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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 06.04.1995
Aktenzeichen: T-80/89
Rechtsgebiete: VO 17, VerfO EuG, EWG, GeschO Komm, EG
Vorschriften:
VO 17 Art. 3 Abs. 1 | |
VerfO EuG Art. 64 § 3 | |
EWG Art. 85 | |
EWG Art. 173 | |
GeschO Komm Art. 12 | |
EG Art. 230 |
2. Der Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Stelle beschlossenen Rechtsakts stellt sowohl für die Gemeinschaftsorgane wie für die Rechtssubjekte, deren rechtliche und sachliche Lage von einer Entscheidung dieser Organe berührt wird, einen wesentlichen Faktor der Rechtssicherheit und der Stabilität der Rechtsverhältnisse in der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Nur die strikte, uneingeschränkte Beachtung dieses Grundsatzes gibt die Gewißheit, daß der einmal beschlossene Rechtsakt nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln geändert werden kann und daß folglich der zugestellte oder veröffentlichte Rechtsakt eine exakte Abschrift des beschlossenen Rechtsakts darstellt, die damit den Willen der zuständigen Stelle getreu wiedergibt.
Ein Verstoß gegen diese Unantastbarkeit liegt vor, wenn an einem vom Kommissionskollegium erlassenen Rechtsakt Änderungen oder Zusätze angebracht wurden, die nach der Annahme des Rechtsakts erfolgten und nicht rein orthographischer oder syntaktischer Art sind und daher von einer hierzu nicht befugten Person vorgenommen worden sein müssen; dies gilt ungeachtet der Tragweite, der Bedeutung oder der Wesentlichkeit dieser Änderungen.
3. Die Beachtung des Prinzips der kollegialen Verantwortlichkeit der Kommission und insbesondere das Erfordernis, daß die Entscheidungen von sämtlichen Mitgliedern der Kommission beraten werden, sind für alle von den Rechtswirkungen dieser Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig insoweit von Interesse, als die Adressaten der Entscheidungen die Gewähr dafür haben müssen, daß diese tatsächlich vom Kollegium getroffen worden sind und dessen Willen genau entsprechen.
Dies gilt insbesondere für die ausdrücklich als Entscheidungen gekennzeichneten Rechtsakte, die die Kommission gegenüber Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Interesse der Einhaltung der Wettbewerbsregeln erlässt und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber diesen Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können.
Derartige Entscheidungen sind gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag, der verlangt, daß die Kommission die Erwägungen darstellt, die sie zum Erlaß einer Entscheidung geführt haben, um dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen und die Mitgliedstaaten sowie die betroffenen Staatsangehörigen darüber zu unterrichten, in welcher Weise sie den Vertrag angewandt hat, stets mit Gründen zu versehen. Da der verfügende Teil und die Begründung einer Entscheidung somit ein unteilbares Ganzes darstellen, ist es nach dem Kollegialprinzip ausschließlich Sache des Kollegiums, beide zugleich anzunehmen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung bedeutet, daß am Wortlaut eines Rechtsakts nach seiner förmlichen Annahme durch das Kollegium nur noch rein orthographische oder grammatikalische Anpassungen vorgenommen werden dürfen, weil jede andere Änderung in die ausschließliche Zuständigkeit des Kollegiums fällt.
4. Eine Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, mit der mehreren Unternehmen Verpflichtungen und erhebliche Geldbussen auferlegt werden und die insoweit ein vollstreckbarer Titel ist, berührt die Rechte und Pflichten dieser Unternehmen und ihr Vermögen erheblich. Die Annahme einer solchen Entscheidung in einer verbindlichen Sprache lässt sich also nicht als schlichte Maßnahme der Geschäftsführung oder der Verwaltung ansehen, die von einem Mitglied der Kommission aufgrund Ermächtigung erlassen werden kann, ohne daß das in Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission ausdrücklich anerkannte Kollegialprinzip unmittelbar verletzt würde.
5. Ein Mitglied der Kommission kann die Begleitschreiben der Entscheidung der Kommission, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, unter den in Artikel 12 Absatz 3 der Geschäftsordnung der Kommission vorgesehenen Voraussetzungen unterzeichnen. Eine solche Unterschrift, die am Tag des Ablaufs des Mandats des Mitglieds der Kommission angebracht wurde, räumt jedoch nicht den Mangel der Unzuständigkeit aus, mit dem der Rechtsakt behaftet ist, wenn nachgewiesen wird, daß das Datum der Annahme des Rechtsakts nach dem Datum des Ablaufs des Mandats des Mitglieds liegt. Folglich ist ein Rechtsakt, der von keinem Mandatsträger handschriftlich unterzeichnet worden ist und bei dem festgestellt wird, daß er frühestens nach Ablauf des Mandats des Mitglieds der Kommission endgültig beschlossen worden ist, wegen Unzuständigkeit in zeitlicher Hinsicht rechtswidrig.
6. Die in Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission vorgesehene Ausfertigung der Rechtsakte soll die Rechtssicherheit gewährleisten, indem sie den vom Kollegium angenommenen Wortlaut in allen verbindlichen Sprachen feststellt. Damit ermöglicht sie es, im Streitfall die vollkommene Übereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichten Texte mit dem angenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sie erlassenden Stelle zu prüfen. Die Ausfertigung stellt somit eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Artikels 173 EWG-Vertrag dar, wegen deren Verletzung die Nichtigkeitsklage gegeben ist.
7. Für die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane spricht die Vermutung der Gültigkeit, und sie entfalten daher selbst dann, wenn sie fehlerhaft sind, Rechtswirkungen, solange sie nicht aufgehoben oder zurückgenommen werden; als Ausnahme von diesem Grundsatz entfalten jedoch Rechtsakte, die offenkundig mit einem derart schweren Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren kann, keine - nicht einmal vorläufige - Rechtswirkung, sind also rechtlich inexistent.
Die Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsakts der Gemeinschaftsorgane verbunden sind, verlangt aus Gründen der Rechtssicherheit, daß diese Feststellung auf ganz aussergewöhnliche Fälle beschränkt wird.
Dies ist nicht der Fall, wenn feststeht, daß die Kommission tatsächlich beschlossen hat, den verfügenden Teil einer Entscheidung anzunehmen, unabhängig davon, mit welchen Fehlern diese Entscheidung auch behaftet sein mag, und wenn im übrigen die Zuständigkeits- und Formfehler betreffend das Verfahren für den Erlaß der Entscheidung nicht derart schwerwiegend sind, daß diese als rechtlich inexistent betrachtet werden müsste.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE KAMMER) VOM 6. APRIL 1995. - BASF AG UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VERFAHREN - ZUSTAENDIGKEIT - GESCHAEFTSORDNUNG DER KOMMISSION. - RECHTSSACHE T-80/89.
Entscheidungsgründe:
Der Sachverhalt, die angefochtene Entscheidung und der allgemeine Verfahrensablauf
1 Infolge von Nachprüfungen im Polypropylensektor, die am 13. und 14. Oktober 1983 aufgrund von Entscheidungen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, S. 204), durchgeführt worden waren, schöpfte die Kommission Verdacht, daß ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag bei Polyäthylen niedriger Dichte (nachstehend: LDPE) vorliegen könnte, und legte eine Akte darüber an. Anschließend führte sie in den Geschäftsräumen der betroffenen Unternehmen verschiedene Nachprüfungen durch und richtete mehrere Auskunftsverlangen an diese Unternehmen.
2 Am 24. März 1988 eröffnete die Kommission nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 von Amts wegen ein Verfahren gegen folgende achtzehn LDPE-Hersteller: Atochem SA (nachstehend: Atochem), BASF AG (nachstehend: BASF), BP Chemicals Ltd (nachstehend: BP), Bayer AG (nachstehend: Bayer), Chemie Holding AG (nachstehend: Chemie Holding), The Dow Chemical Company (nachstehend: Dow Chemical), DSM NV und DSM Kunststoffen BV (nachstehend: DSM), Exxon Chemicals International Inc. (nachstehend: Exxon), Enichem SpA (nachstehend: Enichem), Hoechst AG (nachstehend: Hoechst), Imperial Chemical Industries plc (nachstehend: ICI), Monsanto Company (nachstehend: Monsanto), Montedison SpA (nachstehend: Montedison), Neste Oy (nachstehend: Neste), Orkem SA (nachstehend: Orkem), Repsol Quimica SA (nachstehend: Repsol), Shell International Chemical Company Ltd (nachstehend: Shell International Chemical) und Statoil den Norske Stats Oljeselskap AS (nachstehend: Statoil). Am 5. April 1988 übermittelte die Kommission jedem dieser Unternehmen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, S. 2268), in der sie behauptete, daß die genannten achtzehn Unternehmen an einer Grundvereinbarung beteiligt seien, "deren Durchführung durch eine ganze Reihe von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen geschieht, die auf ein Kartell hinauslaufen, aufgrund dessen sich die Hersteller von thermoplastischem LDPE, die den Markt der Europäischen Gemeinschaften beliefern, von etwa 1974 bis zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen November 1984 und jetzt in regelmässigen Sitzungen trafen, um 'Zielpreise' und/oder 'Mindestpreise' festzulegen, Quoten oder 'Absatzziele' zu vereinbaren, ihre Marktaktivitäten zu koordinieren und die Durchführung der vorerwähnten Absprachen zu überwachen".
3 Sämtliche Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte reichten im Juni 1988 eine schriftliche Stellungsnahme ein. Aufgrund der Stellungnahme von Exxon stellte die Kommission das Verfahren gegen dieses Unternehmen ein. Mit Ausnahme von Shell International Chemical baten alle anderen Unternehmen, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet war, um mündliche Anhörung, die vom 12. bis 16. und am 19. September 1988 in Brüssel stattfand. Am 1. Dezember 1988 gab der Beratende Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen seine Stellungnahme zu dem Entscheidungsvorschlag der Kommission ab.
4 Am 17. März 1989 wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die "Entscheidung 89/191/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE)" (ABl. 1989, L 74, S. 21, nachstehend: Entscheidung) veröffentlicht, die den Unternehmen im Februar 1989 zugestellt worden war. Der verfügende Teil der derart zugestellten und veröffentlichten Entscheidung enthält u. a. die drei folgenden Artikel:
"Artikel 1
Atochem SA, BASF AG, BP Chemicals Ltd, Bayer AG, Chemie Holding AG, The Dow Chemical Company, DSM NV, Enichem SpA, Hoechst AG, Imperial Chemical Industries plc, Montedison SpA, Monsanto Company, Neste Oy, Orkem SA, Repsol Quimica SA, Shell International Chemical Co. Ltd, Statoil ° Den Norske Stats Oljeselskap AS haben gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen, indem sie (in den in dieser Entscheidung genannten Zeiträumen) an einer Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, die etwa im September 1976 beschlossen wurde und auf deren Grundlage die LDPE-Hersteller, die Kunden in der Gemeinschaft beliefern, an regelmässigen Sitzungen teilnahmen, um Zielpreise und Zielquoten festzusetzen, abgestimmte Initiativen zur Anhebung des Preisniveaus zu planen und die Anwendung der besagten geheimen Vereinbarungen zu kontrollieren.
Artikel 2
Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, die nach wie vor auf dem LDPE-Sektor in der EG tätig sind, sind verpflichtet, die festgestellte Zuwiderhandlung unverzueglich abzustellen (falls sie es noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer LDPE-Geschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum allgemeinen Austausch von den LDPE-Sektor betreffenden Informationen, dem sich die Hersteller anschließen, muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt; insbesondere dürfen die Unternehmen untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.
Artikel 3
Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:
(i) Atochem SA:eine Geldbusse von 3 600 000 ECU;
(ii) BASF AG:eine Geldbusse von 5 500 000 ECU;
(iii) BP Chemicals Ltd:eine Geldbusse von 750 000 ECU;
(iv) Bayer AG:eine Geldbusse von 2 500 000 ECU;
(v) Chemie Holding AG:eine Geldbusse von 500 000 ECU;
(vi) DOW Chemical Company:eine Geldbusse von 2 250 000 ECU;
(vii) DSM NV:eine Geldbusse von 3 300 000 ECU;
(viii) Enichem SpA:eine Geldbusse von 4 000 000 ECU;
(ix) Hoechst AGeine Geldbusse von 1 000 000 ECU;
(x) Imperial Chemical
Industries plc:eine Geldbusse von 3 500 000 ECU;
(xi) Montedison SpA:eine Geldbusse von 2 500 000 ECU;
(xii) Monsanto Company:eine Geldbusse von 150 000 ECU;
(xiii) Neste Oy:eine Geldbusse von 1 000 000 ECU;
(xiv) Orkem SA:eine Geldbusse von 5 000 000 ECU;
(xv) Repsol Quimica SA:eine Geldbusse von 100 000 ECU;
(xvi) Shell International
Chemical Co. Ltd:eine Geldbusse von 850 000 ECU;
(xvii) Statoil ° Den Norske
Stats Oljeselskap AS:eine Geldbusse von 500 000 ECU."
