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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 19.11.1992
Aktenzeichen: T-80/91
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 55
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die wirksame Durchführung des Artikels 55 Absatz 1 des Statuts, wonach die Beamten im aktiven Dienst ihrem Organ jederzeit zur Verfügung stehen, setzt voraus, daß die Verwaltung über Informationen verfügt, die es ihr jederzeit gestatten, mit ihren Beamten und sonstigen Bediensteten unter deren Privatadresse Kontakt aufzunehmen. Im übrigen erfordern sowohl die das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beherrschenden Grundsätze als auch der schlichte gesunde Menschenverstand, daß die Anschrift des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber bekannt ist. Daher begründet die Weigerung eines Beamten, der Verwaltung seine Privatanschrift mitzuteilen, einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Artikel 55 des Statuts, der eine Disziplinarstrafe rechtfertigen kann.

2. Die Vorrechte und Befreiungen, die das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften im ausschließlichen Interesse der Gemeinschaften deren Beamten gewährt, besitzen insofern nur funktionalen Charakter, als durch sie eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Unabhängigkeit der Gemeinschaften verhindert werden soll. Somit bezweckt oder bewirkt das Protokoll nicht, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu nehmen, jederzeit Kenntnis von den ihr Hoheitsgebiet berührenden Bevölkerungsbewegungen zu erlangen. Ausserdem ist es Sache der Mitgliedstaaten, diejenigen Behörden zu bestimmen, denen diese Verwaltungstätigkeit obliegt. Daher ist es nach Artikel 12 Buchstabe b in Verbindung mit den Artikeln 16, 18 und 19 des Protokolls nicht untersagt, die von den Behörden des Gastmitgliedstaats auf der Grundlage des Protokolls und in Durchführung eines zwischen der Regierung dieses Staates und den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommens erlangte Auskunft über die Privatanschrift eines Beamten gemäß Artikel 19 des Protokolls und zu dem alleinigen Zweck, den nationalen Behörden die Kenntnis der ihr Hoheitsgebiet berührenden Bevölkerungsbewegungen zu ermöglichen, an andere öffentliche Stellen, insbesondere die Gemeinde, in der der Betreffende wohnhaft ist, weiterzuleiten.

3. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmässigkeit einer Entscheidung der Verwaltung, die der Gemeinschaftsrichter unter den Voraussetzungen von Artikel 179 EWG-Vertrag vornimmt, ist es nicht Sache des Gerichts, die Gültigkeit der Auslegung eines zwischen einem Mitgliedstaat und den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommens durch nationale Behörden zu beurteilen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 19. NOVEMBER 1992. - ANNA MARIA CAMPOGRANDE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - PROTOKOLL UEBER DIE VORRECHTE UND BEFREIUNGEN - ABKOMMEN VON 3. APRIL 1987 MIT DEM KOENIGREICH BELGIEN - VEREINBARKEIT - DISZIPLINARSTRAFE - BEGRIFF DER VERLETZUNG DER DURCH DAS STATUT AUFERLEGTEN PFLICHTEN - TRAGWEITE VON ARTIKEL 55 DES STATUTS. - RECHTSSACHE T-80/91.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt, rechtlicher Rahmen und Verfahren

1 In einem Disziplinarverfahren wurde der Klägerin, einer Beamtin der Besoldungsgruppe A 5 in der Generaldirektion für Auswärtige Beziehungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit Entscheidung vom 13. Februar 1991 ein Verweis erteilt, weil sie sich dem beklagten Organ zufolge anhaltend und entschieden geweigert habe, der Verwaltung ihre Privatanschrift mitzuteilen, wozu sie, so die Kommission, nach Artikel 55 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet gewesen wäre.

2 Die Disziplinarbehörde sah diese Weigerung als besonders schwerwiegend an, weil die Kommission sich nach Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Protokoll) sowie nach dem Abkommen zwischen den in Belgien ansässigen Organen der Europäischen Gemeinschaften und der belgischen Regierung über die Beamten dieser Organe betreffende Auskünfte vom 3. April 1987 (im folgenden: Abkommen) für verpflichtet hält, den Behörden des Aufnahmelandes die Privatanschriften ihrer Beamten mitzuteilen.

3 Die einschlägigen Bestimmungen des Protokolls sind folgende:

° Artikel 12: "Den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit folgende Vorrechte und Befreiungen zu:... b) Befreiung von Einwanderungsbeschränkungen und von der Meldepflicht für Ausländer; das gleiche gilt für ihre Ehegatten und die von ihnen unterhaltenen Familienmitglieder..."

° Nach Artikel 16 ° der auf die Klägerin gemäß der Verordnung (Euratom, EGKS, EWG) Nr. 549/69 des Rates vom 25. März 1969 zur Bestimmung der Gruppen von Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, auf welche die Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften Anwendung finden (ABl. L 74, S. 1) zuletzt geändert durch die Verordnung Nr. 3520/85 vom 12. Dezember 1985 (ABl. L 335, S. 60) Anwendung findet ° "werden Namen, Dienstrang und -stellung sowie Anschrift der Beamten und sonstigen Bediensteten... den Regierungen der Mitgliedstaaten in regelmässigen Zeitabständen mitgeteilt".

