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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 16.04.1997
Aktenzeichen: T-66/95
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 72 Abs. 1 Buchst. b
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

7 Die Anfechtungsklage eines geschiedenen Ehegatten eines Ruhestandsbeamten des Parlaments gegen eine Handlung, die die Kommission auf einen bei der Anstellungsbehörde dieses Gemeinschaftsorgans gestellten Antrag hin an diesen gerichtet und in der sie nicht geltend gemacht hat, sie sei in der Sache unzuständig, so daß der Betroffene in Ungewißheit versetzt worden ist, ist zulässig. Würde nämlich die Zulässigkeit einer Klage gegen eine im Rahmen der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Gemeinschaften, in dem die Kommission bei der Verwaltung des Gemeinsamen Systems eine besonders wichtige Rolle spielt, verneint, so wäre diese Handlung jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogen, und der Betroffene müsste zur Erlangung des ihm zustehenden Rechtsschutzes einen neuen Antrag beim Parlament stellen.

8 Die im Rahmen von Beamtenklagen vor dem Gemeinschaftsrichter gestellten Anträge dürfen nur Rügen enthalten, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde erhobenen Rügen; diese Rügen können jedoch vor dem Gemeinschaftsrichter durch das Vorbringen von Gründen und Argumenten weiterentwickelt werden, die nicht unbedingt in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen.

9 Die Fürsorgepflicht kann die Verwaltung nicht veranlassen, einer Gemeinschaftsbestimmung eine Wirkung zu geben, die derem eindeutigen Wortlaut zuwiderliefe.

10 Die Frage des Krankenversicherungsschutzes des nicht die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne namentlich der Richtlinien 90/364 und 90/365 besitzenden geschiedenen Ehegatten eines Ruhestandsbeamten der Gemeinschaften durch ein nationales Krankenversicherungssystem als Voraussetzung für seine tatsächliche Niederlassung in seinem Herkunftsland steht nicht im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Freizuegigkeit, wie er im Vertrag niedergelegt ist und durch das abgeleitete Recht durchgeführt wird. In Ermangelung einer Harmonisierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Gemeinschaft fällt dieser Schutz ausschließlich in den Anwendungsbereich der entsprechenden Bestimmungen des Statuts, insbesondere des Artikels 72 Absatz 1, zum einen und des insoweit anwendbaren nationalen Rechts zum anderen.

Das in Artikel 8a des Vertrages vorgesehene Recht auf Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft unterliegt den u. a. im abgeleiteten Recht vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Aus den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, die die Ausübung des Aufenthaltsrechts regeln, insbesondere den Richtlinien 90/364 und 90/365, ergibt sich aber eindeutig, daß für Personen, die keine Arbeitnehmer sind, die Inanspruchnahme dieses Rechts das Bestehen einer Krankenversicherung im Aufnahmemitgliedstaat voraussetzt.

Folglich ist bei Personen, die keine Arbeitnehmer sind, das Bestehen einer Krankenversicherung eine vom abgeleiteten Gemeinschaftsrecht vorgesehene Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Freizuegigkeit und nicht eine Folge dieses Rechts.

11 Der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt, wenn zwei Personengruppen, deren tatsächliche und rechtliche Lage sich nicht wesentlich unterscheidet, unterschiedlich behandelt werden oder wenn unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt werden.

Die Verordnung Nr. 2426/91 verletzt dadurch, daß sie es den von ihr erfassten Personen im Unterschied zum geschiedenen Ehegatten eines Ruhestandsbeamten des Parlaments ermöglicht, nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt unter bestimmten Voraussetzungen weiter den Schutz nach dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem in Anspruch zu nehmen, nicht den Gleichheitsgrundsatz. Das Verhältnis zwischen den von dieser Verordnung erfassten Personen und der Gemeinschaft ist nämlich wegen der Bedingungen, unter denen diese ihr Amt ausüben, im Gegensatz zum Dienstverhältnis der Beamten zeitlich begrenzt. Für den Fall, daß diese Personen nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, die ihnen Anspruch auf Versicherungsschutz durch ein öffentliches Krankheitsfürsorgesystem gibt, können sie aufgrund der mit Artikel 1 der Verordnung Nr. 2426/91 erfolgten Neufassung des Artikels 11 der Verordnung Nr. 422/67/EWG - Nr. 5/67/Euratom und des Artikels 12 der Verordnung Nr. 2290/77 weiterhin den Schutz nach dem Gemeinsamen System in Anspruch nehmen. Dieser Vorteil soll die Nachteile abmildern, die den Betroffenen dadurch entstehen, daß sie ihre frühere Erwerbstätigkeit wegen der Übernahme ihres Amtes bei den Gemeinschaftsorganen unterbrochen haben.

12 Da der Anspruch auf Schutz nach dem Gemeinsamen Kranheitsfürsorgesystem öffentlich-rechtlicher Natur ist, fällt die Festlegung des Anwendungsbereichs dieses Systems in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers.

Eine Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats, mit der die für Ehescheidungen geltenden nationalen Rechtsvorschriften angewandt werden und ein Versorgungsausgleich vorgenommen wird, hat als solche keine Auswirkung auf den Anschluß an ein Krankheitsfürsorgesystem, da sie nur die Ruhegehaltsansprüche betrifft.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 16. April 1997. - Hedwig Kuchlenz-Winter gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Beamte - Schutz nach dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem - Geschiedener Ehegatte eines ehemaligen Beamten - Zullässigkeit - Fürsorgepflicht - Freizügigkeit - Gleichbehandlung - Entscheidung eines nationalen Gerichts über den Versorgungsausgleich - Wirkungen. - Rechtssache T-66/95.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Klägerin, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, trat 1956 in den Dienst des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Luxemburg. 1957 heiratete sie Herrn Kuchlenz, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist; 1958 wurde sie zur Kommission der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) nach Brüssel versetzt. Ihr Ehemann war in der Zwischenzeit Beamter des Europäischen Parlaments geworden und wurde 1963 nach Luxemburg versetzt. Die Klägerin schied daraufhin aus dem Dienst aus und folgte ihrem Ehemann nach Luxemburg. Insgesamt war sie etwas mehr als sieben Jahre bei den Gemeinschaften beschäftigt.