5 Die von der angefochtenen Entscheidung betroffenen siebzehn Unternehmen haben bis auf BP zwischen dem 30. März 1989 und dem 10. Mai 1989 Nichtigkeitsklage beim Gerichtshof erhoben. Der Gerichtshof hat die vorliegenden Rechtssachen mit Beschlüssen vom 15. November 1989 gemäß Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 14 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht verwiesen.
6 Das Gericht (Zweite Kammer) hat mit Beschluß vom 8. Dezember 1989 die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit, die die Kommission gegen die Klage von Shell International Chemical in der Rechtssache T-103/89 erhoben hat, dem Endurteil vorbehalten.
7 Mit prozeßleitender Maßnahme vom 3. Dezember 1991 hat das Gericht der Kommission aufgegeben, das Protokoll der Sitzung des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988 sowie den Text der Entscheidung, wie sie vom Kommissionskollegium angenommen worden ist, vorzulegen.
8 Am 11. Dezember 1991 hat eine gemäß Artikel 64 § 3 der Verfahrensordnung einberufene Sitzung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung stattgefunden.
9 Nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens sind die Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89 durch Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 22. Januar 1992 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden worden.
10 Mit Beweisbeschluß vom 10. März 1992 hat das Gericht der Kommission aufgegeben, "eine beglaubigte Abschrift der Urschrift der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) vorzulegen, wie sie das Kommissionskollegium in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1988 beschlossen hat und wie sie gemäß der Geschäftsordnung der Kommission festgestellt worden ist", und zwar in den sprachlichen Fassungen, in denen diese Entscheidung ergangen ist.
11 Mit prozeßleitender Maßnahme vom 2. April 1992 hat das Gericht die Klägerinnen aufgefordert, unter Berücksichtigung des sogenannten "PVC"-Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315) zu den Schriftstücken Stellung zu nehmen, die die Kommission aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10. März 1992 vorgelegt hat.
12 Am 15. Mai 1992 hat eine weitere Sitzung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung stattgefunden.
13 Die mündliche Verhandlung hat am 16. Juni 1992 stattgefunden.
14 Das Gericht hält es, nachdem die Parteien hierzu in der mündlichen Verhandlung gehört wurden, für angebracht, sämtliche genannten Rechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.
Die Anträge der Parteien
15 Die Klägerinnen beantragen in ihren Klageschriften,
° die Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.866, LDPE) für nichtig zu erklären, hilfsweise, die gegen sie in Artikel 3 der genannten Entscheidung festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder herabzusetzen;
° der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Montedison beantragt ausserdem, die Kommission zum vollständigen Ersatz der im Laufe des Verwaltungsverfahrens entstandenen Kosten sowie zum Ersatz des gesamten ihr aus der Durchführung der angefochtenen Entscheidung entstandenen Schadens zu verurteilen.
16 Die Kommission beantragt,
° die Klage von Shell International Chemical als verspätet und damit unzulässig abzuweisen;
° die übrigen Klagen als unbegründet abzuweisen;
° den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
17 Ergänzend zu ihren in ihren Klageschriften gestellten Anträgen beantragen die Klägerinnen in ihren Stellungnahmen, die sie auf die Aufforderung des Gerichts vom 2. April 1992 eingereicht haben,
° festzustellen, daß der den Klägerinnen zugestellte, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 17. März 1989 (L 74, S. 21 bis 44) veröffentlichte Rechtsakt mit dem Titel "Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.866 ° LDPE) (89/191/EWG)" inexistent ist;
° hilfsweise, diesen Rechtsakt für unwirksam zu erklären;
° der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Die vom Gericht angeordneten Maßnahmen der Prozeßleitung und der Beweisaufnahme
A ° Das schriftliche Vorbringen der Parteien, das das Gericht zum Erlaß der prozeßleitenden Maßnahme vom 3. Dezember 1991 veranlasst hat
18 Unter Punkt A IV ihrer Klageschrift mit der Überschrift "Verletzung der Begründungspflicht zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung" macht die BASF unter Berufung auf das sogenannte Legehennen-Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 131/86 (Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 905) geltend, Artikel 190 EWG-Vertrag verpflichte die Kommission, bei Erlaß einer Entscheidung auch die Gründe zu beschließen, die deren integraler Bestandteil seien. Die Klägerin folgert hieraus, es fehle an einer wirksamen Entscheidung, wenn eine Entscheidung ohne jede oder ohne ausreichende oder ohne vollständig fertiggestellte Begründung ergangen sei oder wenn die Begründung einer Entscheidung nachträglich geändert worden sei.
19 Im vorliegenden Fall sei die angefochtene Entscheidung auf den 21. Dezember 1988 datiert. Das Anschreiben, mit dem die Entscheidung übermittelt worden sei, trage das Datum vom 5. Januar 1989 und sei unterzeichnet "Für die Kommission P. Sutherland, Mitglied der Kommission". Die Beklagte habe aber der Klägerin am 21. Dezember 1988 ein Fernschreiben geschickt, in dem sie behaupte, sie habe am 22. Dezember 1988 eine Entscheidung erlassen. Es möge sein, daß es sich hierbei um einen Schreibfehler handele; feststehe jedenfalls, daß am 21. Dezember 1988 die Entscheidung entweder keine oder eine andere Begründung gehabt habe als die, die der Klägerin zugestellt worden sei. Das ergebe sich aus folgendem: Bei einem Versuch der Klägerin, zwischen dem 21. Dezember 1988 und dem 3. Februar 1989, dem Tag der Zustellung der Entscheidung, eine offizielle Zustellung der Entscheidung zu bekommen, sei ihr von Beamten der Kommission mitgeteilt worden, es gebe keinen fertiggestellten Text in deutscher Sprache; infolgedessen könne man eine Zustellung nicht vornehmen. Allein die Zeitspanne zwischen der Beschlußfassung über die Entscheidung und deren Zustellung beweise, daß eine inhaltliche Überarbeitung der Gründe der Entscheidung stattgefunden habe. Die Entscheidung sei daher nichtig.
20 Unter Hinweis auf die Erklärung der Kommission, daß die Entscheidung auf der Grundlage des englischen, des französischen und des deutschen Textes getroffen worden sei, trägt die BASF in ihrer Erwiderung vor, daß die Kommission weder nach den Bestimmungen über die Verteilung der den Gemeinschaftsorganen zugewiesenen Zuständigkeiten noch nach zutreffender Auslegung des Artikels 235 EWG-Vertrag das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied habe ermächtigen können, die Entscheidung in den anderen verbindlichen Sprachen zu erlassen. Zur Klärung dieses gesamten Komplexes beantragt die Klägerin, der Kommission aufzugeben, die Entscheidungsentwürfe vom 21. Dezember 1988 vorzulegen und den Parteien zugänglich zu machen.
21 Bayer macht in ihrer Klageschrift geltend, aus dem Zeitraum, der zwischen dem Erlaß der Entscheidung kurz vor Ablauf des Mandats des zuständigen Kommissionsmitglieds und der Mitteilung der Entscheidung am 10. Februar 1989 verstrichen ist, ergebe sich, daß die Entscheidungsbegründung am 21. Dezember 1988 noch nicht fertiggestellt gewesen sei. Die Begründung sei integraler Bestandteil einer Entscheidung, und eine der Voraussetzungen für die Gültigkeit einer Entscheidung nach den Artikeln 3 und 15 der Verordnung Nr. 17 sei, daß sie insgesamt, also sowohl ihre Begründung als auch ihr Tenor, angenommen worden sei. Seien die Gründe einer Entscheidung festgelegt, seien Nachbesserungen, auch wenn sie erforderlich erschienen, nicht mehr möglich. Unter Hinweis auf das genannte Legehennen-Urteil macht Bayer geltend, daß Rechtsakte der Gemeinschaft dann nichtig seien, wenn ihre Begründung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht endgültig fertiggestellt sei. Deshalb regt Bayer an, der Kommission aufzugeben, den Entscheidungsentwurf, wie er von dem Kommissionskollegium angenommen worden sei, vorzulegen.
22 Atochem wirft in ihrer Klageschrift angesichts des Zeitraums zwischen dem die Entscheidung ankündigenden Fernschreiben und der Entscheidungszustellung die Frage auf, ob der zugestellte Text dem Text entspreche, über den die Kommission entschieden habe.
23 Enichem macht in ihrer Klageschrift geltend, zwischen der Annahme der Entscheidung und ihrer Zustellung sei ein erheblicher Zeitraum verstrichen, so daß der zugestellte und veröffentlichte Text möglicherweise nicht dem angenommenen entspreche, was die Nichtigkeit der den Parteien zugestellten Entscheidung zur Folge hätte. Der Gemeinschaftsrichter solle der Kommission aufgeben, den Text, auf dessen Grundlage die Entscheidung vom 21. Dezember 1988 erlassen worden sei, in der Arbeitssprache der Kommission vorzulegen. Im übrigen sei die Entscheidung vor der Erstellung des endgültigen Protokolls der Anhörung der Klägerinnen durch die Kommission ergangen; dieses sei nämlich erst am 13. Februar 1989 fertiggestellt worden. Folglich habe weder der Beratende Ausschuß noch das Kommissionskollegium noch das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission vom endgültigen Protokoll der Anhörung Kenntnis nehmen können, so daß der Anhörung vor der Kommission jede Bedeutung genommen worden sei.
24 Hoechst trägt in ihrer Klageschrift und ihrer Erwiderung vor, daß die in Artikel 190 EWG-Vertrag vorgeschriebene Begründung der Entscheidung die wichtigsten rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen darlegen müsse, auf denen die Entscheidung beruhe. Diese Begründung müsse zudem zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Es sei mit Artikel 190 EWG-Vertrag unvereinbar, diese Begründung nachträglich zu ändern, wenn die Änderungen über Berichtigungen orthographischer Art hinausgingen (Legehennen-Urteil, a. a. O). Es bestehe in der vorliegenden Rechtssache Grund zu der Annahme, daß diese Verfahrensgrundsätze verletzt worden seien. Am 21. Dezember 1988 habe Hoechst ein Fernschreiben der Kommission erhalten, das den Tenor der Entscheidung, nicht aber die Begründung enthalte und als Tag der Entscheidung den 22. Dezember 1988 angebe. Weitere Informationen, die die Klägerin von anderen Unternehmen, die auch Adressaten der Entscheidung gewesen seien, erhalten habe, ließen begründete Zweifel aufkommen, ob der Beschlußfassung ein vollständiger Entscheidungsvorschlag einschließlich der notwendigen Begründung in der Verfahrenssprache zugrunde gelegen habe. Hoechst beantragt deshalb, der Kommission aufzugeben, dem Gericht den Entscheidungsvorschlag vorzulegen, auf dessen Grundlage die Kommission am 21. Dezember 1988 die Entscheidung angenommen habe. Aus der Klagebeantwortung der Kommission ergebe sich, daß keine Entscheidung in spanischer, italienischer und niederländischer Sprache angenommen worden sei. Die Entscheidung hätte jedoch in jeder der Sprachen der Adressaten angenommen werden müssen. Es werde daher "zur Überprüfung des Gerichts gestellt, ob die Entscheidung der Kommission nicht auch auf der Grundlage der entsprechenden Texte ergehen musste". Angesichts der Darlegung des Entscheidungsablaufs durch die Kommission in der Klagebeantwortung ergebe sich weiter die Frage, ob das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied die Entscheidungen in den weiteren Verfahrenssprachen wirksam habe annehmen können oder angenommen habe. Der letzte Tag der Amtszeit dieses Kommissionsmitglieds sei nämlich auf den 5. Januar 1989 gefallen, während die Übersetzungen in den weiteren Verfahrenssprachen erst elf Tage später dem Generalsekretariat der Kommission vorgelegt worden seien. Die Klägerin ist daher der Ansicht, "daß die Entscheidung, die gegenüber allen Adressaten einheitlich ergehen sollte, damit im Ganzen in Frage steht".
