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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 19.02.1993
Aktenzeichen: T-7/93 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 85
EWG-Vertrag Art. 86
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 19. FEBRUAR 1993. - LANGNESE IGLO GMBH UND SCHOELLER LEBENSMITTEL GMBH & CO KG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - STREITHILFE - VERTRAULICHKEIT - VORLAEUFIGE MASSNAHMEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-7/93 R UND T-9/93 R.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die Langnese-Iglo GmbH (im folgenden: Langnese) hat mit Klageschrift, die am 19. Januar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 23. Dezember 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/34.072 ° Langnese) erhoben.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat sie ferner gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag und Artikel 104 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der an sie gerichteten Entscheidung der Kommission bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache gestellt.

3 Die Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG (im folgenden: Schöller) hat mit Klageschrift, die am 20. Januar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 23. Dezember 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.533 und IV/34.072 ° Schöller) erhoben.

4 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat sie ferner gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag und Artikel 104 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der an sie gerichteten Entscheidung der Kommission bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache gestellt.

5 Die Mars GmbH (im folgenden: Mars) hat mit Schriftsätzen, die am 3. Februar 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, beantragt, in den Rechtssachen T-7/93 R und T-9/93 R als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

6 Die Streithilfeanträge sind den Parteien gemäß Artikel 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden.

7 Langnese hat mit Fernkopie, die am 5. Februar 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, erklärt, sie trete dem Antrag auf Zulassung von Mars als Streithelferin nicht entgegen. Sie hat jedoch beantragt, der Streithelferin nur eine bereinigte Fassung ihrer Klageschrift zu übermitteln. Zu diesem Zweck hat sie dem Gericht eine nicht vertrauliche Fassung ihres Antrags auf einstweilige Anordnung übersandt. Schöller hat mit Fernkopie, die am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, geltend gemacht, daß der Antrag von Mars auf Zulassung als Streithelferin unzulässig sei, da er sich nur auf das Verfahren der einstweiligen Anordnung beziehe und ein Streitbeitritt zu diesem Verfahren nur möglich sei, wenn der Antragsteller zuvor als Streithelfer im Hauptsacheverfahren zugelassen worden sei. Mit gleicher Post hat Schöller für alle Fälle einen Antrag auf vertrauliche Behandlung bestimmter, auf Seite 8 ihrer Antragsschrift erwähnter Angaben übermittelt.

8 Die Kommission hat am 3. und 4. Februar 1993 zu den Anträgen auf einstweilige Anordnung schriftlich Stellung genommen. Mit Fernkopie, die am 5. Februar 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat die Kommission erklärt, sie habe keine Einwände gegen die Anträge von Mars auf Zulassung als Streithelferin. Zu den Anträgen, mit denen Langnese und Schöller vertrauliche Behandlung bestimmter Teile der Akten beantragt haben, hat die Kommission Zweifel hinsichtlich der Frage geäussert, ob die von den Antragstellerinnen angeführten Passagen tatsächlich unter das Geschäftsgeheimnis fielen, und sich das Recht vorbehalten, bei einer eventuellen Zulassung von Mars als Streithelferin in den Verfahren zur Hauptsache eingehende Erklärungen hierzu vorzulegen.

9 Mit Schreiben vom 5. und vom 8. Februar 1993 hat die Kanzlei des Gerichts Mars zur Sitzung geladen und ihr die nicht vertraulichen Fassungen der Anträge auf einstweilige Anordnung sowie die Stellungnahmen der Kommission zu diesen Anträgen zugestellt.

10 Die Parteien haben am 10. Februar 1993 mündliche Ausführungen gemacht.

11 Vor der Prüfung der Begründetheit der beim Gericht gestellten Anträge ist auf den Kontext der vorliegenden Rechtssachen und insbesondere auf den wesentlichen Sachverhalt hinzuweisen, der den beim Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten zugrunde liegt, wie sie sich aus den Schriftsätzen der Parteien und den mündlichen Ausführungen in der Sitzung vom 10. Februar 1993 ergeben.

