Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 12.12.1996
Aktenzeichen: T-88/92
Rechtsgebiete: EG, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages
Vorschriften:
EG Art. 85 Abs. 1 | |
EG Art. 85 Abs. 3 | |
EG Art. 173 Abs. 4 | |
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages Art. 19 Abs. 3 |
9 Ein Streithelfer kann keine Einrede der Unzulässigkeit erheben, wenn eine solche von den Anträgen des Beklagten nicht umfasst ist.
10 Im Rahmen einer Entscheidung, mit der ein selektives Vertriebssystem freigestellt wird, ist eine Genossenschaft, in der als Wettbewerber der Vertragshändler in Betracht kommende Einzelhändler zusammengeschlossen sind, als von der Freistellungsentscheidung individuell und unmittelbar betroffen anzusehen, wenn sie erfolglos die Zulassung zumindest einiger ihrer Mitglieder zum Vertriebsnetz beantragt und an dem Verwaltungsverfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 beteiligt gewesen ist.
11 Selektive Vertriebssysteme stellen einen mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbaren Bestandteil des Wettbewerbs dar, wenn vier Voraussetzungen erfuellt sind: Erstens müssen die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses ein selektives Vertriebssystem in dem Sinne bedingen, daß ein solches System unter Berücksichtigung der besonderen Natur der betreffenden Erzeugnisse, insbesondere wegen ihrer hohen Qualität oder technischen Entwicklung, ein rechtmässiges Erfordernis darstellt, um ihre Qualität zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten. Zweitens muß die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden. Drittens muß das betreffende System auf die Erreichung eines Ergebnisses abzielen, das zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und damit einen Ausgleich für die mit selektiven Vertriebssystemen verbundene Wettbewerbsbeschränkung insbesondere im Bereich der Preise schafft. Viertens dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist. Die Frage, ob diese Bedingungen erfuellt sind, ist objektiv unter Berücksichtigung des Verbraucherinteresses zu prüfen.
Selektive Vertriebssysteme, die durch die besondere Natur der Erzeugnisse oder die Erfordernisse ihres Vertriebes gerechtfertigt sind, können für andere Wirtschaftsbereiche als die der langlebigen Verbrauchsgüter ohne Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages errichtet werden.
Luxuskosmetika, insbesondere Luxusparfums, sind verfeinerte und hochwertige Erzeugnisse mit einem "Luxusimage", das sie in besonderer Weise heraushebt und in den Augen der Verbraucher wichtig ist. Die Eigenschaften dieser Erzeugnisse können nicht auf ihre materiellen Merkmale beschränkt werden, sondern umfassen auch die besondere Vorstellung, die die Verbraucher mit ihnen verbinden, namentlich ihre "Aura von Luxus".
Es liegt im Interesse der Verbraucher von Luxuskosmetika, daß diese in den Verkaufsstellen in angemessener Weise angeboten werden und damit ihr Luxusimage gewahrt bleibt.
Folglich werden im Bereich von Luxuskosmetika, insbesondere von Luxusparfums, qualitative Kriterien für die Auswahl der Einzelhändler, die nicht über das hinausgehen, was für den Verkauf dieser Produkte unter angemessenen Bedingungen für ihre Präsentation erforderlich ist, grundsätzlich nicht von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst, wenn diese Kriterien objektiv sind, einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden.
12 Die vom Gericht nach Artikel 173 des Vertrages vorzunehmende richterliche Kontrolle einer Entscheidung, mit der die Kommission feststellt, daß die Auswahlkriterien eines selektiven Vertriebssystems die erforderlichen Voraussetzungen erfuellen, um als nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zulässig angesehen werden zu können, beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Feststellungen der Kommission einen Mangel der Begründung, einen offensichtlichen Tatsachen- oder Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweisen. Es ist nicht Aufgabe des Gemeinschaftsrichters, zur Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Sachverhalte Stellung zu nehmen.
Dagegen ist es Aufgabe der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden, die mit dem Rechtsbehelf eines Bewerbers befasst sind, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist, gegebenenfalls im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts über die Frage zu entscheiden, ob die betreffenden Kriterien in einem konkreten Fall diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit und damit unter Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angewandt worden sind. Sie haben insbesondere darauf zu achten, daß die betreffenden Kriterien nicht dazu gebraucht werden, den Zugang neuer Wirtschaftsteilnehmer zum Vertriebssystem zu verhindern, die in der Lage sind, die betreffenden Produkte in einer ihrem Ansehen nicht abträglichen Weise zu verkaufen.
Im übrigen kann ein Bewerber, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist, eine Beschwerde bei der Kommission nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einlegen, insbesondere wenn Zulassungsbedingungen planmässig in einer gemeinschaftsrechtswidrigen Weise angewandt worden sind.
13 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich der Luxuskosmetika stellt die Anwesenheit einer Person in der Verkaufsstelle, die in der Lage ist, den Verbraucher sachkundig zu beraten oder ihm Auskünfte zu geben, grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis für den Verkauf dieser Erzeugnisse dar, das zu einer angemessenen Präsentation solcher Produkte gehört.
14 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich der Luxuskosmetika wird ein Kriterium bezueglich der Umgebung, in der eine Verkaufsstelle für diese Erzeugnisse liegt, an und für sich nicht von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst, soweit es sicherstellen soll, daß solche Produkte nicht an hierzu völlig ungeeigneten Standorten verkauft werden.
Dagegen bieten Bestimmungen über die Aussenansicht der Verkaufsstelle wie ihre Fassade, Schaufenster und Dekoration die Möglichkeit einer diskriminierenden Anwendung gegenüber einer Verkaufsstelle - z. B. einem Supermarkt -, die nicht die gleiche Fassade wie ein traditionelles Geschäft, insbesondere keine Fassade mit Schaufenstern hat, die aber eine Abteilung oder eine Fläche innerhalb der Verkaufsräume in einer für den Verkauf von Luxuskosmetika geeigneten Weise eingerichtet hat. Ausserdem sind für eine angemessene Präsentation der Artikel in einer Abteilung oder auf einer Verkaufsfläche im Innern eines "Multiprodukt"-Geschäfts Schaufenster an der Vorderfront offensichtlich nicht erforderlich.
Die Bedingungen bezueglich des Inneren der Verkaufsstelle wie der Verkauf anderer Waren in dieser können einen Supermarkt nicht schon von einem Vertriebssystem ausschließen, da der Verkauf anderer in einem Supermarkt typischerweise anzutreffender Waren für sich genommen nicht geeignet ist, dem "Luxusimage" der betreffenden Produkte zu schaden, sofern die Abteilung oder die Fläche für den Verkauf von Luxuskosmetika so gestaltet ist, daß diese Produkte in einer anspruchsvollen Weise präsentiert werden.
Im Rahmen der die anderen Tätigkeiten innerhalb eines Geschäfts betreffenden Kriterien sind Erwägungen, die auf die Bedeutung dieser Tätigkeiten abstellen, unverhältnismässig, da sie für sich genommen in keinem Zusammenhang mit dem rechtmässigen Erfordernis der Wahrung des Luxusimages der betreffenden Produkte stehen. Im übrigen sind sie diskriminierend, da sie eine Fachparfümerie gegenüber einem "Multiprodukt"-Geschäft, das über eine Fachabteilung verfügt, deren Einrichtung den für den Verkauf von Luxuskosmetika angemessenen Qualitätsanforderungen genügt, im Falle einer Bewerbung begünstigen.
15 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich Luxuskosmetika stellt ein Kriterium, das nur dafür sorgen soll, daß das Firmenschild des Einzelhändlers dem Luxusimage dieser Erzeugnisse nicht schadet, grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis des Vertriebs solcher Produkte dar und fällt daher nicht notwendig unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages. Fehlt ein solches Kriterium, besteht nämlich die Gefahr, daß das Luxusimage der Luxuskosmetika und damit ihr Charakter selbst beeinträchtigt wird, indem diese Produkte durch Einzelhändler verkauft werden, deren Firmenschild in den Augen der Verbraucher dem Ansehen der Marke offensichtlich schadet. Das Kriterium darf allerdings nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt werden.
16 Zwar können "einfache" selektive Vertriebssysteme ein mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbarer Bestandteil des Wettbewerbs sein, doch kann es zu einer Beschränkung oder einer Ausschaltung des Wettbewerbs gleichwohl dann kommen, wenn die Zahl dieser Systeme keinen Raum mehr für Vertriebsformen lässt, denen eine andere Wettbewerbspolitik zugrunde liegt, oder wenn sie zu einer Starrheit der Preisstruktur führt, die nicht durch andere Faktoren des Wettbewerbs zwischen Erzeugnissen derselben Marke und durch das Bestehen eines echten Wettbewerbs zwischen verschiedenen Marken ausgeglichen wird. Daher lässt allein das Bestehen einer grossen Zahl selektiver Vertriebssysteme für ein bestimmtes Erzeugnis nicht den Schluß zu, daß der Wettbewerb im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages beschränkt oder verfälscht ist; vielmehr muß der relevante Markt ausserdem schon so starr und strukturiert sein, daß ein wirksamer Preiswettbewerb nicht mehr besteht.
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ist nicht automatisch allein deshalb anzuwenden, weil sich alle Hersteller in dem betreffenden Bereich bei der Wahl ihrer Vertriebsmethoden gleich entschieden haben. An dem Ergebnis, daß bestimmte Auswahlkriterien eines Herstellers für sich genommen nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fallen, kann die kumulierende Wirkung anderer Vertriebssysteme nur dann etwas ändern, wenn nachgewiesen wird, daß erstens Hindernisse für den Zugang neuer Mitbewerber zum Markt bestehen, die zum Verkauf der betreffenden Produkte in der Lage sind, so daß die betreffenden selektiven Vertriebssysteme den Vertrieb zugunsten bestimmter bereits bestehender Vertriebswege abschotten, oder daß zweitens wegen der Natur der betreffenden Produkte ein wirksamer Wettbewerb insbesondere bei den Preisen nicht besteht.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite erweiterte Kammer) vom 12. Dezember 1996. - Groupement d'achat Édouard Leclerc gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Selektives Vertriebssystem - Luxuskosmetika. - Rechtssache T-88/92.
Entscheidungsgründe:
Sachverhalt
Einleitung
1 Die Gruppe der Kosmetikerzeugnisse umfasst sehr unterschiedliche Waren, zu denen insbesondere Parfums, Körper- und Schönheitspflegemittel sowie Haarpflegemittel und Toilettenartikel gehören. In dieser Warengruppe gibt es ein Marktsegment, das aus Luxusgütern besteht: hochwertige, relativ teure Erzeugnisse, die unter einer namhaften Marke verkauft werden. Im allgemeinen werden Luxuskosmetika nur über selektive Vertriebssysteme verkauft, für die vergleichbare Bedingungen gelten. Diese Vertriebssysteme bestehen in erster Linie aus Parfümeriefachgeschäften oder Fachabteilungen innerhalb von Kaufhäusern.
2 Parfums Givenchy SA (nachstehend: Givenchy) ist ein Parfumhersteller der Luxusklasse. Sie gehört gemeinsam mit den Firmen Parfums Christian Dior und Parfums Christian Lacroix, die auf dem gleichen Markt tätig sind, zum Konzern Louis Vuitton-Moët-Hennessy. Über diese drei Unternehmen hält der Konzern Louis Vuitton-Moët-Hennessy einen Anteil von mehr als 10 % am Gemeinschaftsmarkt für Parfümerieartikel der Luxusklasse.
3 Aus der von Givenchy während des Verfahrens vorgelegten Aufschlüsselung nach Produktlinien ergibt sich, daß der Verkauf von Luxusparfums 1990 und 1991 je nach Mitgliedstaat 80 bis 100 % der Gesamtumsätze im selektiven Vertrieb ausmachte; der Rest entfiel auf den Verkauf von Körper- und Schönheitspflegemitteln der Luxusklasse. Diese Erzeugnisse wurden über etwa 10 000 Vertragshändler sowie über Duty-Free-Shops abgesetzt, in denen in mehreren Mitgliedstaaten ein Grossteil der Verkäufe stattfindet.
4 Am 19. März 1990 meldete Givenchy bei der Kommission ein selektives Vertriebssystem für den Absatz ihrer Parfums sowie Körper- und Schönheitspflegemittel innerhalb der Gemeinschaft an und beantragte in erster Linie ein Negativattest nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204; nachstehend: Verordnung Nr. 17), hilfsweise eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages.
5 Am 8. Oktober 1991 gab die Kommission nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 ihre Absicht bekannt, die angemeldeten Verträge in der auf ihre Vorstellung hin geänderten Fassung für zulässig zu erklären, und forderte die betroffenen Dritten auf, gegebenenfalls binnen einer Frist von 30 Tagen Stellung zu nehmen (ABl. C 262, S. 2).
6 Auf diese Mitteilung hin reichte der Kläger, der Groupement d'achat Édouard Leclerc (nachstehend: Galec), am 6. November 1991 eine Stellungnahme ein. Galec ist eine Einkaufsgruppe in Form einer Genossenschaft, die ein Netz von Einzelhandelsverkaufsstellen - meist Super- und Großmärkte - mit der Bezeichung Leclerc-Einkaufszentren (nachstehend: Leclerc-Zentren) beliefert. In seiner Stellungnahme wandte sich Galec gegen die beabsichtigte Entscheidung insbesondere mit der Begründung, daß im Falle ihres Erlasses bestimmte, für den Verkauf von Luxuskosmetika eingerichtete Leclerc-Zentren nicht beliefert würden.
7 Galec beteiligte sich ebenso an dem Verwaltungsverfahren in der Sache Yves Saint Laurent Parfums, in dem die Kommission am 16. Dezember 1991 die Entscheidung 92/33/EWG in einem Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/33.242 - Yves Saint Laurent Parfums) (ABl. 1992, L 12, S. 24) erließ, die Gegenstand einer Parallelklage vor dem Gericht ist (Galec/Kommission, T-19/92).
