichend zu belegen, um dem Gericht die Beurteilung von dessen Stichhaltigkeit zu ermöglichen.

60 Hierzu stellt das Gericht zunächst fest, daß sich aus dem Vorbringen der Kläger selbst ergibt, daß sie während der in Rede stehenden Streiktage nicht an ihrer Arbeitsstätte anwesend waren, und daß es daher auf die rechtliche Bedeutung des Formblatts, das allen Beamten der Kommission als Anhang zur Mitteilung vom 25. Oktober 1991 übersandt wurde, nicht ankommt.

61 Zwar behaupten die Kläger, daß die Kommission sie "radikal daran gehindert [habe], ihren Dienst in der gewohnten Weise zu versehen", indem sie den Betrieb ihrer gesamten Infrastrukturen unterbrochen, den Zugang zu den Gebäuden und den Garagen gesperrt und Datenverarbeitungssysteme abgeschaltet habe, sie haben jedoch hierzu in ihren Klageschriften nur sehr allgemeine Behauptungen aufgestellt, für die sie keinerlei Anscheinsbeweis erbracht oder Beweis angeboten haben. Zudem haben die Kläger trotz kategorischen Bestreitens dieses Tatsachenvortrags durch die Kommission keine Erwiderung eingereicht.

62 Schließlich hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt, er sei nicht in der Lage, genau anzugeben, in welchen Gebäuden der Kommission in Brüssel die Kläger ihren Dienst versähen, und ob der Zugang zu diesen Gebäuden während der Streiktage tatsächlich gesperrt gewesen sei. Er hat sich vielmehr auf den Vortrag beschränkt, daß "die allgemeine Infrastruktur" der Kommission ausser Betrieb gesetzt gewesen sei, was die Kläger daran gehindert habe, zu arbeiten; er war nicht in der Lage, hierfür irgendeinen Beweis zu erbringen oder gar darzutun, daß die Kläger tatsächlich versucht hätten, während der Streiktage zu arbeiten. Im übrigen hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger die Behauptungen des Bevollmächtigten der Kommission nicht bestritten, daß von rund 15 000 Beamten der Kommission 73 % gestreikt und 10 % ihren Dienst versehen hätten und die übrigen dem Dienst entschuldigt ferngeblieben seien. Schließlich war er nicht in der Lage, anzugeben, aus welchen Gründen die Kläger das der Mitteilung vom 25. Oktober 1991 als Anlage beigefügte Formblatt nicht zurückgesandt hätten, ohne insoweit zu bestreiten, daß sie dieses Formblatt sehr wohl erhalten hatten.

63 Daher ist der erste Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

64 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes machen die Kläger geltend, daß allgemein die ihnen gegenüber ergangenen individuellen Verfügungen über Gehaltsabzuege nicht hinreichend begründet seien. Hierzu weist das Gericht darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung die Verpflichtung gemäß Artikel 25 des Statuts, beschwerende Maßnahmen zu begründen, es dem Gemeinschaftsgericht ermöglichen soll, die Rechtmässigkeit der Entscheidung zu kontrollieren, und dem Betroffenen hinreichende Anhaltspunkte für die Prüfung der Frage geben soll, ob die Entscheidung begründet ist oder einen Fehler enthält, der ihre Anfechtung erlaubt. Diesem Erfordernis wird genügt, wenn die mit der Klage angefochtene Handlung in einem Kontext geschehen ist, der dem Betroffenen bekannt ist und es ihm erlaubt, die Tragweite einer Maßnahme, die ihn persönlich betrifft, zu erkennen (vgl. in diesem Sinne das Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache C-169/88, Prelle/Kommission, Slg. 1989, I-4335, und das Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache T-80/92, Turner/Kommission, Slg. 1993, II-1465).

65 Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nach Ansicht des Gerichts eindeutig erfuellt, berücksichtigt man die frühere Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1970, die erwähnte Mitteilung, die die Kommission am 25. Oktober 1991 an ihr Personal verteilte, die Mitteilung an das Personal im Wege der VM vom 18. November 1992, von der keiner der sieben Kläger behauptet, daß er sie nicht erhalten habe, und schließlich die Begründung der Gehaltsabzuege, die deutlich auf den Gehaltsmitteilungen der Kläger angegeben war.

66 Daher ist der zweite Teil des Klagegrundes ebenfalls zurückzuweisen.

67 Aus alledem ergibt sich folgendes: Erstens räumen die Kläger ein, an den in Rede stehenden Streiktagen nicht gearbeitet zu haben, wobei sie jedoch nicht behaupten, daß ihre Abwesenheit auf einem anderen Grund als dem Streik beruht habe; zweitens entbehrt ihr Vorbringen, es liege ein Fall der höheren Gewalt vor, jeder Begründung und drittens schließlich hat die Kommission zu Recht mit hinreichend begründeten Verfügungen einen Abzug von ihren Gehältern wegen ihrer Teilnahme an diesen Streikaktionen vorgenommen.

68 Demgemäß sind die Klagen abzuweisen, ohne daß über die von der Kommission in der Rechtssache T-577/93 erhobene Einrede der Unzulässigkeit entschieden zu werden braucht.

Kostenentscheidung:

Kosten

69 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst. Jedoch kann gemäß Artikel 87 § 3 das Gericht einer Partei auch "die Kosten auferlegen, die sie der Gegenpartei ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat".

70 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist das Gericht unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Kläger der Ansicht, daß letztere der Kommission im Sinne der genannten Bestimmungen der Verfahrensordnung Kosten ohne angemessenen Grund und böswillig verursacht haben. Daher sind den Klägern die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klagen werden abgewiesen.

2) Die Kläger tragen die gesamten Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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