12 Am 18. September 1991 reichte Mars bei der Kommission eine Beschwerde gegen Langnese und Schöller wegen Verletzung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag ein und beantragte den Erlaß einstweiliger Maßnahmen zur Abwendung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, der ihr dadurch entstehe, daß der Vertrieb ihrer Speiseeiserzeugnisse in Deutschland durch wettbewerbswidrige Vereinbarungen zwischen Langnese und Schöller einerseits und einer Vielzahl von Einzelhändlern andererseits wesentlich behindert werde.

13 Mit Entscheidung vom 25. März 1992 in einem Verfahren aufgrund von Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/34.072 ° Mars/Langnese und Schöller) ° einstweilige Maßnahmen ° untersagte die Kommission Langnese und Schöller im Wege einer einstweiligen Maßnahme, mit Bezug auf die Speiseeiserzeugnisse "Mars", "Snickers", "Milky Way" und "Bounty", soweit diese dem Endverbraucher in Einzelportionen angeboten werden, ihre vertraglichen Rechte aus von ihnen selbst oder zu ihren Gunsten geschlossenen Vereinbarungen insoweit geltend zu machen, als sich Einzelhändler verpflichten, ausschließlich Speiseeis dieser Hersteller zu beziehen, anzubieten und/oder zu verkaufen. Ferner entzog die Kommission den von Langnese geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen, soweit zur Durchführung dieses Verbots erforderlich, den Vorteil der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1984/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinbezugsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 5). Die Antragstellerinnen im vorliegenden Verfahren haben beim Gericht zwei Klagen auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung (T-24/92 und T-28/92) erhoben und zwei Anträge auf Aussetzung ihres Vollzugs (T-24/92 R und T-28/92 R) gestellt.

14 Mit Beschluß vom 16. Juni 1992 in den Rechtssachen T-24/92 R und T-28/92 R (Langnese und Schöller/Kommission, Slg. 1992, II-1839) hat der Präsident des Gerichts den Vollzug der Entscheidung der Kommission vom 25. März 1992 ausser für die Verkaufsstellen in Tankstellen, die durch Ausschließlichkeitsverträge mit den Antragstellerinnen gebunden sind, bis zum Abschluß des laufenden Verwaltungsverfahrens oder bis zum Erlaß des Urteils zur Hauptsache ausgesetzt. Ferner hat der Präsident der Kommission aufgegeben, die Durchführung dieses Beschlusses zu überwachen und dem Gericht vom 1. Juli 1992 an monatlich insbesondere die Angaben vorzulegen, die ihr von Mars über die Verkaufsstellen in Tankstellen übermittelt werden, die durch Ausschließlichkeitsverträge mit den Antragstellerinnen gebunden sind und mit denen Mars Verträge über den Verkauf ihrer Speiseeisartikel geschlossen hat.

15 Mit den streitigen Entscheidungen vom 23. Dezember 1992 hat die Kommission

° festgestellt, daß die von Langnese und Schöller mit Einzelhändlern mit Sitz in Deutschland geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen über den Wiederverkauf von Speiseeis in Einzelportionen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen (Artikel 1),

° den von Langnese geschlossenen Vereinbarungen, soweit sie die Voraussetzungen für eine Gruppenfreistellung erfuellen, den Vorteil der Anwendung der Verordnung Nr. 1984/83 entzogen und den von Schöller geschlossenen Vereinbarungen eine individuelle Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag versagt (Artikel 2),

° Langnese und Schöller verpflichtet, den Wiederverkäufern, mit denen sie noch laufende Vereinbarungen der in den Entscheidungen bezeichneten Art geschlossen haben, innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidungen den Wortlaut der Artikel 1 und 2 unter Hinweis auf die Nichtigkeit der entsprechenden Vereinbarungen mitzuteilen (Artikel 3), und

° Langnese und Schöller bis zum 31. Dezember 1997 untersagt, Vereinbarungen der in den Artikeln 1 bezeichneten Art abzuschließen (Artikel 4).

Entscheidungsgründe

Zu den Anträgen auf Zulassung als Streithelfer

16 Die Anträge auf Zulassung als Streithelfer sind fristgerecht gestellt worden.

17 Mit den streitigen Entscheidungen wird das Verwaltungsverfahren abgeschlossen, das die Kommission auf die Beschwerde eingeleitet hat, die Mars am 18. September 1991 gegen Langnese und Schöller mit der Begründung eingelegt hatte, diese behinderten unter Verletzung der Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags den Vertrieb der Speiseeisartikel von Mars in Deutschland. Infolge des Erlasses der streitigen Entscheidungen haben sich die Wirkungen des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 16. Juni 1992, mit dem der Vollzug der von der Kommission mit ihrer Entscheidung vom 25. März 1992 getroffenen einstweiligen Maßnahmen teilweise ausgesetzt worden war, erschöpft, wie sich aus Nummer 3 des Tenors dieses Beschlusses ergibt.

