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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 01.10.1992
Aktenzeichen: T-70/91
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat
Vorschriften:
EWG/EAG BeamtStat Art. 11 Anhang VIII | |
EWG/EAG BeamtStat Art. 25 |
Die Verwaltung darf für die Ausübung der durch Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts eingeräumten Möglichkeit, die aufgrund einer nationalen Versorgungsordnung erworbenen Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften übertragen zu lassen, keine strengeren Voraussetzungen aufstellen, als sie in den für die Anwendung dieser Vorschrift erlassenen allgemeinen Durchführungsbestimmungen vorgesehen sind. Die Verwaltung darf einen Antrag auf Übertragung daher nicht allein unter Hinweis auf das Bestehen einer Ausschlußfrist für die Antragstellung zurückweisen, obwohl die allgemeinen Durchführungsbestimmungen hierfür nur eine einfache Frist vorsehen, ohne zu prüfen, ob die von dem Betroffenen geltend gemachten, ausserhalb seines Einflußbereichs liegenden Gründe die Verspätung seines Antrags rechtfertigen können.
URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 1. OKTOBER 1992. - JACQUES MORETTO GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - UEBERTRAGUNG VON FRUEHER ERWORBENEN RUHEGEHALTSANSPRUECHEN AUF DIE GEMEINSCHAFTEN - PUBLIZITAET - AUSSCHLUSSFRIST - BEGRUENDUNG. - RECHTSSACHE T-70/91.
Entscheidungsgründe:
Rechtlicher Rahmen und Sachverhalt
1 Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) sieht vor, daß ein Beamter, der in den Dienst der Gemeinschaften tritt, "bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit" den Wert seines früher erworbenen Ruhegehaltsanspruchs an die Gemeinschaften zahlen lassen kann, um ihn sich in der Versorgungsordnung der Gemeinschaft anrechnen zu lassen.
2 Zu der Art und Weise der Ausübung dieses Rechts ergingen allgemeine Durchführungsbestimmungen, die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1969 erlassen und später mehrfach geändert wurden. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache beschreibt die Kommission die Entwicklung des Wortlauts dieser Bestimmungen wie folgt:
"In der am 1. Juli 1969 in Kraft getretenen und im Personalkurier Nr. 77 vom 29. Juli 1969 veröffentlichten Fassung lautete Artikel 1 Absätze 2 und 3 dieser Bestimmungen:
' Der Antrag muß schriftlich binnen sechs Monaten nach Bekanntgabe der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit gestellt werden; die Nichteinhaltung dieser Bedingung hat den Ausschluß zur Folge.
Ist die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit vor Inkrafttreten der vorliegenden Bestimmungen erfolgt, so läuft diese Frist vom letztgenannten Zeitpunkt an.'
...
Der in der ersten Fassung der allgemeinen Durchführungsbestimmungen enthaltene Passus, wonach die Nichteinhaltung dieser Bedingung den Ausschluß zur Folge haben sollte, war jedoch in einer neuen, am 4. Februar 1972 erlassenen Fassung nicht mehr enthalten. Diese Streichung sollte den Beamten die Berufung auf Gründe ermöglichen, die ausserhalb ihres Einflußbereichs lagen und ihnen nicht zuzurechnen waren.
1977 wurde schließlich eine neue Fassung der allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 Absatz 2 erlassen (und im Personalkurier vom 19. Oktober 1977 veröffentlicht), die noch heute in Kraft ist. Artikel 1 hat in dieser Fassung folgenden Wortlaut:
' Ein Beamter, der nach Ausscheiden aus dem Dienst bei einer Verwaltung, einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder einem Unternehmen in den Dienst der Gemeinschaften tritt, kann bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit folgende Beträge an die Gemeinschaft zahlen lassen:
° den versicherungsmathematischen Gegenwert seines... erworbenen Ruhegehaltsanspruchs oder
° den pauschalen Rückkaufwert, den ihm (die Pensionskasse)... schuldet;
Der Antrag muß innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingereicht werden, die je nach Lage des Falls
° vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit,
° vom Zeitpunkt, von dem an die Übertragung möglich ist,
oder
° vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen
an gerechnet wird.
