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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 24.01.1991
Aktenzeichen: T-63/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Verspätung bei der Durchführung des Beurteilungsverfahrens kann für sich allein keinesfalls die Gültigkeit der Beurteilung beeinträchtigen und folglich auch nicht deren Aufhebung rechtfertigen.

2. Die in Beurteilungen abgegebenen Werturteile über Beamte sind der gerichtlichen Nachprüfung entzogen, die sich nur auf etwaige Formfehler, offensichtliche Irrtümer, mit denen die von der Verwaltung abgegebenen Werturteile behaftet sind, sowie einen etwaigen Mißbrauch von Befugnissen erstreckt.

3. Ein Beschluß eines Gemeinschaftsorgans wie ein Leitfaden für die Beurteilung, der dem Personal des Organs mitgeteilt wird und den betreffenden Beamten Gleichbehandlung bei der Beurteilung garantieren soll, stellt, auch wenn er nicht als allgemeine Durchführungsbestimmung im Sinne von Artikel 110 des Statuts angesehen werden kann, eine innerdienstliche Richtlinie dar und ist als solche als eine Verhaltensnorm mit Hinweischarakter anzusehen, die sich die Verwaltung selbst auferlegt und von der sie nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, da sie anderenfalls den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen würde.

4. Die Beurteilung dient in erster Linie dazu, die Verwaltung in regelmässigen Abständen so umfassend wie möglich darüber zu informieren, wie ihre Beamten ihren Dienst versehen. Die Beurteilung kann diese Aufgabe nicht wirklich erfuellen, wenn die Vorgesetzten der verschiedenen Dienststellen, bei denen der Betreffende im Beurteilungszeitraum tätig war, vom Beurteilenden nicht vorher gehört und in die Lage versetzt worden sind, etwaige Bemerkungen zu machen. Das Fehlen einer solchen Anhörung stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der geeignet ist, die Beurteilung ungültig zu machen.

5. Eine mehr als dreijährige Verspätung bei der Erstellung einer Beurteilung verstösst gegen den Grundsatz der ordnungsgemässen Verwaltung. Ist diese Verspätung nicht durch das Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt, so stellt sie einen Amtsfehler dar, durch den ein immaterieller Schaden verursacht wird, der darauf beruht, daß der Beamte wegen seiner nicht ordnungsgemässen und unvollständigen Personalakte verunsichert und beunruhigt ist.

Der Beamte hat keinen Anspruch auf Ersatz des behaupteten immateriellen Schadens, wenn er selbst erheblich zu der von ihm beanstandeten Verspätung beigetragen hat.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (FUENFTE KAMMER) VOM 24. JANUAR 1991. - EDWARD PATRICK LATHAM GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - BEURTEILUNG - SCHADENSERSATZ. - RECHTSSACHE T-63/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger, seit 1971 Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, arbeitete von August 1973 an in der Generaldirektion (GD) III (Binnenmarkt), die später in "Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft" umbenannt wurde. Nachdem er mit Wirkung vom 1. Februar 1983 zur GD XI (Umwelt, Verbraucherschutz und nukleare Sicherheit) versetzt worden war, arbeitete er in der Abteilung "Stärkung der Verbraucherinteressen" dieser Generaldirektion.

2 Der Entwurf der Beurteilung des Klägers für den Zeitraum vom 1. Juli 1981 bis zum 30. Juni 1983 wurde vom Direktor der Direktion D der GD III, Ivo Schwartz, erstellt und dem Kläger am 30. März 1987 mitgeteilt. Nach einer Unterredung mit dem Kläger am 13. April 1987 stellte Herr Schwartz die Beurteilung am 6. Mai 1987 endgültig fest. Der Kläger rief daraufhin zunächst den Berufungsbeurteilenden an, der seine Berufungsbeurteilung am 7. Juli 1987 abgab, sodann den paritätischen Beurteilungsausschuß, der seine Stellungnahme am 15. Februar 1988 abgab. In seiner Stellungnahme legte der paritätische Ausschuß dem Berufungsbeurteilenden eine Überprüfung der Beurteilung nahe. Der Berufungsbeurteilende entschied, die Beurteilung ohne Änderung aufrechtzuerhalten; die am 17. März 1988 erstellte endgültige Fassung der Beurteilung wurde dem Kläger am 18. März 1988 mitgeteilt.