2 Nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst der Kommission war die Klägerin nicht mehr selbst dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Gemeinsames System) angeschlossen, sondern blieb über ihren Ehemann, der als Beamter dem System angeschlossen war, mitversichert.

3 Die Ehe der Klägerin mit Herrn Kuchlenz wurde durch Urteil der Cour d'appel Luxemburg vom 10. Dezember 1993, das am 1. April 1994 rechtskräftig wurde, geschieden. Nach diesem Urteil einigten sich die geschiedenen Ehegatten gemäß den Rechtsvorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches über den Versorgungsausgleich im Falle der Scheidung (§§ 1587 ff. BGB) auf eine Teilung des Ruhegehalts, das Herr Kuchlenz von der Gemeinschaft erhält. Mit Entscheidung vom 5. Januar 1995 bestätigte der Juge de paix Luxemburg diese Vereinbarung.

4 Gemäß Artikel 72 Absatz 1b des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut), wonach der geschiedene Ehegatte eines Beamten unter bestimmten Voraussetzungen für einen Zeitraum von höchstens einem Jahr, der mit dem Tag beginnt, an dem die Scheidung rechtskräftig wird, weiter in den Genuß der Krankheitsfürsorge gelangen kann, erhielt die Klägerin weiter Leistungen des Gemeinsamen Systems.

5 Wie sich aus den Akten ergibt, hat die Klägerin Anspruch auf Sozialversicherungsschutz in Luxemburg, solange sie im Großherzogtum wohnt. Dagegen kann sie nicht bei der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung versichert werden, da sie die hierfür erforderlichen Versicherungszeiten in Deutschland nicht zurückgelegt hat. Sie erfuellt auch nicht die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung bei der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, und die privaten Krankenversicherungen lehnen ihre Aufnahme wegen ihrer schweren Krankheit ab. Der Sozialversicherungsschutz, den sie in Luxemburg genießt, hängt davon ab, daß sie in diesem Land wohnt. Die Klägerin macht geltend, daß sie folglich nicht mehr nach Deutschland zurückkehren könne, da sie dort keinen Sozialversicherungsschutz genieße und der Wegzug von Luxemburg zum Verlust ihrer einzigen Versicherung, die sie derzeit habe, führen würde.

6 Am 7. Februar 1994 reichte die Klägerin beim Parlament, bei dem ihr früherer Ehemann Beamter gewesen war, und bei der Kommission Anträge nach Artikel 90 des Statuts auf Erlaß einer Entscheidung über ihre weitere Mitgliedschaft im Gemeinsamen System über die Jahresfrist des Artikels 72 des Statuts hinaus ein. Nach der stillschweigenden Ablehnung des an die Kommission gerichteten Antrags legte die Klägerin hiergegen am 26. Juli 1994 nach Artikel 90 Absatz 1 des Statuts Beschwerde ein.

7 Mit Schreiben vom 26. April 1994 teilte die Abrechnungsstelle Luxemburg der Klägerin mit, daß ihre Mitgliedschaft in diesem System am 31. März 1995, ein Jahr nach ihrer Scheidung, ende.

8 Mit Schreiben vom 11. Januar 1995 wies die Kommission die Beschwerde vom 26. Juli 1994 zurück. Am 24. Februar 1995 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

9 Ebenfalls am 24. Februar 1995 reichte die Klägerin einen Antrag auf Erlaß einstweiliger Anordnungen ein, den der Präsident des Gerichts mit Beschluß vom 10. April 1995 in der Rechtssache T-66/95 R (Kuchlenz-Winter/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-287) zurückwies.

Anträge der Parteien

Die Klägerin beantragt,

- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie im Rahmen des Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystems der Gemeinschaften weiterhin gegen die entsprechenden Risiken zu schützen,

- die Kommission zu verpflichten, ihr Vorschlagsrecht gegenüber dem Rat dahin gehend auszuüben, daß Personen in der Lage der Klägerin die Möglichkeit gegeben wird, in den Genuß der Krankenversicherung der Gemeinschaften zu kommen,

- hilfsweise, die deutsche Regierung auf die Lücke in den nationalen Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung hinzuweisen und sie zu bitten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Lücke zu schließen,

- der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

- die Klage für unzulässig, hilfsweise für unbegründet zu erklären,

- der Klägerin sämtliche Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

10 Die Kommission führt in ihrer Klagebeantwortung drei Gründe für die Unzulässigkeit der Klage an: Erstens hätte die Klage gegen das Parlament und nicht gegen die Kommission gerichtet werden müssen; zweitens verlange die Klägerin mit ihren Anträgen vom Gericht, zum einen der Kommission Anweisungen zu erteilen, zum anderen abstrakt über die Rechtmässigkeit einer allgemeinen Norm zu befinden, und schließlich, sich an einen Mitgliedstaat zu wenden; drittens sei das Schreiben vom 26. April 1994 keine anfechtbare Entscheidung.

11 Den ersten Unzulässigkeitsgrund, wonach die Klage gegen das Parlament hätte erhoben werden müssen, stützt die Kommission auf drei Argumente. Erstens begehre die Klägerin mit ihrer Klage die Aufrechterhaltung des Schutzes nach dem Gemeinsamen System. Dieser Schutz stehe ihr aber nur über ihren geschiedenen Ehemann zu, der als ehemaliger Beamter des Parlaments ein Ruhegehalt von diesem Organ beziehe und zu keinem Zeitpunkt Beamter der Kommission gewesen sei. Nur das Parlament könne daher über diesen Antrag entscheiden.

12 Zweitens begründe die Klägerin ihre Klage auch damit, daß sie kraft des Scheidungsurteils einen eigenen Rechtsanspruch auf die Hälfte des Ruhegehalts ihres früheren Ehemannes erworben habe und daß sie damit de facto den Status einer pensionierten Beamtin des Parlaments habe. Unter Berufung darauf und nicht als ehemalige Beamtin der Euratom-Kommission begehre sie Schutz nach dem Gemeinsamen System.