° In Artikel 18 heisst es, daß die "Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen... den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften ausschließlich im Interesse der Gemeinschaften gewährt" werden.

° Schließlich bestimmt Artikel 19: "Bei der Anwendung dieses Protokolls handeln die Organe der Gemeinschaften und die verantwortlichen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen."

4 Die einschlägigen Bestimmungen des Abkommens sind folgende:

° Artikel 1: "Die Organe übermitteln dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Aussenhandel und Entwicklungszusammenarbeit zweimal jährlich die nachstehend aufgeführten Auskünfte über ihre Beamten und sonstigen Bediensteten:

1. Name und Vornamen

2. Geburtsort und -datum

3. Geschlecht

4. Staatsangehörigkeit

5. Hauptwohnsitz (Gemeinde, Strasse und Hausnummer)

6. Familienstand

7. Zusammensetzung des Haushalts

8. Datum des Dienstantritts in Belgien."

° Nach Artikel 2 werden "bei den Angaben zu den Punkten 1 bis 7 von Artikel 1 eintretende Änderungen monatlich mitgeteilt".

° Artikel 4 lautet: "Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Aussenhandel und Entwicklungszusammenarbeit unterrichtet die betroffenen Gemeinden über die Wohnsitzbegründung der Beamten und sonstigen Bediensteten der Organe in ihrem Gebiet sowie über die Mitteilungen nach den Artikeln 2 und 3."

5 Das Abkommen und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen wurden veröffentlicht und dem gesamten Personal in den Verwaltungsmitteilungen Nrn. 1/87 vom 9.4.1987, 4/88 vom 10.2.1988 und 22a/88 vom 13.7.1988 zur Kenntnis gebracht. Nach Abschluß des Abkommens forderte der Generaldirektor für Personal und Verwaltung bei der Kommission die in Belgien ansässigen Beamten dieses Organs am 9. Dezember 1987 auf, durch Ausfuellen eines Fragebogens die Angaben zu ihrer Person auf den neuesten Stand zu bringen, damit sie gemäß Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls und in Einklang mit dem Abkommen den belgischen Behörden übermittelt werden konnten. Die Klägerin weigerte sich, den Fragebogen auszufuellen.

6 Die Vorgeschichte des Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen: Nachdem gegen die Klägerin in einem Zivilrechtsstreit ein Versäumnisurteil ergangen war, stellte sie im Juni 1989 fest, daß ihr Name und der ihres Ehemanns im Register der Gemeinde Ixelles unter einer seit 1981 nicht mehr zutreffenden Anschrift eingetragen waren. Diese Eintragung ging darauf zurück, daß die Kommission die Anschrift der Klägerin zuvor den belgischen Behörden mitgeteilt hatte, die die betroffene Gemeinde gemäß Artikel 1 des Abkommens hierüber unterrichtet hatte.

7 Am 6. September 1989 legte die Klägerin eine Beschwerde ein, mit der sie das Recht der Kommission bestritt, den belgischen Behörden die genannten Auskünfte zu erteilen, und forderte die Kommission auf, das Abkommen zu kündigen. Die Kommission trägt vor, sie habe bei der Prüfung dieser Beschwerde festgestellt, daß die Klägerin seit dem 22. Januar 1979, d. h. seit ihrem Umzug nach Ixelles, der Verwaltung niemals eine Änderung ihrer Privatanschrift mitgeteilt habe. Diese Behauptung wird von der Klägerin bestritten. Mit Entscheidung vom 11. April 1990 wies die Kommission die Beschwerde ausdrücklich mit der Begründung zurück, das Abkommen finde seine ordnungsgemässe Grundlage im Protokoll. Insbesondere legte die Kommission der Klägerin dar, das Abkommen erschöpfe sich darin, die Mitteilung der in Artikel 16 des Protokolls vorgesehenen Auskünfte an die belgischen Behörden zu regeln, und solle die Durchführung dieser Bestimmung erleichtern. Schließlich wurde die Klägerin auf ihre Verpflichtungen nach Artikel 55 des Statuts hingewiesen, insbesondere auf die Verpflichtung, der Verwaltung ihre Privatanschrift mitzuteilen. Die Klägerin griff die ausdrückliche Zurückweisung ihrer Beschwerde nicht im Klagewege an.

8 Es steht fest, daß der Leiter der Personaldirektion die Klägerin in der Folgezeit mehrfach aufgefordert hat, der Verwaltung ihre Privatanschrift mitzuteilen, widrigenfalls ein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet werden würde. Angesichts ihrer wiederholten Weigerung, diese Auskunft zu erteilen, wurde gegen die Klägerin ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das dazu führte, daß ihr am 13. Februar 1991 gemäß Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe b des Statuts ein Verweis erteilt wurde.

