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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 04.12.1991
Aktenzeichen: T-78/91
Rechtsgebiete: Beamtenstatut, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 90
Beamtenstatut Art. 91
EWG-Vertrag Art. 173
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Grundsätzlich muß jeder Klage, die ein Beamter gegen das Organ erhebt, dem er angehört, zwingend eine vorherige Verwaltungsbeschwerde vorausgehen, die ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen worden ist. Eine vor dem Abschluß dieses Vorverfahrens eingereichte Klage ist verfrüht und daher nach Artikel 91 Absatz 2 des Statuts unzulässig.

2. Eine Gewerkschaft kann im Rahmen von Artikel 91 des Statuts keine Klage erheben, da die in dieser Bestimmung vorgesehene Klage nur den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, nicht aber den Gewerkschaften offensteht.

3. Die Klage einer Gewerkschaft gegen ein Organ gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, die einen Rechtsstreit im Bereich des öffentlichen Dienstes betrifft, fällt nicht in die dem Gericht erster Instanz durch Artikel 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 übertragenen Zuständigkeiten. Wird das Gericht mit einer solchen Klage befasst, muß es sie an den Gerichtshof verweisen.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 4. DEZEMBER 1991. - ANDREW MACRAE MOAT UND ASSOCIATION DES FONCTIONNAIRES INDEPENDANTS POUR LA DEFENSE DE LA FONCTION PUBLIQUE EUROPEENNE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - OFFENSICHTLICHE UNZULAESSIGKEIT UND FEHLENDE ZUSTAENDIGKEIT. - RECHTSSACHE T-78/91.

Entscheidungsgründe:

1 Andrew Macrä Moat, Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, sowie die Association of Independent Officials for the Defence of the European Civil Service (TAO/AFI) haben mit Klageschrift, die am 30. Oktober 1991 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, bezueglich des Klägers Moat gemäß den Artikeln 90 und 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) und bezueglich der TAO/AFI gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage erhoben, erstens auf Nichtigerklärung der von der Kommission am 18. Oktober 1991 veranstalteten Abstimmung des Personals über den vom Ausschuß der Ständigen Vertreter beim Rat und den Personalvertretern erreichten Kompromiß über die Methode für die Anpassung der Bezuege der Beamten, zweitens auf Feststellung, daß die TAO/AFI und andere Gewerkschaften und Berufsverbände berechtigt sind, die Verhandlungen gemäß der vom Rat in seiner 713. Sitzung vom 22. und 23. Juni 1981 erlassenen Entscheidung zur Einführung eines Konzertierungsverfahrens (im folgenden: Entscheidung vom 22. und 23. Juni 1981) fortzuführen, und drittens auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung erhöhten Schadensersatzes von 1 000 000 BFR an die TAO/AFI.

2 Der in der Klage dargestellte Sachverhalt kann wie folgt zusammengefasst werden. Seit Mai 1991 führten die Gewerkschaften und Berufsverbände, die unter den Bediensteten der Kommission Mitglieder haben, Verhandlungen über die Anpassung der Bezuege der Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften. Dies geschah im Rahmen der Entscheidung vom 22. und 23. Juni 1981, durch die für den Fall von Meinungsverschiedenheiten über Vorschläge zur Änderung des Statuts oder zur Durchführung von dessen Bestimmungen ein Konzertierungsverfahren zwischen dem Rat und dem Personal, vertreten durch die Gewerkschaften und Berufsverbände, eingeführt wurde. Diese Verhandlungen waren noch nicht bis zu den in den Abschnitten II und III der Entscheidung vom 22. und 23. Juni 1981 vorgesehenen Stadien der Gespräche mit den Ratsmitgliedern und des Schiedsverfahrens fortgeschritten, als der Generalsekretär der Kommission, Herr Williamson, und der Leiter der Generaldirektion "Personal und Verwaltung", Herr De Koster, in einer Mitteilung vom 15. Oktober 1991 ankündigten, daß am 18. Oktober 1991 eine geheime Abstimmung der Beamten und sonstigen Bediensteten über den vom Vorsitzenden des Ausschusses der Ständigen Vertreter vorgeschlagenen Kompromiß über die Methode für die Anpassung der Bezuege veranstaltet werde. In einer weiteren, von einem Mitglied der Kommission, Herrn Cardoso e Cunha, unterzeichneten Mitteilung vom 15. Oktober 1991 gab die Kommission ihrem Personal bekannt, daß ihrer Ansicht nach die Verhandlungen beendet werden müssten, und forderte die Bediensteten auf, dem vorgeschlagenen Kompromiß zuzustimmen. Am 17. Oktober 1991 legte der Kläger Moat in seiner Eigenschaft als Präsident der Brüsseler Sektion der TAO/AFI gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts Beschwerde ein, mit der er die Rücknahme der beiden oben genannten Mitteilungen vom 15. Oktober 1991 beantragte. Die angekündigte Abstimmung fand am 18. Oktober 1991 statt. Die Kläger machen geltend, daß es vor und während der Durchführung dieser Abstimmung zu Unregelmässigkeiten gekommen sei und daß ihre Veranstaltung gegen Artikel 24 a des Statuts verstosse, der die Vereinigungsfreiheit garantiere.