13 Drittens bedeute der Umstand, daß die Verwaltung des Gemeinsamen Systems nach der entsprechenden Regelung von der Kommission wahrgenommen werde und das Schreiben der Abrechnungsstelle vom 26. April 1994 daher den Dienststempel einer Verwaltungseinheit der Kommission trage, nicht, daß eine Klage gegen Handlungen der Abrechnungsstelle gegen die Kommission gerichtet werden könnte. Die Klage sei vielmehr gegen das Organ zu richten, als dessen Beamtin die Klägerin in den Genuß des Gemeinsamen Systems kommen könne. Im vorliegenden Fall bedeute dies, daß die Klägerin, die aufgrund der Stellung ihres früheren Ehemannes als eines Beamten des Parlaments mitversichert gewesen sei und die Aufrechterhaltung dieser Versicherung verlange, eine Klage gegen dieses Organ richten müsse. Diese Auslegung werde durch die Tatsache bestätigt, daß die Klägerin einen Antrag und eine Beschwerde nach Artikel 90 Absätze 1 und 2 des Statuts beim Parlament eingereicht habe, das beide als unzureichend begründet abgelehnt und sich damit in diesem Fall für zuständig erklärt habe.

14 Auf diesen Unzulässigkeitsgrund entgegnet die Klägerin, daß es im Bereich der gemeinsamen Einrichtungen für die Beamten der Gemeinschaft keinen Unterschied mache, gegen welches Organ sich die Klage richte. Jedenfalls habe die Kommission aufgrund der Stimmenverhältnisse in den Beratungsorganen und ihrer politischen Stellung eine beherrschende Position in diesen Einrichtungen. Die Kommission trete auch als federführendes Organ innerhalb der gemeinsamen Einrichtungen auf, wie dies in den entsprechenden Regelungen festgelegt sei. Sie schaffe somit den Anschein, daß sie verantwortlich sei, was durch die Verwendung ihres Dienststempels bestätigt werde, und müsse sich folglich die daraus folgende Verantwortlichkeit entgegenhalten lassen. Im übrigen führe die Tatsache, daß das Parlament auf die Beschwerde der Klägerin geantwortet habe, nicht zu der Schlußfolgerung, die die Kommission daraus gezogen habe, da diese ebenfalls auf die an sie gerichtete Beschwerde geantwortet habe.

15 Schließlich könne die Kommission ihren Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Klage nicht auf die Eigenschaft stützen, in der die Klägerin die Klage erhoben habe. Die entsprechenden Vorschriften des Statuts wendeten sich an alle Beamten und deren Familien. Im übrigen sei der frühere Ehemann der Klägerin entgegen der Behauptung der Kommission deren Beamter gewesen, da er zehn Jahre für die Euratombehörde und die Hohe Behörde der EGKS gearbeitet habe, die später in der Kommission aufgegangen seien.

16 Als zweiten Grund für die Unzulässigkeit der Klage führt die Kommission die Unzulässigkeit der Anträge der Klägerin aus der Klageschrift an. Der Antrag der Klägerin in ihrer Erwiderung, die Formulierung der Klageanträge bis zur mündlichen Verhandlung zurückzustellen, sei rechtsmißbräuchlich, da es nach Artikel 44 § 1 Buchstabe d der Verfahrensordnung Sache der Partei und nicht des Gerichts sei, die Klageanträge zu formulieren. Mit dem ersten Klageantrag werde nicht die Aufhebung einer bestimmten Entscheidung der Kommission verlangt, sondern vom Gericht vielmehr eine Anordnung gegenüber diesem Organ begehrt, die Klägerin ausserhalb der Statutsvorschriften weiterhin als mitangeschlossene Person im Gemeinsamen System zu belassen. Nach ständiger Rechtsprechung dürfe der Gemeinschaftsrichter einem Gemeinschaftsorgan keine Anweisungen erteilen, weil er damit in dessen Zuständigkeitsbereich eingreifen würde (Urteile des Gerichts vom 20. Mai 1994 in der Rechtssache T-510/93, Obst/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-461, Randnr. 27, und vom 10. April 1992 in der Rechtssache T-15/91, Bollendorf/Parlament, Slg. 1992, II-1679, Randnr. 57). Das Gericht könne die Kommission auch nicht dazu verpflichten, gegen zwingende Vorschriften des Statuts zu handeln (Urteil des Gerichtshofes vom 21. November 1989 in den verbundenen Rechtssachen C-41/88 und C-178/88, Becker und Starquit/Parlament, Slg. 1989, 3807).

17 Zum zweiten Klageantrag betreffend die Ausübung ihres Vorschlagsrechts gegenüber dem Rat trägt die Kommission vor, es sei allein ihre Sache, über die Notwendigkeit einer Ausübung dieses Rechts zu entscheiden (Urteil vom 17. Oktober 1990 in der Rechtssache T-134/89, Hettrich u. a./Kommission, Slg. 1990, II-565, Randnr. 22). Der Antrag sei daher unzulässig. Er sei auch insoweit unzulässig, als er voraussetze, daß das Gericht abstrakt über die Rechtmässigkeit einer allgemeinen Norm befinde (Urteile vom 12. Juli 1991 in der Rechtssache T-110/89, Pincherle/Kommission, Slg. 1991, II-635, Randnr. 30, sowie vom 25. Februar 1992 in der Rechtssache T-41/90, Barassi/Kommission, Slg. 1992, II-159, Randnr. 38, und in der Rechtssache T-42/90, Bertelli/Kommission, Slg. 1992, II-181, Randnr. 38).

18 Schließlich sei auch der dritte Klageantrag unzulässig, da das Gericht nicht befugt sei, einen Mitgliedstaat auf eine besondere Rechtslage hinzuweisen.

19 Als Antwort auf diesen zweiten Unzulässigkeitsgrund beantragt die Klägerin, angesichts der in der Zwischenzeit von ihr gegen die Kommission erhobenen Untätigkeitsklage die Formulierung der Klageanträge bis zur mündlichen Verhandlung zurückzustellen.