9 Mit Schreiben vom 15. April 1991 legte die Klägerin wegen dieser Disziplinarmaßnahme Beschwerde ein, die Kommission wies diese Beschwerde zunächst stillschweigend zurück und bestätigte diese Zurückweisung durch eine ausdrückliche Entscheidung vom 30. Oktober 1991, die der Klägerin am 11. November 1991 mitgeteilt wurde.

10 In Anbetracht dieser Umstände erhob die Klägerin am 15. November 1991 die vorliegenden Klage.

11 Das schriftliche Verfahren ist am 26. Juni 1992 mit der Einreichung der Gegenerwiderung der Kommission abgeschlossen worden; die Parteien haben in der Sitzung vom 21. Oktober 1992 mündliche Ausführungen gemacht und Fragen des Gerichts beantwortet. Bei dieser Gelegenheit ist die Klägerin aufgrund des nach den Artikeln 65 Buchstabe a und 66 der Verfahrensordnung ergangenen Beschlusses des Gerichts persönlich erschienen.

Anträge der Parteien

12 Die Klägerin beantragt,

° die Klage als gemäß den Vorschriften des Statuts eingereicht für zulässig zu erklären;

° die stillschweigende Entscheidung, mit der die Kommission die Beschwerde der Klägerin vom 15. April 1991 zurückgewiesen hat, aufzuheben und

° der Beklagten sämtliche Verfahrenskosten aufzuerlegen.

13 Die Kommission beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Begründetheit

14 Die Klägerin hatte ihre Klage ° die, wie das beklagte Organ einräumt, als gegen die ursprüngliche Entscheidung vom 13. Februar 1991 mitsamt den die Beschwerde jeweils stillschweigend und ausdrücklich zurückweisenden Entscheidungen gerichtet anzusehen ist ° anfänglich auf sechs Gründe gestützt. Sie hatte erstens geltend gemacht, die angefochtene Entscheidung sei mit einem Verfahrensfehler behaftet; zweitens fehle der Entscheidung die Begründung; drittens beruhe sie auf einem Tatsachenirrtum; viertens fehle der gegen sie, die Klägerin, verhängten Disziplinarmaßnahme die Rechtsgrundlage; fünftens bestehe ein Widerspruch zwischen Abkommen und Protokoll; sechstens schließlich verletze die angefochtene Entscheidung das Protokoll und verstosse gegen das Gebot der Achtung des Privatlebens der Klägerin.

15 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ausdrücklich auf die Klagegründe des Verfahrensfehlers, der fehlenden Begründung und des Verstosses gegen das Gebot der Achtung des Privatlebens verzichtet.

° Zum Klagegrund des Tatsachenirrtums

Vorbringen der Parteien

16 Die Klägerin führt aus, soweit die angefochtene Entscheidung darauf gestützt sei, daß sie der Beklagten ihre Privatanschrift nicht mitgeteilt habe, beruhe sie auf einem Tatsachenirrtum, da eine solche Mitteilung zweimal erfolgt sei, nämlich 1982 und 1984. Abgesehen davon, daß weder Artikel 55 des Statuts, auf den die Disziplinarstrafmaßnahme Bezug nehme, noch irgendeine sonstige Statutsbestimmung die Beamten verpflichte, dem Organ, dem sie unterstellt seien, ihre Privatanschrift mitzuteilen, habe die Klägerin der Kommission jedenfalls regelmässig ihre persönliche Anschrift mitgeteilt. Die letzte derartige Mitteilung sei am 5. Juni 1984 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin der Kommission die Anschrift bekanntgegeben, unter der sie seitdem wohne. Es sei also festzustellen, daß ihr kein Verstoß gegen Artikel 55 des Statuts vorgeworfen werden könne. Nach diesem Datum und seit sie in einen Zivilrechtsstreit verwickelt worden sei, der damit zusammenhänge, daß die Kommission ihre Privatanschrift den belgischen Behörden mitgeteilt habe, sei die Klägerin nur dann bereit, der Beklagten ihre Anschrift mitzuteilen, wenn diese gewährleiste, daß die Information nicht an die belgischen Behörden weitergeleitet werde.

17 Die Kommission führt aus, sie habe das angebliche Schreiben vom 5. Juni 1984, das der Klage mit unkenntlich gemachter Angabe der Adresse als Anlage IX beigefügt sei und mit dem die Klägerin nach ihrer Behauptung der Beklagten ihre jetzige Anschrift bekanntgegeben habe, niemals erhalten. Die letzte Privatanschrift der Klägerin, die nicht ihrer gegenwärtigen Anschrift entspreche, sei der Kommission 1979 mitgeteilt worden. Wenn die Klägerin, wie sie behaupte, der Verwaltung bereits früher ihre neue Anschrift mitgeteilt habe, sei sie durch nichts gehindert gewesen, dies im Laufe des Disziplinarverfahrens erneut zu tun, das in diesem Fall ohne weitere Folgen eingestellt worden wäre. Sei dies jedoch, wie die Kommission meine, nicht der Fall gewesen, so könne diese Weigerung der Klägerin nur als Disziplinarvergehen angesehen werden.