25 Die Chemie Holding macht ebenfalls unter Hinweis auf das genannte Legehennen-Urteil geltend, daß nach Artikel 190 EWG-Vertrag die Begründung einer Entscheidung integraler Bestandteil derselben sei; im vorliegenden Fall habe am 21. Dezember 1988 die Begründung aber nicht in ihrer endgültigen Form vorgelegen, sondern nur als vom zuständigen Berichterstatter verfasster Entwurf, der später überarbeitet und ins Deutsche übersetzt worden sei. Somit habe die Kommission die Entscheidung nicht wirksam erlassen.
26 In ihren Klagebeantwortungen und Gegenerwiderungen entgegnet die Kommission hierauf zunächst, die Rüge, daß die Entscheidung in einem fehlerhaften Verfahren erlassen worden sei, sei völlig ungerechtfertigt und grundlos. Die Entscheidungsentwürfe seien dem Kommissionskollegium in sechs Sprachen, nämlich in Spanisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch vorgelegt worden; aus dem Protokoll der Kommissionssitzung Nr. 945 gehe hervor, daß die Entscheidung auf der Grundlage des deutschen, des englischen und des französischen Textes angenommen worden sei und daß das Kommissionskollegium das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied zur Annahme des Textes der Entscheidung in allen anderen verbindlichen Sprachen ermächtigt habe; eine solche Ermächtigung entspreche Artikel 27 der Geschäftsordnung in ihrer damals geltenden Fassung, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 23. September 1986 in der Rechtssache 5/85 (Akzo/Kommission, Slg. 1986, 2585, Randnr. 40) entschieden habe. Eine derartige Ermächtigung umfasse notwendigerweise das Recht, eine erforderliche Abgleichung der verschiedenen Sprachfassungen vorzunehmen. Im Anschluß an die Beratung des Kommissionskollegiums seien Übersetzungen in die drei noch nicht verfügbaren Amtssprachen, nämlich ins Dänische, Griechische und Portugiesische, angefertigt worden. Diese Übersetzungen seien dem Generalsekretariat der Kommission am 16. Januar 1989 vorgelegt worden. An diesem Tag seien die verschiedenen, in allen Amtssprachen der Gemeinschaft verfügbaren Fassungen der Entscheidung zur Sicherstellung ihrer Übereinstimmung den Rechts- und Sprachsachverständigen unterbreitet worden. Diese Überprüfung sei Ende Januar 1989 abgeschlossen worden. Die Kommission sei selbstverständlich auf Verlangen des Gerichts jederzeit bereit, die von ihr in Bezug genommenen Dokumente vorzulegen. Die Ermächtigung sei nicht Herrn Sutherland persönlich, sondern dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission erteilt worden.
27 Angesichts dieses divergierenden schriftlichen Vorbringens musste das Gericht, um auf die Rügen der Klägerinnen eingehen zu können, den diesen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakt mit dem angenommenen Rechtsakt vergleichen. Da die Kommission selbst Beweis angeboten hat, hat das Gericht ihr im Rahmen seiner Untersuchungsbefugnis (Urteil Akzo/Kommission, a. a. O.) mit prozeßleitender Maßnahme vom 3. Dezember 1991 aufgegeben, das Protokoll der Kommissionssitzung vom 21. Dezember 1988 und den Text der vom Kommissionskollegium angenommenen Entscheidung vorzulegen.
28 Die Kommission hat als Anlagen 4 und 5 zu ihrer am 10. Februar 1992 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragenen Antwort auf die prozeßleitende Maßnahme vorgelegt:
a) die Seiten 41 bis 43 des in Französisch abgefassten Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988, Az.: COM[88] PV 945 final. Dieses Protokoll hat ein Deckblatt, aus dem sich ergibt, daß die Seiten 41 bis 43 zum Teil I des 60 Seiten umfassenden Sitzungsprotokolls gehören und daß dieses Protokoll am 22. Dezember 1988 vom Kommissionskollegium genehmigt wurde. Dieses erste Blatt ist mit den Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission versehen. Die Übereinstimmung der vorgelegten Abschriften mit dem Original ist vom Generalsekretär der Kommission beglaubigt und mit einem amtlichen Siegel der Kommission versehen;
b) einen Auszug aus einem Schriftstück mit dem Aktenzeichen SEC(88) 2033, OJ 945, Nr. 15, vom 19. Dezember 1988 mit der Überschrift "note à l' attention de MM. les membres de la Commission" (Note zur Kenntnis der Mitglieder der Kommission) zusammen mit einem als "Annexe III" bezeichneten Schriftstück mit der Überschrift "modifications to be included in point 27 ° PVC, in point 34 ° LDPE" (Änderungen einzufügen in Nr. 27 ° PVC, in Nr. 34 ° LDPE);
c) drei Entscheidungsentwürfe vom 14. Dezember 1988 in Deutsch, Englisch und Französisch (Az.: C[88] 2498).
29 In ihren Erläuterungen auf dem Deckblatt zu dem zweiten der genannten Schriftstücke mit dem Aktenzeichen SEC(88) 2033 führt die Kommission aus, aus der Formulierung "sous réserve d' une modification à apporter au texte cf. annexe III ci-jointe" (vorbehaltlich einer Änderung des Textes, vgl. die beiliegende Anlage III) ergebe sich, daß der Absatz, der in Nr. 34 der LDPE-Entscheidung habe eingefügt werden sollen, von den Kabinettchefs gebilligt und den Kommissionsmitgliedern zusammen mit dem übrigen Entscheidungsvorschlag vorgelegt worden sei. Das Protokoll der Kommissionssitzung verweise auf das Protokoll der Sitzung der Kabinettchefs und biete keinen Anhaltspunkt dafür, daß den Empfehlungen der Kabinettchefs nicht vollständig gefolgt worden wäre. Damit sei bewiesen, daß der hinzugefügte Absatz der Kommission tatsächlich vorgelegt worden und von ihr auf ihrer Sitzung vom 21. Dezember 1988 gebilligt worden sei.
30 Zu dem Schriftstück mit dem Aktenzeichen C(88) 2498, das die dem Kommissionskollegium vorgelegte deutsche, englische und französische Fassung des Entscheidungsentwurfs enthält, trägt die Kommission vor, daß die spanische, die italienische und die niederländische Sprachfassung dieses Textes am 21. Dezember 1988 tatsächlich zur Verfügung gestanden hätten. Dem stehe nicht entgegen, daß diese Fassungen der Entscheidung den mit der sprachlichen Überprüfung betrauten Dienststellen erst am 16. Januar 1989 zugeleitet worden seien. Gemäß einer innerdienstlichen Praxis seien die neun Sprachfassungen der Entscheidung gleichzeitig zur Sprachüberprüfung gegeben worden. Im vorliegenden Fall sei diese Verzögerung dadurch verursacht worden, daß die portugiesische, die dänische und die griechische Übersetzung erst Mitte Januar 1989 zur Verfügung gestanden hätten (Deckblatt zur Anlage 5 der Antwort der Kommission vom 6. Februar 1992).
B ° Die Umstände, die das Gericht zum Erlaß des Beweisbeschlusses vom 10. März 1992 veranlasst haben
31 Die Kommission hat in ihren Schriftsätzen, die sie im übrigen durch ihre Erklärungen in der mündlichen Verhandlung bekräftigt hat, darauf hingewiesen, daß das Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 mit einem weiteren Entscheidungsentwurf betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag im Polyvinylchloridsektor (Entscheidung 89/190/EWG [IV-31.865, PVC]) befasst gewesen sei. In der PVC-Entscheidung und in der LDPE-Entscheidung würden weitgehend vergleichbare Zuwiderhandlungen beanstandet; auch seien die Nachprüfungen, die zur Aufdeckung der Zuwiderhandlungen geführt hätten, sowie die verschiedenen Abschnitte des Verwaltungsverfahrens parallel verlaufen. Die Klägerinnen haben in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung ebenfalls auf die Ähnlichkeit des vorliegenden Rechtsstreits mit der dem Gericht unterbreiteten Rechtssache PVC hingewiesen. In der letztgenannten Rechtssache hatte das Gericht wie folgt entschieden:
"1) Der den Klägerinnen zugestellte, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 74 vom 17. März 1989 (S. 1) veröffentlichte Rechtsakt mit dem Titel 'Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC) (89/190/EWG)' ist inexistent.
2) Die Klagen werden als unzulässig abgewiesen.
3) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens."
32 Im Hinblick auf die so festgestellte und anerkannte Ähnlichkeit zwischen beiden Rechtsstreitigkeiten und angesichts der Schriftstücke, die die Kommission nach Erlaß der vorstehend erörterten prozeßleitenden Maßnahme eingereicht hat, hat das Gericht am 10. März 1992 folgenden Beschluß erlassen: "Die Kommission hat eine beglaubigte Abschrift der Urschrift der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) (89/190/EWG) vorzulegen, wie sie das Kommissionskollegium in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1988 beschlossen hat und wie sie gemäß der Geschäftsordnung der Kommission festgestellt wurde, und zwar in den sprachlichen Fassungen, in denen diese Entscheidung gefasst wurde. Die Abschrift muß dem Gericht spätestens am Dienstag, dem 31. März 1992, um 12 Uhr vorliegen."
33 Am 31. März 1992 hat die Kommission eine beglaubigte Abschrift der Urschrift dessen, was nach ihrer Ansicht die Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) darstellt, in den sechs verbindlichen Sprachen, nämlich in Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch, zu den Akten gereicht. Auf dem Deckblatt jeder Sprachfassung dieses Rechtsakts steht der Feststellungsvermerk gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission in ihrer seinerzeit geltenden Fassung. Dieser Vermerk ist nicht mit einem Datum versehen. Er ist in Französisch abgefasst und lautet: "La... décision a été adoptée par la Commission lors de sa 945ème réunion tenü à Bruxelles, le 21 décembre 1988" (Die Entscheidung ist von der Kommission am 21. Dezember 1988 auf ihrer 945. Sitzung in Brüssel erlassen worden). Ausserdem gibt der Feststellungsvermerk für jede Sprachfassung die Anzahl der Seiten des betreffenden Rechtsakts an. Jede Sprachfassung ist zudem nach dem Feststellungsvermerk vom Präsidenten und vom Generalsekretär der Kommission unterzeichnet, und auf jedem Deckblatt ist ein amtliches Siegel der Kommission angebracht.
34 In ihrem ebenfalls dem Gericht vorgelegten Begleitschreiben zu den Dokumenten vom 31. März 1992 führt die Kommission aus, daß die wiedergegebenen Texte mit den Texten identisch seien, die den Klägerinnen zugestellt worden seien, und daher die von den Rechts- und Sprachsachverständigen vorgenommenen sprachlichen Änderungen enthielten. Das Deckblatt stelle eine beglaubigte Abschrift der Feststellung gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission dar. Die Kommission räumt in diesem Schreiben ein, daß diese Feststellung erst kürzlich und nur zu dem Zweck erfolgt sei, dem Beschluß des Gerichts nachzukommen.
35 Ausserdem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß die Kommission in ihrer Antwort auf die prozeßleitende Maßnahme vom 3. Dezember 1991 daran festhält, daß die Verbindlichkeit der den Klägerinnen zugestellten Entscheidung durch die Unterschrift des Präsidenten der Kommission und ihres Generalsekretärs auf dem Protokoll der Sitzung der Kommission sowie durch die Unterschrift des Generalsekretärs auf der letzten Seite der angefochtenen Entscheidung beglaubigt worden sei. Weiter trägt die Kommission unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 97 bis 99/87 (Dow Chemical Iberica u. a./Kommission, Slg. 1989, 3165, Randnr. 59) vor, daß es keine Rechtsvorschrift gebe, wonach die zugestellte Entscheidung selbst von dem für Wettbewerb zuständigen Kommissionsmitglied unterzeichnet sein müsse; dieser könne sich vielmehr darauf beschränken, das Begleitschreiben zu unterzeichnen (Deckblatt zu Anlage 5 der Antwort der Kommission vom 6. Februar 1992).