Es wird jeweils der zuletzt eingetretene Zeitpunkt zugrundegelegt.'
Die Einführung eines dritten Anfangszeitpunkts, nämlich des Zeitpunkts, zu dem die Übertragung möglich wird, hatte ihren Grund darin, daß die Übertragungen für ihre Durchführung entweder den Abschluß von mit den zuständigen nationalen Einrichtungen getroffenen Vereinbarungen oder den Erlaß von geeigneten gesetzlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene voraussetzen. Es hatte sich so als sachgerecht erwiesen, dem betroffenen Beamten die Möglichkeit zu geben, sein Interesse an der Stellung eines Antrags auf Übertragung bei Bedarf in Kenntnis des Inhalts der Vereinbarung oder der gesetzlichen Regelung zu beurteilen."
3 Der Kläger, der die französische Staatsangehörigkeit hat und dessen Muttersprache Französisch ist, trat am 1. Oktober 1986 in den Dienst der Kommission. Nachdem er am 1. Juli 1987 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden war, wurde er am 1. März 1990 von Brüssel nach Luxemburg versetzt. Er war vor seinem Dienstantritt bei der Kommission bei verschiedenen im Großherzogtum Luxemburg ansässigen Unternehmen beschäftigt gewesen und hatte mehrere Jahre lang Beiträge an die luxemburgische Versorgungsordnung abgeführt.
4 Nach Artikel I Artikel 24 Absatz 1 des luxemburgischen Gesetzes vom 22. Dezember 1989 zur Koordinierung der Versorgungsordnungen und zur Änderung einiger Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit (Mémorial 1989, S. 1704), das am 1. Januar 1990 in Kraft trat, wurde "allen bei einer internationalen Einrichtung zu Beamten auf Lebenszeit ernannten Personen", die zuvor Beiträge an eine luxemburgische Versorgungsordnung abgeführt hatten, eine neue Frist von einem Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes eröffnet, innerhalb deren sie die Übertragung ihrer Beiträge auf die Versorgungsordnung dieser Einrichtung beantragen konnten.
5 Am 29. März 1990 veröffentlichte die Kommission in einer an alle Organe gerichteten Sonderausgabe der Verwaltungsmitteilungen eine Mitteilung in französischer Sprache. In dieser Mitteilung wies die Kommission auf die Eröffnung einer "neuen Frist von einem Jahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1990" hin, innerhalb deren im Rahmen des neuen luxemburgischen Gesetzes die Übertragung des in einer luxemburgischen Versorgungsordnung erworbenen Ruhegehaltsanspruchs auf die Versorgungsordnung der Gemeinschaft beantragt werden könne. In der Mitteilung hieß es ausserdem:
"(Die Einreichung des Antrags hat zu diesem Zeitpunkt keinerlei Verpflichtung zur Übertragung des Ruhegehaltsanspruchs zur Folge. Die endgültige Entscheidung trifft der Antragsteller im Zeitpunkt der Übermittlung des Vorschlags zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren nach der Versorgungsordnung der Gemeinschaft.)
Nach den allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts, die in der an alle Organe gerichteten Sonderausgabe des Personalkuriers vom 19. Oktober 1977 veröffentlicht wurden, werden die Beamten auf das Bestehen einer
AUSSCHLUSSFRIST VON 6 MONATEN VOM 1. APRIL 1990 BIS ZUM 30. SEPTEMBER 1990
aufmerksam gemacht.
...
Nach Erhalt des Fragebogens wird die Personalverwaltung den Betroffenen die angemessenen Vorschläge zur Zustimmung unterbreiten."