Würdigung durch das Gericht

18 Zum ersten Klagegrund stellt das Gericht fest, daß die Behauptung der Klägerin, der Beklagten zweimal, 1982 und 1984, ihre Privatanschrift mitgeteilt zu haben, durch keines der in den Akten enthaltenen Schriftstücke belegt wird, da das der Klage als Anlage IX beigefügte Schreiben vom 5. Juni 1984, das die Kommission nach ihren Angaben nicht erhalten hat, keinen dienstlichen Sichtvermerk aufweist und auch nicht als Einschreiben versandt wurde. Das Gericht kann daher dieses Schriftstück, das unstreitig nicht in der Personalakte der Klägerin enthalten ist und dessen Erstellungsdatum sich nicht mit Sicherheit feststellen lässt, nicht als Beweis anerkennen. Im übrigen hat die Klägerin jedenfalls sowohl im schriftlichen Verfahren als auch bei ihrer Anhörung durch das Gericht zugegeben, daß sie sich mehrfach geweigert hat, nach jenem Datum, namentlich im Anschluß an die auf die Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Gemeinschaftsorganen und dem Königreich Belgien am 9. April 1987 folgende Mitteilung der Kommission vom 9. Dezember 1987, ihre Privatanschrift mitzuteilen. Überdies steht aufgrund des schriftlichen wie auch des mündlichen Verfahrens, insbesondere aufgrund der Anhörung der Klägerin, mit hinreichender Sicherheit fest, daß die Klägerin eine solche Mitteilung beharrlich davon abhängig gemacht hat, daß sich die Kommission verpflichtet, auf die Übermittlung der in dieser Weise eingeholten Auskunft an die belgischen Behörden zu verzichten. Unter diesen Umständen kann die Klägerin jedenfalls nicht geltend machen, die angefochtene Entscheidung beruhe auf unrichtigen Tatsachen.

19 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

° Zum Klagegrund des Fehlens einer Rechtsgrundlage für die Disziplinarstrafe

Vorbringen der Parteien

20 Die Klägerin macht geltend, die einzige Rechtsgrundlage, die den ihr erteilten Verweis rechtfertigen könnte, nämlich Artikel 55 des Statuts, nicht aber Protokoll und Abkommen, sei hier nicht gegeben, weil erstens keine Bestimmung dieses Artikels die Beamten verpflichte, ihrer Behörde ihre Privatanschrift mitzuteilen, und weil zweitens die Durchführungsvorschriften, auf die Absatz 3 des Artikels verweise, niemals ergangen seien. Schließlich habe die Klägerin, wie es Artikel 55 Absatz 1 vorschreibe, der Kommission jederzeit zur Verfügung gestanden.

21 Hilfsweise trägt die Klägerin vor, auch die Tatsache, daß sie es unterlassen habe, den der Mitteilung der Beklagten an ihre in Belgien diensttuenden Beamten, Bediensteten auf Zeit und Hilfskräfte vom 9. Dezember 1987 beigefügten Fragebogen auszufuellen, könne keinen Verstoß gegen das Statut begründen, da diese Mitteilung den Genannten keinerlei Verpflichtung auferlegt habe und weder eine Statutsbestimmung noch eine Durchführungsmaßnahme zum Statut darstelle.

22 Nach Ansicht der Kommission geht dieser Klagegrund fehl. Die anhaltende Weigerung der Klägerin, der Verwaltung ihre Privatanschrift mitzuteilen, stelle sehr wohl eine Missachtung des Statuts, insbesondere von dessen Artikel 55, dar, dem vernünftigerweise zu entnehmen sei, daß die Verwaltung jederzeit in der Lage sein müsse, Kontakt zu ihren Beamten aufzunehmen, und infolgedessen Kenntnis von deren Privatanschrift haben müsse. Diese Missachtung von Artikel 55 des Statuts wiege um so schwerer, als die fragliche Information sowohl nach Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls als auch nach dem Abkommen dem Königreich Belgien übermittelt werden müsse, so daß die Weigerung der Klägerin dazu geführt habe, daß die Kommission ihre Verpflichtungen gegenüber dem Königreich Belgien nicht habe erfuellen können. Die anhaltende Weigerung rechtfertige die gemäß Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe b des Statuts erfolgte Bestrafung der Klägerin mit einem Verweis.

Würdigung durch das Gericht

23 Die fünfte Begründungserwägung der Entscheidung vom 13. Februar 1991, mit der der Klägerin ein Verweis erteilt wurde, lautet wie folgt: "Nach Auffassung der Verwaltung... stellt die Weigerung von Frau Anna Maria Campogrande, ihr Auskunft über ihre Privatanschrift zu erteilen, eine Verletzung der den Beamten obliegenden Verpflichtungen dar, insbesondere der Verpflichtung aus Artikel 55 des Statuts."

