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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 10.07.1992
Aktenzeichen: T-66/91
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 4 Abs. 2 Anhang V
EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 4 Absätze 1 und 2 des Anhangs V des Beamtenstatuts sehen vor, daß der Beamte, der beim Ausscheiden aus dem Dienst seinen Jahresurlaub nicht vollständig genommen hat, ohne Begrenzung Anspruch auf einen Ausgleich für den gesamten Jahresurlaub hat, den er aus dienstlichen Gründen nicht nehmen konnte. Nach Artikel 4 des Anhangs V des Beamtenstatuts in Verbindung mit Artikel 57 Beamtenstatut über die Dauer des Jahresurlaubs des Beamten ist es somit einzige Voraussetzung dafür, daß der Beamte beim Ausscheiden aus dem Dienst Anspruch auf einen Ausgleich für mehr als 12 nicht genommene Urlaubstage hat, daß die Ansammlung nicht genommenen Jahresurlaubs aus dienstlichen Gründen gerechtfertigt ist.

Die Verwaltung kann somit die Zahl der abgeltungsfähigen Urlaubstage nicht beschränken. Sie kann ausserdem keine zusätzlichen, insbesondere keine Verfahrensvoraussetzungen einführen, die das statutarische Recht auf Ausgleich für den aus dienstlichen Gründen nicht genommenen Jahresurlaub im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Dienst beschränkten. Insbesondere ist es unzulässig, zwingend eine schriftliche Erklärung des Dienstvorgesetzten zu verlangen, aus der die dienstlichen Erfordernisse, deretwegen ein Urlaubsantrag des Beamten abgelehnt wurde, hervorgehen, weil dadurch das Recht des Beamten ausgeschlossen wird, frei zu beweisen, daß er seinen Urlaub aus dienstlichen Gründen nicht nehmen konnte.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 10. JULI 1992. - FRANCESCO PASETTI BOMBARDELLA GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - BEIM ENDGUELTIGEN AUSSCHEIDEN AUS DEM DIENST NICHT AUSGESCHOEPFTER JAHRESURLAUB - AUSGLEICHSENTSCHAEDIGUNG. - RECHTSSACHE T-66/91.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Der Kläger, früherer Generaldirektor und Rechtsberater des Europäischen Parlamentes trat am 31. Dezember 1989 nach 37 Dienstjahren beim Parlament in den Ruhestand.

2 Am 14. März 1990 zahlte das Parlament ihm den Nettobetrag von 452 599 BFR als Ausgleich für 30 Tage nicht genommenen Urlaubs. Am 11. Dezember 1990 beantragte der Kläger die Abrechnung über die Abgeltung für den gesamten nicht genommenen Jahresurlaub. Diese Abrechnung wurde ihm mit Schreiben vom 14. Januar 1991 zugeleitet. Danach belief sich der nicht genommene Urlaub auf insgesamt 56,5 Tage, darunter 34 Urlaubstage für das Jahr 1989; ein finanzieller Ausgleich wurde ausdrücklich für 30 nicht genommene Urlaubstage vorgesehen, und zwar entsprechend dem Hoechstsatz der im Jahre 1989 gemäß dem ° beigefügten ° Vermerk des Generalsekretärs vom 8. Dezember 1989 erworbenen Rechte. Mit Schreiben vom 15. Februar 1991 wies die Verwaltung den Kläger darauf hin, daß die Abrechnung irrig auf einen Vermerk vom 8. Dezember 1989 und nicht auf einen Vermerk vom 1. August 1989 verwies, dessen Kopie aber mit der Abrechnung übersandt worden sei.

3 Den fraglichen Vermerk hatte der Generalsekretär des Parlaments am 1. August 1989 an den Kläger als Rechtsberater, an die Generaldirektoren und an den Direktor der EDV-Abteilung sowie an die Generalsekretäre der Fraktionen des Parlaments übersandt. Die Punkte 1, 2, 3 und 5 lauteten wie folgt:

"1) Die Beamten und Bediensteten bemühen sich, ihre Urlaubsrechte im Laufe des Jahres zu nehmen, in dem sie diese Rechte erwerben und über die 12 Tage automatisch übertragbaren Urlaubs hinaus keine Urlaubstage zu übertragen.