8 Am 24. Juli 1992 erließ die Kommission die Entscheidung 92/428/EWG in einem Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/33.542 - selektives Vertriebssystem von Parfums Givenchy) (ABl. L 236, S. 11; nachstehend: Entscheidung), die Gegenstand der vorliegenden Klage ist.
Der Vertrag von Givenchy
9 Aus dem "EWG-Vertragshändlervertrag für Parfümeriewaren" (nachstehend: Vertrag) und den zugehörigen allgemeinen Geschäftsbedingungen in der der Entscheidung zugrunde liegenden Fassung ergibt sich, daß das Vertriebsnetz von Givenchy ein geschlossenes Netz ist; seinen Mitgliedern ist nämlich untersagt, Produkte der Marke Givenchy ausserhalb des Netzes zu verkaufen oder zu beziehen. Givenchy ist dafür verpflichtet, die Einhaltung der Vertriebsbedingungen im Rahmen der geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherzustellen und die Erzeugnisse ihrer Marke aus den Verkaufsstellen abzuziehen, die den vertraglichen Auswahlkriterien nicht genügen.
10 Die im Vertrag festgelegten Kriterien für die Auswahl der Vertragshändler betreffen im wesentlichen die berufliche Ausbildung des Personals, Lage und Einrichtung des Geschäfts, das Firmenschild des Händlers sowie sonstige vom ihm zu erfuellende Bedingungen, die u. a. das Warenlager, die jährlichen Mindesteinkäufe, die Präsenz eines ausreichenden Sortiments konkurrierender Marken in der Verkaufsstelle, um das Image der Givenchy-Erzeugnisse zu illustrieren, die Verpflichtung, neue, in einem anderen Gebiet auf den Markt gebrachte Produkte für die Dauer eines Jahres nicht aktiv zu verkaufen, sowie der Zusammenarbeit zwischen dem Händler und Givenchy bei Werbeveranstaltungen betreffen.
11 Bezueglich der beruflichen Ausbildung bestimmt der Vertrag in den Abschnitten II.3 und II.5:
"3) Berufsausbildung auf dem Gebiet der Parfum- und Kosmetikartikel
Der EWG-Vertragshändler oder sein Verkaufspersonal muß über eine Berufsausbildung auf dem Gebiet Parfum- und Kosmetikartikel verfügen, die durch
- ein Kosmetikerdiplom,
- ein von dem als Aufsichtsorgan zuständigen Ministerium eines Mitgliedstaats der EWG anerkanntes Zeugnis,
- eine von einer Industrie- und Handelskammer eines Mitgliedstaats der EWG erteilte Bescheinigung über eine Berufsausbildung auf dem Gebiet Parfum- und Kosmetikartikel oder
- eine mindestens dreijährige Verkaufspraxis in einer Parfümerie, insbesondere einer zugelassenen Verkaufsstelle,
belegt sein muß.
...
5) Beratung und Vorführung
Der EWG-Vertragshändler hat für eine im Verhältnis zur Verkaufsfläche des Geschäfts und zur Zahl der vertretenen und angebotenen Produkte ausreichende Beratung und Vorführung zu sorgen.
Ob die Beratung und Vorführung ausreichend sind, wird aufgrund der Auskünfte des EWG-Vertragshändlers über
- die Zahl der im Verkauf tätigen Personen,
- die Zahl der Kosmetikerinnen
festgestellt."
12 Zur Verkaufsstelle bestimmen die Abschnitte II.4 und II.6 des Vertrages:
"4) Lage der Verkaufsstelle
Standing und Umfeld der Parfümerieverkaufsstelle müssen dem Ansehen der Marke entsprechen.
Das Umfeld des Geschäfts wird aufgrund folgender Informationen anhand des von Givenchy hierfür vorgesehenen Bewertungsbogens beurteilt:
- Farbfotos, die eine Beurteilung der äusseren Umgebung des Geschäfts (benachbarte Geschäfte und Strasse) ermöglichen;
- örtliche Lage (Stadtzentrum, Aussenviertel, Geschäftsstrasse, usw.);
- andere angesehene Geschäfte in der Umgebung (Schmuck- und Geschenkartikelläden, Hotels, Restaurants, usw.).
...
6) Einrichtung der Verkaufsstelle
Der äussere Rahmen des Geschäfts, der Abteilungen und der Auslagen sowie die Nachbarschaft anderer in der Verkaufsstelle vertriebener Produkte dürfen dem Ansehen der Marke Givenchy nicht schaden.
Die Verkaufsfläche des Geschäfts darf nicht in einem Mißverhältnis zur Zahl der verkauften Marken stehen. Sie muß es dem EWG-Vertragshändler ermöglichen, im Hinblick auf die vertretenen Marken eine Verkaufsfläche anzubieten, die dem Ansehen der Marke Givenchy entspricht.
Die Artikel müssen unter für die Lagerung angemessenen Bedingungen aufbewahrt werden und dürfen insbesondere nicht zu feucht, zu warm oder zu hell gelagert werden.
Gegenstände für die Vorführung oder die Innenwerbung müssen auf der Verkaufstheke oder in deren unmittelbarer Nähe sichtbar aufgestellt werden. Verkaufsständer, Plakate, Attrappen und andere Werbemittel müssen in den Schaufenstern oder in Ermangelung solcher im Inneren des Geschäfts an einer gut sichtbaren Stelle aufgestellt werden.
Die Einrichtung wird aufgrund der folgenden Informationen anhand des Bewertungsbogens beurteilt, den der Bewerber für den Vertrieb von Produkten von Givenchy an Givenchy übermittelt:
- Farbfotos, die eine Beurteilung der Schaufenster und der Inneneinrichtung des Geschäfts ermöglichen,
- Verkaufsfläche des Geschäfts,
- Zahl und Fläche der Kabinen für die kosmetische Behandlung.
Bei der qualitativen Bewertung werden berücksichtigt:
- Qualität der Fassade,
- Dekoration der Schaufenster,
- Bodenbelag,
- Qualität von Mauern und Decken,
- Qualität der Möbel.
Ausserdem
- muß das Geschäft ein oder mehrere Schaufenster an seiner Vorderfront aufweisen, deren Standing für die Ausstellung ausgewählter Parfums und Schönheitspflegemittel ausreichend ist;
- muß die Einrichtung dieser Schaufenster und die der Verkaufsregale den Gepflogenheiten beim Verkauf von Luxusartikeln entsprechen;
- muß eine in einem Kaufhaus besonders eingerichtete Parfümerieabteilung jederzeit den in den vorliegenden Vertragsunterlagen aufgeführten Qualitätsanforderungen genügen und dem Ansehen der Marke Givenchy entsprechen."
13 Für das Firmenschild des Einzelhändlers bestimmt der Vertrag in Abschnitt II.8:
"Ausgeschlossen ist ein bestehendes Firmenschild, dessen Image durch eine Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen geprägt ist. Ausgeschlossen ist auch ein neues Firmenschild, das in den Augen der Öffentlichkeit mit einer Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen verbunden ist. Dabei wird jedoch die mit einem Firmenschild verbundene übliche Preispolitik nicht als schädlich angesehen."
14 Was das Verfahren der Zulassung zum Vertriebsnetz betrifft, so erfolgt bei jedem Antrag auf Eröffnung eines Kontos innerhalb von höchstens drei Monaten eine Bewertung der vorgeschlagenen Verkaufsstelle durch Givenchy oder deren Alleinvertreter anhand eines Bewertungsbogens, auf den der Vertrag Bezug nimmt und den Givenchy im Laufe des Verfahrens in Kopie vorgelegt hat (nachstehend: Bewertungsbogen). In diesem Bewertungsbogen werden das Äussere und das Innere der Verkaufsstelle und die fachliche Eignung nach einem Bewertungsschlüssel bewertet, der 15 verschiedene Rubriken umfasst. Jede Rubrik wird mit zwei bis zehn Punkten bewertet und nach der ihr zukommenden Bedeutung gewichtet. Der Teil "Bewertung des Äusseren" umfasst fünf Rubriken mit insgesamt 120 möglichen Punkten. Der Teil "Bewertung des Inneren" umfasst acht Rubriken mit insgesamt 180 möglichen Punkten. Der Teil "Fachliche Eignung" enthält zwei Rubriken, nämlich "Erfahrung und Aufgaben" (20 Punkte) und "Geschäftliche Dynamik" (30 Punkte). Die höchstmögliche Punktzahl beträgt somit 350. Für die Zulassung als Verkaufsstelle sind mindestens 161 Punkte erforderlich. Wer in den insgesamt 15 Rubriken viermal null Punkte erhält, scheidet aus.
15 Je nach den Ergebnissen der Bewertung wird der Antrag entweder unter Angabe der Gründe abgelehnt oder dem Antragsteller werden die Maßnahmen bekanntgegeben, die er zu ergreifen hat, um die Kriterien zu erfuellen. Im letztgenannten Fall wird ihm eine Frist von höchstens sechs Monaten zwecks Anpassung an die Kriterien eingeräumt, danach eine Neubewertung vorgenommen. Bei positiver Entscheidung wird das Konto innerhalb von neun Monaten vom Zeitpunkt der Bewertung an eröffnet.
Die Entscheidung der Kommission
16 In ihrer Entscheidung (Abschnitt II.A.4) vertritt die Kommission die Auffassung, daß Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag auf ein selektives Vertriebssystem keine Anwendung finde, wenn drei Voraussetzungen erfuellt seien, wenn nämlich erstens die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses zur Wahrung der Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein derartiges System erforderten, wenn zweitens die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Kriterien qualitativer Art erfolge, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers und seines Personals sowie auf seine sachliche Ausstattung bezögen, und wenn drittens diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet würden (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76, Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875, Randnr. 20, nachstehend: Urteil Metro I, vom 11. Dezember 1980 in der Rechtssache 31/80, L'Oréal, Slg. 1980, 3775, Randnr. 16, und vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG-Telefunken/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 33, nachstehend: Urteil AEG).
17 Die Kommission stellt hierzu in Abschnitt II.A.5 Absatz 2 der Entscheidung u. a. fest:
"Die fraglichen Produkte sind hochwertige Artikel und das Ergebnis besonderer Forschungsanstrengungen; diese äussern sich darin, daß sie eine Originalschöpfung darstellen, die Angebotspalette sich an einen verwöhnten Geschmack richtet, hochwertige Ausgangsstoffe verarbeitet werden und sie in einer aufwendigen Verpackung auf den Markt gelangen. Der Luxuscharakter ergibt sich letztlich aus einer Aura prestigeträchtiger Exklusivität, die sie von ähnlichen Produkten anderer Marktsegmente unterscheidet, die dann auch für andere Käuferkreise gedacht sind. Eng damit zusammen hängt natürlich, daß der Hersteller in der Lage sein muß, eine Marke mit hohem Ansehen aufzubauen und damit im Geschäft zu bleiben, dann die Marke aber auch seiner Kundschaft in einer Weise zu präsentieren, die das ästhetisch und funktionell Besondere des einzelnen Produkts und der Produktreihe herausstellt."
18 Die Kommission vertritt sodann die Auffassung, daß die Auswahlkriterien von Givenchy bezueglich der Berufsausbildung des Personals, der Lage und der Einrichtung der Verkaufstelle sowie des Firmenschildes des Händlers nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fielen. Sie meint insbesondere, daß "die Forderung nach sachkundiger Beratung des Kunden im Geschäft berechtigt [ist], da besondere Fachkenntnisse erforderlich sind, um dem Kunden bei der Suche nach einem Produkt zu helfen, das ihm gefällt und das er braucht. Ausserdem muß ihm jemand erklären, wie er sie am besten benutzt und aufbewahrt" (Abschnitt II.A.5 Absatz 3); sie führt weiter aus: "Die Erhaltung des Ansehens einer grossen Marke ist auf dem Markt für Kosmetika der Luxusklasse unbedingt erforderlich, um im Wettbewerb bestehen zu können; kein Hersteller vermag seine Marktstellung zu halten, ohne ständig etwas für die Werbung zu tun. Solche Anstrengungen wären aber völlig vergeblich, würden die Produkte von Givenchy in einer Weise verkauft, die ihrem Ansehen in den Augen des Verbrauchers in irgendeiner Weise abträglich wäre. Die Anforderungen des Herstellers an die Lage des Geschäfts, die Geschäftseinrichtung und die Schaufensterdekoration haben also ihre Berechtigung, denn sie sollen dem Verbraucher einen Rahmen bieten, der zu dem luxuriösen exklusiven Charakter der angebotenen Produkte passt und dem Ansehen der Marke Givenchy gerecht wird... Die Anforderungen, die der Hersteller an das Namensschild stellt, sollen auch gewährleisten, daß die Parfümerie oder das Geschäft oder der Raum, in dem die Parfümerieabteilung oder die Parfümerie eingerichtet wurde, mit den für den Vertrieb dieser Produkte geltenden Grundsätzen übereinstimmt. Hierzu sei noch betont, daß Geschäftsräume und Namensschilder, die das Ansehen der Marke herabsetzen, keinesfalls mit der üblichen Preispolitik des Händlers in Zusammenhang gebracht werden dürfen" (Abschnitt II.A.5 Absatz 4).
Die Kommission führt in Abschnitt II.A.5 Absätze 5, 6 und 7 aus:
"Das Verbot, Waren zu verkaufen, die durch ihre Nähe dem Ansehen der Marke Givenchy schaden könnten, soll in den Augen des Publikums nur Prestige und Exklusivität der angebotenen Produkte schützen und damit jeder Verwechslung mit Waren minderer Qualität vorbeugen.
Das selektive Vertriebssystem von Givenchy steht bekanntlich auch Kaufhäusern offen, wenn sie einen besonderen Platz hierfür einrichten. Da Givenchy in der Gemeinschaft verschiedenen Vertriebsformen seine Zustimmung erteilt hat, sind die Qualitätsanforderungen in bezug auf Lage, Einrichtung und Firmenschild des Geschäfts nicht ohne weiteres dazu angetan, moderne Vertriebsformen - Kaufhäuser und Einkaufszentren - auszuschließen.