24 Artikel 55 des Statuts, auf den sich die Entscheidung somit bezieht, besteht aus drei Absätzen. Nach Absatz 1 "[stehen] die Beamten im aktiven Dienst... ihrem Organ jederzeit zur Verfügung". Absatz 2 setzt die wöchentliche Arbeitszeit fest. Schließlich bestimmt Absatz 3: "Aufgrund dienstlicher Erfordernisse oder aufgrund von Betriebssicherheitsvorschriften kann der Beamte ausserdem verpflichtet werden, sich ausserhalb der regelmässigen Arbeitszeit am Arbeitsplatz oder in seiner Wohnung zur Verfügung des Organs zu halten. Das Organ legt nach Anhörung der Personalvertretung die Durchführungsvorschriften zu diesem Absatz fest."

25 Gewiß kann, wie übrigens auch die Parteien einräumen, Artikel 55 Absatz 3 des Statuts erst nach Erlaß der dort genannten Durchführungsvorschriften in Kraft treten, soweit er Bestimmungen enthält, die nicht hinreichend klar und unbedingt sind. Anders steht es jedoch mit Absatz 1 dieses Artikels, dessen Inkrafttreten nicht vom Erlaß irgendwelcher Durchführungsvorschriften abhängt und der den Bediensteten entgegengehalten werden kann, da er für sie eine hinreichend genaue Verpflichtung begründet.

26 Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist das Gericht daher der Auffassung, daß die Mitteilung der Beklagten an die Beamten, Bediensteten auf Zeit und Hilfskräfte vom 9. Dezember 1987 eine hinreichende Rechtsgrundlage in Artikel 55 Absatz 1 des Statuts findet, dessen wirksame Durchführung voraussetzt, daß die Verwaltung über Informationen verfügt, die es ihr jederzeit gestatten, mit ihren Beamten und sonstigen Bediensteten unter deren Privatadresse Kontakt aufzunehmen. Überdies erfordern es die Gesamtheit der das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beherrschenden Grundsätze sowie der schlichte gesunde Menschenverstand, daß die Anschrift des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber bekannt ist. Das Gericht ist daher der Auffassung, daß die Klägerin es sich praktisch unmöglich gemacht hat, ihrem Organ jederzeit zur Verfügung zu stehen, indem sie sich weigerte, ihre Privatanschrift mitzuteilen, und daß dieses Verhalten einen Verstoß gegen die in Rede stehenden Verpflichtungen aus dem Statut begründet.

27 Der zweite Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, die Disziplinarstrafe finde keine hinreichende Rechtsgrundlage in Artikel 55 des Statuts, ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

° Zum Klagegrund des Widerspruchs zwischen Abkommen und Protokoll

Vorbringen der Parteien

28 Die Klägerin führt aus, sie sei bereit gewesen, dem beklagten Organ ihre Privatanschrift mitzuteilen, vorausgesetzt, dieses garantiere ihr, daß die Anschrift nicht in die Einwohnerliste des Königreichs Belgien eingetragen werde. Wenn das Abkommen vorsehe, daß Name, Vorname, Geburtsort und -datum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Hauptwohnsitz, Familienstand, Zusammensetzung des Haushalts und Datum des Dienstantritts in Belgien der Gemeinschaftsbeamten zweimal jährlich den belgischen Behörden mitzuteilen seien, so gehe es über die Verpflichtungen hinaus, die Artikel 16 des Protokolls der Kommission auferlege.

29 Ausserdem ersetze das Abkommen, so wie es von den belgischen Behörden angewendet werde, die in Artikel 3 der Königlichen Verordnung vom 1. April 1960 über die Führung der Einwohnerlisten vorgesehenen Formvorschriften für die Anmeldung der Ausländer. Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls werde somit nicht nur nicht mehr angewendet, sondern durch das Abkommen ersetzt, das die Kommission verpflichte, der belgischen Regierung weit umfassendere Informationen zu liefern als diejenigen, die sie zuvor aufgrund von Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls habe liefern müssen.

30 Diese Auslegung werde zum einen durch ein Rundschreiben des belgischen Ministers des Innern und für den öffentlichen Dienst vom 17. Januar 1987 bestätigt, in dem es heisse, über die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaftsorgane werde künftig ein Vermerk in die Einwohnerlisten der Gemeinde ihres Hauptwohnsitzes aufgenommen, und dieser Vermerk habe die gleichen Wirkungen wie die Eintragung; zum anderen werde sie durch ein Rundschreiben vom 13. März 1989 bekräftigt, wonach über die Beamten der Organe der Europäischen Gemeinschaften in die Einwohnerlisten der Gemeinde ihres Hauptwohnsitzes ein Vermerk aufgenommen werde, der als Eintragung in die Einwohnerliste gelte. Aufgrund dieser Auslegung des Abkommens sei aber festgestellt worden, daß die Gemeinschaftsbeamten gemäß den belgischen Rechtsvorschriften über das staatliche Register der natürlichen Personen in dieses Register eingetragen worden seien; diese Vorschriften sähen vor, daß in das staatliche Register diejenigen Personen einzutragen seien, die "in die bei den Gemeinden geführten Einwohnerlisten und Ausländerregister eingetragen sind".