2) Über diese 12 Tage hinaus kommt eine Übertragung nur auf Vorlage eines abgelehnten entsprechenden Urlaubsantrags und einer schriftlichen Erklärung des Dienstvorgesetzten in Betracht, in der die dienstlichen Gründe für die Ablehnung dargelegt werden.

3) Insgesamt dürfen in keinem Fall mehr Urlaubstage übertragen werden, als im abgelaufenen Jahr erworben wurden.

5) Die Beamten und Bediensteten (einschließlich der Freelance-Hilfskräfte) bemühen sich, ihre Urlaubsrechte vor dem Ende ihrer Tätigkeit wahrzunehmen. Bei der endgültigen Beendigung ihrer Tätigkeit, wenn sie also nicht innerhalb von zwei Monaten wieder eingestellt werden, haben sie einen Anspruch auf Ausgleich für nicht genommene Urlaubstage in den Grenzen des Punktes 3, wenn sie eine schriftliche Erklärung ihres Dienstvorgesetzten nach Punkt 2 vorlegen."

4 Die Abrechnung des Anspruchs des Klägers auf finanziellen Ausgleich des nicht genommenen Urlaubs erfolgte im vorliegenden Fall in folgendem Verfahren.

Am 7. November 1989 sandte der Direktor des Kabinetts des Präsidenten dem Generaldirektor für Personal, Haushalt und Finanzen folgenden Vermerk:

"Francesco Pasetti Bombardella wird aufgrund der ihm anvertrauten Aufgaben nicht in der Lage sein, seinen Urlaub vor Ende des laufenden Jahres zu nehmen."

Daraufhin sandte der Generalsekretär am 8. Dezember 1989 einen Vermerk an den Präsidenten des Parlaments, in dem er ausführte, er verstehe, daß der Kläger aus zwingenden dienstlichen Gründen seinen Urlaub nicht nehmen könne. Er schlage vor, den finanziellen Ausgleich auf 30 Tage nicht genommenen Urlaubs zu beschränken, was dem nach der geltenden Regelung vorgesehenen Maximum entspreche; damit meinte er seinen Vermerk vom 1. August 1989. Auf diesen Vermerk vom 8. Dezember 1989 brachte der Direktor des Kabinetts des Präsidenten folgende handschriftliche Bemerkung an: "Ich stimme Vinci zu. Als ich den Vermerk vom 7. November unterzeichnete, wusste ich nicht, daß Pasetti am 31. Dezember in Ruhestand tritt. J. Pons".

5 Der Kläger erhielt die beantragte Abrechnung seiner Ausgleichsansprüche, die den Ausgleich für nicht genommenen Urlaub auf 30 Tage beschränkte, am 14. Januar 1991. Am 20. Februar 1991 beantragte er beim Generalsekretär schriftlich Ausgleich für den gesamten vor seinem Ruhestand nicht genommenen Urlaub. Er machte geltend, nur zwingende dienstliche Gründe hätte ihn daran gehindert, seinen Jahresurlaub zu nehmen; die Verwaltung könne erworbene Rechte im Zeitpunkt des Eintrittes in den Ruhestand nicht aufheben. Mit Schreiben vom 10. Mai 1991 an den Generalsekretär stellte der Kläger klar, daß sein Schreiben vom 20. Februar 1991 als Beschwerde im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften anzusehen sei.

6 Im Anschluß an das Urteil des Gerichts vom 26. September 1990 in der Rechtssache T-139/89 (Virgili-Schettini/Parlament, Slg. 1990, II-535, abgekürzte Veröffentlichung) erließen die zuständigen Dienststellen am 3. Juni 1991 einen Abrechnungsbescheid, der eine Überweisung von brutto 497 974 BFR an den Kläger vorsah; damit sollten 26,5 Tage nicht genommenen Urlaubs abgegolten werden. Der Finanzkontrolleur verweigerte am 6. September 1991 den entsprechenden Sichtvermerk. Er stützte sich dabei zum einen auf einen Verstoß der Zahlungsanordnung gegen die Regeln über die Durchführung des Haushalts des Parlaments, zum anderen auf eine Verletzung des Grundsatzes der guten Finanzverwaltung.