Wenn der Vertragshändler sich verpflichten muß, für die Produkte von Givenchy einen Platz in seinem Geschäft zu schaffen, der dem Ansehen der Marke Givenchy entspricht, so ist das Ziel nur, die Vertragsprodukte richtig zur Geltung zu bringen.... [Ein] solches Auswahlkriterium [ist] nicht an sich schon dazu angetan, dem Vertragshändler geschäftlich die Hände zu binden - er kann weiterhin konkurrierende Produkte verkaufen und für sie werben - oder die Entwicklung neuer Vertriebsformen zu erschweren."
19 Nach Ansicht der Kommission fallen die übrigen Verpflichtungen und Bedingungen, die der Vertragshändler zu erfuellen habe, soweit sie das Verfahren für die Zulassung zum Vertriebsnetz, die jährlichen Mindesteinkäufe, das Angebot konkurrierender Marken in der Verkaufsstelle, die Lagerung der Produkte, die Markteinführung neuer Produkte und die Zusammenarbeit bei Werbeveranstaltungen beträfen, unter Artikel 85 Absatz 1 (vgl. Abschnitt II.A.6 der Entscheidung). Die festgestellten Wettbewerbshemmnisse stellten eine spürbare Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar (Abschnitt II.A.8).
20 In Abschnitt II.B.1 der Entscheidung stellt die Kommission indessen fest, daß die Verträge, die das Vertriebssystem von Givenchy bildeten, die vier Voraussetzungen nach Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag erfuellten.
21 Zur Frage, ob die betreffenden Vertragsbestimmungen zur Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung im Sinne des Artikels 85 Absatz 3 EG-Vertrag beitragen, vertritt die Kommission folgende Auffassung (Abschnitt II.B.2): "Luxusgüter in der Kosmetik unterscheiden sich von ähnlichen Produkten für andere Verbrauchsansprüche unter anderem dadurch, daß der Verbraucher mit der Marke eine Vorstellung von Exklusivität und Prestige verbindet. Wenn es einem Hersteller gelingt, eine eigene, angesehene Marke zu schaffen, so schafft er sich damit einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung. Eine Kosmetikmarke in der Luxusklasse lässt sich mithin nur verkaufen, wenn die Exklusivität gewahrt bleibt. Wenn ein Luxusprodukt der Kosmetik überall zu haben ist, leidet erfahrungsgemäß sein Bild beim Verbraucher darunter, so daß es früher oder später zu einem Rückgang der Nachfrage kommt."
22 Deshalb haben nach Ansicht der Kommission die Vertragsbestimmungen, die unter Artikel 85 Absatz 1 fallen (vgl. vorstehend Randnr. 19), "zur Folge, daß die Produkte von Givenchy nur dort verkauft werden, wo die Gewähr dafür besteht, daß der für Luxuskosmetika typische Ruf der Spitzenqualität und Exklusivität erhalten bleibt" (Abschnitt II.B.2 Absatz 8 a. E.).
23 Zur Frage der "angemessenen Beteiligung" der Verbraucher am "Gewinn" im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag vertritt die Kommission u. a. folgende Auffassung: "Das gemeldete Vertriebssystem ermöglicht die Wahrung des Exklusivcharakters der Vertragsprodukte, und die Exklusivität ist ein wesentlicher Grund, warum der Kunde das Produkt kauft" (Abschnitt II.B.3 Absatz 2). "Wenn... der Kunde das Ansehen der Marke oder die Bedienung in einem selektiven Vertriebssystem für nebensächlich hält, dann kann er sich immer noch für ähnliche Artikel eines benachbarten Marktes entscheiden, die ohne ein selektives Vertriebssystem auskommen, und so die Verkaufsstrategie des Herstellers bestätigen" (Abschnitt II.B.3 Absatz 3).
24 In Abschnitt II.B.4 der Entscheidung meint die Kommission schließlich, daß das Vertriebssystem von Givenchy keine Beschränkungen des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 85 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag enthalte, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich seien, und (Abschnitt II.B.5) daß die betreffenden Verträge den angeschlossenen Unternehmen keine Möglichkeit im Sinne des Artikels 85 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag eröffneten, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. "Desgleichen hat die Kommission nicht feststellen können, daß die Verbreitung selektiver Vertriebssysteme für Luxuskosmetika grundsätzlich bestimmte moderne Vertriebsformen - Warenhäuser beispielsweise - ausschließt. Die Auswahlkriterien von Givenchy sind nicht von einer Art, daß sie nicht auch von diesen Vertriebsformen erfuellt werden könnten, selbst wenn sie hierzu ihre besonderen Vertriebsmethoden teilweise umstellen müssen" (Abschnitt II.B.5 Absatz 4).
25 Artikel 1 der Entscheidung lautet:
"Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags wird nach Artikel 85 Absatz 3 für nicht anwendbar erklärt auf den Standardvertrag von Givenchy bzw. ihren Vertragshändlern mit Vertretern des Facheinzelhandels in der Gemeinschaft sowie die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Diese Entscheidung gilt vom 1. Januar 1991 bis zum 31. Mai 1997."
Verfahren und Anträge der Beteiligten
26 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 21. Oktober 1992 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, die vorliegende Klage erhoben. Mit Beschluß vom 31. März 1993 sind Givenchy SA, das Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques (nachstehend: Colipa), die Fédération des industries de la parfumerie (nachstehend: FIP) und die Fédération européenne des parfumeurs détaillants (nachstehend FEPD) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen worden.
27 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen nach Artikel 64 der Verfahrensordnung sind jedoch die Beklagte, Givenchy und die FEPD aufgefordert worden, schriftlich auf bestimmte Fragen zu antworten und vor der Sitzung verschiedene Schriftstücke vorzulegen. Die Beteiligten haben ihre Antworten zwischen dem 16. und dem 24. Januar 1996 eingereicht.
28 Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 28. und 29. Februar 1996 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.
29 Der Kläger beantragt,
- die Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
30 Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
31 Die Streithelferin Givenchy beantragt,
- die Klage für unzulässig zu erklären;
- hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin Givenchy aufzuerlegen.
32 Die Streithelferin FIP beantragt,
- über die Zulässigkeit der Klage nach Rechtslage zu entscheiden;
- die Klage als unbegründet abzuweisen;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin FIP aufzuerlegen.
33 Der Streithelfer Colipa beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers Colipa aufzuerlegen.
34 Die Streithelferin FEPD beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin FEPD aufzuerlegen.
35 In ihrer Stellungnahme zu den Schriftsätzen der Streithelfer beantragt der Kläger,
- seine Klage für zulässig zu erklären;
- den Streithelfern ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
Zur Zulässigkeit
Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten
36 Givenchy hält die Klage für unzulässig, weil Galec durch die Entscheidung weder unmittelbar noch individuell im Sinne des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag) betroffen sei und kein Interesse an einer Klageerhebung habe.
37 Galec sei lediglich ein Mittler zwischen seinen Mitgliedern, den Leclerc-Zentren, und den Lieferanten, der nie Einkäufe oder Wiederverkäufe für die Endverbraucher der betreffenden Produkte vornehme. Galec habe auch keine Vollmacht, die Leclerc-Zentren zu vertreten, die allein befugt seien, gegen die Entscheidung gerichtlich anzugehen. Folglich sei Galec von der Entscheidung nicht unmittelbar betroffen, die ihm auch keinen besonderen Nachteil zufüge (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Slg. 1963, 211). Ausserdem könne Galec nur das individuelle Interesse eines reinen Mittelsmannes nachweisen und habe daher kein "natürliches gegenwärtiges Interesse" an der Nichtigerklärung der Entscheidung (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. September 1992 in der Rechtssache T-138/89, NBV und NVB/Kommission, Slg. 1992, II-2181). Givenchy beruft sich unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 135/81 (Groupement des agences de voyages/Kommission, Slg. 1982, 3799, Randnr. 7) auch auf den französischen Rechtsspruch "nul ne plaide par procureur".
38 Galec weist darauf hin, daß er im Verwaltungsverfahren gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 eine Stellungnahme abgegeben habe, mit der das gleiche Ziel wie mit einer Klageerhebung verfolgt worden sei; die Kommission habe seinem Vorbringen in der Entscheidung, namentlich in den Abschnitten I.D und II.B.5 a. E., Rechnung getragen. Die Klage sei daher zulässig (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache 75/84, Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021, Randnrn. 20 bis 23; nachstehend: Urteil Metro II).
39 Als Leitzentrale eines Wirtschaftskonzerns sei Galec unmittelbar auf dem Markt für Parfums und Kosmetika tätig, da er die Hersteller auswähle und über die Sortiments-, Preis- und finanziellen Bedingungen sowie über die Liefer- und Einkaufsmodalitäten verhandele. Ohne die Entscheidung hätte er sich normalerweise auf diese oder jene Art Produkte von Givenchy beschaffen können, doch durch den Erlaß der Entscheidung sei ihm das Recht auf normalen Marktzugang entzogen worden.
40 Die Beklagte bestreitet die Zulässigkeit der Klage von Galec nicht.
Würdigung durch das Gericht
41 Die Beklagte hat nicht beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen. Givenchy ist somit nicht befugt, eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben. Das Gericht hat daher die von ihr geltend gemachten Rügen nicht zu prüfen (Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-313/90, CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125, Randnrn. 20 bis 22).
42 Dennoch ist die Zulässigkeit der Klage gemäß Artikel 113 der Verfahrensordnung von Amts wegen zu prüfen (vgl. Urteil CIRFS u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 23).
43 Gemäß Artikel 173 EG-Vertrag kann eine natürliche oder juristische Person gegen eine Entscheidung, die an eine andere Person gerichtet ist, Klage nur erheben, wenn diese Entscheidung sie unmittelbar und individuell betrifft. Da die Entscheidung an Givenchy gerichtet ist, ist zu prüfen, ob Galec diese beiden Voraussetzungen erfuellt.
44 Soweit es um die Frage geht, ob Galec durch die Entscheidung "individuell" betroffen ist, können nach ständiger Rechtsprechung Personen, die nicht Adressat einer Entscheidung sind, nur dann geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung sie wegen persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten (vgl. Urteil Plaumann/Kommission, a. a. O., S. 238, und Urteil des Gerichts vom 6. Juli 1995 in den verbundenen Rechtssachen T-447/93, T-448/93 und T-449/93, AITEC u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1971, Randnr. 34).
45 Galec ist eine nach dem französischen Gesetz Nr. 72-652 vom 11. Juli 1972 gegründete Genossenschaft von Einzelhändlern mit wechselndem Kapital, die ihre Geschäfte unter der Firmenbezeichnung É. Leclerc betreibt. Zweck solcher Genossenschaften ist nach Artikel 1 dieses Gesetzes, aufgrund gemeinsamer Anstrengung der Genossen die Bedingungen zu verbessern, unter denen sie ihr Gewerbe betreiben. Zu diesem Zweck können die Genossenschaften ihren Mitgliedern u. a. ganz oder teilweise Waren und Nahrungsmittel liefern, Dienstleistungen erbringen und die Einrichtung und das Material liefern, die für ihr Handelsgeschäft erforderlich sind. Artikel 2 Absatz 2 der Satzung von Galec bestimmt u. a., daß die Dienstleistungen, die er seinen Mitgliedern anbietet, weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach begrenzt sind und sich insbesondere auf alle Geschäfte und Tätigkeiten erstrecken können, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Gewerbe seiner Mitglieder stehen. Gemäß Artikel 30A seiner Satzung arbeitet Galec ausschließlich für Rechnung der Genossen, um ihnen eine Senkung der Nettopreise beim Einkauf und beim Verkauf an ihre eigenen Genossen und/oder an Verbraucher zu ermöglichen. Galec kann insbesondere Einkäufe im eigenen Namen für Rechnung seiner Mitglieder tätigen.
46 Nach den Ausführungen von Galec in der Sitzung, die unwidersprochen blieben, hatte er sich vor Erlaß der Entscheidung an zahlreiche Parfumhersteller, hierunter Givenchy, mit der Bitte gewandt, zumindest einige seiner Mitglieder als Vertragshändler in das Vertriebsnetz aufzunehmen. Später hatte eines seiner Mitglieder, die Firma Rocadis, mit Schreiben vom 7. Februar 1991 eine "Test"-Bewerbung für das Leclerc-Zentrum in Poitiers an Givenchy gerichtet.
47 Dieser Antrag wurde durch Schreiben von Givenchy vom 29. April 1991 mit der Begründung abgelehnt, daß ihre Auswahlkriterien nicht erfuellt seien und daß inbesondere das Firmenschild "Leclerc" das Ansehen und die Bekanntheit der Marke Givenchy nicht zum Ausdruck bringe. Der hierbei verwendete Bewertungsbogen stimmt im wesentlichen mit dem überein, den Givenchy heute verwendet.
48 Es steht ebenfalls fest, daß mehrere andere Leclerc-Zentren ihre Absicht zu erkennen gegeben hatten, Produkte von Givenchy zu vertreiben; dies belegen die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten, auf die Galec und Givenchy in ihren Schriftsätzen hingewiesen haben.
49 Darüber hinaus beteiligte sich Galec nach der Veröffentlichung der Mitteilung gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 (vgl. vorstehend Randnr. 6) mit einer eingehenden Stellungnahme an dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission. Hierbei machte er insbesondere geltend, durch die Entscheidung würden seine Mitglieder vom Vertrieb der Produkte von Givenchy ausgeschlossen; er forderte die Kommission auf, an Ort und Stelle die Bedingungen für den Vertrieb von Luxuserzeugnissen in den Verkaufsstellen der Leclerc-Zentren zu überprüfen, die Zugang zum Vertrieb von Luxusparfums wünschten.
50 Mit Schreiben vom 12. Dezember 1991 bestätigte die Kommission, daß die Stellungnahme von Galec aufmerksam geprüft werde. In der Sitzung trug die Kommission vor, sie habe beim Erlaß der Entscheidung diese Stellungnahme berücksichtigt. Allerdings steht gleichwohl fest, daß sie die Besonderheiten des Vertriebsbindungssystems von Givenchy, die von Galec im Verwaltungsverfahren beanstandet worden waren, im wesentlichen gebilligt hat.