20 Mit ihrem dritten Unzulässigkeitsgrund macht die Kommission geltend, das Schreiben vom 26. April 1994 sei keine anfechtbare Entscheidung und den Klageanträgen lasse sich im übrigen nicht entnehmen, daß die Klägerin die Aufhebung der Entscheidung, mit der ihr Antrag vom 7. Februar 1994 stillschweigend zurückgewiesen worden sei, oder der Entscheidung vom 26. April 1994 begehre. Nach ständiger Rechtsprechung könne nur eine Maßnahme, die die Rechtsstellung der Klägerin unmittelbar und sofort berühre, beschwerend sein (Beschluß des Gerichts vom 7. Juni 1991 in der Rechtssache T-14/91, Weyrich/Kommission, Slg. 1991, II-235, Randnr. 35, und Urteil des Gerichts vom 3. April 1990 in der Rechtssache T-135/89, Pflöschner/Kommission, Slg. 1990, II-153, Randnr. 11). Die Abrechnungsstelle habe in dem betreffenden Schreiben der Klägerin nur mitgeteilt, wann ihre Mitgliedschaft in dem Gemeinsamen System ende. Diese Rechtsfolge ergebe sich unmittelbar aus Artikel 72 Absatz 1b des Statuts, wonach die Versicherung des geschiedenen Ehegatten eines Beamten automatisch ein Jahr nach der Scheidung ende. Die Abrechnungsstelle habe daher keinen entsprechenden Rechtsakt erlassen müssen, und es gebe keinen die Klägerin beschwerenden Rechtsakt. Sollte das Schreiben vom 26. April 1994 ein anfechtbarer Rechtsakt sein, würde sich die Frage stellen, ob die Klägerin ihre Beschwerde innerhalb der Frist von drei Monaten erhoben habe, da diese am 9. August 1994 in das Eingangsregister der Kommission eingetragen worden sei.

21 Zu diesem Unzulässigkeitsgrund trägt die Klägerin vor, die von ihr erhobene Beschwerde sei gegen die stillschweigende Ablehnung ihres nach Artikel 90 Absatz 1 eingereichten Antrags vom 7. Februar 1994 gerichtet gewesen. Angesichts der für die stillschweigende Ablehnung des Antrags vorgeschriebenen Frist von vier Monaten sei die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden. Jedenfalls müsste, selbst wenn für die Berechnung der Beschwerdefrist das Schreiben vom 26. April 1994 maßgebend sein sollte, das Datum des Poststempels der Beschwerde, also der 21. Juli 1994, und nicht das des Eingangsstempels der Kommission, der 26. Juli 1994, zugrunde gelegt werden.

Würdigung durch das Gericht

22 Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage ist zunächst deren Gegenstand zu bestimmen und demnach der zweite von der Kommission angeführte Unzulässigkeitsgrund zu prüfen. Wie sich aus dem ersten Klageantrag ergibt, ist dieser darauf gerichtet, daß der Schutz der Klägerin nach dem Gemeinsamen System über die Frist des Artikels 72 Absatz 1b des Statuts hinaus aufrechterhalten wird.

23 Bei Klageerhebung hatte die Klägerin jedoch Kenntnis vom Schreiben der Kommission vom 26. April 1994, mit dem diese sie auf das bevorstehende Ende ihres Versicherungsschutzes nach dem Gemeinsamen System hinwies, und von der stillschweigenden Ablehnung ihres am 7. Februar 1994 nach Artikel 90 Absatz 1 des Statuts gestellten Antrags auf Aufrechterhaltung dieses Versicherungsschutzes. Die Klägerin legte am 26. Juli 1994 Beschwerde gegen diese beiden Handlungen ein, die von der Kommission zurückgewiesen wurde.

24 Demnach ist der erste Antrag aus der Klageschrift, der auf die Feststellung gerichtet ist, daß die Klägerin Anspruch auf Schutz nach dem Gemeinsamen System hat, so auszulegen, daß er auf Aufhebung der genannten Handlungen sowie der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde vom 26. Juli 1994 gerichtet ist, da sich diese Entscheidung nicht auf eine Bestätigung der vorangegangenen Handlungen beschränkt.

25 Folglich kann dieser Klageantrag nicht aus den von der Kommission im Rahmen ihres zweiten Unzulässigkeitsgrundes angeführten Gründen als unzulässig zurückgewiesen werden. Über die Zulässigkeit des ersten Klageantrags kann erst nach Prüfung der anderen von der Kommission vorgebrachten Unzulässigkeitsgründe entschieden werden.

26 Was die übrigen Anträge aus der Klageschrift angeht, ist dem Vorbringen der Kommission zu folgen. Zum zweiten Klageantrag, der dahin geht, die Kommission zu verpflichten, von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch zu machen, genügt die Feststellung, daß der Gemeinschaftsrichter nach ständiger Rechtsprechung einem Gemeinschaftsorgan keine Anweisungen erteilen darf (Urteil des Gerichts vom 30. November 1995 in der Rechtssache T-507/93, Branco/Rechnungshof, Slg. ÖD 1995, II-797, Randnr. 49). Was den dritten Klageantrag betrifft, so ist das Gericht nicht zu einer Entscheidung über das Verhalten eines Mitgliedstaats befugt (vgl. hierzu Urteil des Gerichtshofes vom 15. März 1984 in der Rechtssache 28/83, Forcheri/Kommission, Slg. 1984, 1425).

27 Da somit der zweite von der Kommission angeführte Unzulässigkeitsgrund teilweise durchgreift, sind der zweite und der dritte Antrag aus der Klageschrift für unzulässig zu erklären.

28 Was den ersten Unzulässigkeitsgrund angeht, mit dem geltend gemacht wird, daß die Klage gegen das Parlament hätte erhoben werden müssen, so war die Klägerin erstens seit ihrem Ausscheiden aus dem Dienst der Euratom-Kommission im Jahre 1963 nicht mehr Gemeinschaftsbeamtin und genoß den Schutz nach dem Gemeinsamen System als über ihren früheren Ehemann, einem Beamten des Parlaments im Ruhestand, mitangeschlossene Person. Am 7. Februar 1994 stellte sie bei diesem Gemeinschaftsorgan einen Antrag nach Artikel 90 Absatz 1 des Statuts auf Aufrechterhaltung dieses Versicherungsschutzes, der zurückgewiesen wurde.