7 Am 3. Juni 1991 teilte der Generaldirektor für Personal, Haushalt und Finanzen dem Personal mit, daß das Beamtenstatut die Möglichkeit, nicht genommenen Urlaub zu übertragen oder beim Ausscheiden aus dem Dienst einen Ausgleich dafür zu erhalten, nicht begrenze. Die Übertragung sei jedoch über die 12 automatisch übertragbaren Tage hinaus nur zulässig, wenn der Urlaub aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht habe genommen werden können. In Zukunft würden Übertragungen nicht mehr aufgrund einer schlichten Bestätigung dienstlicher Erfordernisse zugelassen; vielmehr müssten mehrere zurückgewiesene Urlaubsanträge, die sich über das Jahr verteilten und exakt begründet seien, vorgelegt werden.

8 Die Beschwerde des Klägers wurde nicht ausdrücklich beschieden. Mit Klage, die am 17. September 1991 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die Aufhebung der Abrechnung über seine Ausgleichsansprüche vom 14. Januar 1991 beantragt. Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen. Das Gericht hat dem beklagten Organ mehrere Fragen gestellt, um zu ermitteln, wann dem Kläger die angefochtene Entscheidung zum ersten Mal mitgeteilt wurde. In Beantwortung einer Frage nach der allfälligen Übersendung eines Gehaltszettels hat das Parlament ausgeführt, die Überweisung eines Finanzausgleichs für 30 Tage nicht genommenen Urlaubs sei im März 1990 erfolgt; nach seinen Unterlagen sei dieser Überweisung kein weiteres Papier beigelegen; auf der Überweisung habe nur die Mitteilung gestanden: Bezuege 90/03 Wert 14.3.1990. Hinsichtlich des Datums der ersten Mitteilung der Abrechnung des nicht genommenen Urlaubs an den Kläger führte das Parlament aus, es habe keine genauen Hinweise hinsichtlich dieses Datums. Sie sei wahrscheinlich im letzten Quartal 1990 erfolgt. Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters gemäß Artikel 53 Verfahrensordnung beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Parteien wurden am 24. Juni 1992 gehört.

Anträge der Parteien

9 Der Kläger beantragt:

° das Parlament zu verurteilen, ihm einen Ausgleich für 26,5 Tage Urlaub zu zahlen, auf die er seit 31. Dezember 1989, dem Tag seines Eintritts in den Ruhestand, Anspruch hatte, zuzueglich Zinsen ab diesem Datum;

° dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

Der Beklagte beantragt:

° die Klage für unbegründet zu erklären;

° dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

Parteivorbringen

10 Der Kläger stützt sich auf einen Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 2 des Anhangs V des Beamtenstatuts, in dem es heisst: "Hat ein Beamter bei seinem Ausscheiden aus dem Dienst nur einen Teil seines Jahresurlaubs genommen, so erhält er als Ausgleich für jeden nicht in Anspruch genommenen Urlaubstag einen Betrag in Höhe von einem Dreissigstel seiner monatlichen Dienstbezuege im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Dienst." Die angefochtene Entscheidung habe den finanziellen Ausgleich für nicht genommenen Urlaub auf 30 Tage begrenzt; damit habe sie gegen das Beamtenstatut verstossen, wie es insbesondere in dem Urteil des Gerichts vom 26. September 1990 (Virgili-Schettini/Parlament) ausgelegt worden sei.

11 Unstreitig hätten ihn dienstliche Gründe daran gehindert, seinen Jahresurlaub vor dem Eintritt in den Ruhestand zu nehmen. Das ergebe sich aus dem Vermerk des Direktors des Kabinetts des Präsidenten des Parlaments vom 7. November 1989, in dem es heisse, daß der Kläger aufgrund der ihm anvertrauten Tätigkeiten nicht in der Lage sei, seinen Jahresurlaub vor Ende 1989 zu nehmen. Der Kabinettsdirektor sei für die Übertragung des Jahresurlaubs zuständig gewesen, da die Verwaltung und der Generalsekretär ihn im Parlament wie in den anderen Organen als alter ego des Präsidenten ansähen. Er gebe die Antwort, nicht der Präsident. Ausserdem habe der Generalsekretär in seinem Vermerk vom 8. Dezember 1989 an den Präsidenten im Anschluß an den Vermerk des Kabinettschefs anerkannt, daß der Kläger aus zwingenden dienstlichen Gründen seinen Urlaub nicht nehmen könne. Daß der Kabinettsdirektor über den bevorstehenden Ruhestand des Klägers damals nicht unterrichtet gewesen sei, habe auf das Vorliegen dienstlicher Gründe für die Übertragung des Urlaubs keinen Einfluß. Was das Argument betreffe, daß die Ermächtigung zur Übertragung des Urlaubs verspätet erfolgt sei, so könne die Verwaltung die dienstlichen Gründe zu jedem beliebigen Zeitpunkt feststellen, wie das Gericht in seinem Urteil vom 26. September 1990 (Virgili-Schettini/Parlament, Randnr. 26) entschieden habe.