6 Ausserdem war angegeben, daß zu einem späteren Zeitpunkt eine Übersetzung der Mitteilung in die anderen acht Gemeinschaftssprachen veröffentlicht werde. Diese Veröffentlichung erfolgte am 29. Juni 1990.
7 Am 19. November 1990 reichte der Kläger einen Antrag auf Übertragung seines Ruhegehaltsanspruchs ein. Der Antrag wurde auf einem in italienischer Sprache abgefassten Formular gestellt, das ein Auszug aus der Sonderausgabe der Verwaltungsmitteilungen vom 29. Juni 1990 war. In einem Begleitschreiben, das das Datum des 9. Oktober 1990 trug, führt der Kläger u. a. aus: "Die Verspätung meines Antrags ist zum Teil auf Schwierigkeiten mit der Post infolge meiner Versetzung von Brüssel nach Luxemburg vom 1. März 1990 zurückzuführen." Im Rahmen der vorliegenden Klage hat der Kläger erklärt, daß er von der in der Sonderausgabe der Verwaltungsmitteilungen vom 29. März 1990 erschienenen Mitteilung keine Kenntnis gehabt und erst aufgrund der am 29. Juni 1990 erfolgten Veröffentlichung von der neuen Frist für die Beantragung einer Übertragung des in der luxemburgischen Versorgungsordnung erworbenen Ruhegehaltsanspruchs erfahren habe.
8 Mit Schreiben vom 13. Dezember 1990, das der Kläger am 4. Januar 1991 erhielt, antwortete die Verwaltung auf den Antrag wie folgt:
"Mit Schreiben vom 9. Oktober 1990 haben Sie Ihr Interesse an einer möglichen Übertragung Ihres nationalen Ruhegehaltsanspruchs auf die Europäischen Gemeinschaften bekundet.
Die allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu dem oben angegebenen Artikel schreiben jedoch vor, daß der Antrag schriftlich innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingereicht werden muß, die je nach Lage des Falls
° vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit,
° vom Zeitpunkt, von dem an die Übertragung möglich ist,
oder
° vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der allgemeinen Bestimmungen
an gerechnet wird.
Es wird jeweils der zuletzt eingetretene Zeitpunkt zugrunde gelegt.
In Ihrem Fall hätte der Antrag vor dem 30. September 1990, dem Tag, an dem nach den Verwaltungsmitteilungen vom 29. März 1990 die Ausschlußfrist ablief, eingereicht werden müssen.
Ich muß Ihnen daher leider mitteilen, daß ich Ihren Antrag auf Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts nicht mehr berücksichtigen kann."
9 Am 4. April 1991 legte der Kläger gegen die genannte ablehnende Entscheidung Beschwerde ein. Die Kommission erteilte auf diese Beschwerde innerhalb der in Artikel 90 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Status vorgesehenen Frist von vier Monaten keine Antwort.
Verfahren und Anträge der Parteien
10 Mit Klageschrift, die am 3. Oktober 1991 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. Dezember 1990 beantragt.
11 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.
12 Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen und am 17. Februar 1992 abgeschlossen worden.
13 Der Kläger beantragt,
° die Entscheidung der Kommission, mit der der Antrag auf Übertragung des vom Kläger in der luxemburgischen innerstaatlichen Versorgungsordnung erworbenen Ruhegehaltsanspruchs auf die Versorgungsordnung der Gemeinschaft abgelehnt wurde, aufzuheben;
° der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
° die Klage als unbegründet abzuweisen;
° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.
Begründetheit
14 Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger drei Klagegründe an. Mit dem ersten Klagegrund rügt er einen Verstoß gegen die Artikel 25 und 110 des Statuts sowie gegen die für innerdienstliche Richtlinien geltenden Grundsätze, mit dem zweiten Klagegrund einen Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts und die dazu ergangenen allgemeinen Durchführungsbestimmungen und mit dem dritten Klagegrund einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der ordnungsgemässen Verwaltung sowie die Fürsorgepflicht.