3 Daraufhin legte der Kläger eine Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) ein, die sich gegen die Entscheidung des Berufungsbeurteilenden richtete, die Beurteilung ohne Änderung aufrechtzuerhalten. Diese Beschwerde wurde durch Entscheidung vom 11. November 1988, die dem Kläger mit Schreiben vom 22. November 1988 am 24. November 1988 mitgeteilt wurde, ausdrücklich zurückgewiesen.

4 Am 16. September 1986 bewarb sich der Kläger um eine freie Stelle der Besoldungsgruppe A 3 in der GD III. Nachdem ihm am 30. Oktober 1986 mitgeteilt worden war, daß seine Bewerbung von der Kommission zurückgewiesen worden sei, legte er am 20. November 1986 eine Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Dieses Verwaltungsverfahren hat kein gerichtliches Verfahren nach sich gezogen.

Verfahren

5 Mit Klageschrift, die am 14. Februar 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

6 Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß vor dem Gerichtshof abgelaufen.

7 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen.

8 Das Gericht (Fünfte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

9 Die mündliche Verhandlung hat am 10. Juli 1990 stattgefunden. Am Ende der Sitzung hat der Präsident die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt.

Anträge der Parteien

10 Der Kläger beantragt,

- die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

- die Entscheidung des als Berufungsbeurteilender handelnden Generaldirektors (GD III) F. Braun vom 17. März 1988, seine Beurteilung ohne Änderung aufrechtzuerhalten, aufzuheben;

- ihm Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens durch Zuerkennung einer Entschädigung in Höhe von zwei Jahresgehältern in der Besoldungsgruppe A 3 sowie eines Betrags von 200 000 BFR zuzusprechen;

- der Beklagten sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kommission beantragt,

- die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen;

- dem Kläger gemäß den Artikeln 69 § 2 und 70 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

Zum ersten Klageantrag, mit dem die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsbeurteilenden vom 17. März 1988 begehrt wird

11 Zur Begründung dieses Antrags macht der Kläger drei Klagegründe geltend, die auf Unregelmässigkeiten beim Verfahren der Erstellung seiner Beurteilung gestützt werden, und zwar erstens einen Verstoß gegen Artikel 6 der von der Kommission mit Entscheidung vom 27. Juli 1979 erlassenen Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 43 des Statuts (im folgenden: Durchführungsbestimmungen), zweitens einen offensichtlichen sachlichen Irrtum, mit dem seine Beurteilung behaftet sei, und drittens einen Verstoß gegen Artikel 3 der Durchführungsbestimmungen.

Zum ersten Klagegrund, der auf einen Verstoß gegen Artikel 6 der Durchführungsbestimmungen gestützt wird

12 Zum ersten Klagegrund - Verstoß gegen Artikel 6 der Durchführungsbestimmungen - trägt der Kläger vor, nach der in dieser Bestimmung aufgestellten Regel hätte ihm der Entwurf der Beurteilung für den Zeitraum von 1981 bis 1983 spätestens bis zum 30. November 1983 mitgeteilt werden müssen. Seine Beurteilung sei aber erst am 30. März 1987, d. h. drei Jahre und vier Monate nach dem vorgeschriebenen Zeitpunkt, endgültig erstellt worden. Diese erhebliche Überschreitung der Frist sei unannehmbar und mit dem Grundsatz einer ordnungsgemässen Verwaltung unvereinbar (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Februar 1986 in den verbundenen Rechtssachen 173/82, 157/83 und 186/84, Castille/Kommission, Slg. 1986, 497). Daher müsse die Beurteilung aufgehoben und die Beklagte verurteilt werden, einen Betrag von 200 000 BFR als Schadensersatz wegen Amtsfehlers an ihn zu zahlen. Bei Beförderungen sei es nämlich von wesentlicher Bedeutung - und dies werde durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes bestätigt -, daß das Beurteilungsverfahren korrekt ablaufe und daß insbesondere die hierfür ausdrücklich vorgesehenen Fristen eingehalten würden (Urteil vom 17. Januar 1989 in der Rechtssache 293/87, Vainker/Parlament, Slg. 1989, 23). Im vorliegenden Fall trage die Verwaltung die alleinige Verantwortung für die Nichtbeachtung des Beurteilungsverfahrens. Es gehe nicht an, den Kläger diese Verantwortung mittragen zu lassen.