In der mündlichen Verhandlung hob der Kläger hervor, daß man von einem Rechtsberater ausserhalb der Laufbahn nicht verlangen könne, daß er einen ablehnenden Bescheid seines Dienstvorgesetzten über die Verweigerung von Urlaub aus dienstlichen Gründen vorlege. Der Vermerk des Direktors des Kabinetts des Präsidenten des Parlaments sei damit ein hinreichender Beweis.

12 Überdies möge das Gericht bestimmte Behauptungen des Parlaments als ehrabschneidend betrachten und aus den Akten streichen. Das gelte für folgende Punkte:

° in Randnr. 25 der Klagebeantwortung: Ungeachtet der Vertrauensgrundsätze, die die Verwaltungsbeziehungen beherrschen müssen;

° Randnr. 29: Insgesamt beruft sich also der Beklagte zur Stützung seiner Auffassung auf den allgemeinen Grundsatz: 'nemo auditur propriam turpitudinem allegans' ;

° sowie bestimmte Bemerkungen des internen Kontrolleurs.

13 Das Parlament bringt vor, aus Artikel 4 des Anhangs V des Beamtenstatuts, der die Übertragung aus anderen als dienstlichen Gründen nicht genommener Urlaubstage auf 12 beschränke, in Verbindung mit Artikel 57 Beamtenstatut, der die Dauer des Jahresurlaubs regele, ergebe sich, daß der Grundsatz, daß der Jahresurlaub vorbehaltlich der Übertragung von 12 Tagen im laufenden Jahr zu nehmen sei, zugleich ein Recht und eine Verpflichtung des Beamten darstelle. Das Statut sehe einen finanziellen Ausgleich beim Eintritt in den Ruhestand nur dann vor, wenn ein rechtzeitig gestellter Urlaubsantrag des Beamten aus dienstlichen Gründen und gegen seinen Willen abgelehnt worden sei. Der Vermerk vom 1. August 1988 regele unter Punkt 2 das Verfahren, in dem eine Genehmigung zur Übertragung des Urlaubs erlangt werden könne.

14 Dieses Verfahren sei im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden. Die Entscheidung vom 7. November 1989, auf die der Kläger seinen Anspruch auf Finanzausgleich für 56,5 Tage nicht genommenen Urlaubs stütze, sei nicht ordnungsgemäß ergangen. Das ergebe sich aus vier Gründen: der Unzuständigkeit des Verfassers des Vermerks, der Verwaltungsautonomie des Klägers, seiner Pflicht, den Direktor des Kabinetts des Präsidenten von seinem bevorstehenden Ruhestand sowie von den erheblichen finanziellen Folgen seines Urlaubsübertragungsantrags zu unterrichten, und schließlich der verspäteten Geltendmachung dieses Anspruchs.

15 Zunächst sei der Direktor des Kabinetts des Präsidenten in Ermangelung einer entsprechenden Ermächtigung zur Gestattung der Übertragung nicht genommenen Urlaubs nicht berechtigt gewesen. Der Kläger habe dem Präsidenten direkt unterstanden und sich in der Verwaltungsstellung eines Beamten ausserhalb der Laufbahn befunden, wie das Präsidium des Parlaments bei seiner Sitzung vom 10. September 1985 beschlossen habe.