15 Das Gericht hält es für geboten, zunächst den Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts und die dazu ergangenen allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu prüfen.
Vorbringen der Parteien
16 Der Kläger bestreitet, daß die Beklagte das Recht gehabt habe, in der streitigen Mitteilung eine "Ausschlußfrist" festzulegen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Umstand, daß die Kommission 1972 die Bestimmung, wonach die Nichteinhaltung dieser Bedingung (der Frist von sechs Monaten) den Ausschluß zur Folge haben sollte, aus den allgemeinen Durchführungsbestimmungen gestrichen habe. Er bezieht sich ferner auf die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache 124/87, Gritzmann-Martignoni/Kommission (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Juni 1988, Slg. 1988, 3491; Schlussanträge, 3499, Nr. 29).
17 Da Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts selbst keinerlei Ausschlußfrist vorsehe, sei der Grundsatz des Ausschlusses vom Leiter des Referats "Ruhegehälter und Beziehungen zu den ehemaligen Beamten und Bediensteten" ohne gesetzliche Grundlage angeordnet worden. Auch in diesem Zusammenhang verweist der Kläger auf die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Gritzmann-Martignoni (a. a. O.).
18 Die Kommission wendet ein, daß die 1972 erfolgte Streichung des Ausdrucks "Ausschlußfrist" nichts daran ändere, daß die allgemeinen Durchführungsbestimmungen eine Frist festlegten, die von den betroffenen Beamten eingehalten werden müsse, wenn sie die Übertragung ihres in den verschiedenen innerstaatlichen Versorgungsordnungen erworbenen Ruhegehaltsanspruchs beantragten. Die Kommission begründet die Anordnung einer solchen Frist wie folgt:
"[Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII] erkennt daher das Recht des Beamten an, bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit seinen nationalen Ruhegehaltsanspruch an die Gemeinschaft zahlen zu lassen.
Bei wortgetreuer Auslegung dieser Bestimmung wäre der Beamte gehalten, über eine mögliche Übertragung unmittelbar zum Zeitpunkt der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit oder sogar ihrer Bekanntgabe zu entscheiden.
Die Strenge einer solchen Vorschrift hat die Kommission veranlasst, in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen eine Frist (von sechs Monaten) einzuführen, die dem Beamten eine reale Möglichkeit zum Nachdenken gibt, ohne deshalb von Sinn und Zweck der betreffenden Satzungsbestimmung abzuweichen.
...
Über die oben dargelegte Begründung hinaus steht die Festlegung einer Frist für die Einreichung eines Antrags auf Übertragung des Ruhegehaltsanspruchs auch mit anderen Überlegungen in Einklang:
° Der Zweck von Artikel 11 Absatz 2 besteht in der Möglichkeit, auf dem Gebiet der Versorgung Kontinuität zwischen dem innerstaatlichen Sozialversicherungssystem und demjenigen der Gemeinschaft zu gewährleisten, und dies ist nur bei einem unmittelbaren Übergang möglich;
° zweitens entspricht die Festlegung einer Frist der Sorge, eventuelle Spekulationen und die sich daraus möglicherweise ergebenden Ungleichbehandlungen zu verhindern...
° schließlich verlangen Gründe der ordnungsgemässen Verwaltung eine grösstmögliche Vorhersehbarkeit bei der Bearbeitung der Fälle. Bis jetzt haben die zuständigen Dienststellen der Gemeinschaft schon fast 7 000 Anträge auf Übertragung des nationalen Ruhegehaltsanspruchs bearbeitet. Es ist kaum hinnehmbar, daß bei der Verwaltung zu jedem Zeitpunkt Anträge eingereicht werden können, die einen ordnungsgemässen Ablauf ihrer Verwaltungstätigkeit verhindern würden."
19 Nach Auffassung der Kommission ist die Berechtigung der Festlegung einer solchen Frist vom Gerichtshof in der Rechtssache Gritzmann-Martignoni (a. a. O.) anerkannt worden.