13 Die Kommission stellt zwar nicht in Abrede, daß die Erstellung der ursprünglichen und anschließend der endgültigen Beurteilung zu lange gedauert habe, meint jedoch, daß diese Verspätung für sich genommen nicht die Gültigkeit der Beurteilung beeinträchtigen und damit deren Aufhebung rechtfertigen könne. Sie beruft sich insoweit auf die Urteile des Gerichtshofes vom 9. Februar 1988 in der Rechtssache 1/87 (Picciolo/Kommission, Slg. 1988, 711) und vom 15. März 1989 in der Rechtssache 140/87 (Bevan/Kommission, Slg. 1989, 701). Nach Ansicht der Beklagten hat der Kläger auch kein berechtigtes Interesse an der Aufhebung seiner Beurteilung wegen "Überschreitung der im Leitfaden für die Beurteilung vorgeschriebenen Fristen". Das einzige Ergebnis dieser Aufhebung wäre, daß die Beurteilung - mit noch erheblicherer Verspätung - neu abzufassen wäre.

14 Zum ersten Klagegrund ist festzustellen, daß die streitige Beurteilung, die den Zeitraum vom 1. Juli 1981 bis zum 30. Juni 1983 abdeckt, nicht am 30. November 1983, dem nach Artikel 6 Absatz 1 der Durchführungsbestimmungen vorgeschriebenen spätesten Zeitpunkt, sondern erst am 6. Mai 1987, d. h. mit erheblicher Verspätung, endgültig erstellt wurde.

15 Nach ständiger Rechtsprechung kann aber eine Verspätung bei der Durchführung des Beurteilungsverfahrens für sich allein keinesfalls die Gültigkeit der Beurteilung beeinträchtigen und folglich auch nicht deren Aufhebung rechtfertigen (siehe Urteile des Gerichtshofes vom 9. Februar 1988 in der Rechtssache 1/87, Picciolo, a. a. O., und vom 15. März 1989 in der Rechtssache 140/87, Bevan, a. a. O.).

16 Somit ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund, der auf einen offensichtlichen Irrtum, mit dem die streitige Beurteilung behaftet sei, gestützt wird

17 Zum zweiten Klagegrund, gestützt auf einen offensichtlichen sachlichen Irrtum, macht der Kläger geltend, einige in der Beurteilung unter der Rubrik "Allgemeine Beurteilung" enthaltene Bemerkungen seien überfluessig und fehlerhaft. Die Beklagte habe nämlich in den vorbereitenden Fassungen seiner Beurteilung vom 30. März 1987, 6. Mai 1987 und 7. Juli 1987 willentlich einige für den Kläger nachteilige Bewertungen abgegeben. Übrigens habe sie zumindest teilweise anerkannt, daß diese unzutreffend seien. Ausserdem habe die Beklagte in der Fassung vom 7. Juli 1987 weitere den Kläger verletzende, unzutreffende Bemerkungen über einen seiner Charakterzuege und einen Konflikt zwischen ihm und einem anderen Beamten hinzugefügt. Es sei dem Beurteilenden nicht gestattet, im allgemeinen Teil der Beurteilung Bemerkungen dieser Art zu machen. Der Beklagten seien offensichtliche Irrtümer unterlaufen, und sie habe Ermessensmißbräuche begangen, da der Berufungsbeurteilende die allgemeinen Rechtsgrundsätze "audiatur et altera pars" und "niemand darf Richter in eigener Sache sein" missachtet habe.