51 Das Gericht ist daher der Auffassung, daß sich der vorliegende Fall in der Sache nicht von dem dem Urteil Metro II zugrunde liegenden (Randnrn. 21 bis 23) unterscheidet; in diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, daß ein Wirtschaftsteilnehmer, dessen Antrag auf Zulassung als Vertragshändler zu einem Vertriebsnetz abgelehnt worden ist und der gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 Stellung genommen hat, von der Entscheidung der Kommission unmittelbar und individuell betroffen ist, mit der diese die von ihm im Verwaltungsverfahren beanstandeten Kriterien billigt.
52 Ausserdem beeinträchtigt die Entscheidung die eigenen Interessen von Galec insofern, als er nach seiner Satzung insbesondere die Verhandlungen über die Lieferverträge für die Leclerc-Zentren führen soll. Galec ist daher durch die Entscheidung auch als Verhandlungspartner für diese Lieferverträge individuell betroffen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 2. Februar 1988 in den verbundenen Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnrn. 20 bis 25, sowie Urteil CIRFS u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 30, in entsprechender Anwendung).
53 Im übrigen ergibt sich aus der Satzung von Galec, insbesondere aus Artikel 2, daß dieser stillschweigend ermächtigt war, im Verwaltungsverfahren nicht nur seinen eigenen Standpunkt, sondern auch den seiner Mitglieder geltend zu machen, die sich dem Vertriebssystem von Givenchy anschließen wollten. Da letztere potentielle Wettbewerber der Vertragshändler von Givenchy sind, sind sie auch "betroffene Dritte" im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17. Folglich ist Galec durch die Entscheidung auch insofern individuell betroffen, als er am Verwaltungsverfahren als Vertreter seiner Mitglieder beteiligt war (vgl. Urteil AITEC u. a./Kommission, a. a. O., Randnrn. 60 bis 62, in entsprechender Anwendung).
54 Zur Frage, ob Galec unmittelbar betroffen ist, genügt es festzustellen, daß die Entscheidung sämtliche Wirkungen des Vertriebsnetzes von Givenchy unangetastet gelassen hat, so daß Givenchy Galec und seinen Mitgliedern die Auswahlkriterien unmittelbar entgegenhalten kann, deren Rechtmässigkeit von Galec im Verwaltungsverfahren bestritten worden war.
55 Im übrigen muß Galec, auch wenn er selbst nicht Vertragshändler von Givenchy werden möchte, bei seinen Einkäufen von Givenchy-Produkten in Zukunft die Auswahlkriterien beachten, die in der Entscheidung für rechtmässig erklärt worden sind. Galec hat daher ein natürliches gegenwärtiges Interesse daran, die Begründetheit der Entscheidung in Frage zu stellen.
56 Die Klage ist mithin zulässig.
Zur Begründetheit
57 Die Hauptrüge von Galec geht dahin, die in der Entscheidung gebilligten Auswahlkriterien bewirkten zusammen, daß bestimmte Supermärkte mit dem Firmenschild É. Leclerc von vorneherein vom Vertriebssystem von Givenchy ausgeschlossen blieben, obwohl sie Luxusparfums in lauterer und anspruchsvoller Weise vertreiben könnten. Im Rahmen dieser Hauptrüge macht Galec in seiner Klageschrift drei Klagegründe geltend, die sich auf eine fehlerhafte Begründung sowie auf Tatsachen- und Rechtsfehler stützen. Diese Klagegründe überschneiden sich und gliedern sich im wesentlichen in die folgenden vier Hauptargumente: a) die Entscheidung weise Fehler in der Begründung und/oder offensichtliche Tatsachenfehler auf, da die Art und Weise, in der die Waren in Einzelhandelsgroßbetrieben (nachstehend auch: Großformen des Handels) herausgestellt würden, als für den Vertrieb von Luxusparfums ungeeignet angesehen würden; b) die Entscheidung weise bezueglich der Bedürfnisse und Erwartungen der Verbraucher Fehler in der Begründung und/oder offensichtliche Tatsachenfehler auf; c) die Entscheidung weise Rechtsfehler und/oder Fehler in der Begründung auf, weil die Kommission entschieden habe, daß die in Abschnitt II.A.5 wiedergegebenen Kriterien nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fielen; d) die Entscheidung weise Rechtsfehler und/oder offensichtliche Tatsachenfehler und/oder Fehler in der Begründung bezueglich der Anwendung des Artikels 85 Absatz 3 des Vertrages auf.
58 Zunächst ist unter Zusammenfassung des gesamten diesbezueglichen Vorbringens der Beteiligten die Begründetheit der Entscheidung im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages und anschließend deren Begründetheit im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages zu prüfen.
I - Zur Begründetheit der Entscheidung im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten
Vorbringen von Galec
59 Galec führt zunächst aus, er vertreibe über die an ihn unter dem Firmenzeichen É. Leclerc angeschlossenen Geschäfte zahlreiche Luxusprodukte (Hi-Fi-Geräte, Qualitätsweine, Schmuck, Uhren, Fotoapparate, Luxustextilien usw.) in vollkommen angemessener Weise und sehe die Notwendigkeit eines auf dem Begriff der "Exklusivität" aufbauenden Systems ein, durch das das Ansehen der Luxusprodukte gewährt und den Erwartungen der Verbraucher entsprochen werden solle. Es sei auch einzuräumen, daß nicht alle Geschäfte mit dem Firmenschild É. Leclerc für eine solche Vertriebsform geeignet seien. Verschiedene grosse Supermärkte mit dem Firmenschild É. Leclerc wendeten jedoch durch den Einsatz besonderer Techniken wie etwa der Einrichtung einer besonderen Abteilung innerhalb des Geschäfts oder einer Spezialfläche innerhalb der Verkaufsfläche, gegebenfalls zusammen mit der Anbringung eines Zusatzschildes (z. B. "Éole"), bereits den Exklusivitätsgrundsatz an. Solche Geschäfte seien für den Verkauf von Luxuskosmetika geeignet oder könnten dafür hergerichtet werden, wie dies insbesondere die als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Fotografien der Geschäftsflächen für "Schönheits- und Gesundheitspflege" in bestimmten Leclerc-Zentren belegten.
60 Großformen des Handels seien indessen durch die Summe der in der Entscheidung gebilligten Auswahlkriterien ohne weiteres vom Vertriebssystem von Givenchy ausgeschlossen, insbesondere durch die Kriterien, die die Lage, den äusseren Eindruck benachbarter Geschäfte, die Einrichtung des Geschäfts, die Nachbarschaft der anderen angebotenen Produkte, die dem Ansehen der Marke Givenchy nicht abträglich sein dürften, die Qualität der Fassade, ein oder mehrere Schaufenster an der Vorderfront, das Standing und die Dekoration dieser Schaufenster entsprechend den Gepflogenheiten für den Verkauf von Luxusprodukten sowie das Firmenschild beträfen, das in den Augen der Öffentlichkeit nicht mit einer Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen verbunden sein dürfe (Abschnitte II.4, II.6 und II.8 des Vertrages, vgl. vorstehend Randnrn. 12 und 13). Die genannten Kriterien könnten nur traditionelle Vertriebsformen wie Einzelhändler und Kaufhäuser im Stadtzentrum sowie Einkaufszentren erfuellen.
61 Erstaunlich sei insbesondere, daß die Kommission ein solches Ausschlußkriterium wie das des Firmenschilds habe zulassen können; dieses sei nämlich vollkommen subjektiv und schließe alle Firmenschilder grosser Kaufhäuser in den Mitgliedstaaten oder in der Gemeinschaft aus, deren Entstehung historisch mit der Einführung des "Discountbetriebs" und der Beschränkung der Warenpräsentation oder der Dienstleistungen zusammenhänge - obwohl dieses Konzept sich in den letzten zwanzig Jahren stark weiterentwickelt habe und die Verbraucher mit dem Firmenschild eines Einzelhandelsgroßbetriebs keine abwertende Vorstellung mehr verbänden.
62 Bei einer Grundsatzentscheidung wie im vorliegenden Fall hätte die Kommission eine besonders vollständige Begründung geben müssen. Die Kommission habe aber ihre Behauptung, daß die in der Entscheidung angeführten Kriterien dem Wesen der Exklusivität entsprängen, nicht begründet. Insoweit enthalte die Entscheidung trotz der Stellungnahme von Galec im Verwaltungsverfahren kein Wort der Begründung in bezug auf die Möglichkeit der Einzelhandelsgroßbetriebe, Luxusparfums entsprechend herauszustellen. Die Vertriebsformen der Einzelhandelsgroßbetriebe hätten sich nämlich tiefgreifend gewandelt (vgl. vorstehend Randnr. 59), und es sei diesen Betrieben gelungen, das Markenimage technisch hochwertiger und luxuriöser Produkte nicht nur zu schützen, sondern bei der Frage des Images dieser Produkte auch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu beweisen.
63 Die Kommission habe jedoch den Herstellern die Beurteilung überlassen, wie ein Firmenschild in der Öffentlichkeit "aufgenommen" werde, wie die "Nachbarschaft" anderer Waren wirke oder ob die "Gepflogenheiten" für den Verkauf von Luxusprodukten beachtet würden; dies stelle eine übertriebene Freiheit dar, die sich einer Potestativbedingung nähere, deren Unerläßlichkeit die Beklagte in keiner Weise begründet habe. Insoweit schlössen die Parfümeriehersteller, die zu Unrecht meinten, jede andere Ware in der Nähe von Luxusparfums sei deren Ansehen schädlich, de facto jeden Vertrieb dieser Produkte über die Großformen des Handels aus (z. B. Urteil der französischen Cour de cassation vom 19. Mai 1992, Sodigar/Dior, Anlage 6 zur Klageschrift). Willkür und Subjektivität von Givenchy und die Tatsache, daß Großformen des Handels von vornherein ausgeschlossen seien, würden durch die Feststellung von Givenchy in ihrem Schreiben vom 29. April 1991 zum Zulassungsantrag der Firma Rocadis für das Leclerc-Zentrum in Poitiers belegt, wonach "zwischen einer traditionellen Parfümerie in der Ladenpassage eines Supermarkts, die alle unsere qualitativen Kriterien erfuellt, und einer Verkaufszone für Parfümerieprodukte hinter den Kassen eines Supermarkts ein absoluter Unterschied [besteht]".
64 Ferner habe die Kommission ihre Behauptung nicht begründet, daß der Verbraucher von Luxusprodukten Luxus nur im traditionellen Handel suche. Die Meinung der Kommission, das entscheidende Motiv für die Wahl des Verbrauchers sei die Exklusivität der Produkte (Abschnitte II.A.5 Absatz 4 und II.B.3 Absatz 2 der Entscheidung), sei lediglich eine Feststellung ex cathedra. Durch ihren Verzicht auf Befragung, Meinungsforschung oder statistische Untersuchung habe die Kommission dem Gericht eine Prüfung, ob dieses Bild des Durchschnittverbrauchers zutreffe, unmöglich gemacht. In Wahrheit erwarteten die Verbraucher ein breitgefächertes Angebot von Luxusprodukten und reagierten positiv, wenn ihnen ein solches Angebot begegne. Die Kommission führe Motive "aus vergangenen Zeiten" an, für die jeder Beleg fehle.
65 Zu den angeblichen Tatsachenfehlern der Entscheidung führt der Kläger aus, die Kommission habe aus den bereits dargelegten Gründen verkannt, daß Einzelhandelsgroßbetriebe Luxusparfums unter zufriedenstellenden Bedingungen verkaufen könnten. Ferner habe die Kommission bei ihrer Feststellung in Abschnitt II.B.3 Absatz 2 der Entscheidung, daß "das gemeldete Vertriebssystem... die Wahrung des Exklusivcharakters der Vertragsprodukte [ermöglicht], und die Exklusivität... ein wesentlicher Grund [ist], warum der Kunde das Produkt kauft", offensichtlich die Beweggründe der Kunden verkannt.
66 Sobald es einem Einzelhandelsgroßbetrieb gelinge, Luxusparfums zu verkaufen, sehe er sich in Wahrheit einer grossen und spontanen Nachfrage der Verbraucher gegenüber, die Luxus und Traum suchten, wenn auch nicht unbedingt zu dem Preis, der in einem geschlossenen Vertriebssystem verlangt werde. Es gebe insbesondere eine - von der Kommission verleugnete - Gruppe von Verbrauchern, häufig relativ jung, wohlhabend, urban, interessiert an Neuheiten und Markenprodukten, die ihre Einkäufe, einschließlich aller "hochwertigen Artikel", vorzugsweise in grossen Einkaufszentren tätigten.
67 Es sei daher falsch anzunehmen, daß der Verbraucher immer noch ein einheitliches, geringschätziges Bild von den Großformen des Einzelhandels habe und jedes Luxusprodukt, das dort verkauft werde, dadurch zu einem Alltagsprodukt werde. Insbesondere sei das Kriterium, das auf das allgemeine Image eines Firmenschilds abstelle, unangemessen, weil es unter dem gleichen Firmenschild besonders gestaltete Abteilungen wie etwa die "Schmuckstände" in bestimmten Leclerc-Zentren geben könne. Ebenso könne der Verbraucher eine Vielzahl von Geschäften oder Dienstleistungen unter einem Firmenschild vereint finden, so daß er in diesem Fall die Produkte nicht mit dem Firmenschild der Leclerc-Zentren in Verbindung bringe.
68 Demgemäß habe die Kommission mit ihrer Entscheidung, daß die in Abschnitt II.A.5 der Entscheidung zusammengefassten Kriterien nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag fielen, gegen diese Bestimmung verstossen. Insbesondere seien die betreffenden Kriterien weder objektiv noch einheitlich und gingen über das hinaus, was erforderlich sei. Ferner habe die Kommission die in den Einzelhandelsgroßbetrieben benutzten Techniken zur Herausstellung des Luxuscharakters diskriminierend behandelt.