20 Die Kommission meint, bei der Festlegung der sich vom 1. April bis zum 30. September 1990 erstreckenden Frist seien die fraglichen allgemeinen Durchführungsbestimmungen eingehalten worden. Ausnahmen von dieser Frist könnten nur bei Vorliegen von Fällen "höherer Gewalt", die auf dem Beamten nicht zurechenbaren Gründen beruhten, zugelassen werden. Solche Umstände seien jedoch vom Kläger nicht vorgetragen worden.
Rechtliche Würdigung
21 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß ° wie der Kläger eingeräumt hat ° die Kommission berechtigt war, allgemeine Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts zu erlassen. Dadurch, daß die Kommission den in Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII enthaltenen Ausdruck "bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit" dahin ausgelegt hat, daß er den Betroffenen eine gewisse, ab ihrer Ernennung zu Beamten auf Lebenszeit laufende Bedenkzeit für die Einreichung eines Antrags auf Übertragung gewährt, und daß sie diese Zeit auf sechs Monate festgesetzt hat, hat sie in keiner Weise die Grenzen der Zuständigkeit überschritten, die ihr die Statutsbestimmungen beim Erlaß von Durchführungsmaßnahmen einräumen. Die so festgelegte Frist ist nämlich angemessen und gewährt, abgesehen von den Fällen, in denen sich der Betreffende aus ihm nicht zurechenbaren Gründen in einer aussergewöhnlichen Lage befindet, eine ausreichende Bedenkzeit.
22 Um die Regelungslücken bei der Anwendung von Artikel 11 des Anhangs VIII des Statuts zu schließen, die darauf zurückzuführen sind, daß es keine ausdrückliche Bestimmung für den Fall gibt, daß die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats keine Anordnung treffen, die die Übertragung eines in der innerstaatlichen Versorgungsordnung erworbenen Ruhegehaltsanspruchs auf die Versorgungsordnung der Gemeinschaft erlaubt, oder aber für den Fall, daß die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats im Rahmen einer Änderung der innerstaatlichen Regelung eine neue Frist für die Einreichung eines Antrags auf Übertragung eröffnen, sehen die allgemeinen Durchführungsbestimmungen vor, daß die für die Einreichung des Antrags bei den Gemeinschaftsbehörden festgelegte Frist von sechs Monaten von dem Zeitpunkt an zu berechnen ist, "von dem an die Übertragung möglich ist". Das Gericht kann auch diese Auslegung, die keinerlei Beschränkung enthält und dem Zweck der fraglichen Satzungsbestimmung entspricht, nicht beanstanden.
23 Ferner ist festzustellen, daß die Kommission die Beamten in der zitierten, an alle Organe gerichteten Sonderausgabe der Verwaltungsmitteilungen vom 29. März 1990 veröffentlichten Mitteilung auf das Bestehen einer "Ausschlußfrist von sechs Monaten" aufmerksam gemacht hat.
24 Zur Natur der in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen festgelegten Frist weist das Gericht zunächst darauf hin, daß der Gerichtshof in seinem Urteil Gritzmann-Martignoni (a. a. O.), in dem er sich zur Anwendung der allgemeinen Durchführungsbestimmungen in ihrer immer noch geltenden Fassung von 1977 geäussert hat, die Frage, "ob der in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen gesetzten Frist Ausschlusscharakter beizumessen ist oder nicht", ausdrücklich offengelassen hat (Randnr. 11). Im vorliegenden Fall hat jedoch die Verwaltung in der genannten Mitteilung eine "Ausschlußfrist" festgelegt, obwohl zum einen die allgemeinen Durchführungsbestimmungen, auf deren Grundlage diese Mitteilung ergangen ist, eine solche nicht vorsehen und zum anderen die Kommission selbst 1972 jeglichen Hinweis auf eine "Ausschlußfrist", die bis zu diesem Zeitpunkt in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen enthalten war, beseitigt hat. Zudem hat die Kommission sowohl in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen als auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß sie es trotz der in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen vorgesehenen einfachen Frist nicht ablehne, Gründe zu berücksichtigen, die ausserhalb des Einflußbereichs des Betroffenen lägen und ihm nicht zuzurechnen seien; dies ist aber nicht möglich, wenn es sich um eine Ausschlußfrist handelt, von der der Betroffene nur im Fall höherer Gewalt freigestellt werden kann.