C ° Die prozeßleitende Maßnahme vom 2. April 1992 und die schriftlichen Stellungnahmen der Klägerinnen zu der Frage, welche Folgerungen aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken zu ziehen sind
36 Am 2. April 1992 hat das Gericht den Klägerinnen die vorstehend erörterten Schriftstücke, die die Kommission aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10. März 1992 vorgelegt hat, zusammen mit den Erläuterungen der Kommission dazu übersandt. Es hat diejenigen Klägerinnen, die Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Sprachfassungen der Entscheidung sowie zwischen dem der Kommission zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Entscheidungsentwurf und der den Klägerinnen jeweils zugestellten Entscheidung gerügt hatten, um Mitteilung gebeten, ob sie diesen Klagegrund angesichts der von der Kommission vorgelegten Schriftstücke aufrechterhalten, und für diesen Fall aufgefordert, ihr Vorbringen durch eine vergleichende Übersicht zu belegen, aus der sich die geltend gemachten Unterschiede zwischen dem erlassenen und dem zugestellten Rechtsakt ergeben.
37 Weiter hat das Gericht den Klägerinnen gemäß Artikel 64 § 3 Buchstabe b der Verfahrensordnung anheimgestellt, zu den aufgrund des Beweisbeschlusses vorgelegten Schriftstücken unter Berücksichtigung des genannten PVC-Urteils schriftlich Stellung zu nehmen.
38 Auf diese Aufforderung haben die BASF, Bayer, Enichem, die Chemie Holding, Hoechst, Atochem, Dow Chemical, Neste und Shell International Chemical dem Gericht eine Untersuchung vorgelegt, in der sie den Text des ihnen zugestellten Rechtsakts mit dem Text des dem Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 vorgelegten Entscheidungsentwurfs vergleichen. Für jede von den jeweils betroffenen Klägerinnen untersuchte Sprachfassung kommen sie zu dem Ergebnis, daß sowohl die Begründung als auch der verfügende Teil des zugestellten Rechtsakts gegenüber dem der Kommission vorgelegten Entwurf geändert worden sei und diese Änderungen weit über blosse orthographische oder grammatikalische Berichtigungen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Legehennen-Urteil) zulässig seien, hinausgingen.
39 Im einzelnen weisen sämtliche Klägerinnen darauf hin, daß in Nummer 34 des angefochtenen Rechtsakts in allen verbindlichen Sprachfassungen ein neuer Absatz eingefügt worden sei. Unter Berufung insbesondere auf die Randnummern 44 bis 47 des genannten PVC-Urteils, die eine entsprechende Einfügung in die am selben Tag erlassene PVC-Entscheidung betreffen, tragen die Klägerinnen vor, der Kommission sei nicht der Nachweis gelungen, daß das Kommissionskollegium die Einfügung dieses Absatzes tatsächlich gebilligt habe, der an dem angefochtenen Rechtsakt eine wesentliche Änderung vornehme, die auf Französisch und auf Englisch abgefasst und in der Sondersitzung der Kabinettchefs vom 19. Dezember 1988 beschlossen worden sei (Dok. SEC[88] 2033).
40 Einige Klägerinnen, nämlich die BASF, Hoechst, Bayer, Enichem und die Chemie Holding, bekräftigen also diese Rüge oder halten an ihr fest und machen ergänzend geltend, daß diese Abweichungen gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit der von der Kommission beschlossenen Rechtsakte verstießen. Die anderen Klägerinnen machen geltend, daß sie angesichts der von der Kommission vorgelegten Schriftstücke einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit der Rechtsakte rügten.
41 Ausserdem beanstanden sämtliche Klägerinnen in ihren Stellungnahmen mit einem ersten zusätzlichen Klagegrund die Unzuständigkeit der erlassenden Stelle. Dieser erste zusätzliche Klagegrund umfasst zwei Teile.
42 Erstens machen die Klägerinnen geltend, daß das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission zur Annahme der in Spanisch, in Italienisch und in Niederländisch zugestellten und veröffentlichen Rechtsakte sachlich nicht zuständig gewesen sei.
43 Zur Begründung verweisen sämtliche Klägerinnen darauf, daß die Entscheidung vom Kommissionskollegium niemals in Spanisch, Italienisch oder Niederländisch angenommen worden sei, da dem Kollegium in der Sitzung vom 21. Dezember 1988 nur die deutsche, die englische und die französische Fassung des Entscheidungsentwurfs vorgelegen hätten. Nach Artikel 27 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner damals geltenden Fassung, der nicht extensiv ausgelegt werden könne, könne das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied nicht ermächtigt werden, die Sprachfassungen des angefochtenen Rechtsakts in den verbindlichen Sprachen, die bei der Beratung des Kollegiums am 21. Dezember 1988 noch nicht verfügbar gewesen seien, allein anzunehmen, da eine solche Ermächtigung über die Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung im Sinne von Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission hinausgehe und damit gegen das Kollegialprinzip verstosse.
44 Zweitens machen die Klägerinnen im Rahmen des zweiten Teils des ersten zusätzlichen Klagegrunds geltend, daß das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission zur Annahme der ihnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte in zeitlicher Hinsicht nicht zuständig gewesen sei. Aus den Erläuterungen der Kommission zu dem Verfahren, in dem die Entscheidung erlassen und überprüft worden sei, folgern die Klägerinnen, daß sämtliche Sprachfassungen dieses Rechtsakts tatsächlich erst zum 16. Januar 1989 vorgelegen hätten. Infolgedessen seien sämtliche Rechtsakte, wie sie in den sechs verbindlichen Sprachen zugestellt worden seien, zwangsläufig nach dem 5. Januar 1989, an dem die Amtszeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglieds Sutherland abgelaufen sei, angenommen worden. Unter Berufung auf das genannte PVC-Urteil tragen die Klägerinnen vor, daß der maschinenschriftliche Vermerk "Für die Kommission, P. Sutherland, Mitglied der Kommission", der sich am Ende der zugestellten Rechtsakte finde, selbst dann, wenn er in Ermangelung jedes handschriftlichen Zeichens von Herrn Sutherland als dessen Unterschrift gelten könnte, notwendig entweder nach dem Ablauf von dessen Mandat oder aber vor dem 5. Januar 1989 angebracht worden sein müsse, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsakte in ihrer zugestellten und veröffentlichten Fassung noch nicht vorgelegen hätten. Der angefochtene Rechtsakt sei daher von einer in zeitlicher Hinsicht unzuständigen Stelle erlassen worden.
45 Als zweiten zusätzlichen Klagegrund machen die Klägerinnen geltend, daß die Kommission keine beglaubigte Abschrift der Urschrift der Entscheidung, die gemäß Artikel 12 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung der Kommission festgestellt worden wäre, vorgelegt habe, obwohl ihr mit Beschluß des Gerichts vom 10. März 1992 aufgegeben worden sei, ein solches Dokument in allen verbindlichen Sprachfassungen vorzulegen. Nach diesem Artikel 12 würden "die von der Kommission in einer Sitzung... gefassten Beschlüsse in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, durch die Unterschriften des Präsidenten und des Exekutivsekretärs festgestellt".
46 Da der durch das PVC-Urteil für inexistent erklärte Rechtsakt unter ganz ähnlichen Umständen wie der vorliegend angefochtene Rechtsakt ergangen sei, müsse das Gericht zwangsläufig die in jenem Urteil angestellten Erwägungen auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen.
47 Unter Berufung auf das PVC-Urteil machen die Klägerinnen erstens geltend, nur die Feststellung der Entscheidung gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission in Verbindung mit dem gemäß Artikel 10 dieser Geschäftsordnung erstellten und unterzeichneten Protokoll der Kommissionssitzung, in dem die Annahme des Rechtsakts vermerkt sei, erlaube mit Gewißheit die Feststellung der physischen Existenz und des Inhalts des Rechtsakts sowie des Umstands, daß dieser Rechtsakt dem Willen des Kommissionskollegiums entspreche. Zweitens erlaube die Feststellung der Entscheidung durch die Datierung des Rechtsakts und die Anbringung der Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs, sich der Zuständigkeit der erlassenden Stelle zu vergewissern. Drittens mache die Feststellung den Rechtsakt vollstreckbar und gewährleiste damit seine Inkorporation in die Gemeinschaftsrechtsordnung.
48 Nach Ansicht der Klägerinnen kann das Begleitschreiben zu der Entscheidung, das vom 5. Januar 1989 datiere und von Herrn Sutherland unterzeichnet sei, die nach der Geschäftsordnung der Kommission vorgeschriebene Feststellung in keiner Weise ersetzen, da dieses Schreiben nicht der Entscheidung als solcher gleichgestellt werden könne.
49 Sie erheben den gleichen Einwand gegen den Stempel "beglaubigte Ausfertigung" mit der nicht datierten Unterschrift des Generalsekretärs der Kommission, Herrn Williamson, auf der ersten Seite jeder der sechs verbindlichen Sprachfassungen der Entscheidung, die von der Kommission am 31. März 1992 eingereicht worden sind.
50 Im Rahmen eines dritten zusätzlichen Klagegrunds sprechen die Klägerinnen dem vom Generalsekretär und vom Präsidenten der Kommission, Herrn Delors, unterzeichneten Feststellungsvermerk, der auf diesen am 31. März 1992 eingereichten Schriftstücken nachträglich angebracht worden sei, jede rechtliche Bedeutung ab.
51 Unter Hinweis auf das Eingeständnis der Kommission, daß diese Feststellung nur hinzugefügt worden sei, um dem Beschluß des Gerichts vom 10. März 1992 nachzukommen, machen die Klägerinnen geltend, daß die Gültigkeit des Feststellungsverfahrens davon abhänge, daß es vor der Zustellung des Rechtsakts an die betreffenden Adressaten durchgeführt worden sei. Die nachträgliche Anbringung dieses verspäteten Feststellungsvermerks trage dagegen dazu bei, die bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der Datierung und des Inhalts des angefochtenen Rechtsakts noch zu vergrössern.
52 Einige Klägerinnen heben in diesem Zusammenhang hervor, daß diese verspätete Feststellung kein Datum trage und auf allen Sprachfassungen der Entscheidung der gleiche Vermerk in Französisch angebracht worden sei, obwohl nach der genannten Bestimmung der Geschäftsordnung der Kommission die Feststellung in der Sprache abgefasst sein müsse, die der jeweiligen Sprachfassung entspreche, in der der Rechtsakt erlassen worden sei.
53 Schließlich machen die Klägerinnen als vierten zusätzlichen Klagegrund geltend, daß der angefochtene Rechtsakt ihnen nicht wirksam zugestellt worden sei, da es keine ordnungsgemäß erlassene und festgestellte Entscheidung gebe.
Zur Zulässigkeit
Zur Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-103/89, Shell International Chemical/Kommission
Vorbringen der Parteien
54 Die Kommission erhebt gegenüber der Klage von Shell International Chemical (T-103/89) eine Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung, daß diese Klage nach Ablauf der Frist von zwei Monaten und zehn Tagen eingereicht worden sei, über die das Unternehmen nach Artikel 173 Absatz 3 EWG-Vertrag und nach der die Entfernungsfristen betreffenden Anlage II zur Verfahrensordnung des Gerichtshofes verfüge.
55 Die Kommission legt zur Begründung ihrer Einrede einen von einem Bediensteten der Post des Vereinigten Königreichs unterzeichneten Rückschein eines Einschreibens vor, aus dem sich ergebe, daß die Entscheidung der Klägerin am Samstag, dem 11. Februar 1989, zugestellt worden sei. Unter Zugrundelegung der Berechnungsweise für Klagefristen, wie sie sich insbesondere aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 15. Januar 1987 in der Rechtssache 152/85 (Misset/Rat, Slg. 1987, 223) ergebe, wonach eine in Kalendermonaten ausgedrückte Frist mit Ablauf des Tages ende, der in dem angegebenen Monat dieselbe Zahl trage wie der Tag, an dem die Frist in Gang gesetzt worden sei, kommt die Kommission zu dem Ergebnis, daß die der Klägerin im vorliegenden Fall zustehende Klagefrist von zwei Monaten und zehn Tagen am Freitag, dem 21. April 1989, um 24 Uhr abgelaufen sei. Die am Montag, dem 24. April 1989, eingereichte Klage sei daher verspätet.