18 Unter diesen Umständen hat Mars ein berechtigtes Interesse daran, den vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission beizutreten.

Zu den Anträgen auf vertrauliche Behandlung

19 Es erscheint im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gerechtfertigt, den Anträgen von Langnese und Schöller auf vertrauliche Behandlung bestimmter Angaben stattzugeben, da diese Angaben dem ersten Anschein nach unter das Geschäftsgeheimnis fallen können.

Zu den Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs

20 Nach den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag und Artikel 4 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

21 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen die Anträge auf einstweilige Anordnungen im Sinne der Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Anordnungen müssen vorläufig in dem Sinne sein, daß sie der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgreifen.

22 In den streitigen Entscheidungen vertritt die Kommission die Ansicht, daß die Vereinbarungen, an denen Langnese und Schöller beteiligt sind, gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstießen, weil sie zum einen auf dem relevanten Markt den Wettbewerb zwischen Erzeugnissen derselben Marke ausschlössen und den Wettbewerb zwischen Erzeugnissen verschiedener Marken spürbar beschränkten und weil sie zum anderen geeignet seien, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Ferner ist die Kommission der Ansicht, daß auf die von Langnese und Schöller geschlossenen Liefervereinbarungen nicht die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1984/83 angewandt werden könnten, da sie im Sinne von Artikel 3 Buchstabe d dieser Verordnung für einen unbestimmten Zeitraum geschlossen worden seien. Jedenfalls entzieht die Kommission den von Langnese geschlossenen Vereinbarungen den Vorteil der Gruppenfreistellung und verweigert den von Schöller angemeldeten Vereinbarungen die Einzelfreistellung mit der Begründung, daß die kumulierte Wirkung dieser Vereinbarungen jeden Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausschalte.

23 Wegen des zwischen den beiden Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen bestehenden Zusammenhangs ist die Verbindung der Rechtssachen für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu beschließen.

Vorbringen der Parteien

24 Das Vorbringen der Parteien in ihren Schriftsätzen und in ihren mündlichen Ausführungen in der Sitzung vom 10. Februar 1993 lässt sich wie folgt zusammenfassen.

25 Die Antragstellerinnen machen geltend, die beantragte Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen sei sowohl dringlich als auch aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen notwendig. Zur Dringlichkeit weisen die Antragstellerinnen darauf hin, daß die Auswirkungen, die ein sofortiger Vollzug der streitigen Entscheidungen haben müsse, unumkehrbar seien und daß sich für sie aus diesem Vollzug ein schwerer Schaden ergeben würde. Die Auswirkungen eines sofortigen Vollzugs der Entscheidungen ließen sich für den Fall, daß die Entscheidungen später für nichtig erklärt würden, nicht rückgängig machen, da eine Rückkehr zur ausschließlichen Bindung der Verkaufsstätten praktisch ausgeschlossen sei.

26 Insbesondere könnten in diesem Fall nicht nur alle ihre Wettbewerber in alle durch Ausschließlichkeitsvereinbarungen an sie gebundenen Verkaufsstätten eindringen, sondern auch jede der Antragstellerinnen würde diese Öffnung nutzen, um ihre Tätigkeit durch das Anbieten besonders günstiger Bedingungen auf die Verkaufsstätten der jeweils anderen auszudehnen. Die Betreiber dieser Verkaufsstätten würden ihren Gewinn erhöhen und wären später nicht bereit, zu Ausschließlichkeitsvereinbarungen zurückzukehren. Es wäre nicht mehr möglich, im gesamten Verkaufsgebiet eine regelmässige Belieferung der zahlreichen kleinen Betriebe des traditionellen Handels aufrechtzuerhalten, weil der Lieferdienst nicht mehr rentabel wäre. Ferner würde der Verlust der Ausschließlichkeit ihrer Verkaufsstätten auch die von den streitigen Entscheidungen nicht verbotene Ausschließlichkeit der Benutzung der Kühltruhen beeinträchtigen, die sie einigen ihrer Händler zur Verfügung stellten. Die Betreiber der Verkaufsstätten würden nämlich vielfach dazu übergehen, sowohl die Erzeugnisse der Antragstellerinnen als auch die ihrer Wettbewerber in den Kühltruhen zu lagern, die ihnen von den Antragstellerinnen zur Verfügung gestellt worden seien.