3 Soweit die Klage von Herrn Moat erhoben worden ist, ist erstens darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jeder Klage gemäß Artikel 179 EWG-Vertrag, die ein Beamter gegen das Organ, bei dem er beschäftigt ist, erhebt, zwingend eine Beschwerde vorausgehen muß, die ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen worden ist. Eine vor dem Abschluß dieses Vorverfahrens eingereichte Klage ist verfrüht und daher nach Artikel 91 Absatz 2 des Statuts unzulässig (siehe z. B. Beschluß des Gerichtshofes vom 23. September 1986 in der Rechtssache 130/86, Du Besset/Rat, Slg. 1986, 2619, 2621; Urteil des Gerichtshofes vom 7. Oktober 1987 in der Rechtssache 401/85, Schina/Kommission, Slg. 1987, 3911, 3929; Urteil des Gerichts vom 20. Juni 1990 in den verbundenen Rechtssachen T-47/89 und T-82/89, Marcato/Kommission, Slg. 1990, II-231, 241).

4 Im vorliegenden Fall hat der Kläger Moat am 17. Oktober 1991 in seiner Eigenschaft als Präsident der Brüsseler Sektion der TAO/AFI eine Beschwerde eingelegt. Er hat dann die vorliegende Klage erhoben, ohne die ausdrückliche Zurückweisung dieser Beschwerde durch die Kommission oder den als stillschweigende Zurückweisung geltenden Ablauf der in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehenen Frist von vier Monaten abzuwarten. Unter diesen Umständen ist, ohne daß das Vorliegen der übrigen in Artikel 91 Absatz 2 des Statuts aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft werden müsste, festzustellen, daß die Klage, soweit sie von Herrn Moat erhoben worden ist, offensichtlich unzulässig ist.

5 Gemäß Artikel 111 der Verfahrensordnung des Gerichts kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. Da die Klage, soweit sie von Herrn Moat erhoben worden ist, offensichtlich unzulässig ist, ist sie in Anwendung von Artikel 111 der Verfahrensordnung abzuweisen, ohne daß es erforderlich wäre, die Klageschrift zuvor der Kommission zuzustellen.

6 Soweit die Klage von der TAO/AFI erhoben worden ist, ist zweitens festzustellen, daß das Gericht gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften im ersten Rechtszug die dem Gerichtshof übertragenen Zuständigkeiten bei Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten im Sinne des Artikels 179 EWG-Vertrag ausübt. Bei Klagen, die von einer natürlichen oder juristischen Person gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag gegen ein Organ der Gemeinschaft erhoben werden, ist das Gericht gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c nur zuständig, wenn sie die Anwendung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsvorschriften zum Gegenstand haben.

7 Wie die TAO/AFI in ihrer Klageschrift selbst angegeben hat, stützt sich ihre Klage auf Artikel 173 EWG-Vertrag. Sie hätte im übrigen nicht wirksam gemäß Artikel 91 des Statuts erhoben werden können, da die in Artikel 91 vorgesehene Klage nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe Urteile vom 8. Oktober 1974 in der Rechtssache 175/73, Gewerkschaftsbund u. a./Rat, Slg. 1974, 917, 926, in der Rechtssache 18/74, Allgemeine Gewerkschaft/Kommission, Slg. 1974, 933, 945, und vom 11. Mai 1989 in den verbundenen Rechtssachen 193/87 und 194/87, Maurissen u. a./Rechnungshof, Slg. 1989, 1045, 1075) nur den Beamten und sonstigen Bediensteten, nicht aber den Gewerkschaften offensteht. Die Klage einer Gewerkschaft gegen ein Organ gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, die einen Rechtsstreit im Bereich des öffentlichen Dienstes betrifft, fällt nicht in den Geltungsbereich von Artikel 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988. Das Gericht ist daher für eine solche Klage offensichtlich unzuständig. Gleiches gilt für die übrigen Klageanträge, mit denen die TAO/AFI beantragt, aufgrund der Nichtigkeit der angefochtenen Handlung festzustellen, daß sie zur Fortführung der Verhandlungen berechtigt ist, sowie die Kommission zur Zahlung erhöhten Schadensersatzes zu verurteilen.

8 Gemäß Artikel 47 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG verweist das Gericht den Rechtsstreit an den Gerichtshof, wenn es feststellt, daß es für eine Klage nicht zuständig ist, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fällt. Gemäß Artikel 112 der Verfahrensordnung des Gerichts erfolgt diese Verweisung im Fall offensichtlicher Unzuständigkeit ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß, der mit Gründen zu versehen ist. Im vorliegenden Fall ist daher die Klage, soweit sie von der TAO/AFI erhoben worden ist, an den Gerichtshof zu verweisen, ohne daß es erforderlich wäre, die Klageschrift zuvor der Kommission zuzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

Das Gericht hat über die Kosten zu entscheiden, soweit die Klage im vorliegenden Beschluß für unzulässig erklärt wird. Da der Beschluß vor der Zustellung der Klageschrift an die Beklagte ergeht, genügt es, gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts zu entscheiden, daß der Kläger Moat seine eigenen Kosten zu tragen hat. Die Entscheidung über die Kosten, die insoweit anfallen, als die Klage von der TAO/AFI erhoben worden ist, ist Sache des Gerichtshofes.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie vom Kläger Moat erhoben worden ist.

2) Die Klage wird an den Gerichtshof verwiesen, soweit sie von der TAO/AFI erhoben worden ist.

3) Der Kläger Moat trägt seine eigenen Kosten.

4) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten, soweit die Klage von der TAO/AFI erhoben worden ist.

Luxemburg, den 4. Dezember 1991.

Ende der Entscheidung

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