69 Ferner werde die durch die Anwendung dieser Kriterien bewirkte Wettbewerbsbeschränkung durch die kumulierende Wirkung anderer Vertriebssysteme verschärft, die dem von Givenchy entsprächen. Die Kommission habe daher mit ihrer Feststellung, daß eine von allen Gemeinschaftsherstellern parallel und kumulativ gehandhabte Exklusivität den Wettbewerb im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 nicht beschränke, einen offensichtlichen Rechtsfehler begangen.
70 Die Entscheidung schreibe nämlich die Zahl der Händler auf dem Markt für "Luxusparfums" - dem relevanten Markt laut der in Abschnitt I.B der Entscheidung angeführten Studie von Professor Weber - fest und verankere das von diesem festgestellte wettbewerbswidrige System des numerus clausus. Ferner werde anderen Vertriebsformen als den in der Entscheidung beschriebenen kein Raum gelassen, und der Markt sei so starr und strukturiert, daß kein wirksamer Wettbewerb mehr herrsche und Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Anwendung finde (vgl. Urteil Metro II, Randnrn. 40 bis 42). Insoweit habe die Kommission mit ihrer Feststellung in Abschnitt I.B Absatz 3 der Entscheidung, daß zwischen 24 und 36 % des Gesamtabsatzes von Kosmetika im Wege des selektiven Vertriebes verkauft würden, unterschiedliche Märkte miteinander vermengt.
Vorbringen der Kommission
71 Die Kommission trägt vor, sie habe moderne Handelsformen nicht von vorneherein ausgeschlossen. Sie habe sich nicht zu der Frage geäussert, ob bestimmte Leclerc-Zentren die von Givenchy angemeldeten Kriterien erfuellen könnten, sondern einfach festgestellt, daß die betreffenden Auswahlkriterien erforderlich seien, um die Qualität der Produkte zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten, bzw. daß sie mit den Erfordernissen des Vertriebes dieser Produkte zusammenhingen (Urteil des Gerichtshofes vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83, Binon, Slg. 1985, 2015, Randnr. 31). Sie habe ab 1988 eine erneute Überprüfung der Wettbewerbslage in dem betreffenden Sektor vorgenommen, aufgrund deren sie Einwände gegen eine Reihe von Vertragsklauseln erhoben habe, um die Streichung jedes rein quantitativen Auswahlkriteriums sicherzustellen. Sie habe somit entgegen der Behauptung von Galec weder die Zahl der Luxusparfumhändler festgeschrieben noch das System eines Numerus clausus verankert.
72 Ferner habe sie in den Abschnitten II.A.5 Absatz 6 und II.B.5 Absatz 4 der Entscheidung die Auffassung vertreten, daß die Kriterien von Givenchy gewisse moderne Vertriebsformen wie Kaufhäuser nicht ausschlössen, auch wenn diese hierzu ihre besonderen Vertriebsmethoden teilweise umstellen müssten. In der Sitzung hat der Vertreter der Kommission bestätigt, daß die Entscheidung einen Vertriebstyp wie den "Supermarkt" im Bereich der Luxuskosmetika nicht von vorneherein ausschließe und daß der Ausdruck "Kaufhäuser" in den Abschnitten II.A.5 Absatz 6 und II.B.5 Absatz 4 der Entscheidung so zu verstehen sei, daß er auch Supermärkte umfasse.
73 Was die Kriterien betreffe, die Galec nach dessen Ansicht vom Netz ausschlössen, so führe weder das Erfordernis, daß die Schaufensterauslagen ständig dem Ansehen der Marke entsprächen, noch die Berücksichtigung der übrigen Geschäftstätigkeiten einer Verkaufsstelle notwendig zum Auschluß grosser und mittlerer Supermärkte. Wenn dagegen das eigentliche Problem die diskriminierende Anwendung dieser Kriterien sei, so sei diese natürlich rechtswidrig, könne aber von der Kommission bei der Prüfung der Rechtmässigkeit der Kriterien nicht berücksichtigt werden.
74 Die Notwendigkeit des das Firmenschild betreffenden Kriteriums liege auf jeden Fall auf der Hand, weil es den Ausschluß bestimmter Firmenschilder ermögliche, die offensichtlich dem Ansehen der Marke abträglich seien. Dem Vorbringen von Galec lasse sich entnehmen, daß es grosse und mittlere Supermärkte gebe, deren Firmenschilder bewusst dem Aufbau eines Images dienten, das durch die Beschränkung der Präsentation oder der Dienstleistungen geprägt sei, was ihren Ausschluß von den Vertriebssystemen für die betreffenden Produkte rechtfertige. Umgekehrt seien Händler mit einem Firmenschild, das nicht oder nicht mehr durch eine Beschränkung der Präsentation oder der Dienstleistungen geprägt sei, in keiner Weise vom Vertriebssystem von Givenchy ausgeschlossen. Ausserdem habe die Kommission in Abschnitt II.A.5 Absatz 4 der Entscheidung hervorgehoben, daß der abwertende Charakter einer Verkaufsstelle oder ihres Firmenschildes keinesfalls mit der üblichen Preispolitik des Händlers in Zusammenhang gebracht werden dürfe.
75 Zu der Behauptung, die Kommission habe es dem Hersteller überlassen, bestimmte Kriterien wie das Firmenschild usw. selbst zu beurteilen, macht die Beklagte geltend, die meisten qualitativen Auswahlkriterien könnten nicht starr definiert werden, sondern müssten vom Hersteller von Fall zu Fall gewürdigt werden; diese Würdigung habe dann unter Beachtung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu erfolgen und unterliege der Kontrolle der zuständigen Gerichte.
76 Die Begründung der Entscheidung, insbesondere in Abschnitt II.A.5, sei klar und vollständig. Im übrigen ergebe sich aus dem Urteil L'Oréal (a. a. O.), dem Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 99/79 (Lancôme, Slg. 1980, 2511) sowie der Entscheidung 85/616/EWG der Kommission vom 16. Dezember 1985 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/30.665 - Villeroy & Boch, ABl. L 376, S. 15), daß der Standpunkt, die Wahrung des Images eines Produktes könne qualitative Kriterien bezueglich der fachlichen Eignung des Wiederverkäufers und bezueglich seiner Einrichtungen rechtfertigen, nicht neu gewesen sei.
77 Bezueglich der Verbraucher habe sich die Kommission auf die Äusserungen bestimmter Verbraucherverbände im Rahmen des die Entscheidung Yves Saint Laurent betreffenden Verfahrens stützen können. Jedenfalls sei klar, daß das entscheidende Motiv der Verbraucher von Luxusprodukten die Gewißheit sei, daß das Produkt nicht alltäglich werde. Auch wenn der Verbraucher zunächst bereit sei, ein Luxusprodukt zu kaufen, das ihm in einer Verkaufsstelle angeboten werde, die diesen Luxuscharakter nicht zum Ausdruck bringe, werde doch die Anwesenheit dieses Produktes in einer solchen Verkaufsstelle nach und nach dessen Abwertung zur Folge haben. Damit sei dieses Produkt kein Luxusprodukt mehr, so daß sich der Verbraucher mit der Zeit von ihm abwende.
78 Zu Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vertritt die Kommission die Auffassung, die in Abschnitt II.A.5 der Entscheidung behandelten Kriterien seien offensichtlich objektive Qualitätskriterien der im Urteil Metro I beschriebenen Art, die einheitlich und ohne Diskriminierung festgelegt würden, da sie keinen Händler ausschlössen, der sie erfuellen könne. Ausserdem seien diese Kriterien in einer Weise anzuwenden, die nicht diskriminierend sei, was aber in den Bereich der Anwendung und nicht der Bewertung der Kriterien als solcher falle.
79 Die Kriterien gingen nicht über das hinaus, was erforderlich sei. Die Kommission habe nämlich in der Entscheidung hervorgehoben, daß die Eigenschaften von Luxusparfums, d. h. ihre Hochwertigkeit und die Aura von Prestige und Exklusivität, eng mit der Fähigkeit des Herstellers verknüpft seien, eine Marke mit hohem Geltungswert aufzubauen und zu bewahren und dabei die ästhetische oder funktionelle Eigenart jedes Einzelprodukts oder jeder Produktlinie zur Geltung zu bringen. Diese Feststellung habe zu dem Schluß geführt, daß die Auswahlkriterien bezueglich der Lage und der ästhetischen und funktionellen Merkmale der Verkaufsstelle sowie des Verbots, Waren zu verkaufen, die durch ihre Nachbarschaft das Ansehen der Marke beeinträchtigen könnten, erforderlich seien, um den Parfums Givenchy ihr Image einer Prestigemarke zu erhalten.
80 Bezueglich der kumulierenden Wirkung der Vertriebssysteme vertritt die Kommission die Auffassung, relevanter Markt sei der für Luxuskosmetika, auf jeden Fall aber habe sie die Existenz von Parallelsystemen gebührend berücksichtigt (vgl. Abschnitt II.A.8 der Entscheidung). Was den Hinweis des Klägers auf Randnummer 40 des Urteils Metro II betreffe, so ergebe sich aus den Randnummern 41 und 42 dieses Urteils, daß selektive Vertriebssysteme erst dann nicht mehr mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbar seien, wenn sie zu einer vollkommenen Starrheit des betreffenden Marktes führten, auf dem also kein Wettbewerb mehr herrsche. Im vorliegenden Fall treffe dies nicht zu, da es wirksamen Wettbewerb sowohl zwischen konkurrierenden Marken der Luxuskosmetika als auch zwischen Produkten derselben Marke gebe; solche Systeme seien daher mit den Bestimmungen des Artikels 85 Absatz 1 vereinbar.
81 Obwohl Luxuskosmetika sich kaum durch andere Parfums ersetzen ließen, die nicht in einem selektiven Vertriebssystem verkauft würden, könne der Verbraucher, der ein Parfum kaufen, nicht aber den Preis für ein Luxusparfum zahlen möchte, solche Produkte immer noch in anderen Vertriebssystemen finden (vgl. Abschnitt II.B.3 Absatz 3 der Entscheidung). Eine solche Möglichkeit sei um so bedeutsamer, als Luxuskosmetika nur einen begrenzten Teil des Gesamtmarkts für Kosmetika - je nach Mitgliedstaat zwischen 22,4 und 36,2 % - darstellten.
Vorbringen der Streithelfer
82 Da die Streithelfer ähnliche Argumente wie die Kommission in aller Ausführlichkeit vorgetragen haben, sind hier nur die folgenden Darlegungen wiederzugeben.
83 Givenchy legt dar, sie habe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes objektive, lineare und nichtdiskriminierende Auswahlkriterien festgelegt und jedem Marktbeteiligten die Möglichkeit gelassen, die Bewertungskriterien anzufechten und die zuständigen Gerichte anzurufen. Als Beleg für ihr Vorbringen hat Givenchy Unterlagen über die - ihrer Meinung nach aus rein qualitativen Gründen erfolgte - Zurückweisung der Bewerbung der Firma Rocadis für das Leclerc-Zentrum in Poitiers vorgelegt (vgl. vorstehend Randnr. 46); letztere habe der Begründung für die Ablehnung nicht widersprochen.
84 Ausserdem sei sie gegenüber keinem Marktbeteiligten, der die in der Entscheidung objektiv festgelegten qualitativen Kriterien erfuellen könne, voreingenommen. In Betracht kämen also alle Vertriebsformen - Facheinzelhändler, Einkaufszentren, Kaufhäuser oder andere -, die in der Lage seien, die betreffenden qualitativen Kriterien zu erfuellen. Das Vorbringen von Galec, wonach die Entscheidung ein Vertriebssystem gebilligt habe, das sich nur an Facheinzelhändler richte, sei somit nicht begründet.
85 Ansehen, Prestige und Bekanntheit der Produkte der Marke Givenchy hingen eng mit ihrer Qualität und ihrem Image in den Augen der Verbraucher zusammen, aber auch mit dem Vertriebsweg, weil Luxusparfümerieprodukte - die besonderen Spezifikationen entsprächen und das Ergebnis fortgeschrittener technischer Forschung seien - sich insoweit gegenüber üblichen Parfümerieprodukten abhöben. Ohne einen selektiven Vertrieb ginge nämlich sogar die Idee eines Luxusparfümerieprodukts verloren. Jede Beeinträchtigung der Bedingungen für die Aufrechterhaltung des Ansehens der Luxusparfümerieprodukte würde in kurzer Zeit unfehlbar zum Untergang des Unternehmens Givenchy führen.
86 Das Interesse des Verbrauchers gehe im wesentlichen dahin, ein angesehenes Parfümerieprodukt zu erwerben, das sich von den alltäglichen Verbrauchsgütern unterscheide. Das Verbraucherinteresse gebiete daher die Beibehaltung einer Vertriebsart, die die Aufrechterhaltung des Images eines Produkts sicherstelle, das besonderen Kundenwünschen Rechnung trage. Darüber hinaus müsse mit dem Erwerb eines Parfümerieprodukts jederzeit die Möglichkeit einer angemessenen Beratung sowohl bezueglich der Parfümerie- als auch der Kosmetikprodukte verbunden sein. Bekanntlich enthalte ein angesehenes Parfümerieprodukt wie auch ein Kosmetikprodukt Angaben hinsichtlich der Wirkstoffe, die sich auf die einzelnen Verbraucher nicht gleich auswirkten.
87 Keine der betreffenden Bestimmungen stelle eine Beschränkung dar, die für die Vermarktung angesehener Parfümerieprodukte nicht unumgänglich wäre. In der Sitzung hat Givenchy zusätzlich darauf hingewiesen, daß die Kriterien hinsichtlich der Lage (vgl. vorstehend Randnr. 12) Verkaufsstellen in Gebieten ausschließen sollten, die wie etwa Industriegebiete völlig ungeeignet seien, das Markenimage zu garantieren; sie hat erklärt, sie habe keine vorgefasste Meinung bezueglich der Lage der Verkaufsstelle.