27 Aus alldem ergebe sich die Gefahr einer nicht rückgängig zu machenden Zerstörung der Vertriebssysteme der Antragstellerinnen und damit die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, die es rechtfertige, die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen anzuordnen (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 31. März 1982 in der Rechtssache 43/82 R, VBVB/Kommission, Slg. 1982, 1241, und vom 13. Juni 1989 in der Rechtssache 56/89 R, Publishers Association/Kommission, Slg. 1989, 1693, sowie Beschluß des Präsidenten des Gerichts, Langnese und Schöller/Kommission, a. a. O.).

28 Nach Ansicht der Antragstellerinnen würde eine Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen auch zu keinerlei Nachteil für ihre Wettbewerber oder allenfalls zu einem nicht nennenswerten Nachteil für Mars führen, da die Schwierigkeiten, denen sich Mars bei ihrem Marktzugang gegenübersehe, nicht auf die von den Antragstellerinnen geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen, sondern vielmehr auf die von Mars selbst auf dem Markt verfolgte Strategie zurückzuführen seien.

29 Zur Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnung weisen die Antragstellerinnen darauf hin, daß die Frage, ob die Klagen letztlich begründet seien, offen bleiben müsse und daß es lediglich darauf ankomme, daß sie nicht als völlig unbegründet erschienen (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes, Publishers Association, a. a. O., und des Präsidenten des Gerichts vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache T-29/92 R, SPO u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2161). Sie machen hierzu geltend, die Kommission habe die Vereinbarkeit der beanstandeten Ausschließlichkeitsverträge mit den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln in einem Verwaltungsschreiben an Schöller vom 20. September 1985 ausdrücklich anerkannt und der Entzug des Vorteils der Gruppenfreistellung nach der Verordnung Nr. 1984/83 für die beanstandeten Vereinbarungen sei rechtswidrig. Weder Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag noch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, noch die Verordnung Nr. 1984/83 gäben der Kommission die Befugnis, ihnen für die Zukunft den Abschluß von Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu untersagen.

30 Nach Ansicht der Antragstellerinnen rechtfertigt auch die Abwägung der betroffenen Interessen eine Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen, denn diese seien vor allem darauf gerichtet, das Interesse von Mars an einer weiteren Erhöhung ihres Marktanteils in einem Sektor (Eisriegel) zu schützen, der nur ein winziges Segment des Speiseeismarktes bilde. Diesem Interesse stehe das Interesse der Antragstellerinnen gegenüber, jahrzehntelang gehandhabte Vertriebssysteme für den gesamten Markt vorläufig aufrecht zu erhalten.

31 Die Kommission ist der Ansicht, die Antragstellerinnen hätten in ihren Anträgen weder Umstände angeführt, aus denen sich die Dringlichkeit ergebe, noch hätten sie die Notwendigkeit einer Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht.

32 Die Ausführungen der Antragstellerinnen zu den Erfolgsaussichten ihrer Klagen könnten nicht überzeugen. Insbesondere könnten sich die Antragstellerinnen nicht auf das an Schöller gerichtete Verwaltungsschreiben berufen, denn dieses habe unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Wiederaufnahme des Verfahrens gestanden. Diese Wiederaufnahme sei Schöller am 29. November 1991 mitgeteilt worden. Die Kommission habe ferner in den streitigen Entscheidungen eingehend dargelegt, warum die Voraussetzungen für den Entzug des Vorteils der Gruppenfreistellung nach der Verordnung Nr. 1984/83 vorlägen und warum für die von Schöller geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen eine individuelle Freistellung nicht erteilt werden könne.