56 In ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit wendet sich die Klägerin weder gegen die Länge der geltenden Klagefrist noch gegen die von der Kommission vorgenommene Berechnung. Die Klägerin bestreitet jedoch, daß ihr die Entscheidung am Samstag, dem 11. Februar 1989, zugestellt worden sei. Das Datum 11. Februar 1989, zu dem die betreffende Postsendung beim Postamt eingegangen sei, sei von einem Postbediensteten versehentlich in das für den Adressaten bestimmte Feld des Rückscheins eingetragen worden. Die Auslieferung der Postsendung und damit die Zustellung der Entscheidung sei am Montag, dem 13. Februar 1989 erfolgt. Als Nachweis legt die Klägerin u. a. eine vom Leiter des Postzustellungsdienstes des Bezirks Südost-London unterzeichnete eidliche Erklärung vor.
57 Die Kommission räumt in ihrer ergänzenden Stellungnahme ein, daß die Klägerin Beweise vorgelegt habe, die dem ersten Anschein nach überzeugend seien und das Gericht dazu bestimmen könnten, den Rückschein als Beweismittel unberücksichtigt zu lassen.
Würdigung durch das Gericht
58 Nach ständiger Rechtsprechung entspricht die strikte Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Verfahrensfristen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden (Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1985 in der Rechtssache 42/85, Cockerill-Sambre/Kommission, Slg. 1985, 3749, Randnr. 10). Ebenfalls ist ständige Rechtsprechung, daß die Klagefristen weder der Disposition des Gerichts noch der Parteien unterliegen, sondern zwingendes Recht sind (Urteil des Gerichts vom 29. Mai 1991 in der Rechtssache T-12/90, Bayer/Kommission, Slg. 1991, II-219, sowie Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-195/91 P, Bayer/Kommission, Slg. 1994, I-5619).
59 Bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Zustellung einer Entscheidung, von dem an gemäß Artikel 173 Absatz 3 EWG-Vertrag die Frist für die Erhebung einer Klage vor dem Gericht läuft, ist nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, daß eine Entscheidung ordnungsgemäß zugestellt worden ist, wenn sie ihrem Adressaten zugegangen und dieser in die Lage versetzt worden ist, von ihr Kenntnis zu nehmen. Nach der Rechtsprechung ist die Versendung durch Einschreiben mit Rückschein eine angemessene Form der Zustellung, da so der Fristbeginn sicher bestimmt werden kann (Urteil des Gerichts in der Rechtssache Bayer/Kommission, a. a. O.).
60 Die Prüfung des von der Kommission vorgelegten Rückscheins ergibt, daß in dem Feld mit der Überschrift "Datum und Unterschrift des Empfängers" das Datum 11. Februar 1989 eingetragen ist, eine Unterschrift aber fehlt. Darüber hinaus beweisen die vom Leiter des Postzustellungsdienstes des Bezirks Südost-London unterzeichnete eidliche Erklärung und die ihr beigefügten Schriftstücke hinreichend, daß das Datum 11. Februar 1989 tatsächlich irrtümlich von einem Postbediensteten bei Eingang der Sendung in einem Postamt von London und nicht von einem Vertreter der Klägerin bei der Übergabe der Sendung an sie in dieses Feld eingetragen worden ist. Somit sind die Angaben in diesem Rückschein über den Zeitpunkt der Übergabe der Sendung falsch und müssen deshalb unberücksichtigt bleiben.
61 Die von der Klägerin vorgelegten Beweise ° insbesondere die genannte eidliche Erklärung des Vertreters der Postverwaltung ° zeigen, daß die Sendung mit der streitigen Entscheidung der Klägerin am Montag, dem 13. Februar 1989, übergeben wurde. Somit ist die Entscheidung der Klägerin zu diesem Zeitpunkt im Sinne des Artikels 173 Absatz 3 EWG-Vertrag zugestellt worden.
62 Unter Zugrundelegung der vom Gerichtshof im Urteil Misset/Rat (a. a. O.) festgelegten Art und Weise der Fristenberechnung lief die der Klägerin zur Verfügung stehende Klagefrist von zwei Monaten und zehn Tagen demnach am 23. April 1989 ab. Der 23. April 1989 war jedoch ein Sonntag. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, so endet die Frist nach Artikel 80 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes in ihrer damals geltenden Fassung mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags. Infolgedessen ist die Klageschrift, die am Montag, dem 24. April 1989, beim Gerichtshof eingegangen ist, fristgerecht eingereicht worden.
63 Somit ist die Klage in der Rechtssache T-103/89 für zulässig zu erklären.
Zur Zulässigkeit der Klagegründe, die die Klägerinnen in ihren nach Erlaß der prozeßleitenden Maßnahme vom 2. April 1992 eingereichten Stellungnahmen zusätzlich geltend machen
64 Wie bereits dargelegt, haben die Klägerinnen in ihren Stellungnahmen nach Erlaß der prozeßleitenden Maßnahme vom 2. April 1992 vier neue Klagegründe geltend gemacht. Diese Stellungnahmen betreffen die Frage, welche Folgerungen aus den von der Kommission aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10. März 1992 vorgelegten Schriftstücken zu ziehen sind.
65 Nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.
66 Alle vier neuen Klagegründe stützen sich auf tatsächliche Gründe, die kommissionsinterne Vorgänge betreffen und erst durch Angaben der Beklagten im Verfahren, namentlich aufgrund des Beweisbeschlusses des Gerichts, zutage getreten sind.
67 Somit sind die vier zusätzlichen Klagegründe jedenfalls für zulässig zu erklären.
Begründetheit
Zu den Anträgen auf Feststellung, daß der den Klägerinnen zugestellte Rechtsakt inexistent ist oder, hilfsweise, daß die streitige Entscheidung unwirksam ist
68 Die Klägerinnen haben ihre ursprünglichen Anträge in ihren Klageschriften auf drei Gruppen von Klagegründen gestützt, nämlich auf die Verletzung von Grundrechten, auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften sowie darauf, daß die Kommission im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag den Sachverhalt ungenügend und unrichtig gewürdigt und rechtlich eingeordnet habe. Wie ausgeführt, haben sie in ihren Stellungnahmen nach Erlaß der prozeßleitenden Maßnahme vom 2. April 1992 vier zusätzliche Klagegründe erhoben.
69 Nach Auffassung des Gerichts sind zunächst einige der zusätzlichen Klagegründe zu prüfen: erstens der Klagegrund eines Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts, zweitens der Klagegrund der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle und drittens der Klagegrund der Unregelmässigkeiten des Verfahrens zur Feststellung des Rechtsakts. Schließlich wird das Gericht viertens den Klagegrund der Inexistenz des Rechtsakts auch unter Berücksichtigung der sich aus der Prüfung der drei anderen Klagegründe ergebenden Schlußfolgerungen behandeln.
70 Vor der Prüfung dieser Klagegründe ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission gegen das genannte PVC-Urteil am 29. April 1992 ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt hat. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 15. Juni 1994 das Urteil des Gerichts mit der Begründung aufgehoben, daß dem Gericht ein Rechtsirrtum unterlaufen ist, als es die streitige Entscheidung für inexistent erklärte. Der Gerichtshof hat jedoch die vom Gericht für inexistent erklärte Entscheidung, nämlich die Entscheidung 89/190/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV-31.865, PVC), für nichtig erklärt, weil sie unter Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften erlassen worden war (Urteil in der Rechtssache C-137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555).
A ° Der Klagegrund eines Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts
71 Mehrere Klägerinnen haben vorgetragen, der zugestellte und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Rechtsakt weiche in mehrfacher Hinsicht von dem angenommenen Rechtsakt ab. Diese Abweichungen gingen über orthographische oder syntaktische Berichtigungen hinaus; sie stellten einen offenkundigen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts dar und machten die angefochtene Entscheidung insgesamt nichtig (vgl. Randnrn. 18 bis 25 dieses Urteils). FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0080.1
72 Die Kommission räumt zwar ein, daß die von den Klägerinnen aufgezeigten Änderungen tatsächlich vorgenommen worden seien, meint aber, daß diese Änderungen die Rechte der betroffenen Unternehmen in keiner Weise beeinträchtigt hätten, so daß sich diese nicht darauf berufen könnten, um die Gültigkeit der Entscheidung in Frage zu stellen. Welche Rechte die Unternehmen hätten, werde nämlich ausschließlich durch die zugestellten Rechtsakte bestimmt. Im übrigen seien diese Änderungen teils rein syntaktischer oder grammatikalischer Art, teils beruhten sie auf den Vorschlägen der Sondersitzung der Kabinettchefs vom 19. Dezember 1988. Zur Stützung ihres Vorbringens hat die Kommission die bereits erörterten Schriftstücke eingereicht (vgl. Randnrn. 26 und 33 dieses Urteils).
73 Nach Auffassung des Gerichts stellt der Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Stelle beschlossenen Rechtsakts sowohl für die Gemeinschaftsorgane wie für die Rechtssubjekte, deren rechtliche und sachliche Lage von einer Entscheidung dieser Organe berührt wird, einen wesentlichen Faktor der Rechtssicherheit und der Stabilität der Rechtsverhältnisse in der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Nur die strikte, uneingeschränkte Beachtung dieses Grundsatzes gibt die Gewißheit, daß der einmal beschlossene Rechtsakt nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln geändert werden kann und daß folglich der zugestellte oder veröffentlichte Rechtsakt eine exakte Abschrift des beschlossenen Rechtsakts darstellt, die damit den Willen der zuständigen Stelle getreu wiedergibt.
74 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Kommission/BASF u. a. (a. a. O.) ausgeführt, daß die Beachtung des Prinzips der kollegialen Verantwortlichkeit der Kommission und insbesondere das Erfordernis, daß die Entscheidungen von sämtlichen Mitgliedern der Kommission beraten werden, für alle von den Rechtswirkungen dieser Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig insoweit von Interesse sind, als die Adressaten der Entscheidungen die Gewähr dafür haben müssen, daß diese tatsächlich vom Kollegium getroffen worden sind und dessen Willen genau entsprechen (Randnr. 64). Dies gilt nach den Ausführungen des Gerichtshofes insbesondere für die ausdrücklich als Entscheidungen gekennzeichneten Rechtsakte, die die Kommission gemäß den Artikeln 3 Absatz 1 und 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 gegenüber Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Interesse der Einhaltung der Wettbewerbsregeln erlässt und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber diesen Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können (Randnr. 65).
75 Der Gerichtshof hat in diesem Urteil weiter darauf hingewiesen, daß derartige Entscheidungen gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag stets mit Gründen zu versehen sind. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 190, daß die Kommission die Erwägungen darstellt, die sie zum Erlaß einer Entscheidung geführt haben, um dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen und die Mitgliedstaaten sowie die betroffenen Staatsangehörigen darüber zu unterrichten, in welcher Weise sie den Vertrag angewandt hat (Randnr. 66).
76 Zudem ist es nach dem Urteil des Gerichtshofes nur im Lichte der Begründung möglich, den verfügenden Teil einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung zu verstehen und seine Tragweite einzuschätzen. Da der verfügende Teil und die Begründung einer Entscheidung somit ein unteilbares Ganzes darstellen, ist es nach dem Kollegialprinzip ausschließlich Sache des Kollegiums, beide zugleich anzunehmen. Unter Hinweis auf sein Legehennen-Urteil hat der Gerichtshof weiter ausgeführt, daß die Einhaltung dieser Verpflichtung bedeutet, daß am Wortlaut eines Rechtsakts nach seiner förmlichen Annahme durch das Kollegium nur noch rein orthographische oder grammatikalische Anpassungen vorgenommen werden dürfen, weil jede andere Änderung in die ausschließliche Zuständigkeit des Kollegiums fällt (Randnrn. 67 und 68).
77 Aufgrund dieser Erwägungen hat der Gerichtshof das Vorbringen der Kommission, das Kommissionskollegium könne sich im Beschlußfassungsverfahren darauf beschränken, seinen Willen zu einem bestimmten Vorgehen zum Ausdruck zu bringen, ohne sich an der Abfassung des entsprechenden Rechtsakts und seiner endgültigen Ausformung zu beteiligen, zurückgewiesen. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes ist nämlich die schriftliche Ausformung des Rechtsakts als Ausdruck des Willens der ihn erlassenden Stelle notwendig, da das intellektuelle und das formelle Element ein untrennbares Ganzes darstellen (Randnrn. 69 und 70).