88 Das selektive Vertriebssystem von Givenchy schalte nicht den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte aus, da der Vertrag den Wettbewerb innerhalb der Marke Givenchy fördere und der Vertragshändler frei bleibe, jede andere Marke angesehener Parfümerieprodukte zu vertreiben, wenn er die erforderlichen qualitativen Kriterien erfuelle. Ausserdem handele es sich nicht um ein Monopol, zumal der Verbraucher nicht gezwungen sei, ein prestigeträchtiges Parfum zu erwerben, sondern in anderen Vertriebsnetzen Parfümerieprodukte erwerben könne, die kein Markenimage besässen oder nicht auf einer besonderen Technologie beruhten.
89 Ausserdem hätten die nationalen Gerichte in zahlreichen Fällen Praktiken des Trittbrettfahrens im Handel verurteilt, insbesondere die sogenannte "Lockvogelpraxis", bei der ein Produkt nur zu dem Zweck vermarktet werde, um das Image des Verkäufers zu fördern und die Aufmerksamkeit des Verbrauchers auf andere Produkte zu lenken, die keinerlei Beziehung zu dem Markenprodukt hätten. Eine Aufhebung der Entscheidung würde es Galec erlauben, diese Art der Vermarktung zu betreiben, die dem Image und dem Prestige der Marke Givenchy unmittelbar schade.
90 Was das Firmenschild betreffe, so habe die Kommission insbesondere eingeräumt, daß es unter keinen Umständen darum gehe, ein Firmenschild nur wegen einer besonderen Preispolitik als dem Ansehen abträglich zu betrachten. Bei bestimmten modernen Vertriebsformen, die mit geringeren Preisstaffeln arbeiteten als die sogenannten "alten" Formen, gehe es einfach darum, Präsentation und Dienstleistungen sicherzustellen, die den anerkannten qualitativen Kriterien entsprächen, damit das Firmenschild nicht mit unzureichender Präsentation oder unzureichenden Dienstleistungen assoziiert werde. Es sei Sache von Galec - der selbst mit der Einführung des Zusatzschilds "Éole" das Problem des Firmenschildes anerkannt habe -, die notwendigen Änderungen vorzunehmen, um diesen anerkannten qualitativen Kriterien gerecht zu werden. Die Einschätzung eines Firmenschilds könne Gegenstand von Untersuchungen und Gegenuntersuchungen sein und von einem nationalen Gericht aufgrund der ihm vorliegenden Gutachten überprüft werden.
91 Auf Fragen des Gerichts in der Sitzung, ob der Standpunkt von Givenchy immer noch dem entspreche, den sie in ihrem Schreiben vom 29. April 1991 an die Firma Rocadis vertreten habe, auf das sich Galec berufe (vgl. vorstehend Randnr. 47), hat Givenchy erneut erklärt, sie sei gegenüber den Leclerc-Zentren nicht voreingenommen. Sie lehne Supermärkte nicht grundsätzlich ab, weil alles von den besonderen Umständen der einzelnen Bewerbung abhänge.
92 Colipa verweist zunächst darauf, daß sich die Entscheidung auf die Untersuchung von Professor Weber beziehe, die mit der Marktkenntnis von Colipa übereinstimme. Aus dieser Untersuchung ergebe sich, daß der Gemeinschaftsmarkt für Kosmetika segmentiert sei, und daß mit dieser Aufteilung je nach Segment unterschiedliche Vertriebsmodalitäten verbunden seien. Die Kommission habe zutreffend festgestellt, daß Parfümerieartikel und Luxuskosmetika sowohl aufgrund der Natur ihrer Bestandteile als auch aufgrund der höheren Qualität Eigenschaften hätten, die sie von den Produkten anderer Marktsegmente unterschieden, obwohl eine gewisse Durchlässigkeit unter den betreffenden Produkten bestehe, da die Verbraucher unterschiedlich lange das Produkt eines Segments für ein bestimmtes Bedürfnis benutzten und dann für ein Produkt, das einem anderen Bedürfnis dienen solle, zu einem anderen Segment übergingen. Diese Wahlmöglichkeit nehme dem Luxusprodukt indessen nicht seine Eigenart.
93 Im übrigen habe die Untersuchung von Professor Weber bestätigt, daß auf dem Markt für Luxuskosmetika eine erhebliche Zahl von Herstellern und Händlern unter dynamischen und stark vom Wettbewerb bestimmten Bedingungen tätig sei und auch neue Wettbewerber in grosser Zahl auf den Markt drängten. Ferner müssten die Hersteller ständig neue Produkte erforschen und entwickeln sowie eine für das Image einer namhaften Marke geeignete Vertriebspolitik entwickeln und aufrechterhalten. Die Kommission habe daher in der Entscheidung den Wettbewerbskontext der angemeldeten Verträge zutreffend gewürdigt. Die Behauptung des Klägers, Großformen des Handels würden durch diese Verträge ausgeschlossen, sei durch keine wirtschaftliche Untersuchung oder ein sonstiges Beweismittel belegt.
94 Unter Berufung auf die für den selektiven Vertrieb geltenden Rechtsgrundsätze, die er insbesondere aus einer Untersuchung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, der Grundsätze des "free rider" ("Trittbrettfahrer") im amerikanischen Recht sowie der "Immanenz-Theorie" des deutschen Rechts ableitet, vertritt Colipa die Auffassung, daß diese Vertriebsform für Luxuskosmetika vollkommen gerechtfertigt sei, wie dies vom Gerichtshof insbesondere in den Urteilen L'Oréal und Lancôme (a. a. O.) und von Generalanwalt Reischl in seinen Schlussanträgen zum Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in den verbundenen Rechtssachen 253/78, 1/79, 2/79 und 3/79 (Guerlain u. a., Slg. 1980, 2327, 2377) anerkannt worden sei.
95 Mit dieser auf die "rule of reason" gegründeten wirtschaftlichen Betrachtungsweise werde anerkannt, daß dieser auf andere Faktoren als den Preis ausgerichtete Wettbewerb Vorteile aufweise, wenn man insbesondere die erforderlichen erheblichen Investitionen in Rechnung stelle und verhindern wolle, daß "schmarotzende" Einzelhändler auf Kosten derjenigen lebten, die die wirtschaftlichen Zwänge der Handelspolitik des Erzeugers hinnähmen. Darüber hinaus werde der Wettbewerb auf dem betreffenden Markt nicht beseitigt, denn das besagte selektive Vertriebssystem bestehe neben abweichenden Methoden, die im vorliegenden Fall mehr als 50 % der Erzeugnisse der europäischen Parfumindustrie repräsentierten.
96 Die Parallelexistenz anderer selektiver Vertriebssysteme sei nur dann von Belang, wenn sie ein Hindernis für den Zugang zum Markt darstelle (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935) oder wenn sie keinen Raum für andere Vertriebsformen lasse, denen eine andere Wettbewerbspolitik zugrunde liege, oder zu einer Starrheit der Preisstruktur führe, die nicht durch andere Wettbewerbsfaktoren aufgewogen werde (Urteil Metro II), was im vorliegenden Fall nicht zutreffe. Ganz im Gegenteil sei keine moderne Vertriebsform daran gehindert, sich dem Netz anzuschließen; insoweit hätte es gereicht, wenn Galec einen Aufnahmeantrag eingereicht und die Auswahlkriterien erfuellt hätte.
97 In der Sitzung hat sich Colipa ebenfalls auf den Bericht der Monopolies and Mergers Commission "Fine Fragrances - A report on the supply in the UK for retail sale of fine fragrances" (Cm 2380, November 1993) berufen, wonach der selektive Vertrieb im Sektor Luxuskosmetika nicht gegen das öffentliche Interesse im Sinne des Fair Trading Act 1973 des Vereinigten Königreichs verstosse. Colipa hat ferner betont, daß Luxuskosmetika in mehreren Mitgliedstaaten im selektiven Vertrieb durch Nichtfachgeschäfte oder "Multiprodukt"-Geschäfte wie Boots im Vereinigten Königreich, Matas in Dänemark, Sephora in Frankreich, Müller in Deutschland usw. verkauft würden.
98 FIP macht geltend, bei jedem Luxusprodukt sei der immaterielle Anteil entscheidend und bei jeder prestigeträchtigen Dienstleistung das geschaffene Klima vorrangig, weil das Ansehen der Marke und folglich ihr Schicksal in den Händen ihrer Wiederverkäufer liege, die deren Schaufenster für den Verbraucher seien. Der Vertragshändler biete dem Verbraucher hierbei eine Reihe von Garantien: Vorführung der gesamten Produktpalette oder einer ausreichenden Auswahl, hierunter der letzten Neuheiten der Marke; Beratung durch ein sachkundiges, vom Hersteller ausgebildetes Personal; Garantie- und Kundendienst; ein Verkaufsrahmen, bei dem sich Kauf, Vergnügen und Traum ergänzten. Die Symbolwerte, von denen Luxus abhänge, könnten indessen zerstört werden, wenn Prestigeprodukte unter ungeeigneten Bedingungen oder in der Umgebung von Produkten (wie etwa Nahrungs- oder Reinigungsmitteln) verkauft würden, die das Prestigeimage der betreffenden Marke entwerten könnten; eine solche Umgebung habe zum Untergang der Parfums Coty infolge der Banalisierung der Marke geführt.
99 In diesem Zusammenhang ist FIP der Auffassung, daß die entsprechenden qualitativen Verpflichtungen einschließlich derjenigen, die sich auf das Firmenschild beziehen, unerläßlich seien, um das Image der Marke des Herstellers aufrechtzuerhalten und eine bessere Beratung des Verbrauchers sicherzustellen, auch wenn diese Erfordernisse dazu führen könnten, bestimmten Einzelhändlern die Aufnahme in das Vertriebsnetz zu versagen. Im vorliegenden Fall habe die Kommission die Rechtsprechung des Gerichtshofes peinlich genau berücksichtigt und in keiner Weise gebilligt, daß eine bestimmte Vertriebsform von vornherein ausgeschlossen werde.
100 Nach Ansicht der FEPD spricht Galec zwar von Selektivität, wolle aber mit seiner Klage in Wahrheit die strategische Entscheidung von Givenchy zu Fall bringen und die kleinen und mittleren Fachgeschäfte bekämpfen, was den Interessen der Verbraucher zuwiderlaufe. Die Klage sei jedoch nicht begründet, da die Kommission zutreffend zu dem Schluß gelangt sei, daß die betreffenden Kriterien den Anforderungen der Rechtsprechung genügten, und sogar noch weiter gegangen sei, wenn sie festgestellt habe, daß diese Kriterien ihrer Art nach Unternehmen, die andere Vertriebsmethoden benutzten, nicht vom Markt ausschlössen, falls sie sich gegebenenfalls den gebilligten Kriterien anpassten. Es sei daher Sache von Galec, seine Vertriebsmethoden entsprechend der Natur der betreffenden Produkte umzustellen, was nicht zu einer radikalen Veränderung seiner Verkaufsmethoden führen müsse, zumal einige seiner Mitglieder, wie er behaupte, schon ihrem gegenwärtigen Status nach die von der Kommission gebilligten qualitativen Kriterien erfuellten.
101 Was die Erwartungen und Anforderungen der Verbraucher betreffe, würden die Argumente der Kommission insbesondere durch die Untersuchung von Professor Michel Glais gestützt, wonach der Verbraucher ein offensichtliches Interesse daran habe, Luxusprodukte bei Fachhändlern für solche Produkte einzukaufen.
102 Als relevanten Markt habe die Kommission zutreffend den Markt für Luxuskosmetika definiert. Der Erfolg der Produktlinien auf Alkoholbasis sei der Motor des Geschäftserfolges der betreffenden Marken gewesen; um diesen Erfolg zu verlängern, hätten diese Marken ihre Produktpalette um Schönheits- und Körperpflegemittel ergänzt. Der Vorschlag, den relevanten Markt allein auf die Produkte auf Alkoholbasis zu beschränken, laufe daher darauf hinaus, die Möglichkeit der Ergänzung der Produktpalette auf Alkoholbasis durch Schönheits- und Körperpflegemittel zu begrenzen.
103 Das Firmenschild eines Händlers, das seinen Erfolg einer Beschränkung der Präsentation oder der Dienstleistungen verdanke, und der Vertrieb von Luxusprodukten unter angemessenen Bedingungen könnten nicht auf einen Nenner gebracht werden. Da Galec einräume, daß nicht alle seine Mitglieder in gleicher Weise in der Lage seien, dem Erfordernis der Exklusivität zu genügen, stelle sich das Problem, daß der Verbraucher zwischen exklusiven und solchen Verkaufsstellen unterscheiden müsse, die das nicht seien, da sowohl die einen wie die anderen alle unter ein und demselben Firmenschild vereint seien.
Würdigung durch das Gericht
104 Die Prüfung der Begründetheit der Entscheidung in bezug auf die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag wirft vier Hauptfragen auf, nämlich a) ob der auf qualitativen Kriterien beruhende selektive Vertrieb im Bereich der Luxuskosmetika grundsätzlich mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag vereinbar ist; b) ob die in Abschnitt II.A.5 der Entscheidung genannten Auswahlkriterien von Givenchy die erforderlichen Voraussetzungen erfuellen, um im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag als zulässig angesehen werden zu können; c) ob das Vorbringen des Klägers dazu, ob seine Mitglieder von vornherein von dem Vertriebsnetz von Givenchy ausgeschlossen sind, und sein Vorbringen zu der entsprechenden Haltung der Verbraucher begründet sind; d) ob Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag wegen der Existenz von parallelen Vertriebssystemen in dem betreffenden Bereich Anwendung findet.
A - Zur grundsätzlichen Vereinbarkeit eines auf qualitativen Kriterien beruhenden selektiven Vertriebssystems im Bereich von Luxuskosmetika mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 692A0088.1
105 Obwohl der Kläger vorgetragen hat, er sehe die Notwendigkeit eines Systems ein, das am Begriff der "Exklusivität" ausgerichtet sei, um das Ansehen der Luxusprodukte zu wahren und den Erwartungen der Verbraucher gerecht zu werden, zieht er gleichwohl in Zweifel, ob die von Givenchy festgelegten Auswahlkriterien nach Artikel 85 Absatz 1 zulässig sind. Daher sind vorab die grundlegenden Rechtsprinzipien zu prüfen, die für die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag im Bereich von Luxuskosmetika maßgebend sind.