In der Praxis habe in den Jahren 1987 und 1988 der Präsident den Antrag auf Übertragung nicht genommenen Urlaubs genehmigt. Ausserdem habe der Präsident in Anwendung eines Vermerks des Generaldirektors für Personal vom 6. Februar 1986, nach dem eine monatliche Aufstellung der Dienstreisekosten des Klägers zur Unterrichtung vom Präsidenten abzuzeichnen sei, in den Jahren 1988 und 1989 seine Unterschrift auf die monatlichen Aufstellungen der Dienstreisen des Klägers gesetzt. Der Direktor des Kabinetts des Präsidenten habe somit vor dem Vermerk vom 7. November 1989 niemals Genehmigungen für die Übertragung des Urlaubs oder für Dienstreisen ausgesprochen. In der Praxis schreibe der Direktor des Kabinetts des Präsidenten, wenn er dessen Entscheidung mitteile, eigenhändig unten auf die Seite "Mit Zustimmung des Präsidenten" und unterschreibe dieses. Da der Kläger die Unzuständigkeit des Kabinettsdirektors habe kennen müssen, könne er sich auf den Vermerk vom 7. September 1989 nicht berufen.

16 Zum zweiten habe der Kläger über eine sehr weitreichende Selbständigkeit bei der Gestaltung seiner Tätigkeit verfügt. Das hätte es ihm erlaubt, seine Aufgaben einem oder mehreren Angehörigen seiner Dienststelle zu übertragen, die ihre Funktionen unter seiner Überwachung wahrnähmen und hierzu befähigt gewesen seien, und so seinen Urlaub zu nehmen.

17 Zum dritten hätte der Kläger, als er seinen Vermerk vom 7. November 1989 eingereicht habe, unter Berücksichtigung der Vertrauensgrundsätze, die die Verwaltungsbeziehungen nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 19. April 1988 in den Rechtssachen 175/86 und 209/86 (M./Rat, Slg. 1988, 1891, Randnr. 21) beherrschten, den Direktor des Kabinetts des Präsidenten davon, daß er am 1. Januar 1990 in den Ruhestand trete, und von den finanziellen Folgen des Vermerks vom 7. November 1989 unterrichten müssen, der haushaltsmässige Ausgaben von ungefähr 1 055 000 BFR nach sich ziehen konnte. Solche Angaben hätten zu einem Überdenken der Würdigung führen können, ob die Urlaubsübertragung aus dienstlichen Gründen gerechtfertigt sei.

18 Zum vierten habe der Kläger seinen Antrag auf Übertragung von 56,5 Urlaubstagen eingereicht, als es bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand nur noch ungefähr 30 Arbeitstage gewesen seien. Aus dem Sinn des Artikels 4 des Anhangs V des Beamtenstatuts, aus den Regeln einer guten Verwaltung sowie aus den angeführten Vertrauensgrundsätzen folge, daß solche Anträge so rechtzeitig eingereicht werden müssten, daß sie von der zuständigen Behörde abgelehnt werden könnten. Hiergegen könne der Kläger sich nicht auf das Urteil vom 26. September 1990 (Virgili-Schettini/Parlament) berufen, da dieses sich auf das Vorliegen rechtfertigender dienstlicher Gründe beziehe, nicht aber auf das Datum des Antrags auf Anerkennung solcher Gründe. Somit stehe der Grundsatz des "nemo auditur", den der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Juli 1972 in der Rechtssache 90/71 (Bernardi/Parlament, Slg. 1972, 603, Randnr. 10) anerkannt habe, dem entgegen, daß der Vermerk vom 7. November 1989 Rechtswirkungen zeitige.

19 Das Gericht hat das Parlament in der mündlichen Verhandlung gefragt, warum dieses zwar das Recht des Klägers auf Entschädigung für 56,5 Urlaubstage mit der Begründung bestreite, daß der Kläger die Verfahrensvoraussetzungen nach Punkt 2 des Vermerks vom 1. August 1989 nicht erfuellt habe, ihm aber gleichwohl einen finanziellen Ausgleich für 30 Tage gewährt habe. Hierzu hat das Parlament erklärt, der Streitgegenstand seien die noch nicht abgegoltenen 26,5 Tage. Nach Maßgabe des zu erwartenden Urteils werde es aber möglicherweise prüfen, ob der bereits an den Kläger gezahlte finanzielle Ausgleich als ungerechtfertigte Bereicherung zurückgefordert werden könne.