78 Im vorliegenden Fall stellt das Gericht erstens fest, daß sämtliche von der Kommission vorgelegten, oben erörterten Schriftstücke (vgl. Randnrn. 28 und 30 dieses Urteils) belegen, daß die drei vom 14. Dezember 1988 datierenden Entwürfe, die dem Kommissionskollegium zur Annahme vorlagen, in bestimmten Punkten von den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakten abweichen. Die Beklagte bestreitet im übrigen diese Abweichungen im Grundsatz nicht, meint aber, teils seien sie von äusserst geringer Bedeutung, teils beeinträchtigten sie in keiner Weise die Rechte und Pflichten der Unternehmen, wie sie durch den Inhalt des zugestellten Rechtsakts festgelegt seien.
79 Zweitens ist festzustellen, daß ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums die von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission Sutherland am 21. Dezember 1988 mit den Entscheidungsentwürfen unter dem Aktenzeichen C(88) 2498 befasste Kommission an diesem Tag
° entschieden hat, daß die siebzehn in der LDPE-Sache benannten Unternehmen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen haben, sowie die gegen diese Unternehmen zu verhängenden Geldbussen der Höhe nach festgesetzt und den Grundsatz gebilligt hat, daß diese Unternehmen zu verpflichten seien, die Zuwiderhandlungen abzustellen;
° in der Sache IV/31.866 ° LDPE eine Entscheidung in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch angenommen hat, die für einige der Klägerinnen maßgebend sind, wobei diese Entscheidungen in den Dokumenten C(88) 2498 enthalten waren;
° das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission ermächtigt hat, den Text der Entscheidung in den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft anzunehmen;
° von der Prüfung der Sache durch die Kabinettschefs der Kommissionsmitglieder während deren Sondersitzung und während der wöchentlichen Sitzung vom 19. Dezember 1988 Kenntnis genommen hat.
80 Der Klagegrund des Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des in deutscher, englischer und französischer Fassung beschlossenen Rechtsakts ist auf der Grundlage dieser Sachverhaltsfeststellungen rechtlich zu würdigen.
81 Ein Vergleich der Entscheidungsentwürfe vom 14. Dezember 1988, wie sie ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 vom Kommissionskollegium in Deutsch, in Englisch und in Französisch angenommen wurden, mit der zugestellten und veröffentlichten Entscheidung zeigt, daß letztere nach ihrer Annahme in vielfacher Hinsicht geändert wurde. Dieser Vergleich bestätigt, daß die von der BASF, Bayer, Enichem, der Chemie Holding, Hoechst, Atochem und DOW Chemical vorgelegten Listen der Abweichungen, die die Kommission im übrigen nicht bestreitet, zutreffend sind; die Kommission hat sich auf das Vorbringen beschränkt, die Änderungen seien nicht wesentlich.
82 Ein Vergleich zwischen den drei in Deutsch, in Englisch und in Französisch abgefassten Entwürfen vom 14. Dezember 1988, die ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 von der Kommission am 21. Dezember 1988 angenommen worden sind, zeigt nämlich, daß die in Deutsch, in Englisch und in Französisch angenommene Entscheidung erheblich von der zugestellten und veröffentlichten Entscheidung abweicht. Selbst wenn die Änderungen des vom Kommissionskollegium in Deutsch, in Englisch und in Französisch angenommenen Rechtsakts zum Ziel gehabt haben mögen, die zugestellten und veröffentlichten Texte in den verbindlichen Sprachen zu harmonisieren, so sind diese Änderungen gleichwohl unzulässig, da sie nach der Annahme des Rechtsakts erfolgt sind, teilweise die Grenzen schlichter orthographischer oder syntaktischer Berichtigungen weit überschreiten und damit dem Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Behörde beschlossenen Rechtsakts direkt zuwiderlaufen.
83 Von den Abweichungen, die die Klägerinnen u. a. in ihrem gemeinsamen Vortrag aufgeführt haben, können mehrere nicht als rein syntaktische oder orthographische Berichtigungen betrachtet werden. Dazu gehören namentlich folgende Änderungen, die am deutschen, am englischen und am französischen Text des Entscheidungsentwurfs vom 14. Dezember 1988 vorgenommen wurden, nachdem die Kommission ausweislich des Protokolls ihrer Sitzung Nr. 945 diesen Entwurf angenommen hatte:
i) Änderungen des in deutscher Sprache angenommenen Entwurfs vom 14. Dezember 1988 (bezogen auf den von der Kommission am 7. Februar 1992 vorgelegten, in deutscher Sprache angenommenen Entscheidungsentwurf vom 14. Dezember 1988):
° Seite 19, Nr. 14 Absatz 5: In dem zugestellten und veröffentlichten Text wurde der Satz "Auch Repsol wurde offiziell eingeladen" hinzugefügt.
° Seite 24, Nr. 31 Absatz 7: Der Satz "Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller ein solch umfangreiches Unternehmen ohne eine globale Koordinierung oder Leitung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können" wurde in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch den Satz ersetzt: "Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller den Vertrieb eines derart preisanfälligen Erzeugnisses ohne interne Leitung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können."
° Seite 48, Nr. 64 Absatz 1: In den veröffentlichten und zugestellten Text wurde ein fünfter Gedankenstrich aufgenommen, der im Entwurf vom 14. Dezember 1988 nicht enthalten war: "° Die Sitzungen blieben äusserst geheim", während der vorherige fünfte Gedankenstrich in dem Entscheidungsentwurf als Absatz 2 der Nummer 64 des zugestellten und veröffentlichten Textes wieder auftaucht.
ii) Änderungen des in englischer Sprache angenommenen Entwurfs vom 14. Dezember 1988 (bezogen auf den von der Kommission am 7. Februar 1992 vorgelegten, in englischer Sprache angenommenen Entscheidungsentwurf vom 14. Dezember 1988):
° Seite 2, Nr. 2 Absatz 1: In Satz 2 dieses Absatzes ist der im Entwurf noch vorhandene Satzteil "and in some cases produce inside the EEC" (und in einigen Fällen innerhalb der EWG produzieren) in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt weggefallen.
° Seite 22, Nr. 31 Absatz 7: Der im Entwurf noch vorhandene Satz 2 dieses Absatzes: "The Commission dös not accept that these producers could have conducted such an important busineß with no overall co-ordination of direction of their pricing policy" (Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller ein solch umfangreiches Unternehmen ohne eine globale Koordinierung der Leitung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können) wurde in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch den Satz ersetzt: "The Commission dös not accept that these producers could have conducted busineß in this price-sensitive product without any internal direction of their pricing policy" (Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller den Vertrieb eines derart preisanfälligen Erzeugnisses ohne interne Leitung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können).
° Seite 27, Nr. 37: Der zweite Absatz: "In the present case, the continuing restrictive arrangements of the LDPE producers over a period of years are clearly referable in their essential characteristics to the proposal made in 1976 and constitute its implementation in practice" (Im vorliegenden Fall sind die jahrelang fortgesetzten wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen der LDPE-Hersteller in ihren wesentlichen Merkmalen eindeutig auf den Vorschlag von 1976 zurückzuführen, dessen praktische Durchführung sie darstellen) wurde in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch folgenden Text ersetzt: "In the present case, the continuing restrictive arrangements of the LDPE producers over a period of years clearly originate in the proposal made in 1976 and constitute its implementation in practice" (Im vorliegenden Fall haben die jahrelang fortgesetzten wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen der LDPE-Hersteller ihren Ursprung eindeutig in dem Vorschlag von 1976, dessen praktische Durchführung sie darstellen).
iii) Änderungen des in französischer Sprache angenommenen Entwurfs vom 14. Dezember 1988 (bezogen auf den von der Kommission am 7. Februar 1992 vorgelegten, in französischer Sprache angenommenen Entscheidungsentwurf vom 14. Dezember 1988):
° Seite 2, Nr. 2 Absatz 1: In Satz 2 dieses Satzes ist der im Entwurf vorhandene Satzteil "et dans certains cas les y fabriquent" (und in einigen Fällen produzieren sie sie dort) in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt weggefallen.
° Seite 23, Nr. 31 Absatz 7: Der im Entwurf noch vorhandene Satz 2 dieses Absatzes: "La Commission n' admet pas que ces producteurs puissent avoir mené des activités aussi importantes sans coordination globale de leur politique en matière de prix" (Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller ein solch umfangreiches Unternehmen ohne eine globale Koordinierung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können) wurde in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch den Satz ersetzt: "La Commission n' admet pas que ces producteurs puissent avoir mené des activités concernant ce produit sensible aux prix sans direction interne de leur politique en matière de prix" (Die Kommission erkennt nicht an, daß diese Hersteller den Vertrieb eines derart preisanfälligen Erzeugnisses ohne interne Leitung ihrer Preispolitik durchgeführt haben können).
° Seite 34, Nr. 46 Absatz 3 Satz 2: Der im Entwurf vorhandene Satzteil zwischen Gedankenstrichen "tels que le 'gel' de la clientèle ou le renvoi de nouveaux clients" (beispielsweise "Einfrieren" des Kundenstamms oder Abweisung neuer Kunden) ist in dem zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch folgenden Satzteil zwischen Gedankenstrichen ersetzt worden: "tels que le 'gel' de la clientèle ou la fin de non-recevoir opposée à des demandes" (beispielsweise "Einfrieren" des Kundenstamms oder Abweisung von Anfragen).
84 Da diese Änderungen nach der Annahme des Rechtsakts am 21. Dezember 1988 erfolgten und nicht rein orthographischer oder syntaktischer Art sind, müssen sie von einer hierzu nicht befugten Person vorgenommen worden sein; damit verletzen sie die Unantastbarkeit des vom Kommissionskollegium beschlossenen Rechtsakts, ohne daß die Tragweite, die Bedeutung oder die Wesentlichkeit dieser Änderungen geprüft werden müssten, wie sich aus dem erwähnten Legehennen-Urteil und dem Urteil BASF u. a./Kommission ergibt.
85 Die Beweisaufnahme hat im übrigen ergeben, daß sich in den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakten bestimmte Änderungen finden, die über die eben untersuchten Änderungen hinausgehen und sämtliche ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 am 21. Dezember 1988 in Deutsch, in Englisch und in Französisch angenommenen Fassungen betreffen.
86 In Nr. 34 der Begründung der zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte wurde ein völlig neuer Absatz 4 eingefügt, was sich in bestimmten verbindlichen Sprachen, insbesondere in der italienischen Fassung, im übrigen klar aus dem insoweit abweichenden Schriftbild des zugestellten Rechtsakts ergibt. Dieser neue Absatz betrifft die Frage, ob die Kommission in Fällen wie dem vorliegenden, wo ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag mehrere Unternehmen betrifft, im Hinblick auf die übrigen verfahrensbeteiligten Unternehmen dem Verzicht eines der Unternehmen auf die Vertraulichkeit der dieses Unternehmen betreffenden Informationen entsprechen kann oder ob im Gegenteil Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses die Kommission in einem solchen Fall daran hindern, dem Antrag des Unternehmens stattzugeben, zu dessen Gunsten sich die Vertraulichkeit auswirkt. Dieses schwierige und umstrittene Problem hat die Kommission auf Seite 52 ihres 18. Berichts zur Wettbewerbspolitik angesprochen.
87 Der eingefügte Absatz lautet in den zugestellten Rechtsakten wie folgt: "Hinzu kommt, daß ein Verzicht der Unternehmen auf die Vertraulichkeit ihrer internen Geschäftsunterlagen unter dem Vorbehalt des vorrangigen öffentlichen Interesses steht, das besagt, daß Wettbewerber sich nicht gegenseitig über ihre geschäftlichen Tätigkeiten und Pläne in einer den Wettbewerb zwischen ihnen beschränkenden Weise unterrichten."
88 Das dem Gericht vorgelegte Protokoll der Sitzung des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988 weist aus, daß die Kommission zwar laut Protokoll der Sitzung Nr. 945 die vom 14. Dezember 1988 datierenden Entwürfe angenommen hat, die in den drei angenommenen verbindlichen Sprachfassungen den streitigen Absatz nicht enthalten, daß die Kommission aber von der Prüfung der Sache durch die Kabinettschefs in deren Sondersitzung vom 19. Dezember 1988 nur Kenntnis genommen hat. Die Kommission hat zwar Schriftstücke zu den Akten gereicht, die sie als beglaubigte Auszuege aus der Urschrift des Protokolls der Sondersitzung der Kabinettschefs vom 19. Dezember 1988 bezeichnet; unter diesen Schriftstücken findet sich als Anlage III ein Papier, das den streitigen Absatz in Englisch und in Französisch wiedergibt. Die vorgelegten Schriftstücke beweisen jedoch nicht, daß diese Ergänzung von den Kabinettschefs angenommen oder vorgeschlagen worden wäre, mit dem Ziel, sie dem Kommissionskollegium zur Beratung vorzulegen.