31 Die Klägerin beruft sich auf das Urteil vom 18. März 1986 in der Rechtssache 85/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1986, 1149), mit dem der Gerichtshof entschieden habe, daß jede Maßnahme, die zur Folge habe, daß die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften gezwungen seien, ihre Eintragung in die Einwohnerliste zu beantragen, in Widerspruch zu Artikel 12 Buchstabe b stehe. Dies gelte erst recht, wenn diese Eintragung von Amts wegen erfolge. So stuenden Auslegung und Anwendung des Abkommens sowohl durch den belgischen Minister für innere Angelegenheiten und für den öffentlichen Dienst als auch durch die Gemeinden und die Beklagte selbst im Widerspruch zu Artikel 12 des Protokolls. Die Weigerung der Klägerin, dem beklagten Organ die geforderten Auskünfte zu erteilen, sei daher gerechtfertigt.

32 Schließlich beruft sich die Klägerin auf eine Entscheidung des beratenden Ausschusses für den Schutz der Privatsphäre vom 11. Oktober 1991, mit der die Eintragung der Beamten der Gemeinschaft in das staatliche Register für rechtswidrig erklärt und festgestellt worden sei, daß der Minister für innere Angelegenheiten und für den öffentlichen Dienst mit seiner Anordnung, daß der in die Einwohnerliste aufgenommene Vermerk über die Gemeinschaftsbeamten als Eintragung dieser Beamten in die Liste zu gelten habe, seine Befugnisse überschritten habe.

33 Die Kommission führt aus, die Gewährung bestimmter Vorrechte und Befreiungen durch das ° als Anhang zum Fusionsvertrag im gleichen Rang wie der Vertrag selbst stehende ° Protokoll solle nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Unabhängigkeit der Gemeinschaft verhindern (Beschluß des Gerichtshofes vom 13. Juli 1990 in der Rechtssache C-2/88, Zwartfeld u. a., Slg. 1990, I-3365). Das Abkommen sei auf der Grundlage von Artikel 19 des Protokolls beschlossen worden, um eine Meinungsverschiedenheit zwischen der Gemeinschaft und bestimmten belgischen Gemeinden auszuräumen. Es stehe in Einklang mit Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls, der sicherstellen solle, daß das Personal der Gemeinschaften seine Aufgaben unbehindert erfuellen könne (siehe die dem vorerwähnten Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 1986 vorausgegangenen Schlussanträge von Generalanwalt VerLoren van Themaat), und trage zugleich dem Sinn von Artikel 18 Absatz 1 des Protokolls Rechnung.

34 Die Kommission weist darauf hin, daß Artikel 1 des Abkommens eine zweimal jährlich vorzunehmende Mitteilung bestimmter Personaldaten an den Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Entwicklungszusammenarbeit vorsehe und daß der Minister gemäß Artikel 4 des Abkommens diese Daten nach Erhalt an die betroffenen Gemeinden weiterzuleiten habe. Diese nähmen einen Vermerk hierüber in die Einwohnerlisten auf. Dieser Vermerk gelte hinsichtlich seiner Wirkungen als Eintragung in die Einwohnerliste unter der speziellen Rubrik "EWG-Protokoll". Diesen Abmachungen sei zu entnehmen, daß das Abkommen, dessen Begründungserwägungen übrigens ausdrücklich auf die Artikel 16 und 19 des Protokolls Bezug nähmen, lediglich ein System der Übermittlung bestimmter Auskünfte an die belgischen Behörden geschaffen habe, und zwar unter Beachtung von Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls und in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes, der "die Befugnis [der Mitgliedstaaten] zum Erlaß von Maßnahmen" anerkannt habe, "die den nationalen Behörden die genaue Kenntnis der Bevölkerungsbewegungen in ihrem Hoheitsgebiet ermöglichen sollen" (Urteil vom 7. Juli 1976 in der Rechtssache 118/75, Watson, Slg. 1976, 1185).

35 Daß der in die Gemeinderegister aufgenommene Vermerk dieselbe Wirkung habe wie die Eintragung in diese Register, bedeute in keiner Weise, daß damit eine Meldepflicht für Gemeinschaftsbeamte begründet werde, wie sie Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls ausschließe. Das Abkommen verfolge lediglich den Zweck, diese Beamten von der Meldepflicht freizustellen, ihnen aber zugleich die zahlreichen Unannehmlichkeiten zu ersparen, die sich aus dieser fehlenden Anmeldung ergeben könnten. Wenn es in Ministerialrundschreiben geheissen habe, der aufgrund des Abkommens erfolgte Vermerk habe die gleiche Wirkung wie die Eintragung in das Register, so ändere dies nichts daran, daß die Befreiung von der Meldepflicht tatsächlich bestehe. Das Abkommen stehe daher in Einklang mit Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls, wie die Kommission der Klägerin bereits in ihrer Antwort vom 11. April 1990 auf eine frühere Beschwerde mitgeteilt habe.