25 Ohne daß über die Frage zu befinden wäre, ob die Kommission in den allgemeinen Durchführungsbestimmungen eine "Ausschlußfrist" einführen konnte, ist festzustellen, daß ihre Dienststellen jedenfalls nicht ° wie sie es in der Mitteilung vom 29. März 1990 getan haben ° für die Anwendung der fraglichen Regelung strengere Voraussetzungen aufstellen durften, als es die Rechtsgrundlage der allgemeinen Durchführungsbestimmungen erlaubt.
26 Die Kommission hat sich aber in ihrer den Antrag des Klägers ablehnenden Entscheidung vom 13. Dezember 1990, die auf der Grundlage der genannten Regelung und im Anschluß an die streitige Mitteilung erlassen wurde, ausdrücklich und ausschließlich auf das Bestehen eines "Ausschlußzeitpunkts" gestützt, für den es, wie unter Randnummer 25 festgestellt, keine rechtliche Grundlage gibt. Die Kommission glaubte sich daher durch diese Ausschlußfrist gebunden, ohne zu prüfen, ob ausserhalb des Einflußbereichs des Klägers liegende Gründe eine Überschreitung der Frist von sechs Monaten rechtfertigen konnten. Folglich ist die Entscheidung rechtsfehlerhaft.
27 Das Gericht weist ausserdem darauf hin, daß es gegebenenfalls von Amts wegen eine Verletzung der in Artikel 25 des Statuts geregelten Begründungspflicht zu berücksichtigen hat (vgl. zuletzt das Urteil des Gerichts vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache T-45/90, Speybrouck/Parlament, Slg. 1992, II-33, Randnr. 89).
28 Hierzu ist festzustellen, daß, obwohl es in dem dem Antrag beigefügten Begleitschreiben vom 9. Oktober 1990 heisst, daß "die Verspätung des Antrags... zum Teil auf Schwierigkeiten mit der Post infolge der Versetzung des Klägers von Brüssel nach Luxemburg am 1. März 1990 zurückzuführen" sei, die Entscheidung vom 13. Dezember 1990 nur auf den angeblichen "Ausschlußzeitpunkt" abstellt, ohne darüber hinaus der Frage nachzugehen, ob es in der Person des Klägers besondere Gründe gab, die, wie dieser behauptet, die Verspätung seines Antrags zu entschuldigen geeignet sind.
29 Somit hat die Kommission dadurch, daß sie, ohne andere Gründe als das Bestehen einer Ausschlußfrist anzuführen, die vom Kläger im Begleitschreiben vom 9. Oktober 1990 vorgebrachte Entschuldigung zur Verspätung seines Antrags zurückgewiesen hat, die in Artikel 25 Absatz 2 des Statuts geregelte Pflicht, ihre Entscheidung mit Gründen zu versehen, verletzt, so daß diese unzureichend begründet ist.
30 Da die Entscheidung deshalb sowohl rechtsfehlerhaft als auch unzureichend begründet ist, hat die Kommission wesentliche Formvorschriften und die fraglichen allgemeinen Durchführungsbestimmungen in einer Weise verletzt, die sich auf die Rechtmässigkeit ihrer Entscheidung vom 13. Dezember 1990 auswirkt. Folglich ist diese aufzuheben, ohne daß über die anderen Klagegründe entschieden zu werden braucht.
Kostenentscheidung:
Kosten
31 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr sämtliche Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die Entscheidung der Kommission vom 13. Dezember 1990 wird aufgehoben.
2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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