89 Selbst wenn diese Ergänzung dem Kommissionskollegium bei seiner Beratung vom 21. Dezember 1988 zur Annahme vorgelegt und vorgeschlagen worden sein sollte ° für die deutsche Fassung der Entscheidung kommt das jedenfalls nicht in Betracht, da die Anlage III, wie eben dargestellt, nur in Englisch und in Französisch abgefasst ist °, lässt doch der vorstehend (Randnr. 79) erörterte Wortlaut des Protokolls der Sitzung den Schluß nicht zu, daß das Kommissionskollegium mit der Annahme der Entwürfe vom 14. Dezember 1988, die diesen Absatz nicht enthalten, auch beschlossen hat, die Ergänzung anzunehmen. Folglich ist dieser Absatz in sämtliche den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte notwendig nach dem 21. Dezember 1988 aufgenommen worden; dies stellt einen offenkundigen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Stelle beschlossenen Rechtsakts dar. Dieser Zusatz zur Begründung der Entscheidung, der weder syntaktischer noch grammatikalischer Art ist, macht somit sämtliche zugestellten Rechtsakte sowie den im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakt ungültig, wie der Gerichtshof in seinem erwähnten Legehennen-Urteil entschieden hat, ohne daß zu untersuchen wäre, ob er wesentlicher Art ist, was im übrigen nicht zu bestreiten ist.
90 Der erste von den Klägerinnen zusätzlich geltend gemachte Nichtigkeitsgrund greift somit durch.
B ° Der Klagegrund der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle
91 Einige Klägerinnen haben in ihren Schriftsätzen ausdrücklich den Klagegrund der Unzuständigkeit der Stelle angeführt, die die zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte angenommen hat. Hoechst hat vorgetragen, daß die Verteidigung der Kommission gegen den Klagegrund, der Grundsatz der Unantastbarkeit des Rechtsakts sei verletzt worden, zu der Frage führe, ob das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission die Entscheidungen in bestimmten verbindlichen Sprachen wirksam habe annehmen können. Diese Klägerinnen haben auch hervorgehoben, daß die Amtszeit von Herrn Sutherland am 5. Januar 1989 abgelaufen sei, daß aber die Entscheidung in den einzelnen Amtssprachen nach den Angaben der Kommission deren Generalsekretariat erst am 16. Januar 1989 und somit elf Tage später vorgelegt worden sei.
92 Sämtliche Klägerinnen haben zur Begründung dieses Klagegrunds in der mündlichen Verhandlung die Ausführungen des Gerichts hierzu in seinem PVC-Urteil übernommen, das zu dem Ergebnis gekommen ist, daß das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission erstens zur Annahme der in Italienisch und in Niederländisch zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte sachlich nicht zuständig und zweitens zur Annahme der den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte zeitlich nicht zuständig war (PVC-Urteil, a. a. O., Randnrn. 54 bis 65).
93 Die Kommission hält dem in ihren Schriftsätzen entgegen, daß die Rechtsakte in drei der verbindlichen Sprachen vom Kommissionskollegium ordnungsgemäß angenommen worden seien und daß Artikel 27 ihrer Geschäftsordnung die Rechtsgrundlage für die Annahme der Entscheidungen in spanischer, in italienischer und in niederländischer Sprache sei, die von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen, hierzu vom Kollegium ordnungsgemäß ermächtigten Kommissionsmitglied im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassen worden seien. Nicht Herr Sutherland persönlich, sondern das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied sei ermächtigt worden.
94 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission im übrigen geltend gemacht, daß sie entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Protokolls ihrer Sitzung Nr. 945 vom 21. Dezember 1988 die Entscheidung in sämtlichen verbindlichen Sprachen angenommen habe.
95 Die Prüfung des ersten Klagegrunds hat, wie eben dargelegt, Abweichungen zwischen den angenommenen und den zugestellten und veröffentlichten Rechtsakten ergeben, wobei diese Änderungen notwendig nicht vom Kommissionskollegium, sondern nach der Annahme der streitigen Rechtsakte durch das Kollegium von Dritten vorgenommen wurden. Im Lichte dieser Feststellungen ist der von den Klägerinnen geltend gemachte Klagegrund der Unzuständigkeit der Stelle zu prüfen, von der die zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte herrühren. Dieser Klagegrund gehört in jedem Fall zum Ordre public; er umfasst zwei Teile. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen der sachlichen und der zeitlichen Zuständigkeit der Stelle, von der die von den Klägerinnen der Prüfung des Gerichts unterbreiteten, zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte herrühren.
1. Sachliche Zuständigkeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission zur Annahme der in Spanisch, in Italienisch und in Niederländisch zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte
96 Nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) in seiner damals geltenden Fassung, zuletzt geändert durch Punkt XVIII des Anhangs I der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, in der Fassung des Beschlusses des Rates der Europäischen Union vom 1. Januar 1995 zur Anpassung der Dokumente betreffend den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union, ABl. 1995, L 1, S. 1), sind "Schriftstücke, die ein Organ... an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person richtet,... in der Sprache dieses Staates abzufassen". Nach Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner damals geltenden Fassung ist ein von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefasster Beschluß in der Sprache oder in den Sprachen, in denen er verbindlich ist, durch die Unterschriften des Präsidenten und des Exekutivsekretärs festzustellen.
97 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich zusammengenommen, daß die Kommission in einem Fall der vorliegenden Art, in dem sie durch eine der Sache nach einheitliche Handlung eine Entscheidung treffen will, die für mehrere juristische Personen verbindlich ist, die unterschiedlichen Sprachenregelungen unterliegen, die Entscheidung in jeder der verbindlichen Sprachen beschließen muß, soll nicht jede Feststellung des Rechtsakts unmöglich werden. Im vorliegenden Fall muß die von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Behauptung, daß die Entscheidung in sämtlichen verbindlichen Sprachen angenommen worden sei, zurückgewiesen werden, da die Entscheidung ausweislich des vom Kommissionskollegium am 22. Dezember 1988 gebilligten Protokolls seiner Sitzung Nr. 945 von diesem nicht in spanischer, in italienischer und in niederländischer Sprache angenommen wurde, von denen die erste für Repsol, die zweite für Enichem und Montedison und die dritte für DSM allein verbindlich ist.
98 Artikel 27 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner zur Zeit der streitigen Ereignisse anwendbaren Fassung lautet wie folgt: "Die Kommission kann ° unter der Voraussetzung, daß der Grundsatz kollegialer Verantwortlichkeit voll und ganz gewahrt bleibt ° ihre Mitglieder ermächtigen, in ihrem Namen und vorbehaltlich ihrer Kontrolle eindeutig umschriebene Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung zu treffen."
99 Der Gerichtshof hat in dem erwähnten Urteil Kommission/BASF u. a. ausgeführt, daß bei Entscheidungen, mit denen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 festgestellt wird, anders als bei Entscheidungen, mit denen angeordnet wird, daß ein Unternehmen eine Nachprüfung zu dulden hat, und die dementsprechend als Ermittlungsmaßnahme und somit als einfache laufende Angelegenheit der Verwaltung anzusehen sind, eine Ermächtigung allein des für die Wettbewerbspolitik zuständigen Mitglieds der Kommission gemäß Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission nicht in Betracht kommt.
100 Aus Artikel 27 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission ergibt sich nämlich in Verbindung mit Absatz 2, der Ermächtigungen von Beamten betrifft, daß das Kommissionskollegium eines seiner Mitglieder nur dazu ermächtigen kann, die Entscheidung in den in Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 aufgeführten Amtssprachen der Gemeinschaft anzunehmen, die nicht verbindlich sind, im vorliegenden Falle also in Dänisch, in Griechisch und in Portugiesisch, da die in diesen drei Sprachen angenommenen Entscheidungen hier keine Rechtswirkungen zeitigen und keine vollstreckbaren Titel gegen eines oder mehrere der im verfügenden Teil der Entscheidung genannten Unternehmen sind.
101 Die Annahme der Entscheidung in der verbindlichen Sprache ist von ganz anderem Gewicht. Eine Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, mit der mehreren Unternehmen Verpflichtungen und erhebliche Geldbussen auferlegt werden und die insoweit ein vollstreckbarer Titel ist, berührt die Rechte und Pflichten dieser Unternehmen und ihr Vermögen erheblich. Sie lässt sich nicht als schlichte Maßnahme der Geschäftsführung oder der Verwaltung ansehen und kann somit von einem Mitglied der Kommission nicht im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassen werden, ohne daß das in Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission ausdrücklich anerkannte Kollegialprinzip unmittelbar verletzt würde.
102 Nach alledem wurde der von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission in Spanisch, in Italienisch und in Niederländisch gemäß der ihm in der Beratung vom 21. Dezember 1988 erteilten Ermächtigung angenommene Rechtsakt von einer sachlich unzuständigen Stelle erlassen.
2. Zeitliche Zuständigkeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission zur Annahme der den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte
103 Das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission hatte somit keine Zuständigkeit, in den verbindlichen Sprachen allein eine Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anzunehmen. Hingegen war es zweifellos dafür zuständig, die Abschriften des vom Kommissionskollegium angenommenen Rechtsakts für deren Zustellung an die Adressaten gemäß Artikel 12 Absatz 3 der Geschäftsordnung der Kommission in der damaligen Fassung zu unterzeichnen. Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch sowohl aus den Schriftsätzen der Kommission wie aus deren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, daß der Text des Rechtsakts in den einzelnen Sprachen, und zwar sowohl in den sechs verbindlichen als auch in den drei anderen Amtssprachen, erst am 16. Januar 1989 endgültig fertiggestellt und dem Generalsekretariat der Kommission zugeleitet worden war, das es dann nach Maßgabe des erwähnten Legehennen-Urteils des Gerichtshofes den Rechts- und Sprachsachverständigen zur Revision zuleitete; deren Arbeiten waren gegen Ende Januar 1989 abgeschlossen.
104 Somit ist festzustellen, daß die Beklagte nicht in der Lage war, als Antwort auf das substantiierte Vorbringen der Klägerinnen die Existenz eines fertiggestellten, zustellungs- und veröffentlichungsfähigen Rechtsakts vor dem Zeitraum vom 16. bis zum 31. Januar 1989 nachzuweisen. Die in den sechs verbindlichen Sprachen zugestellten Rechtsakte müssen daher notwendig nach dem 5. Januar 1989 und damit nach Ablauf der Amtszeit von Herrn Sutherland angenommen worden sein.
105 Der maschinenschriftliche Vermerk "Für die Kommission, P. Sutherland, Mitglied der Kommission", der sich am Ende der zugestellten Rechtsakte findet, muß also, selbst wenn er in Ermangelung jedes handschriftlichen Zeichens von Herrn Sutherland als dessen Unterschrift gelten könnte, notwendig entweder nach dem Ablauf von dessen Mandat oder aber vor dem 5. Januar 1989 angebracht worden sein, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsakte in ihrer verkündeten und veröffentlichten Fassung noch nicht vorlagen. Daß Herr Sutherland am 5. Januar 1989 die an die Klägerinnen gerichteten Begleitschreiben zu noch nicht endgültig beschlossenen Rechtsakten unterzeichnete, ist ohne rechtliche Bedeutung, da diese Begleitschreiben nicht Teil des streitigen Rechtsakts sind und keine Rechtswirkungen haben. Auch das Vorbringen der Kommission, daß die Ermächtigung dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglied und nicht Herrn Sutherland persönlich erteilt worden sei, ist ohne Einfluß auf die Entscheidung über diesen Klagegrund. Selbst wenn dieses Vorbringen nämlich begründet wäre, hätte der Nachfolger von Herrn Sutherland als für Wettbewerbsfragen zuständiges Mitglied der Kommission, dessen Amtszeit am 6. Januar 1989 begann, die Rechtsakte unterzeichnen müssen, falls er dazu zuständig gewesen wäre. So verhielt es sich aber im vorliegenden Fall nicht. Somit ist festzustellen, daß die den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am 17. März 1989 veröffentlichten Rechtsakte notwendig von einer in zeitlicher Hinsicht unzuständigen Stelle herrühren.