29 Am selben Tag stellt die Klägerin einen gleichlautenden Antrag bei der Kommission, der bei deren Dienststellen am 14. Februar 1994 registriert wurde. Dieser Antrag wurde stillschweigend abgelehnt. In der Zwischenzeit erhielt die Klägerin das Schreiben vom 26. April 1994, das einen Stempel mit der Angabe "Kommission der Europäischen Gemeinschaften/RCAM" trug. Am 26. Juli 1994 legte die Klägerin eine Beschwerde bei der Kommission ein, in der sie sich u. a. auf deren Fürsorgepflicht berief. Diese Beschwerde wurde mit Entscheidung vom 21. Dezember 1994, übermittelt am 11. Januar 1995, zurückgewiesen.

30 Zweitens waren sowohl der Antrag vom 7. Februar 1994 als auch die Beschwerde vom 26. Juli 1994 an die Anstellungsbehörde der Kommission gerichtet, und die Kommission hat in ihrer Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde nicht behauptet, daß sie nicht das zuständige Gemeinschaftsorgan sei und daß sich die Klägerin an das Parlament hätte wenden müssen. Sie hat vielmehr die Argumente der Klägerin, einschließlich der Berufung auf die Fürsorgepflicht, geprüft und unter Anführung von Gründen zurückgewiesen.

31 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß sich die Klägerin einer Handlung gegenübersah, die die Kommission auf einen bei der Anstellungsbehörde dieses Gemeinschaftsorgans gestellten Antrag hin an sie gerichtet hatte und in der die Kommission nicht geltend machte, sie sei in der Sache unzuständig. Dieses Verhalten der Kommission hat bei der Klägerin zu einer solchen Ungewißheit geführt, daß ihr kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß sie die Handlung der Kommission angefochten hat (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 30. September 1975 in der Rechtssache 50/74, Asmussen u. a./Rat und Kommission, Slg. 1975, 1003, Randnr. 16).

32 Wie sich zudem aus den Artikeln 16 bis 20 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften ergibt, spielt die Kommission bei der Verwaltung des Gemeinsamen Systems eine besonders wichtige Rolle.

33 Unter diesen Umständen kann die Klage nicht deshalb als unzulässig abgewiesen werden, weil die angefochtene Handlung von der Kommission erlassen worden ist; andernfalls wäre diese Handlung jeder Nachprüfung entzogen, und die Klägerin müsste zur Erlangung des ihr zustehenden Rechtsschutzes einen neuen Antrag beim Parlament stellen.

34 Was schließlich den dritten Unzulässigkeitsgrund angeht, so werden in der angefochtenen Handlung die auf den Fall der Klägerin anwendbaren Bestimmungen ausgelegt. Aus dieser Handlung ergibt sich, daß der Schutz der Klägerin nach dem Gemeinsamen System nach Ablauf der in Artikel 72 Absatz 1 Buchstabe b des Statuts vorgesehenen Jahresfrist endet; demgemäß bliebe die Klägerin im Falle der Aufhebung dieser Handlung dem Gemeinsamen System angeschlossen. Entgegen dem Vorbringen der Kommission ist die Klägerin somit durch die angefochtene Handlung beschwert, die demnach Gegenstand einer Klage nach Artikel 91 des Statuts sein kann.

35 Folglich ist der erste Klageantrag, wie er in Randnummer 24 dieses Urteils ausgelegt worden ist, zulässig.

Zur Begründetheit

36 Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe, von denen die ersten drei eine Verletzung der Fürsorgepflicht, des Grundsatzes der Freizuegigkeit und des Gleichheitsgrundsatzes betreffen, während sie mit dem vierten einen eigenen Anspruch auf Ruhegehalt geltend macht, den ihr das Urteil, mit dem ihre Scheidung ausgesprochen worden sei, zuerkannt habe.

Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Fürsorgepflicht

Vorbringen der Parteien

37 Mit dem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, angesichts ihrer verzweifelten Situation müsse die Kommission aufgrund ihrer Fürsorgepflicht ihre Versicherung im Rahmen des Gemeinsamen Systems weiterführen. Die Fürsorgepflicht müsse hier eingreifen, um einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anschluß an das Gemeinsame System nicht erfuelle; angesichts ihrer schweren Krankheit dürfe der Klägerin die Fürsorge nicht verweigert werden. Die Klägerin bestreitet die Behauptung der Kommission, daß die Fürsorgepflicht innerhalb des Rahmens der geltenden Vorschriften ausgeuebt werden müsse, was den Erlaß der von ihr angestrebten Maßnahme ausschließe. Für die Klägerin bilden "Gesetz und Recht" den Rahmen der Fürsorgepflicht, was den Erlaß eines Rechtsakts in dem beantragten Sinne erlaube.

38 Die Kommission hält diesen ersten Klagegrund für unzulässig, da er in dieser Form erstmals in der Klageschrift geltend gemacht worden sei. In ihrer Beschwerde habe sich die Klägerin auf die Fürsorgepflicht nur zur Begründung des Anspruchs einer dem Gemeinsamen System angeschlossenen Person auf Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung in ihrem Herkunftsland nach Ausschluß aus dem Gemeinsamen System berufen.

39 Zweitens macht die Kommission geltend, die Klägerin sei großzuegig behandelt worden, da sie für die Zeit eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Gemeinsamen System angeschlossen geblieben sei. Da sie Versicherungsschutz nach dem luxemburgischen Krankenversicherungssystem habe in Anspruch nehmen können, habe sie nach ihrer Scheidung nicht einmal einen Anspruch nach Artikel 72 Absatz 1b des Statuts auf den Schutz nach dem Gemeinsamen System gehabt. Die Kommission habe somit ihre Fürsorgepflicht nicht verletzt. Im übrigen sei die streitige Bestimmung gerade eine Ausprägung der Fürsorgepflicht der Organe.