18 Die Beklagte erwidert, soweit diese Vorwürfe nicht die angefochtene Entscheidung, sondern die Beurteilungsentwürfe beträfen, sei der Kläger nicht beschwert. Ferner erinnert die Beklagte an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach dieser grundsätzlich keine in den Beurteilungen enthaltenen Werturteile nachprüfe (Urteil vom 5. Mai 1983 in der Rechtssache 207/81, Ditterich/Kommission, Slg. 1983, 1359, Randnr. 15). Nach dieser Rechtsprechung verfügten die Beurteilenden bei der Bewertung der Arbeit derjenigen, die sie zu beurteilen hätten, über einen äusserst weitgehenden Beurteilungsspielraum, und es sei nicht Aufgabe des Gerichtshofes, sich an die Stelle des Beurteilenden zu setzen, es sei denn, daß ein offensichtlicher Irrtum oder eine offensichtliche Überschreitung des Beurteilungsspielraums vorliege (Urteil Ditterich, a. a. O.; Urteile vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 105/81, Oberthür/Kommission, Slg. 1982, 3781, Randnr. 26, und vom 1. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 36/81, 37/81 und 218/81, Seton/Kommission, Slg. 1983, 1789, Randnr. 23). Was den Konflikt zwischen dem Kläger und einem anderen Beamten angehe, so habe der Kläger in dem Kommentar, den er an den Berufungsbeurteilenden gerichtet habe, selbst einige Bemerkungen über diesen Beamten gemacht und diesen Streit damit im Zusammenhang mit der Beurteilung bewusst fortgesetzt. Schließlich macht die Beklagte geltend, das Verfahren zur Erstellung der Beurteilung sei kein Verfahren, das zu einem Urteil führe; für dieses Verfahren gelte weder der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens noch derjenige der Unparteilichkeit des Gerichts.

19 Nach gefestigter Rechtsprechung ist es nicht Sache des Gerichts, die Richtigkeit der Beurteilung, die die Verwaltung über die berufliche Eignung eines Beamten abgibt, nachzuprüfen, wenn diese Beurteilung komplexe Werturteile enthält, die ihrer Natur nach keiner objektiven Nachprüfung zugänglich sind (Urteile des Gerichtshofes vom 17. März 1971 in der Rechtssache 29/70, Marcato/Kommission, Slg. 1971, 243, und vom 5. Mai 1983 in der Rechtssache 207/81, Ditterich, a. a. O.). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf Werturteile; das Gericht hat nachzuprüfen, ob Formfehler vorliegen, ob die von der Verwaltung abgegebenen Werturteile mit offensichtlichen Irrtümern behaftet sind oder ob ein Mißbrauch von Befugnissen vorliegt.

20 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den im Laufe des Verfahrens vorgelegten Informationen sowie den - insbesondere vom Kläger selbst - zu den Akten gereichten Unterlagen, daß die Bemerkungen, die der Erstbeurteilende und danach der Berufungsbeurteilende in der Beurteilung für den Zeitraum von 1981 bis 1983 abgegeben haben, nicht auf Irrtümern beruhen, nicht mit einem offensichtlichen Ermessensfehler behaftet sind und keinen Mißbrauch von Befugnissen erkennen lassen.

21 Daraus folgt, daß dieser Klagegrund zurückzuweisen ist.

Zum dritten Klagegrund, der auf einen Verstoß gegen Artikel 3 der Durchführungsbestimmungen gestützt wird

22 Hierzu trägt der Kläger vor, die einzelnen Beurteilungsentwürfe sowie die endgültige Beurteilung seien unter Nichtbeachtung des in Artikel 3 der Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Verfahrens, wie es unter Punkt B.5.2.2 Buchstabe a des von der Kommission erstellten Leitfadens für die Beurteilung festgelegt sei, nie mit dem Sichtvermerk eines leitenden Beamten der GD XI versehen worden, obwohl der Kläger während des Beurteilungszeitraums fünf Monate bei dieser Generaldirektion gearbeitet habe. Seine neuen Vorgesetzten hätten die Bemerkungen, die sich auf das Verhalten des Klägers bezögen, sowie die hierzu vom Berufungsbeurteilenden abgegebene Beurteilung nuancieren oder korrigieren können.