106 Dieser Mangel könnte nur dann geheilt sein, wenn die Beklagte nachwiese, daß er nur die den Adressaten zugestellte oder die dem Amt für amtliche Veröffentlichungen zur Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zugeleitete Abschrift betrifft, daß aber die Urschrift der Entscheidung ordnungsgemäß im Rahmen der Zuständigkeit unterzeichnet worden ist. In diesem Fall könnte nämlich der Rüge der Unzuständigkeit des Unterzeichners der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte mit Erfolg entgegengetreten werden. Nur eine solche Vorlage, die die Gültigkeitsvermutung von Gemeinschaftsakten als Folge der strengen Förmlichkeit des bei ihrem Erlaß zu beachtenden Verfahrens bestätigte, wäre im vorliegenden Fall geeignet, den Mangel der offenkundigen Unzuständigkeit zu beheben, mit dem die Entscheidung, wie sie den Klägerinnen zugestellt und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde, behaftet ist. Aus den noch darzulegenden Gründen ist festzustellen, daß die Beklagte im vorliegenden Fall diesen Nachweis nicht hat erbringen können.
107 Nach alledem greifen beide Teile des von den Klägerinnen zusätzlich geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle durch.
C ° Der Klagegrund der Unregelmässigkeiten des Verfahrens zur Feststellung des von der Kommission angenommenen Rechtsakts
Vorbringen der Parteien
108 Gegenüber der von der Kommission am 31. März 1991 vorgelegten Kopie des angefochtenen Rechtsakts, die für jede verbindliche Sprachfassung mit einem nicht datierten Feststellungsvermerk in französischer Sprache versehen ist, wenden die Klägerinnen ein, daß die Feststellung nach Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner damals geltenden Fassung vor der Zustellung des angefochtenen Rechtsakts erfolgen müsse.
109 Der Präsident und der Generalsekretär der Kommission hätten verspätet eine Kopie des angefochtenen Rechtsakts unterschrieben. Sie seien nicht befugt, den Text der von der Kommission erlassenen Entscheidungen zu ändern oder Änderungen durch Dritte zu genehmigen, und könnten diesem Text nicht den Anschein der Echtheit geben und so die Gefahr der Irreführung Dritter über den Zeitpunkt der Annahme des angefochtenen Rechtsakts und seinen Inhalt, wie er bei seiner Annahme beschlossen worden sei, heraufbeschwören.
110 Daher genüge die verspätete Feststellung im vorliegenden Fall nicht den Erfordernissen des Artikels 12 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner damals geltenden Fassung.
111 Die Kommission hält dem entgegen, daß die Feststellung nach Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung ein internes Verfahren sei, das Dritte nicht berühre, so daß sich diese nicht auf irgendeine Unregelmässigkeit dieses Verfahrens berufen könnten.
112 Ausserdem sei in Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung nicht festgelegt, zu welchem Zeitpunkt die Feststellung der angenommenen Entscheidungen erfolgen müsse. Die Rechtswirkungen einer Entscheidung der Kommission gegenüber Dritten ergäben sich nicht aus ihrer Feststellung, sondern aus der Zustellung der Entscheidung an ihre Adressaten gemäß Artikel 191 Absatz 2 EWG-Vertrag.
113 Die Feststellung einer von der Kommission angenommenen Entscheidung sei die Bestätigung, daß diese Entscheidung von ihr ordnungsgemäß erlassen worden sei. Deshalb sei diese Rüge zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
114 Der Feststellungsvermerk auf den einzelnen verbindlichen Sprachfassungen des angefochtenen Rechtsakts trägt kein Datum. Die Kommission hat im übrigen ausdrücklich eingeräumt, daß die Feststellung nur zu dem Zweck erfolgt sei, der Anordnung des Gerichts in seinem Beweisbeschluß vom 10. März 1992 nachzukommen.
115 Ferner ist der Feststellungsvermerk auf dem spanischen, dem italienischen und dem niederländischen Text des angefochtenen Rechtsakts angebracht worden, obwohl ausweislich des beim Gericht am 6. Februar 1992 eingereichten Protokolls der Sitzung Nr. 945 der Kommission die dem Kommissionskollegium auf dieser Sitzung vorgelegten Entscheidungsentwürfe nur in Deutsch, in Englisch und in Französisch angenommen worden waren.
116 Nach Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission in seiner damals geltenden Fassung werden aber die von der Kommission gefassten Beschlüsse in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs festgestellt. Ausserdem ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung der Wortlaut dieser Beschlüsse dem Protokoll der Kommission beizufügen, in dem ihre Annahme vermerkt ist.
117 Dazu hat der Gerichtshof in dem genannten Urteil Kommission/BASF u. a. festgestellt, daß die in Artikel 12 Absatz 1 vorgesehene Ausfertigung der Rechtsakte die Rechtssicherheit gewährleisten soll, indem sie den vom Kollegium angenommenen Wortlaut in allen verbindlichen Sprachen feststellt. Damit ermöglicht sie es, im Streitfall die vollkommene Übereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichten Texte mit dem angenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sie erlassenden Stelle zu prüfen (Randnr. 75). Daraus hat der Gerichtshof gefolgert, daß Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission, der die Ausfertigung der Rechtsakte vorsieht, eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Artikels 173 EWG-Vertrag darstellt, wegen deren Verletzung die Nichtigkeitsklage gegeben ist (Randnr. 76).
118 Im vorliegenden Fall ist der Beweis erbracht, daß der streitige Rechtsakt nicht vor der Unterzeichnung des Protokolls der Sitzung Nr. 945 der Kommission festgestellt worden ist. Vielmehr ist er nicht nur nach seiner Zustellung an die betreffenden Unternehmen und nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt, sondern auch nach Erhebung der Nichtigkeitsklage und nach Zustellung des Beschlusses des Gerichts vom 10. März 1992 festgestellt worden.
119 Somit lässt sich aufgrund der Feststellung der dem Gericht am 31. März 1992 vorgelegten Schriftstücke weder der Zeitpunkt der Annahme des angefochtenen Rechtsakts noch sein Inhalt genau bestimmen. Bei dieser Feststellung sind also die Erfordernisse des Artikels 12 der Geschäftsordnung der Kommission nicht beachtet worden.
120 Infolgedessen kann diese verspätete Feststellung nicht den Erfordernissen des Artikels 12 der Geschäftsordnung der Kommission genügen. Daher lag zum Zeitpunkt der Zustellung des Rechtsakts an die betroffenen Unternehmen kein nach der genannten Bestimmung der Geschäftsordnung der Kommission ordnungsgemäß festgestellter Rechtsakt vor.
121 Nach alledem greift der dritte von den Klägerinnen zusätzlich geltend gemachte Nichtigkeitsgrund, der die Fehler des Verfahrens zur Feststellung der Entscheidung betrifft, durch.
D ° Zur Rüge der Inexistenz des Rechtsakts
122 Die Klägerinnen stellen zu Recht fest (vgl. Randnrn. 45 bis 50 dieses Urteils), daß der mit dem PVC-Urteil des Gerichts für inexistent erklärte Rechtsakt unter den gleichen Umständen fertiggestellt und angenommen wurde wie der im vorliegenden Fall angefochtene Rechtsakt. Sie meinen, das Gericht müsse deshalb die Erwägungen, die es im PVC-Urteil angestellt habe, auf den vorliegenden Fall übertragen und die Inexistenz des Rechtsakts feststellen.
123 Das Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1992 (BASF u. a./Kommission, a. a. O.) ist jedoch, wie oben dargestellt, mit einem Rechtsmittel angefochten und durch das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Kommission/BASF u. a. (a. a. O.) aufgehoben worden. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil darauf hingewiesen, daß für die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane die Vermutung der Gültigkeit spricht und sie daher selbst dann, wenn sie fehlerhaft sind, Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht aufgehoben oder zurückgenommen werden (Randnr. 48). Als Ausnahme von diesem Grundsatz entfalten nach der Entscheidung des Gerichtshofes Rechtsakte, die offenkundig mit einem derart schweren Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren kann, keine ° nicht einmal vorläufige ° Rechtswirkung, sind also rechtlich inexistent (Randnr. 49). Jedoch verlangt, wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, die Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsakts der Gemeinschaftsorgane verbunden sind, aus Gründen der Rechtssicherheit, daß diese Feststellung auf ganz aussergewöhnliche Fälle beschränkt wird (Randnr. 50). Unter Anwendung dieser Grundsätze auf das PVC-Urteil hat der Gerichtshof zunächst festgestellt, daß "das Gericht... keine Zweifel daran geäussert [hat], daß die Kommission in ihrer Sitzung vom 21. Dezember 1988 tatsächlich ° wie das betreffende Protokoll belegt ° beschlossen hat, den in diesem Protokoll wiedergegebenen verfügenden Teil der Entscheidung anzunehmen, unabhängig davon, mit welchen Fehlern diese Entscheidung auch behaftet gewesen sein mag" (Randnr. 51). Sodann hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß "die vom Gericht festgestellten Zuständigkeits- und Formfehler betreffend das Verfahren für den Erlaß der Entscheidung durch die Kommission ° für sich allein oder auch insgesamt betrachtet ° nicht derart schwerwiegend [sind], daß die genannte Entscheidung als rechtlich inexistent betrachtet werden müsste" (Randnr. 52). Der Gerichtshof hat daher entschieden, daß dem Gericht ein Rechtsirrtum unterlaufen ist, als es die Entscheidung 89/190 für inexistent erklärte (Randnr. 53).
124 Bei Anwendung dieser vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssachen sind die Anträge der Klägerinnen auf Feststellung der Inexistenz der Entscheidung zurückzuweisen. Hinsichtlich des verfügenden Teils der Entscheidung ist festzustellen, daß die Änderungen des vom Kommissionskollegium angenommenen Textes nicht über orthographische oder grammatikalische Änderungen hinausgehen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zulässig sind (Urteil Kommission/BASF u. a., a. a. O., Randnr. 68). Die anderen im vorliegenden Urteil bereits festgestellten Zuständigkeits- und Formfehler sind nach Ansicht des Gerichts den in der PVC-Sache festgestellten sehr ähnlich, so daß sie die Feststellung der Inexistenz des Rechtsakts nicht rechtfertigen können.
E ° Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung
125 Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen (vgl. Randnrn. 90, 107 und 121 dieses Urteils) ergibt, greifen die drei zusätzlichen Klagegründe durch, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts, die Unzuständigkeit der erlassenden Stelle und Unregelmässigkeiten des Verfahrens zur Feststellung des Rechtsakts geltend gemacht werden. Aus den Erwägungen, aufgrund deren das Gericht diesen Klagegründen gefolgt ist, ergibt sich auch, daß die Entscheidung unter Verstoß gegen den Grundsatz der kollegialen Verantwortlichkeit bei der Annahme der Entscheidungen durch die Kommission und den Grundsatz des Schutzes der Rechtssicherheit sowie unter Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages und gegen wesentliche Formvorschriften ergangen ist.
126 Aus all diesen Gründen ist die Entscheidung 89/191/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) aufzuheben.
Zu den Anträgen von Montedison auf Schadensersatz
127 Die Klägerin in der Rechtssache T-105/89, Montedison, beantragt, die Kommission zum Ersatz der im Laufe des Verwaltungsverfahrens entstandenen Kosten und zum Ersatz des durch die Durchführung der Entscheidung oder durch die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung im Falle aufgeschobener Zahlungen entstandenen Schadens zu verurteilen.
128 Die Klägerin hat in ihren Schriftsätzen zur Begründung dieses Antrags und zur Bezifferung des angeblichen Schadens nichts vorgetragen, was dem Gericht eine sachgerechte Entscheidung hierüber ermöglichen würde. Somit ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
129 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Klägerinnen entsprechend die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die von der Kommission in der Rechtssache T-103/89 erhobene Einrede der Unzulässigkeit wird zurückgewiesen.
2) Die Entscheidung 89/191/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) wird für nichtig erklärt.
3) Die Anträge auf Feststellung der Inexistenz der Entscheidung 89/191/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.866, LDPE) werden zurückgewiesen.
4) Der in der Rechtssache T-105/89 gestellte Antrag auf Schadensersatz wird als unzulässig zurückgewiesen.
5) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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