33 Ohnehin seien die Artikel 1 und 4 der streitigen Entscheidungen einer Aussetzung nicht zugänglich. Die Artikel 1 hätten nur deklaratorischen Charakter, da Vereinbarungen der in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag bezeichneten Art verboten seien, ohne daß dies einer vorherigen Entscheidung bedürfe. Der Aussetzbarkeit der Artikel 4 seien insofern rechtliche Schranken gesetzt, als der Neuabschluß von Ausschließlichkeitsvereinbarungen durch die Entscheidungen in jedem Fall ausgeschlossen werde. In der Sitzung hat die Kommission jedoch erklärt, sie habe keine Einwände dagegen, daß die Artikel 4 der streitigen Entscheidungen ausgesetzt würden, sofern den Antragstellerinnen nicht erlaubt werde, die bestehenden Vereinbarungen zu erneuern. Dagegen hat die Kommission Zweifel, ob auch die Artikel 2 ausgesetzt werden könnten. Da nämlich die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten verlange, könne der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht anstelle der Kommission entscheiden und die vorläufige Gültigkeit einer Vereinbarung herbeiführen, die für nichtig erklärt worden sei. Eine eventuelle Aussetzung solle mithin keine Ersatzfreistellung sein. Daher stehe es in jedem Fall den an den betreffenden Vereinbarungen Beteiligten grundsätzlich frei, die vereinbarten Regeln zu jedem Zeitpunkt ausser acht zu lassen.

34 Die Kommission weist schließlich darauf hin, daß angesichts der Ergebnisse der partiellen Öffnung der Verkaufsstätten der Antragstellerinnen in Tankstellen nicht anzunehmen sei, daß der sofortige Vollzug der streitigen Entscheidungen nunmehr schwere und nicht wiedergutzumachende nachteilige Auswirkungen mit sich brächte. Die bisherigen Erfahrungen zeigten vielmehr, daß die Marktstellung der Antragstellerinnen derart gefestigt sei, daß die Maßnahmen der Kommission für neue Wettbewerber kurzfristig keine spürbaren Wirkungen entfalteten.

35 In ihren mündlichen Ausführungen hat Mars bestritten, daß es irgendeine wirtschaftliche Notwendigkeit für die Antragstellerinnen gebe, sich in Deutschland ausschließlicher Verkaufsstätten zu bedienen. Langnese verfüge in anderen Mitgliedstaaten über erhebliche Marktanteile, ohne mit Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu arbeiten. Auch wenn die streitigen Entscheidungen Mars allein oder zusammen mit anderen kleinen Erzeugern wie Warncke die Möglichkeit beließen, Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu schließen, blieben die Einzelhändler doch weiter abhängig von den Antragstellerinnen, da die Erzeugnisse von Langnese und Schöller auf dem deutschen Markt einen sehr guten Ruf hätten. Jedenfalls habe sich Mars verpflichtet, mit ihren Verkaufsstätten keine Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu schließen.

Richterliche Würdigung

36 Der Präsident des Gerichts hat in seinem Beschluß vom 16. Juni 1992 betreffend die Anträge auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung über einstweilige Maßnahmen, die die Kommission in den gegen Langnese und Schöller eingeleiteten Verfahren erlassen hatte, angesichts der besonderen Umstände des Falles eine Übergangslösung angeordnet, die Mars einen Zugang zu den Tankstellen verschaffte, die durch Ausschließlichkeitsverträge mit den Antragstellerinnen gebunden sind. Nach den Informationen, die die Kommission dem Gericht gemäß diesem Beschluß vorgelegt hat, und nach übereinstimmender Ansicht aller Betroffenen hatte diese Marktöffnung für Mars zumindest während des von dem Beschluß erfassten Zeitraums nur wenig Erfolg.

37 Des weiteren sind die streitigen Entscheidungen im Gegensatz zu der von der Kommission am 25. März 1992 erlassenen Entscheidung über einstweilige Maßnahmen nicht mehr allein darauf gerichtet, Mars ungehinderten Zugang zum deutschen Speiseeismarkt zu verschaffen, sondern erklären die von den Antragstellerinnen seit vielen Jahren in Deutschland gehandhabten Vertriebssysteme für unvereinbar mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag. Die streitigen Vereinbarungen entziehen auch den von den Antragstellerinnen mit ihren jeweiligen Wiederverkäufern geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen den Vorteil der Gruppenfreistellung nach der Verordnung Nr. 1984/83 und verweigern für die von Schöller angemeldeten Vereinbarungen eine individuelle Freistellung; zudem untersagen sie den Abschluß neuer Ausschließlichkeitsvereinbarungen bis zum 31. Dezember 1997.