23 Die Beklagte bestreitet nicht, daß die leitenden Beamten der GD XI bei der Erstellung der Beurteilung nicht gehört worden seien. Gleichwohl stelle dieser Fehler keine "wesentliche Unregelmässigkeit dar..., die geeignet wäre, die Beurteilung ungültig zu machen" (Urteil des Gerichtshofes vom 9. Februar 1988 in der Rechtssache 1/87, Picciolo, a. a. O.); folglich sei er auch kein ausreichender Grund, um die Aufhebung dieser Beurteilung zu rechtfertigen. Aufgrund einer Anhörung der leitenden Beamten der GD XI hätten nämlich die vom Kläger beanstandeten Bemerkungen in der Rubrik "Allgemeine Beurteilung" keineswegs geändert werden können, da sie nur seine Tätigkeiten in der GD III, nicht aber in der GD XI, sowie die Gründe für seine Versetzung in die GD XI beträfen. Es sei fraglich, ob man vernünftigerweise davon ausgehen könne, daß ihr "Leitfaden" für die Beurteilung ihr in diesem Punkt eine zwingende Verpflichtung auferlege, die - ungeachtet der konkreten Umstände - Ausnahmen nicht zulasse.

24 Nach Ansicht des Gerichts macht der Kläger im wesentlichen geltend, die Tatsache, daß seine Vorgesetzten in der GD XI vom zuständigen Beurteilenden, seinem früheren Vorgesetzten in der GD III, nicht gehört worden seien, obwohl er mit Wirkung vom 1. Februar 1983 in der GD XI dienstlich verwendet worden sei, stelle einen Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 2 der Durchführungsbestimmungen dar. Nach dieser Bestimmung sind die Vorgesetzten der übrigen Dienststellen, bei denen der Beamte im Beurteilungszeitraum verwendet wird oder verwendet wurde, vom Beurteilenden zu hören. Dieses Vorbringen wird bezueglich der fehlenden Anhörung nicht bestritten.

25 Es ist darauf hinzuweisen, daß ein Beschluß eines Gemeinschaftsorgans, der dessen Personal mitgeteilt wird und den betreffenden Beamten Gleichbehandlung bei der Beurteilung garantieren soll, auch wenn er nicht als allgemeine Durchführungsbestimmung im Sinne von Artikel 110 des Statuts angesehen werden kann, eine innerdienstliche Richtlinie darstellt und als solche als eine Verhaltensnorm mit Hinweischarakter anzusehen ist, die die Verwaltung sich selbst auferlegt und von der sie nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, da sie anderenfalls den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen würde (Urteile des Gerichtshofes vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 148/73, Louwage/Kommission, Slg. 1974, 81, und vom 1. Dezember 1983 in der Rechtssache 190/82, Blomefield/Kommission, Slg. 1983, 3981). Ausserdem soll Artikel 3 der Durchführungsbestimmungen im wesentlichen die Erstellung von möglichst objektiven und vollständigen Beurteilungen ermöglichen.

26 Die Beklagte hat keinen stichhaltigen Grund angeführt, der es ihr erlaubt hätte, von den Regeln des Leitfadens für die Beurteilung abzuweichen, die sie sich selbst auferlegt hat; unter diesen Umständen hat die Verwaltung dadurch, daß sie ohne Grund von den Bestimmungen dieses Leitfadens abgewichen ist, bei ihrer Entscheidung einen Verfahrensfehler begangen, der geeignet ist, dieser die Rechtsgrundlage zu entziehen.