106 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes stellen selektive Vertriebssysteme einen mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag vereinbaren Bestandteil des Wettbewerbs dar, wenn vier Voraussetzungen erfuellt sind: Erstens müssen die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses ein selektives Vertriebssystem in dem Sinne bedingen, daß ein solches System unter Berücksichtigung der besonderen Natur der betreffenden Erzeugnisse, insbesondere wegen ihrer hohen Qualität oder technischen Entwicklung, ein rechtmässiges Erfordernis darstellt, um ihre Qualität zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten (Urteil L'Oréal, a. a. O., Randnr. 16, ausgelegt im Lichte des Urteils Metro I, Randnrn. 20 und 21, des Urteils AEG, Randnr. 33, und des Urteils des Gerichts in der Rechtssache T-19/91, Vichy/Kommisison, Slg. 1992, II-415, Randnrn. 69 bis 71). Zweitens muß die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden (vgl. z. B. die Urteile Metro I, Randnr. 20, L'Oréal, Randnr. 15, und AEG, Randnr. 35). Drittens muß das betreffende System auf die Erreichung eines Ergebnisses abzielen, das zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und damit einen Ausgleich für die mit selektiven Vertriebssystemen verbundene Wettbewerbsbeschränkung insbesondere im Bereich der Preise schafft (Urteile Metro I, Randnrn. 20 bis 22, AEG, Randnrn. 33, 34 und 73, und Metro II, Randnr. 45). Viertens dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist (Urteile L'Oréal, a. a. O., Randnr. 16, und Vichy/Kommission, a. a. O., Randnrn. 69 bis 71). Die Frage, ob diese Bedingungen erfuellt sind, ist objektiv unter Berücksichtigung des Verbraucherinteresses zu prüfen (vgl. Urteile Metro I, Randnr. 21, und Vichy/Kommission, a. a. O., Randnrn. 69 bis 71).
107 Der Gerichtshof hat insbesondere festgestellt, daß solche auf qualitativen Gesichtspunkten beruhende selektive Vertriebssysteme im Bereich der Herstellung langlebiger, hochwertiger und technisch hoch entwickelter Verbrauchsgüter als mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbar hingenommen werden können, um einen Fachhandel zu erhalten, der besondere Leistungen für solche Erzeugnisse zu erbringen vermag (Urteile Metro I, Randnr. 20, AEG, Randnr. 33, Metro II, Randnr. 54, und Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1985 in der Rechtssache 31/85, ETA, Slg. 1985, 3933, Randnr. 16). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich aber auch, daß selektive Vertriebssysteme, die durch die besondere Natur der Erzeugnisse oder die Erfordernisse ihres Vertriebes gerechtfertigt sind, für andere Wirtschaftsbereiche ohne Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 errichtet werden können (Urteile Binon, a. a. O., Randnrn. 31 und 32, und vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 126/80, Salonia, Slg. 1981, 1563). Ebenso hat der Gerichtshof in seinem Urteil Metro I (Randnr. 20) entschieden, daß Art und Intensität eines für die Erreichung der Ziele des Vertrages erforderlichen wirksamen Wettbewerbs ("workable competition") je nach den in Betracht kommenden Waren oder Dienstleistungen und der wirtschaftlichen Struktur des betroffenen Marktsektors verschieden sein können, ohne den Grundsatz des unverfälschten Wettbewerbs gemäß den Artikeln 3 und 85 des Vertrages zu verletzen.
108 Bei Luxuskosmetika und insbesondere Luxusparfums, den hauptsächlichen Produkten dieser Gruppe, handelt es sich erstens um verfeinerte und hochwertige Erzeugnisse, die Ergebnis besonderer Forschung sind und bei denen hochwertige Materialien, insbesondere für ihre Verpackung, verwendet werden; zweitens haben diese Produkte ein "Luxusimage", das sie von anderen ähnlichen Produkten, die kein solches Image haben, unterscheiden soll; drittens ist dieses Luxusimage in den Augen der Verbraucher wichtig, die es schätzen, Luxuskosmetika und insbesondere Luxusparfüms kaufen zu können. In den Augen der Verbraucher sind nämlich Luxuskosmetika kaum durch ähnliche Produkte aus anderen Marktsegmenten zu ersetzen (vgl. Abschnitt II.A.8 der Entscheidung).
109 Das Gericht ist daher der Auffassung, daß der Begriff der "Eigenschaften" der Luxuskosmetika im Sinne des Urteils L'Oréal (a. a. O.) nicht auf die materiellen Eigenschaften beschränkt werden kann, sondern auch die besondere Vorstellung, die die Verbraucher mit ihnen verbinden, namentlich ihre "Aura von Luxus" umfasst. Es handelt sich also im vorliegenden Fall um Produkte, die zum einen als solche hochwertig sind und zum anderen einen Luxuscharakter aufweisen, der ihnen ihrer Natur nach eigen ist.
110 Bezueglich der Frage, ob ein selektiver Vertrieb bei Produkten mit diesen Eigenschaften ein rechtmässiges Erfordernis darstellt, weist das Gericht darauf hin, daß die Begründung der Entscheidung in diesem Punkt (Abschnitt II.A) nicht auf den Begriff eines Fachhandels im Sinne der Urteile Metro I, Metro II und AEG (a. a. O.) abstellt, der besondere Leistungen für Erzeugnisse von hoher technischer Entwicklung zu erbringen vermag, sondern eher auf zwei anderen grundlegenden Gesichtspunkten beruht, nämlich a) dem Interesse von Givenchy als Hersteller von Luxuskosmetika, das hohe Ansehen ihrer Marke aufrechtzuerhalten und die Ergebnisse ihrer Werbeanstrengungen sicherzustellen (vgl. Abschnitt II.A.5 Absätze 2 und 4 der Entscheidung; in gleichem Sinn auch Abschnitt II.B.2), sowie b) dem Erfordernis, die "Aura prestigeträchtiger Exklusivität" der betreffenden Produkte in den Augen der Verbraucher aufrechtzuerhalten, insbesondere sie den Kunden "in einer Weise zu präsentieren, die das ästhetisch und funktionell Besondere [der Produkte] herausstellt" (Abschnitt II.A.5 Absatz 2) und "einen Rahmen [zu] bieten, der zu dem luxuriösen exklusiven Charakter der angebotenen Produkte passt, sowie eine Präsentation, die dem Ansehen der Marke... gerecht wird" (Abschnitt II.A.5 Absatz 4, vgl. auch Abschnitt II.A.5 Absätze 5 und 6).
111 Obwohl ein Hersteller seine Vertriebspolitik frei bestimmen kann, ist Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu beachten, wenn die Durchführung dieser Politik zu Vereinbarungen führt, die anderen unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern Verpflichtungen auferlegen, die ihre Wettbewerbsfreiheit in einem Masse einschränken können, daß der innergemeinschaftliche Handel spürbar beeinträchtigt wird. Daher kann der Umstand, daß ein Hersteller erhebliche Werbeanstrengungen unternommen hat, für sich allein keinen objektiven Rechtfertigungsgrund darstellen, der ein Vertriebssystem, das die Wettbewerbsfreiheit der beteiligten Unternehmen und Dritter beschränkt, der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 entziehen könnte. Anderenfalls könnte nämlich jeder Hersteller die Errichtung eines selektiven Vertriebssystems allein mit seinen Werbeanstrengungen verteidigen und jedes einschränkende Auswahlkriterium ließe sich mit der Begründung rechtfertigen, es sei notwendig, um die Vertriebspolitik des Herstellers zu schützen (vgl. Urteil Vichy/Kommission, a. a. O., Randnr. 71).
112 Nach Auffassung des Gerichts bleibt daher ein selektives Vertriebssystem nur dann ausserhalb des Anwendungsbereichs von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag, wenn es auch unter Berücksichtigung des Verbraucherinteresses objektiv gerechtfertigt ist (vgl. vorstehend Randnr. 106 a. E.).
113 Es liegt im Interesse der Verbraucher von Luxuskosmetika, daß solche Produkte in den Verkaufsstellen in angemessener Weise angeboten werden. Da es sich nämlich um hochwertige Produkte handelt, bei denen die Verbraucher das Luxusimage schätzen, zielen Kriterien, die lediglich eine anspruchsvolle Präsentation sicherstellen sollen, auf ein Ergebnis, das durch Bewahrung dieses Images den Wettbewerb verbessern und damit einen Ausgleich für die Wettbewerbsbeschränkung schaffen kann, die mit allen selektiven Vertriebssystemen einhergeht (vgl. Urteil Metro I, Randnr. 37).
114 Es liegt in der Tat im Interesse der Verbraucher von Luxuskosmetika, daß das Luxusimage solcher Produkte, ohne das sie nicht mehr als Luxusprodukte angesehen würden, nicht beeinträchtigt wird. Gegenwärtig besteht im Kosmetikbereich zwischen den Luxuskosmetika und den übrigen Kosmetika eine Segmentierung, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verbraucher entspricht und daher wirtschaftlich nicht zu beanstanden ist. Obwohl der "Luxuscharakter" der Luxuskosmetika u. a. auch auf ihrer Hochwertigkeit, ihrem höheren Preis und den Werbekampagnen der Hersteller beruht, kann der Umstand, daß diese Produkte im Rahmen selektiver Vertriebssysteme verkauft werden, die eine anspruchsvolle Präsentation in der Verkaufsstelle sicherstellen sollen, ebenfalls einen Beitrag zu diesem Luxusimage und damit zur Aufrechterhaltung einer der Haupteigenschaften der von den Verbrauchern nachgefragten Produkte leisten. Ein allgemeiner Verkauf der betreffenden Produkte, bei dem Givenchy in keiner Weise sicherstellen könnte, daß ihre Produkte in angemessener Weise verkauft werden, würde im Ergebnis die Gefahr einer Verschlechterung der Präsentation der Produkte in den Verkaufsstellen mit sich bringen, die das "Luxusimage" und damit den eigentlichen Charakter dieser Produkte beeinträchtigen könnte. Folglich stellen Kriterien, die eine mit diesem Luxuscharakter übereinstimmende Präsentation der Produkte in der Verkaufsstelle sicherstellen sollen, ein rechtmässiges Erfordernis dar, das im Interesse der Verbraucher den Wettbewerb im Sinne der angeführten Rechtsprechung zu verbessern vermag.
115 Diese Schlußfolgerung wird nicht durch den während des Verfahrens festgestellten Umstand entkräftet, daß ein mehr oder weniger grosser Teil der Verkäufe in einigen Mitgliedstaaten, insbesondere in den Niederlanden, aber auch im Vereinigten Königreich und in Frankreich, von nicht zugelassenen Einzelhändlern getätigt wird, die sich auf dem Parallelmarkt versorgen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß das Verbraucherinteresse für solche Verkäufe zum Teil auf dem Luxusimage beruht, zu dessen Aufrechterhaltung der selektive Vertrieb zumindest teilweise beiträgt. Aus dem genannten Umstand folgt also nicht, daß dieses Luxusimage ohne selektiven Vertrieb erhalten geblieben wäre.
116 Wenn es auch im Interesse des Verbrauchers liegt, sich Luxuskosmetika besorgen zu können, die in einer angemessenen Präsentationsweise verkauft werden, und damit deren Luxusimage bewahrt wird, so liegt es, wie die vier Verbraucherverbände in ihrer von der Kommission auf Aufforderung des Gerichts in der Rechtssache Yves Saint Laurent vorgelegten Stellungnahme geltend gemacht haben (vgl. nachstehend Randnr. 167), doch auch im Interesse des Verbrauchers, daß ein hierauf gestütztes Vertriebssystem nicht übertrieben restriktiv gehandhabt und insbesondere der Zugang zu den Produkten nicht über Gebühr beschränkt wird. Des weiteren folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß das Ziel des Systems von Givenchy nur dann als rechtmässig und zu einem Ausgleich der mit ihm verbundenen Wettbewerbsbeschränkung geeignet angesehen werden kann, wenn es allen in Betracht kommenden Wiederverkäufern offensteht, die in der Lage sind, dem Kunden eine anspruchsvolle Präsentation in einem angemessenen Rahmen zu bieten und das Luxusimage der betreffenden Produkte aufrechtzuerhalten (vgl. vorstehend Randnr. 106). Ein selektives Vertriebssystem, das zum Ausschluß bestimmter Vertriebsformen führte, die geeignet wären, Produkte in anspruchsvoller Weise, z. B. in einer umgestalteten Abteilung oder auf einer entsprechenden Fläche, zu verkaufen, würde nämlich lediglich bereits bestehende Vertriebsformen vor dem Wettbewerb neuer Wirtschaftsteilnehmer schützen und wäre daher nicht mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag vereinbar (Urteil AEG, a. a. O., Randnrn. 74 und 75).
117 Folglich werden im Bereich von Luxuskosmetika qualitative Kriterien für die Auswahl der Einzelhändler, die nicht über das hinausgehen, was für den Verkauf dieser Produkte unter angemessenen Bedingungen für ihre Präsentation erforderlich ist, grundsätzlich nicht von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst, wenn diese Kriterien objektiv sind, einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden.
B - Zur Frage, ob die in der Entscheidung (Abschnitt II.A.5) genannten Auswahlkriterien von Givenchy die erforderlichen Voraussetzungen erfuellen, um im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 als zulässig angesehen werden zu können 1. Zu den Aufgaben des Gerichts bzw. der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden
118 Galec ist der Auffassung, daß bestimmte Auswahlkriterien Givenchy einen übertriebenen und nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum ließen und daher nicht objektiv im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes seien. Die Kommission und die Streithelfer sind hingegen der Auffassung, daß diese Kriterien zu einer vom Hersteller vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung führten, bei der das Verbot der Diskriminierung zu beachten sei und die der Kontrolle der zuständigen Gerichte unterliege.
119 Angesichts dieses Vorbringens sind vorab die Aufgaben des Gerichts bzw. der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden genauer zu bestimmen.