38 Wie der Präsident des Gerichts schließlich bereits in seinem Beschluß vom 16. Juni 1992 festgestellt hat, streiten die Parteien grundlegend über die Bestimmung des relevanten Marktes und über die tatsächlichen Bedingungen des Zugangs zu diesem Markt. Diese Gesichtspunkte lassen sich jedoch im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht vertieft prüfen; vor allem die Bestimmung des relevanten Marktes ist aber von grundlegender Bedeutung für die Frage des Entzugs des Vorteils der Gruppenfreistellung nach der Verordnung Nr. 1984/83, und der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung kann angesichts des Umstands, daß komplexe wirtschaftliche Gegebenheiten zu würdigen sind, die von der Kommission vorgenommene Würdigung nicht durch seine eigene ersetzen.

39 Unter diesen Umständen ist es dem Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung verwehrt, das Vorbringen der Antragstellerinnen dem ersten Anschein nach für völlig unbegründet zu erachten und die Anträge auf Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen deswegen zurückzuweisen (vgl. insbesondere Beschluß des Präsidenten des Gerichts, Langnese und Schöller/Kommission, a. a. O.).

40 Was die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens angeht, ist hervorzuheben, daß ein sofortiger Vollzug der streitigen Entscheidungen, der die Kündigung aller Ausschließlichkeitsvereinbarungen und damit die Gefährdung von seit vielen Jahren auf dem deutschen Markt gehandhabten Vertriebssystemen bedeuten würde, eine Entwicklung auf diesem Markt auslösen kann, bei der die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß sie sich später nur sehr schwer oder gar nicht umkehren ließe, falls den Klagen stattgegeben würde (vgl. zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts, SPO u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 31). Dies gilt um so mehr, als es im vorliegenden Fall nicht mehr nur darum geht, einem einzigen Wettbewerber, nämlich Mars, den Zugang zu Verkaufsstätten zu öffnen, die durch Ausschließlichkeitsverträge an die Antragstellerinnen gebunden sind, wie dies beim Erlaß der einstweiligen Maßnahmen der Fall war, sondern auch darum, diesen Zugang allen Wettbewerbern, also auch jeder der Antragstellerinnen den Zugang zu den ausschließlichen Verkaufsstätten der jeweils anderen zu öffnen. Angesichts der Marktstellung von Langnese und von Schöller lässt sich jedoch nicht ausschließen, daß die Veränderungen, zu denen es im Falle eines sofortigen Vollzugs der streitigen Entscheidungen bis zur Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache auf dem Markt kommen würde, jede Möglichkeit für die Antragstellerinnen endgültig zunichte machen würden, ihre Vertriebssysteme wiederherzustellen, falls das Gericht die streitigen Entscheidungen für nichtig erklären sollte.

41 Zugleich kann eine Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidungen aber auch zu einer Konsolidierung der gegenwärtigen Struktur des Marktes beitragen und es so den Antragstellerinnen ermöglichen, den Zugang zu diesem Markt sowohl für Mars, die an der vollen Nutzung des Vorteils gehindert würde, der für sie in der Übertragung der Bekanntheit ihrer Schokoladenerzeugnisse auf den Speiseeisbereich liegen kann, als auch für die anderen auf dem Markt etablierten Unternehmen mehr und mehr zu erschweren.

42 Auch nach Ansicht der Antragstellerinnen ist Mars der Zugang zu den ausschließlichen Verkaufsstätten der Antragstellerinnen in den Tankstellen nur in begrenztem Umfang gelungen. Die Antragstellerinnen scheinen darüber hinaus einzuräumen, daß ihre Marktstellung angesichts der Geschäftsstrategie von Mars in naher Zukunft praktisch nicht gefährdet wäre.

43 Angesichts einer solchen Sach- und Rechtslage muß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung das Interesse der Beteiligten, einschließlich des Interesses der Kommission daran, daß die nach ihrer Auffassung festgestellte Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags sofort abgestellt wird, in der Weise gegeneinander abwägen, daß sowohl die Schaffung einer unumkehrbaren Lage als auch die Entstehung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für einen der Beteiligten an dem Rechtsstreit vermieden wird (vgl. zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts, SPO u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 38).