27 Was das Argument der Beklagten angeht, der Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 2 der Durchführungsbestimmungen stelle keine wesentliche Rechtsverletzung dar, die geeignet wäre, die Beurteilung ungültig zu machen, weil eine Anhörung der Vorgesetzten des Klägers in der GD XI in keiner Weise die vom Kläger beanstandeten Bemerkungen in der Beurteilung hätte ändern können, so ist darauf hinzuweisen, daß nach dem in Artikel 3 Absatz 2 vorgesehenen Verfahren die Vorgesetzten der übrigen Dienststellen, bei denen der Beamte im Beurteilungszeitraum verwendet wird oder verwendet wurde, nachdem sie vom Beurteilenden gehört worden sind, ihren Sichtvermerk auf die Beurteilung setzen und dieser eigene Bemerkungen zufügen können, wenn sie die Auffassung des Beurteilenden nicht teilen. Die Beurteilung dient nämlich in erster Linie dazu, die Verwaltung in regelmässigen Abständen so umfassend wie möglich darüber zu informieren, wie ihre Beamten ihren Dienst versehen (Urteil des Gerichtshofes vom 3. Juli 1980 in den verbundenen Rechtssachen 6/79 und 97/79, Grassi/Rat, Slg. 1980, 2141). Die Beurteilung kann diesen Zweck nicht wirklich umfassend erfuellen, wenn die Vorgesetzten der übrigen Dienststellen, bei denen der betreffende Beamte tätig war, nicht vorher gehört und in die Lage versetzt worden sind, ihr etwaige Bemerkungen hinzuzufügen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Beamte nur fünf Monate bei einer anderen Dienststelle verwendet wurde, während der Beurteilungszeitraum vierundzwanzig Monate beträgt. Daraus folgt, daß der Umstand, daß die leitenden Beamten der GD XI zur Beurteilung des Klägers nicht gehört wurden, einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, der geeignet ist, die Beurteilung ungültig zu machen.

28 Da das Beurteilungsverfahren mithin rechtswidrig ist, ist die Entscheidung vom 17. März 1988, mit der die Beurteilung des Klägers für den Zeitraum von 1981 bis 1983 endgültig festgestellt wurde, aufzuheben.

Zum zweiten Klageantrag, mit dem die Zuerkennung von Schadensersatz begehrt wird

29 Der Kläger macht geltend, das Fehlen einer Beurteilung zum Zeitpunkt der Zurückweisung seiner Bewerbung um eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 3 in der GD III stelle einen Amtsfehler seitens der Kommission dar, der einen Anspruch auf Ersatz des ihm dadurch entstandenen materiellen und immateriellen Schadens begründe.

Zu dem Antrag auf Ersatz eines angeblich erlittenen materiellen Schadens

30 Der Kläger beantragt, ihm als Ersatz des behaupteten materiellen Schadens eine Entschädigung in Höhe von zwei Jahresgehältern in der Besoldungsgruppe A 3 zuzuerkennen.

31 Die Beklagte beantragt die Abweisung dieses Antrags, da der Kläger nicht rechtzeitig gegen die Zurückweisung seiner Bewerbung um die freie Stelle in der GD III Klage erhoben habe. Ausserdem sei der vom Kläger angeführte materielle Schaden weder hinreichend unmittelbar noch hinreichend sicher, um einen Ersatz zu rechtfertigen.

32 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht hervor, daß der Beamte, der Ersatz des durch eine fehlerhafte Beurteilung verursachten materiellen Schadens beansprucht, mit hinreichender Genauigkeit einen Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Amtsfehler, d. h. in der vorliegenden Sache der Fehlerhaftigkeit der Beurteilung, und dem angeblich erlittenen Schaden nachweisen muß (Urteile vom 5. Mai 1983 in der Rechtssache 207/81, Ditterich, vom 6. Februar 1986 in den verbundenen Rechtssachen 173/82, 157/83 und 186/84, Castille, und vom 9. Februar 1988 in der Rechtssache 1/87, Picciolo, alle a. a. O.).

33 Unter den Umständen des vorliegenden Falls ergibt sich aus den Akten, daß der Kläger nicht nachgewiesen hat, daß das Fehlen seiner Beurteilung entscheidend dafür war, daß er nicht befördert worden ist. Unter diesen Voraussetzungen ist der Antrag auf Ersatz eines materiellen Schadens ohne weiteres abzuweisen, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die Kommission einen Amtsfehler begangen hat.

Zu dem Antrag auf Ersatz des immateriellen Schadens

34 Der Kläger beantragt als Ersatz des immateriellen Schadens die Zuerkennung eines Betrags von 200 000 BFR, da schon die blosse Verspätung bei der Erstellung seiner Beurteilung ihm geschadet habe.

35 Die Beklagte macht hierzu geltend, der Kläger habe nicht die Natur des behaupteten Schadens genau angegeben; daher sei dieser Antrag als unbegründet abzuweisen. Jedenfalls hält die Beklagte den verlangten Betrag für zu hoch.