36 Der Forderung der Klägerin, die verlangten Auskünfte nicht an die belgischen Behörden weiterzugeben, widrigenfalls sie der Kommission diese Auskünfte nicht erteilen würde, könne daher nicht entsprochen werden, da die Beklagte nicht in der Lage sei, eine solche Forderung zu erfuellen, ohne ihre eigenen Verpflichtungen zu missachten, wie sie sich aus Artikel 16 des Protokolls und Artikel 1 des Abkommens ergäben. Unter diesen Umständen habe die Disziplinarbehörde angesichts der fortdauernden Weigerung, die geforderten Informationen zu liefern, der Klägerin mit Recht einen Verweis erteilt, der namentlich auf der Nichterfuellung der Verpflichtungen beruhe, die die Klägerin nach Artikel 55 des Status träfen.

37 Selbst wenn sich im übrigen herausstellen sollte, daß das Abkommen zu Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls im Widerspruch stehe ° was jedoch nicht der Fall sei °, hätte die Klägerin sich nicht weigern dürfen, dem Abkommen Folge zu leisten, da die durch das Protokoll verbürgten Vorrechte und Befreiungen ausschließlich im Interesse der Gemeinschaft gewährt würden. In diesem klar umrissenen Rahmen hätten die Beamten keine eigenen Interessen zu vertreten, so daß ihnen das Rechtsschutzinteresse fehle. Dies ergebe sich aus dem vorerwähnten Urteil vom 18. März 1986, wo der Gerichtshof entschieden habe, daß der Beamte nicht auf Vorrechte verzichten könne, in bezug auf die er nicht der Begünstigte sei. In diesem Sinn habe die Klägerin jedenfalls gegen ihre Verpflichtungen aus dem Statut verstossen. Wenn sie nämlich das Abkommen für unvereinbar mit dem Protokoll gehalten habe, so hätte sie gemäß den Artikeln 21 und 23 des Statuts vorgehen müssen. Mit der Nichteinhaltung des in diesen beiden Bestimmungen vorgesehenen Verfahrens habe sie in jedem Falle die Verpflichtungen missachtet, die ihr nach dem Statut oblägen. Zu Recht sei ihr daher ein Verweis erteilt worden.

38 Was die von der Klägerin angeführte Entscheidung des beratenden Ausschusses für den Schutz der Privatsphäre angehe, so habe diese Stelle in der Begründung der Entscheidung ausgeführt, sie äussere sich weder "zu der Frage, ob der die Beschwerdeführerin und deren Angehörige betreffende in die Einwohnerliste aufgenommene Vermerk in sich, d. h. ungeachtet der Fragen, die sich hieraus für das staatliche Register ergeben, rechtmässig ist", noch dazu, "ob die zuständige Stelle, nämlich der Gesetzgeber, ohne Verstoß gegen das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften entscheiden könnte, daß die Beamten der Europäischen Gemeinschaften die Voraussetzungen für die Eintragung in die Einwohnerlisten oder für einen der Eintragung gleichzustellenden Vermerk erfuellen". Die genannte Entscheidung sei daher für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.

Würdigung durch das Gericht

39 Zur Würdigung des dritten von der Klägerin vorgebrachten Klagegrundes, mit dem ein Widerspruch zwischen Protokoll und Abkommen geltend gemacht wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Rechtsstreit nur die Mitteilung der Privatanschrift der Klägerin an die Kommission betrifft und daß diese die Klägerin mehrfach aufgefordert hat, ihr diese Auskunft zu erteilen, sei es lediglich aufgrund von Artikel 55 des Statuts (so namentlich in ihrer Antwort auf eine frühere Beschwerde; siehe oben Randnr. 7), sei es gestützt auf Artikel 16 des Protokolls in Verbindung mit Artikel 1 des Abkommens. Wie bereits ausgeführt (oben Randnr. 26), stellt die Weigerung der Klägerin, ihrer Behörde ihre Anschrift mitzuteilen, eine Verletzung ihrer beamtenrechtlichen Verpflichtungen aus Artikel 55 des Statuts dar, die lediglich den inneren Dienstbetrieb der Kommission betreffen, nicht aber die Fragen, die sich auf die Mitteilung der Anschriften ihrer Beamten und sonstigen Bediensteten an die Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten beziehen. Selbst wenn der vorliegende Klagegrund stichhaltig sein sollte, wäre er daher für sich allein nicht geeignet, notwendig zur Aufhebung der verhängten Disziplinarstrafe zu führen. Da die angefochtene Entscheidung indessen mindestens teilweise mit der Anwendbarkeit des Abkommens auf den Fall der Klägerin begründet wurde, muß das Gericht auf die zur Stützung des vorliegenden Klagegrundes vorgebrachten Argumente eingehen.

40 Die Klägerin stützt ihr Angriffsmittel im wesentlichen auf drei Gründe: Widerspruch zwischen Protokoll und Abkommen hinsichtlich der Auskünfte, die die Kommission den Mitgliedstaaten zu übermitteln hat; Widerspruch zwischen Protokoll und Abkommen bezueglich der Endadressaten dieser Auskünfte; schließlich eine Verletzung des Protokolls, die sich aus dessen rechtswidriger Auslegung durch die belgischen Behörden ergebe.