44 Die Prüfung der zu den Akten gereichten Schriftstücke und Angaben hat ergeben, daß die von den Antragstellerinnen angeführte unmittelbare Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens angesichts der Funktionsweise des Marktes, der eine gewisse Starrheit aufweist, vor allem in der gegenseitigen Öffnung ihrer jeweiligen ausschließlichen Verkaufsstätten liegt und weniger im Zugang von Mars allein oder zusammen mit anderen Wettbewerbern wie Warncke, Eismann oder Artigel zu diesen Verkaufsstätten, die noch immer in hohem Masse durch Ausschließlichkeitsvereinbarungen über die ihnen von Langnese und Schöller zur Verfügung gestellten Kühltruhen gebunden sind. Die Antragstellerinnen haben auch nicht dargetan, daß sich aus einer sofortigen Anwendung des in den Artikeln 4 der streitigen Entscheidungen ausgesprochenen Verbots, bis zum 31. Dezember 1997 Vereinbarungen der in den Artikeln 1 bezeichneten Art zu schließen, die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens ergibt. Folglich ist eine Aussetzung des Vollzugs dieser Bestimmungen zumindest in diesem Stadium nicht gerechtfertigt.

45 Nach alledem erscheint es angemessen, den Erlaß einstweiliger Anordnungen auf das Maß dessen zu beschränken, was unbedingt erforderlich ist, um die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens zu begrenzen, den ein sofortiger Vollzug der streitigen Entscheidungen für die Antragstellerinnen mit sich bringen könnte. Der Schutz der Interessen jeder der Antragstellerinnen kann in diesem Stadium hinreichend dadurch sichergestellt werden, daß ihnen erlaubt wird, gegenüber der jeweils anderen die Ausschließlichkeit ihrer jeweiligen Verkaufsstätten geltend zu machen.

46 Es ist darauf hinzuweisen, daß ein im Verfahren der einstweiligen Anordnung erlassener Beschluß nach Artikel 108 der Verfahrensordnung auf Antrag einer Partei jederzeit wegen veränderter Umstände abgeändert oder aufgehoben werden kann. Es ist Sache der Antragstellerinnen, sich im Falle einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Vertriebssysteme infolge der Öffnung ihrer ausschließlichen Verkaufsstätten für ihre Wettbewerber an das Gericht zu wenden.

47 Demgemäß ist die einstweilige Anordnung zu treffen, daß Langnese und Schöller die Vereinbarungen über die Ausschließlichkeit ihrer Verkaufsstätten bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts zur Hauptsache untereinander weiter geltend machen können. Zu diesem Zweck ist in den Mitteilungen an die Wiederverkäufer nach den Artikeln 3 der streitigen Entscheidungen neben dem Wortlaut der Artikel 1 und 2 anzugeben, daß die Ausschließlichkeitsvereinbarungen nach dem vorliegenden Beschluß gegenüber Langnese oder Schöller geltend gemacht werden können.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Die Mars GmbH wird in den Rechtssachen T-7/93 R und T-9/93 R als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Antragsgegnerin zugelassen.

2) Den Anträgen der Langnese-Iglo GmbH und der Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG auf vertrauliche Behandlung bestimmter Angaben in ihren Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs wird im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung stattgegeben.

3) Die Rechtssachen T-7/93 R und T-9/93 R werden für die Zwecke des Verfahrens der einstweiligen Anordnung verbunden.

4) Die Langnese-Iglo GmbH und die Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG können die Vereinbarungen betreffend die Ausschließlichkeit ihrer Verkaufsstätten bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts zur Hauptsache untereinander weiter geltend machen.

5) In den Mitteilungen an die Wiederverkäufer nach den Artikeln 3 der streitigen Entscheidungen ist anzugeben, daß die Ausschließlichkeitsvereinbarungen nach dem vorliegenden Beschluß gegenüber der Langnese-Iglo GmbH und gegenüber der Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG geltend gemacht werden können.

6) Im übrigen werden die Anträge auf Aussetzung des Vollzugs zurückgewiesen.

7) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 19. Februar 1993.

Ende der Entscheidung

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