Rechtliche Würdigung

20 Die Anträge des Klägers, aus den Akten bestimmte Behauptungen der Beklagten zu streichen, weil sie ehrabschneidend seien, sind nicht begründet. Der Kläger bezieht sich dabei auf gewisse Rechtsprinzipien, auf die das Parlament sein Vorbringen stützt, nämlich das Vertrauen in den Verwaltungsbeziehungen oder den Grundsatz des "nemo auditur", auf die der Kläger rechtlich und tatsächlich sowohl in seinen schriftlichen Erklärungen wie in der mündlichen Verhandlung antworten konnte. Der Kläger gibt auch nicht detailliert an, welche anderen Behauptungen seines Erachtens beleidigend oder diffamierend seien. Diesen Anträgen ist daher nicht zu folgen.

21 Was die Weigerung der Verwaltung anbelangt, den vom Kläger beim Eintritt in den Ruhestand noch nicht genommenen Urlaub über 30 Tage hinaus finanziell auszugleichen, so hat das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung zu entscheiden, ob dem Antrag des Klägers auf Verurteilung des Parlaments zum Ausgleich seines gesamten nicht genommenen Urlaubs zu entsprechen ist.

22 In Artikel 4 Absatz 1 des Anhangs V des Beamtenstatuts heisst es: "Hat ein Beamter aus Gründen, die nicht auf den Dienst zurückzuführen sind, bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres nur einen Teil seines Jahresurlaubs genommen, so darf die Übertragung des Urlaubsanspruchs auf das folgende Jahr 12 Urlaubstage nicht überschreiten." Artikel 4 Absatz 2 lautet: "Hat ein Beamter bei seinem Ausscheiden aus dem Dienst nur einen Teil seines Jahresurlaubs genommen, so erhält er als Ausgleich für jeden nicht in Anspruch genommenen Urlaubstag einen Betrag in Höhe von einem Dreissigstel seiner monatlichen Dienstbezuege im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Dienst."

23 Diese Bestimmungen des Statuts sehen also klar und ohne jede Begrenzung einen Ausgleich für den gesamten aus dienstlichen Gründen nicht genommenen Jahresurlaub vor. Nach Artikel 4 des Anhangs V des Beamtenstatuts in Verbindung mit Artikel 57 Beamtenstatut über die Dauer des Jahresurlaubs des Beamten ist es somit einzige Voraussetzung dafür, daß der Beamte im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für mehr als 12 nicht genommene Urlaubstage hat, daß die Ansammlung nicht genommenen Jahresurlaubs aus dienstlichen Gründen gerechtfertigt ist.

24 Die Verwaltung kann somit den Ausgleich für aus dienstlichen Gründen nicht genommenen Urlaub nicht auf 30 Tage begrenzen; das Parlament hat das in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich anerkannt. Sie kann ausserdem keine zusätzlichen, insbesondere keine Verfahrensvoraussetzungen einführen, die das statutarische Recht auf Ausgleich des aus dienstlichen Gründen nicht genommenen Jahresurlaubs im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Dienst beschränkte.

25 Das Parlament hat sich auf die Voraussetzungen berufen, von denen nach Punkt 2 des Vermerks vom 1. August 1989 die Übertragung des Jahresurlaubs abhängen soll. Diese Voraussetzungen beeinträchtigen die statutarischen Rechte aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 des Anhangs V. Zwingend eine schriftliche Erklärung des Dienstvorgesetzten zu verlangen, aus der die dienstlichen Erfordernisse, deretwegen ein Urlaubsantrag des Beamten abgelehnt wurde, hervorgehen, wie es in dem Vermerk vom 1. August 1989 geschieht, ist unzulässig, weil dadurch das Recht des Beamten ausgeschlossen wird, frei zu beweisen, daß er seinen Urlaub aus dienstlichen Gründen nicht nehmen konnte.