40 Drittens führt die Kommission aus, die Fürsorgepflicht sei stets im Rahmen der geltenden Vorschriften auszuüben (Urteile des Gerichts vom 17. Juni 1993 in der Rechtssache T-65/92, Arauxo-Dumay/Kommission, Slg. 1993, II-597, Randnrn. 36 und 37, und vom 27. März 1990 in der Rechtssache T-123/89, Chomel/Kommission, Slg. 1990, II-131, Randnr. 32). Daher sei die Kommission daran gehindert, den Anschluß der Klägerin an das Gemeinsame System abweichend von der verbindlichen Vorschrift des Artikels 72 Absatz 1b des Statuts aufrechtzuerhalten. Diese Bestimmung sei im übrigen nach der Rechtsprechung eng auszulegen (Urteil des Gerichts vom 8. März 1990 in der Rechtssache T-41/89, Schwedler/Parlament, Slg. 1990, II-78, Randnr. 23).

41 Schließlich stelle sich die Frage der Verletzung der Fürsorgepflicht nur im Verhältnis zum Parlament, da die Klägerin ihre Weiterversicherung in ihrer Eigenschaft als geschiedene Ehefrau eines ehemaligen Beamten des Parlaments verlange.

Würdigung durch das Gericht

42 Der vorliegende Klagegrund ist einer Sachprüfung zu unterziehen. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, dürfen zwar die vor dem Gemeinschaftsrichter gestellten Anträge nur Rügen enthalten, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde erhobenen Rügen, doch können diese Rügen vor dem Gemeinschaftsrichter durch das Vorbringen von Gründen und Argumenten weiterentwickelt werden, die nicht unbedingt in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen (Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-496/93, Allo/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-405, Randnr. 26, vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache T-36/93, Ojha/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-497, Randnr. 56, und vom 12. März 1996 in der Rechtssache T-36/94, Weir/Kommission, Slg. ÖD 1996, II-381, Randnr. 28). Dies ist hier der Fall, da die Fürsorgepflicht schon in der Beschwerde angeführt worden ist und die Klägerin in der Klageschrift nur andere Schlußfolgerungen aus dieser Pflicht gezogen hatte.

43 Was die Begründetheit dieses Klagegrundes angeht, so muß die Fürsorgepflicht in dem durch die geltenden Vorschriften gezogenen Rahmen ausgeuebt werden und ein Kläger kann nicht unter Berufung auf diese Pflicht von den Gemeinschaftsorganen ein anderes Ergebnis als dasjenige verlangen, das sich aus eindeutigen Bestimmungen ergibt (Urteil Arauxo-Dumay/Kommission, a. a. O., Randnr. 37). Da die Klägerin die Aufrechterhaltung ihres Schutzes nach dem Gemeinsamen System über den in Artikel 72 Absatz 1b des Statuts vorgesehenen Zeitraum hinaus begehrt, kann die Fürsorgepflicht nicht bewirken, daß die Anwendung dieser Bestimmung, deren Klarheit sie nicht bestreitet, ausgeschlossen wird. Dieser Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Verletzung des Grundsatzes der Freizuegigkeit

Vorbringen der Parteien

44 Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin geltend, ihr Recht auf Freizuegigkeit sei ernsthaft eingeschränkt, da sie nicht nach Deutschland zurückkehren könne, denn der Wegzug aus Luxemburg würde zum Verlust des einzigen Krankenversicherungsschutzes führen, den sie habe. Selbst wenn, wie die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ausgeführt habe, für bestimmte Personengruppen eine Sonderregelung bestehe, die ihnen weitergehende Rechte verleihe, könne dies die Klägerin nicht daran hindern, sich auf die Freizuegigkeit zu berufen. Es widerspreche diesem Grundsatz, daß eine Person wie die Klägerin nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren könne, weil sie infolge besonderer Umstände nicht über angemessenen Krankenversicherungsschutz verfüge.

45 Die Kommission tritt diesem Klagegrund unter Hinweis darauf entgegen, daß das Recht auf Freizuegigkeit von Personen, die wie die Klägerin keine Berufstätigkeit ausübten, durch die Richtlinien 90/364/EWG, 90/365/EWG und 90/366/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht, über das Aufenthaltsrecht der Arbeitnehmer und der ehemaligen Arbeitnehmer sowie über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 180, S. 26, 28 und 30) geregelt sei. Alle diese Regelungen machten die Anerkennung des Aufenthaltsrechts davon abhängig, daß der Betroffene im Aufnahmestaat über eine Krankenversicherung verfüge. Im übrigen liege die Ursache des Problems der Klägerin in der deutschen Gesetzgebung; weder die Beklagte noch das Gemeinsame System hätten die Auswirkungen dieser Gesetzgebung zu verantworten.

Würdigung durch das Gericht

46 Zunächst ist festzustellen, daß die Klägerin nicht vorträgt, ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland werde durch eine deutsche Rechtsvorschrift beschränkt. Dieses Recht fließt im übrigen, wie der Gerichtshof anerkannt hat, unmittelbar aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit (Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90, Singh, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 22). Demnach unterliegt sie in Deutschland keinerlei Beschränkung deswegen, weil sie in der Vergangenheit in einem anderen Land gewohnt hat und berufstätig gewesen ist.

47 Soweit die Klägerin jedoch geltend macht, ihr Recht auf Freizuegigkeit sei dadurch beschränkt, daß sie sich in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz verschaffen könne, ist darauf hinzuweisen, daß dieses Recht gemäß Artikel 8a EG-Vertrag den u. a. im abgeleiteten Recht vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterliegt. Aus den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, die die Ausübung des Aufenthaltsrechts regeln, insbesondere den Richtlinien 90/364 und 90/365, ergibt sich aber eindeutig, daß für Personen, die wie die Klägerin keine Arbeitnehmer sind, die Inanspruchnahme dieses Rechts das Bestehen einer Krankenversicherung im Aufnahmemitgliedstaat voraussetzt.