41 Erstens ergibt sich aus den vorerwähnten Bestimmungen von Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls und Artikel 1 des Abkommens, daß diese Bestimmungen sämtlich die Mitteilung der Privatanschriften der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften durch die Kommission an die belgischen Behörden vorsehen. Zwischen diesen Bestimmungen besteht daher keinerlei Widerspruch.

42 Zweitens gewährt das Protokoll im ausschließlichen Interesse der Gemeinschaften deren Beamten bestimmte Vorrechte; die von ihm gewährten Vorrechte und Befreiungen besitzen "insofern nur funktionalen Charakter, als durch sie eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Unabhängigkeit der Gemeinschaften verhindert werden soll" (Beschlüsse des Gerichtshofes vom 11. April 1989 in der Rechtssache 1/88, SA Générale de Banque, Slg. 1989, 857, Randnr. 9, sowie vom 13. Juli 1990 in der Rechtssache Zwartveld u. a., a. a. O., Randnrn. 19 und 20). Daher bezweckt oder bewirkt das Protokoll nicht, den Mitgliedstaaten die ihnen in dem Urteil vom 7. Juli 1976 (Watson, a. a. O.) ausdrücklich zugebilligte Möglichkeit zu nehmen, jederzeit Kenntnis von den ihr Hoheitsgebiet berührenden Bevölkerungsbewegungen zu erlangen. Die Klägerin kann daher auch nicht mit Erfolg geltend machen, die von den belgischen Behörden auf der Grundlage des Protokolls erlangte Auskunft über ihre Privatanschrift, die den einzigen Streitpunkt bildet, dürften nicht gemäß Artikel 19 des Protokolls und zu dem alleinigen Zweck, den Behörden des Königreichs Belgien die Kenntnis der ihr Hoheitsgebiet berührenden Bevölkerungsbewegungen zu ermöglichen, an andere öffentliche Stellen, insbesondere die Gemeinden, in denen die Beamten wohnhaft sind, weitergeleitet werden. Es ist nämlich Sache der Mitgliedstaaten, diejenigen Behörden zu bestimmen, denen diese Verwaltungstätigkeit obliegt. Wenn Artikel 4 des Abkommens vorsieht, daß der Minister den betroffenen Gemeinden die Anschriften der Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften mitteilt, so verletzt er daher nicht Artikel 12 Buchstabe b in Verbindung mit den Artikeln 16, 18 und 19 des Protokolls.

43 Unerheblich ist drittens das Vorbringen der Klägerin, wonach das Abkommen nach seiner Auslegung durch die belgischen Behörden für die Gemeinschaftsbeamten an die Stelle der Meldepflicht für Ausländer trete, obwohl diese Beamten kraft Artikel 12 Buchstabe b des Protokolls von dieser Formalität befreit seien. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung der Kommission, die der Gemeinschaftsrichter unter den Voraussetzungen von Artikel 179 des Vertrages vornimmt, ist es nicht Sache des Gerichts, die Gültigkeit der Auslegung des Abkommens durch die belgischen Behörden zu beurteilen. Das Gericht hat lediglich die Aufgabe, zum einen zu untersuchen, ob die Disziplinarstrafe, über die es zu befinden hat, eine hinreichende Rechtsgrundlage im Statut, insbesondere, wie bereits dargelegt, in dessen Artikel 55 findet, zum anderen sich zu vergewissern, daß das beklagte Organ weder das Protokoll noch das Statut verletzt hat, indem es für die Zwecke der Anwendung sowohl des Protokolls als auch von Artikel 55 des Statuts unter den im Abkommen festgelegten Bedingungen die Klägerin zur Mitteilung ihrer Privatanschrift aufforderte. Da feststeht, daß sich die Klägerin mehrfach geweigert hat, ihre Privatanschrift mitzuteilen, es sei denn, die Kommission verpflichte sich, diese Auskunft nicht an die belgischen Behörden weiterzuleiten, und da in den Begründungserwägungen der angefochtenen Entscheidung zu Recht ausgeführt wird, die Kommission könne der Klägerin keine derartige Zusicherung machen, weil dies sowohl zu Artikel 16 des Protokolls als auch zu Artikel 1 des Abkommens in Widerspruch stehen würde, ist die Entscheidung der Kommission, gegen die Klägerin eine Disziplinarstrafe zu verhängen, nicht mit einem Rechtsfehler behaftet. Wie die Kommission zutreffend darlegt, hatte die Klägerin lediglich die Möglichkeit, ein Verfahren nach Artikel 23 des Statuts einzuleiten, sofern sie der Ansicht war, hierfür Gründe zu haben.

44 Der dritte Klagegrund, mit dem ein angeblicher Widerspruch zwischen Protokoll und Abkommen geltend gemacht wird, ist daher in jedem Falle zurückzuweisen.

45 Aus alldem ergibt sich, daß keiner der drei Klagegründe durchgreift und daß die Klage daher abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 tragen jedoch in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Gemeinschaftsorgane ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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