26 Das ist in der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt. Das Gericht hat in seinem Urteil vom 26. September 1990 (Virgili-Schettini/Parlament, Randnr. 26) folgendes entschieden: "Die einschlägigen Vorschriften regeln jedoch nicht, wie und wann das Vorliegen eines 'Grundes, der... auf den Dienst zurückzuführen ist' , nachgewiesen werden muß. Es gibt auch keine Vorschrift, wonach eine vorherige Genehmigung erforderlich oder ein vergleichbares Verfahren vorgeschrieben wäre." Dieses Urteil hat der Gerichtshof auf ein Rechtsmittel hin bestätigt und dabei folgendes ausgeführt: "Die Organe [können] im Rahmen ihrer internen Organisationsgewalt zwar ein internes Verfahren zur Durchführung der Urlaubsordnung einführen...,... dieses Verfahren [kann] jedoch das Recht des Beamten nicht ausschließen..., mit allen geeigneten Mitteln nachzuweisen, daß sich seine Urlaubstage aus dienstlichen Gründen angesammelt haben" (Urteil des Gerichtshofes vom 5. November 1991 in der Rechtssache C-348/90 P, Parlament/Virgili-Schettini, Randnr. 11, Slg. 1991, I-5211).

27 Nach alledem hängt der Anspruch auf finanziellen Ausgleich für 56,5 Tage nicht genommenen Urlaubs ausschließlich davon ab, ob der Kläger durch dienstliche Gründe daran gehindert war, den ihm zustehenden Jahresurlaub zu nehmen.

28 Nach den Akten hat der Beklagte die dienstlichen Gründe, die den Kläger daran hinderten, seinen Jahresurlaub zu nehmen, niemals bestritten; er hat dies in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich bestätigt. Damit ist die Voraussetzung für den Anspruch auf Ausgleich für die 56,5 Tage vor dem endgültigen Ausscheiden des Klägers aus dem Dienst nicht genommenen Urlaubs erfuellt, ohne daß zu prüfen wäre, ob die Urlaubsübertragung 1989 zuvor von seinem Dienstvorgesetzten genehmigt wurde. Das Parlament kann nämlich seine Weigerung, den vom Kläger aus dienstlichen Gründen nicht genommenen Urlaub auszugleichen, nicht auf das Fehlen einer solchen Ermächtigung stützen, da es selbst zugesteht, daß dienstliche Gründe sehr wohl vorlagen.

29 Da das Gericht die Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung hat, ist die Entscheidung vom 14. Januar 1991 insoweit aufzuheben, als sie die dargelegten Rechte des Klägers verkennt; das Parlament hat dem Kläger finanziellen Ausgleich für die noch nicht ausgeglichenen 26,5 Tage nicht genommenen Urlaubs zu leisten, auf die der Kläger im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand Anspruch hatte.

30 Was den Anspruch auf Verzugszinsen angeht, so ist bei der Prüfung der Frage, ob ein Verzug vorliegt und ob dieser nicht gerechtfertigt ist, zu berücksichtigen, daß die Organe nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls und der Schwierigkeit der Aktenlage über eine hinreichende Frist verfügen müssen, um ihre Entscheidungen zu treffen (vgl. Urteile des Gerichts vom 26. Februar 1992 in den Rechtssachen T-16/89, Herkenrath u. a./Kommission, Slg. 1992, II-275, Randnr. 38, und T-17/89, T-21/89 und T-25/89, Brazzeli Lualdi u. a./Kommission, Slg. 1992, II-293).

31 Im vorliegenden Fall hat das Parlament Verzugszinsen in Höhe von 8 % pro Jahr ab 14. März 1990 zu zahlen; an diesem Tag hat das beklagte Organ innerhalb vernünftiger Frist den im Zeitpunkt des endgültigen Ausscheidens des Klägers aus dem Dienst am 31. Dezember 1989 nicht genommenen Urlaub teilweise ausgeglichen.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Nach Artikel 87 Absatz 2 Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei auf Antrag die Kosten. Da der Beklagte mit seinem Vorbringen unterlegen ist, hat er die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar 1991 wird insoweit aufgehoben, als sie den Ausgleich für vom Kläger im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Dienst nicht genommenen Jahresurlaub auf 30 Tage beschränkt.

2) Das Europäische Parlament zahlt dem Kläger einen finanziellen Ausgleich für 26,5 Tage noch nicht ausgeglichenen nicht genommenen Jahresurlaubs nach Maßgabe des Artikels 4 Absatz 2 des Anhangs V des Beamtenstatuts zuzueglich Verzugszinsen in Höhe von 8 % pro Jahr ab 14. März 1990.

3) Das Europäische Parlament trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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