36 Was die Verspätung bei der Abfassung des Beurteilungsentwurfs betrifft, so ist auf folgendes hinzuweisen: Erstens ist nach Artikel 43 Absatz 1 des Statuts "über Befähigung, Leistung und dienstliche Führung aller Beamten... regelmässig, mindestens aber alle zwei Jahre, unter den von den einzelnen Organen festgelegten Bedingungen (Artikel 110) eine Beurteilung" zu erstellen; zweitens hat nach Artikel 6 Absatz 1 der Durchführungsbestimmungen "der Beurteilende... die Beurteilung ((zu erstellen)) und... sie dem Beurteilten bis spätestens zu dem auf den Beurteilungszeitraum folgenden 30. November ((mitzuteilen))"; drittens ist nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 6. Februar 1986 in den verbundenen Rechtssachen 173/82, 157/83 und 186/84 (Castille, a. a. O.) "die Verspätung bei der Abgabe der Beurteilungen... für sich allein schon deshalb geeignet, dem Beamten zu schaden, weil der Ablauf seiner Laufbahn beeinträchtigt werden kann, wenn zu einem Zeitpunkt, zu dem Entscheidungen, die ihn angehen, getroffen werden müssen, eine solche Beurteilung fehlt".

37 Wie das Gericht im Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache T-73/89 (Barbi/Kommission, Slg. 1990, II-619) ausgeführt hat, erleidet nämlich "ein Beamter, dessen Personalakte nicht ordnungsgemäß und unvollständig ist, hierdurch einen immateriellen Schaden, der darauf beruht, daß er über seine berufliche Zukunft verunsichert und beunruhigt ist" (siehe hierzu die Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1977 in der Rechtssache 61/76, Geist/Kommission, Slg. 1977, 1419, und vom 15. März 1989 in der Rechtssache 140/87, Bevan, a. a. O.). Dagegen hat der Beamte keinen Anspruch auf Ersatz des behaupteten immateriellen Schadens, wenn er selbst erheblich zu der von ihm beanstandeten Verspätung beigetragen hat oder wenn die Verwaltung eine angemessene Frist für die Mitteilung des ihn betreffenden Beurteilungsentwurfs nicht überschreitet; die Überschreitung einer solchen Frist ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig (Urteil des Gerichtshofes vom 5. Mai 1983 in der Rechtssache 207/81, Ditterich, a. a. O.).

38 Im vorliegenden Fall erhielt der Kläger einen Beurteilungsentwurf für den Beurteilungszeitraum 1981-1983, der ihm spätestens am 30. November 1983 hätte vorgelegt werden müssen, erst am 30. März 1987. Somit beträgt die Verspätung der Kommission bei der Erstellung der vorläufigen Beurteilung nach Artikel 6 Absatz 1 der Durchführungsbestimmungen im vorliegenden Fall drei Jahre und vier Monate. Die Kommission hat auch keinen besonderen Umstand angeführt, der diese Verspätung rechtfertigen könnte, zu der der Kläger in keiner Weise beigetragen hat.

39 Daher ist festzustellen, daß die Kommission einen Amtsfehler begangen hat, der einen Anspruch auf Ersatz des dem Kläger entstandenen immateriellen Schadens begründet. Nach den Umständen des vorliegenden Falls hält das Gericht eine Entschädigung von 100 000 BFR für angemessen.

40 Daher ist

- die Entscheidung vom 17. März 1988, mit der die Beurteilung des Klägers für den Zeitraum von 1981 bis 1983 endgültig festgestellt wurde, aufzuheben;

- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 100 000 BFR als Schadensersatz wegen Amtsfehlers zu zahlen;

- die Klage im übrigen abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung vom 17. März 1988, mit der die Beurteilung des Klägers für den Zeitraum von 1981 bis 1983 endgültig festgestellt wurde, wird aufgehoben.

2) Die Kommission wird verurteilt, an den Kläger 100 000 BFR als Ersatz des ihm entstandenen immateriellen Schadens zu zahlen.

3) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4) Die Kommission trägt sämtliche Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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