48 Folglich ist bei Personen, die keine Arbeitnehmer sind, das Bestehen einer Krankenversicherung eine vom abgeleiteten Gemeinschaftsrecht vorgesehene Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Freizuegigkeit und nicht, wie die Klägerin geltend macht, eine Folge dieses Rechts. Die Klägerin kann daher nach diesen Richtlinien keinen Anspruch auf eine soziale Sicherung, hier im Rahmen des Gemeinsamen Systems, erheben, um eventuelle praktische Hindernisse für ihre Rückkehr in das Land auszuräumen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

49 Zu den Folgen, die nach Ansicht der Klägerin daraus zu ziehen sind, daß sie nicht durch das deutsche System der Sozialversicherung geschützt ist, ist ferner festzustellen, daß die Klägerin während ihres Berufslebens keinem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats angeschlossen war und daher nicht in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), fällt. Somit stehen ihr die in dieser Verordnung vorgesehenen Rechte nicht zu.

50 Demnach besteht kein Zusammenhang zwischen der Frage des Schutzes der Klägerin durch ein Krankenversicherungssystem, damit sie sich tatsächlich in ihrem Herkunftsland niederlassen kann, und dem Grundsatz der Freizuegigkeit, wie er im Vertrag niedergelegt ist und durch das abgeleitete Recht durchgeführt wird. In Ermangelung einer Harmonisierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Gemeinschaft fällt dieser Schutz ausschließlich in den Anwendungsbereich der vorstehend (vgl. insbesondere Randnr. 43) geprüften Bestimmungen des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zum einen und des insoweit anwendbaren nationalen, hier des deutschen, Rechts zum anderen.

51 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum dritten Klagegrund: Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes

Vorbringen der Parteien

52 Im Rahmen des dritten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Versagung des Anspruchs auf Schutz im Krankheitsfalle nach dem Gemeinsamen System sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die ehemaligen Mitglieder der Kommission, des Gerichtshofes, des Gerichts erster Instanz und des Rechnungshofes nach dem Gemeinsamen System versichert blieben, wenn sie nicht durch eine andere öffentliche Krankheitsfürsorge gesichert werden könnten. Diese Regelung sei analog auf die Klägerin anzuwenden, die in ihrem Herkunftsland nicht krankenversichert sei und sich in der gleichen Lage wie die ehemaligen Mitglieder der genannten Organe befinde.

53 Die Kommission entgegnet hierauf, der Gleichheitsgrundsatz sei nicht verletzt, da die Klägerin nicht behaupte, im Verhältnis zu einer anderen Person, die von einem dem Gemeinsamen System angeschlossenen Beamten geschieden worden sei, anders behandelt worden zu sein. Die ehemaligen Mitglieder der Organe, auf deren Status die Klägerin hingewiesen habe, seien kraft des von ihnen bekleideten Amtes versichert; dieser Status sei zeitlich befristet. Die Lage der Klägerin, die kraft der Beamteneigenschaft ihres früheren Ehemannes versichert sei, sei daher mit der Lage der genannten Mitglieder nicht vergleichbar. Schließlich führe die Forderung der Klägerin, Artikel 72 des Statuts nicht anzuwenden, zu einer Diskriminierung anderer Personen in vergleichbarer Lage.

Würdigung durch das Gericht

54 Die Klägerin stützt den Vorwurf der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darauf, daß die Verordnung (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 2426/91 des Rates vom 29. Juli 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 422/67/EWG-Nr. 5/67/Euratom über die Regelung der Amtsbezuege für den Präsidenten und die Mitglieder der Kommission, für den Präsidenten, die Richter, die Generalanwälte und den Kanzler des Gerichtshofes sowie für den Präsidenten, die Mitglieder und den Kanzler des Gerichts erster Instanz und zur Änderung der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 2290/77 über die Regelung der Amtsbezuege für die Mitglieder des Rechnungshofes (ABl. L 222, S. 1) es den von ihr erfassten Personen ermögliche, nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt unter bestimmten Voraussetzungen weiter den Schutz nach dem Gemeinsamen System in Anspruch zu nehmen.

55 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt, wenn zwei Personengruppen, deren tatsächliche und rechtliche Lage sich nicht wesentlich unterscheidet, unterschiedlich behandelt werden oder wenn unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt werden (Urteil des Gerichts vom 15. März 1994 in der Rechtssache T-100/92, La Pietra/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-275, Randnr. 50).

56 Das Verhältnis zwischen den von der Verordnung Nr. 2426/91 erfassten Personen und der Gemeinschaft ist wegen der Bedingungen, unter denen diese ihr Amt ausüben, im Gegensatz zum Dienstverhältnis der Beamten zeitlich begrenzt. Für den Fall, daß diese Personen nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, die ihnen Anspruch auf Versicherungsschutz durch ein öffentliches Krankheitsfürsorgesystem gibt, können sie aufgrund der mit Artikel 1 der Verordnung Nr. 2426/91 erfolgten Neufassung der Artikel 11 bzw. 12 der geänderten Verordnungen weiterhin den Schutz nach dem Gemeinsamen System in Anspruch nehmen. Dieser Vorteil soll somit die Nachteile abmildern, die den Betroffenen dadurch entstehen, daß sie ihre frühere Erwerbstätigkeit wegen der Übernahme ihres Amtes bei den Gemeinschaftsorganen unterbrochen haben.

57 Folglich befinden sich die Beamten wegen der Andersartigkeit ihres Verhältnisses zu den Gemeinschaftsorganen, die darin zum Ausdruck kommt, daß ihr Dienstverhältnis zeitlich unbegrenzt ist, nicht in derselben Lage wie die von der Verordnung Nr. 2426/91 erfassten Personen. Demnach verstösst die mit dieser Verordnung eingeführte unterschiedliche Regelung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Zum vierten Klagegrund: Bestehen eines eigenen Anspruchs der Klägerin auf Ruhegehalt

Vorbringen der Parteien

58 Mit dem vierten Klagegrund macht die Klägerin geltend, sie habe einen eigenen Anspruch auf die Hälfte des Ruhegehalts ihres früheren Ehemannes. Dieser Anspruch ergebe sich aus den deutschen Rechtsvorschriften, die bei einer Scheidung einen Ausgleich der von den Ehegatten erworbenen Versorgungsansprüchen vorsähen, und sei ihr durch das Urteil des luxemburgischen Gerichts, das die Scheidung ausgesprochen habe, zuerkannt worden. Sie habe somit einen Anspruch auf ein Ruhegehalt der Gemeinschaft, und die Kommission sei verpflichtet, ihr, wie dies für die anderen Bezieher von Altersruhegeld gelte, den Schutz nach dem Gemeinsamen System zu gewähren.

59 Die Kommission tritt diesem Klagegrund mit dem Vorbringen entgegen, die Klägerin habe keinen eigenen Ruhegehaltsanspruch im Sinne des Statuts, sondern einen ihr durch ein Urteil des zuständigen luxemburgischen Gerichts zugesprochenen Anspruch auf Versorgungsausgleich im Verhältnis zu ihrem früheren Ehemann. Die Tatsache, daß dieser ein Ruhegehalt vom Parlament beziehe, bedeute nicht, daß seine frühere Ehefrau einen eigenen Ruhegehaltsanspruch gegenüber den Gemeinschaften geltend machen könne. Im übrigen sei die Klägerin vor über 30 Jahren aus dem Dienst von Euratom ausgeschieden und erfuelle weder die Voraussetzungen für Ruhegehaltsansprüche noch die Voraussetzungen für eine eigene Mitgliedschaft im Gemeinsamen System.

Würdigung durch das Gericht

60 Mit diesem Klagegrund strebt die Klägerin ihre Anerkennung als Empfängerin eines Ruhegehalts der Gemeinschaft unter Berufung darauf an, daß die Entscheidung, mit der ihre Ehe geschieden worden sei, eine Teilung der Ruhegehaltsansprüche ausgesprochen habe, die ihr früherer Ehemann in seinem eigenen Namen erworben habe. Diese Auslegung läuft in Wahrheit darauf hinaus, einer Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats, mit der die für Ehescheidungen geltenden nationalen Rechtsvorschriften angewandt werden, die Wirkung zuzuerkennen, einer Person eine Rechtsstellung zu verschaffen, deren Erwerb sich nach den Vorschriften des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften richtet.

61 Erstens steht jedoch diese Rechtsstellung der Klägerin nach den Bestimmungen des Statuts nicht zu. Zunächst umfasst der Begriff des ruhegehaltsberechtigten Beamten, wie er sich insbesondere aus den Artikeln 77 und 78 des Statuts ergibt, solche Personen nicht, die wie die Klägerin, die nur von 1956 bis 1963 Beamtin war, weniger als zehn Dienstjahre abgeleistet haben.

62 Sodann setzt der Begriff des hinterbliebenen Versorgungsberechtigten nach den Artikeln 79 bis 81a des Statuts eindeutig den Tod des Ehegatten oder früheren Ehegatten des Berechtigten voraus, was hier ebenfalls nicht der Fall ist.

63 Aus den genannten Bestimmungen des Statuts ergibt sich, daß der Versorgungsanspruch voraussetzt, daß ein Beamter während einer Mindestzeit Beiträge geleistet hat. Im Fall eines Ruhegehalts sind diese Beiträge direkt vom Berechtigten geleistet worden; im Fall der Hinterbliebenenversorgung stehen dem Berechtigten als überlebendem Ehegatten oder früheren Ehegatten des Beamten, der Beiträge geleistet hat, die von diesem erworbenen Ansprüche zu. Der vorliegende Sachverhalt zeigt eindeutig, daß die Klägerin sich nicht in dieser Lage befindet und somit nach den anwendbaren Gemeinschaftsbestimmungen keinen Versorgungsanspruch hat.

64 Folglich liefe es den Bestimmungen des Statuts zuwider, wenn der Entscheidung, mit der die Ehe der Klägerin geschieden worden ist, die von dieser gewollte Wirkung zuerkannt würde, weil damit ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen einbezogen würde, den sie nicht umfassen. Da der Anspruch auf Schutz nach dem Gemeinsamen System öffentlich-rechtlicher Natur ist, fällt die Festlegung des Anwendungsbereichs dieses Systems in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1989 in der Rechtssache C-163/88, Kontogeorgis/Kommission, Slg. 1989, 4189, Randnr. 11). Eine nationale Entscheidung kann somit nicht die Entstehung eines solchen Anspruchs bewirken.

65 Zweitens sind, soweit die Klägerin begehrt, einer Gerichtsentscheidung, mit der eine deutsche Rechtsvorschrift angewandt wird, bestimmte Wirkungen im Gemeinschaftsrecht zuzuerkennen, die Ziele dieser Vorschrift auszulegen. Hierzu ist festzustellen, daß die von der Klägerin angestrebte Wirkung nicht den Zielen der deutschen Rechtsvorschriften über den Versorgungsausgleich im Falle der Scheidung entspricht. Diese Vorschriften bezwecken lediglich, dem Ehegatten, der selbst keine Beiträge zu einem Versorgungssystem geleistet hat, einen anteiligen Anspruch auf die vom anderen Ehegatten erworbenen Ansprüche zuzuerkennen. Im vorliegenden Fall stellen die Gemeinschaftsorgane sicher, daß dieser Zweck erreicht wird, denn das Parlament zahlt in Durchführung des Scheidungsurteils direkt an die Klägerin einen Teil des Ruhegehalts ihres früheren Ehemannes.

66 Dagegen wirken sich die fraglichen Rechtsvorschriften als solche nicht auf die Mitgliedschaft in einem Krankenversicherungssystem aus, da sie nur die Versorgungsansprüche betreffen. Die Wirkung, die ihnen die Klägerin zuerkannt sehen möchte, ist somit zur Erreichung der Ziele, die mit diesen Vorschriften und mit der sie anwendenden nationalen Gerichtsentscheidung verfolgt werden, nicht erforderlich und ist diesen Rechtsvorschriften jedenfalls fremd.

67 Demgemäß ist auch dieser Klagegrund zurückzuweisen. Folglich ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

68 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da jedoch die Klage auf Aufhebung eines Rechtsakts gerichtet ist, mit dem der Klägerin das Auslaufen von Rechten mitgeteilt wurde, die ihr nach dem Statut aufgrund ihrer Ehe mit einem Beamten zustanden, fällt der Rechtsstreit hinsichtlich der Kosten unter Artikel 88 der Verfahrensordnung. Demnach ist diese Bestimmung anzuwenden, wonach die Organe in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten ihre Kosten selbst tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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