120 Was die Frage betrifft, ob die betreffenden Kriterien die Voraussetzungen erfuellen, um im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag als zulässig angesehen werden zu können, d. h. ob es sich um qualitative und objektive Kriterien handelt, die weder diskriminierend noch unverhältnismässig sind, so beschränkt sich die richterliche Kontrolle des Gerichts nach Artikel 173 EG-Vertrag auf die Prüfung, ob die Feststellungen der Kommission in Abschnitt II.A.5 der Entscheidung einen Mangel der Begründung, einen offensichtlichen Tatsachen- oder Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweisen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, zur Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Sachverhalte Stellung zu nehmen.
121 Wie die Kommission und Givenchy zu Recht geltend gemacht haben, steht die Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Sachverhalte indessen nicht allein im Ermessen des Herstellers, sondern hat in objektiver Weise zu erfolgen. Folglich ist die Möglichkeit einer unabhängigen und wirksamen Kontrolle der Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Sachverhalte wesentlich für die Rechtmässigkeit des Vertriebssystems von Givenchy im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 (vgl. Abschnitte II.A.6 Buchstabe a und II.B.4 Absatz 3 der Entscheidung).
122 Nach ständiger Rechtsprechung sind die nationalen Gerichte wegen der unmittelbaren Wirkung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag für die Anwendung dieser Bestimmung zuständig (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 127/73, BRT, Slg. 1974, 51, Randnrn. 15 und 16). Mithin kann ein Bewerber, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist und der meint, die betreffenden Kriterien seien auf ihn in einer nicht mit Artikel 85 Absatz 1 zu vereinbarenden Art und Weise, insbesondere diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit, angewandt worden, bei den zuständigen nationalen Gerichten einen Rechtsbehelf einlegen. Ein solcher Rechtsbehelf kann gegebenenfalls auch bei den nationalen Behörden eingelegt werden, die für die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zuständig sind.
123 Es ist daher Aufgabe der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden, die mit einem solchen Rechtsbehelf befasst sind, gegebenfalls im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts über die Frage zu entscheiden, ob die Auswahlkriterien von Givenchy in einem konkreten Fall diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit und damit unter Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag angewandt worden sind. Die nationalen Gerichte oder Behörden haben insbesondere darauf zu achten, daß die betreffenden Kriterien nicht dazu gebraucht werden, den Zugang neuer Wirtschaftsteilnehmer zum Vertriebssystem zu verhindern, die in der Lage sind, die betreffenden Produkte in einer ihrem Ansehen nicht abträglichen Weise zu verkaufen.
124 Im übrigen kann ein Bewerber, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist, vorbehaltlich der vom Gericht in seinem Urteil vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90 (Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223) festgelegten Grundsätze eine Beschwerde bei der Kommission nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einlegen, insbesondere wenn Zulassungsbedingungen planmässig in einer gemeinschaftsrechtswidrigen Weise angewandt worden sind (vgl. Urteil AEG, Randnrn. 44 bis 46, 67 ff.).
2. Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der betreffenden Kriterien nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
a) Die Kriterien bezueglich der beruflichen Ausbildung
125 Galec hat in seinen Schriftsätzen die in den Abschnitten II.3 und II.5 des Vertrages geregelten Kriterien bezueglich der beruflichen Ausbildung des Personals und der Beratung und Vorführung nicht beanstandet (vgl. Punkt 26 seiner Stellungnahme zu den Streithilfeschriftsätzen), in der Sitzung indessen gerügt, daß diese Kriterien ausser Verhältnis zu den Erfordernissen des Verkaufs der betreffenden Produkte unter angemessenen Bedingungen stuenden.
126 Nach Auffassung des Gerichts stellt die Anwesenheit einer Person in der Verkaufsstelle, die in der Lage ist, den Verbraucher sachkundig zu beraten oder ihm Auskünfte zu geben, grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis für den Verkauf von Luxuskosmetika dar, das zu einer angemessenen Präsentation solcher Produkte gehört. Darüber hinaus hat der Kläger nichts vorgetragen, was dem Gericht eine Entscheidung der Frage ermöglicht, ob die nach Abschnitt II.3. des Vertrages erforderlichen Qualifikationen, nämlich entweder ein Kosmetikerdiplom bzw. ein vergleichbarer beruflicher Befähigungsnachweis oder eine mindestens dreijährige Verkaufspraxis in einer Parfümerie, im Hinblick auf die Natur der betreffenden Erzeugnisse unverhältnismässig sind.
127 Jedenfalls haben die zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden darüber zu wachen, daß die Vertragsbestimmungen über die berufliche Ausbildung auf konkrete Sachverhalte nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt werden.
b) Die Kriterien bezueglich der Lage und der Einrichtung der Verkaufsstelle
128 Die Rügen von Galec betreffen insbesondere die Kriterien, die sich auf die "Umgebung" der Verkaufsstelle, die Aussenansicht der Verkaufsstelle, insbesondere die Schaufenster, und auf den Verkauf anderer Waren in der Verkaufsstelle beziehen. Nach Ansicht von Galec sind diese Kriterien zu subjektiv, unverhältnismässig und diskriminieren seine Mitglieder.
- "Umgebung" und Lage der Verkaufsstelle
129 Nach Abschnitt II.4 des Vertrages müssen "Standing und Umfeld der Verkaufsstelle... dem Ansehen der Marke entsprechen". Nach dieser Bestimmung wird das Umfeld des Geschäfts aufgrund der "äusseren Umgebung des Geschäfts (benachbarte Geschäfte und Strasse)", der "örtlichen Lage (Stadtzentrum, Aussenviertel, Geschäftsstrasse, usw.)" sowie "andere[r] angesehene[r] Geschäfte in der Umgebung (Schmuck- und Geschenkartikelläden, Hotels, Restaurants, usw.)" beurteilt. Aus der Rubrik "a) Qualität der Umgebung - Stadtviertel oder Strasse" der Benotungstabelle des Bewertungsbogens von Givenchy ergibt sich, daß ein Geschäft in einem Stadtviertel oder einer Strasse mit gutem Ruf oder in der Nähe luxuriöser Geschäfte besser benotet wird als ein Geschäft am Stadtrand. Für diese Rubrik ist auch die höchste Punktzahl (30 Punkte) vorgesehen, die damit höher ist als die für die fachliche Eignung (20 Punkte).
130 Nach Auffassung des Gerichts wird ein Kriterium bezueglich der Umgebung, in der eine Verkaufsstelle für Luxusparfums liegt, an und für sich nicht von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfasst, soweit es sicherstellen soll, daß solche Produkte nicht an hierzu völlig ungeeigneten Standorten verkauft werden, wie der Vertreter von Givenchy in der Sitzung betont hat (vgl. vorstehend Randnr. 87). Allerdings haben die zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden darüber zu wachen, daß dieses Kriterium auf konkrete Sachverhalte nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt wird.
- Die Aussenansicht der Verkaufsstelle, insbesondere die "Schaufenster an der Vorderfront"
131 Galec rügt die Bestimmungen über die Qualität der Fassade und die Bestimmung in Abschnitt II.6 des Vertrages, wonach das Geschäft "eine oder mehrere Schaufenster an seiner Vorderfront aufweisen" muß, die "den Gepflogenheiten beim Verkauf von Luxusartikeln entsprechen". Im Bewertungsbogen ist für die Rubrik b betreffend die Aussenansicht der Verkaufsstelle eine Hoechstnote von 30 Punkten (für eine "aussergewöhnlich luxuriöse" Fassade), für die Rubrik c betreffend die Schaufenster eine Hoechstnote von 10 Punkten vorgesehen.
132 Solche Bestimmungen, insbesondere die über die Schaufenster, bieten nach Auffassung des Gerichts die Möglichkeit einer diskriminierenden Anwendung gegenüber einer Verkaufsstelle - z. B. einem Supermarkt -, die nicht die gleiche Fassade wie ein traditionelles Geschäft, insbesondere keine Fassade mit Schaufenstern hat, die aber eine Abteilung oder eine Fläche innerhalb der Verkaufsräume in einer für den Verkauf von Luxuskosmetika geeigneten Weise eingerichtet hat. Ausserdem sind für eine angemessene Präsentation der Artikel in einer Abteilung oder auf einer Verkaufsfläche im Innern eines "Multiprodukt"-Geschäfts Schaufenster an der Vorderfront offensichtlich nicht erforderlich.
133 Allerdings ergibt sich aus dem für die Bewertung der Bewerbung der Firma Rocadis für das Leclerc-Zentrum in Poitiers verwendeten Bogen (vgl. vorstehend Randnrn. 46 und 47), daß die Kriterien des Vertrages betreffend die Schaufenster so ausgelegt werden können, daß sie sich auf "Schaukästen" einer im Innern einer Verkaufsstelle geschaffenen Fläche und nicht auf Schaufenster an der Vorderfront beziehen.
134 Unter diesen Umständen genügt die Feststellung, daß die zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden darüber zu wachen haben, daß die Kriterien betreffend die Aussenansicht der Verkaufsstelle einschließlich der Schaufenster nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt werden.
- Der Verkauf anderer Waren, die dem Ansehen der Marke Givenchy schaden können
135 Galec zieht die Rechtmässigkeit des Abschnitts II.6 des Vertrages in Zweifel, wonach "die Nachbarschaft anderer in der Verkaufsstelle vertriebener Produkte... dem Ansehen der Marke Givenchy nicht schaden" dürfen.
136 Weder im Vertrag noch im Bewertungsbogen werden die Produkte genannt, deren Verkauf am gleichen Ort durch deren räumliche Nähe dem Ansehen der Marke Givenchy schaden könnte. In der Entscheidung begnügt sich die Kommission mit der Feststellung, daß diese Bestimmung "in den Augen des Publikums nur Prestige und Exklusivität der angebotenen Produkte schützen und damit jeder Verwechslung mit Waren minderer Qualität vorbeugen [soll]" [Abschnitt II.A.5 Absatz 5).
137 Abschnitt II.6 des Vertrages entbehrt somit der Genauigkeit und Klarheit und bietet die Möglichkeit einer subjektiven und gegebenenfalls diskriminierenden Anwendung.
138 Die Kommission geht allerdings davon aus, daß ein Supermarkt nicht allein deshalb vom Vertriebssystem ausgeschlossen werden kann, weil er andere Waren verkauft (vgl. Abschnitt II.A.5 Absätze 5 und 6 sowie nachstehend Randnrn. 156 ff.). Ferner haben die Streithelfer mit Ausnahme von Nahrungs- und Reinigungsmitteln keine Produkte genannt, deren Vertrieb dem "Ansehen" der Produkte schaden könnte.
139 Somit ist die Entscheidung dahin zu verstehen, daß der Verkauf anderer in einem Supermarkt typischerweise anzutreffender Waren für sich genommen nicht geeignet ist, dem "Luxusimage" der betreffenden Produkte zu schaden, sofern die Abteilung oder die Fläche für den Verkauf von Luxuskosmetika so gestaltet ist, daß diese Produkte in einer anspruchsvollen Weise präsentiert werden. Hierfür kann es erforderlich sein, bestimmte andere Produkte wie Nahrungs- oder Reinigungsmittel nicht "in der Nähe" von Luxuskosmetika zu verkaufen oder den Verkauf von Luxuskosmetika und den Verkauf anderer Produkte geringerer Qualität in geeigneter Weise zu trennen (vgl. Abschnitt II.A.5 Absatz 5 der Entscheidung).
140 Im Lichte dieser Feststellungen ist das Gericht der Auffassung, daß die Kontrolle der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden die mangelnde Klarheit dieses Kriteriums auszugleichen vermag, falls Schwierigkeiten auftreten. Sie haben nämlich darüber zu wachen, daß diese Bestimmung nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt wird.
- Die Bedeutung anderer Tätigkeiten in der Verkaufsstelle
141 Zur Stützung ihrer in der Klageschrift geltend gemachten Rügen bezueglich der Kriterien, die die Einrichtung der Verkaufsstelle und den Verkauf anderer Waren betreffen, hat Galec in der Sitzung auf die Rubrik "m) Tätigkeiten im Rahmen des Geschäfts" in dem Teil "Äussere Bewertung" des Bewertungsbogens von Givenchy verwiesen. Aus dieser Rubrik, in der als Hoechstnote 30 Punkte vorgesehen sind, ergibt sich, daß der Bewerber die Note "0" erhält, wenn in dem Geschäft die Tätigkeit im Parfümeriebereich im Verhältnis zu den anderen Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung ist oder die Parfümerie weniger als 50 % der Verkaufszeilen beansprucht.
142 Diese Rubrik wird in der Entscheidung nicht behandelt; allerdings wird dort festgestellt, daß die in Abschnitt II.6 des Vertrages genannten Kriterien von Givenchy bezueglich der Einrichtung der Verkaufsstelle und des Verkaufs anderer Waren in der Verkaufsstelle nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fielen (Abschnitt II.A.5 Absätze 5 und 6). Da der Bewertungsbogen zum Abschnitt II.6 gehört, ist die Entscheidung somit ebenfalls so zu verstehen, daß sie ein Kriterium wie das in der Rubrik m vorgesehene von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag ausnimmt.
143 Obwohl ein Bewerber aufgrund des Bewertungsbogens nur ausscheidet, wenn er in den insgesamt 15 Rubriken viermal die Note "0" erhält, trägt die Rubrik m des Bewertungsbogens doch gleichwohl zum Ausschluß von Bewerbern wie "Multiprodukt"-Geschäften bei, deren Tätigkeit im Parfümeriebereich sich auf weniger als 50 % ihrer Tätigkeiten beläuft, selbst wenn sie über eine Fachabteilung für den Verkauf der betreffenden Produkte verfügen.
144 Unter diesen Umständen ist die Rubrik m des Bewertungsbogens nach Auffassung des Gerichts als unverhältnismässig anzusehen, da der blosse Umstand, daß die Tätigkeit im Parfümeriebereich innerhalb eines Geschäfts weniger als 50 % aller Tätigkeiten dort ausmacht, für sich genommen in keinem Zusammenhang mit dem rechtmässigen Erfordernis der Aufrechterhaltung des Luxusimages der betreffenden Produkte steht.
145 Im übrigen hält das Gericht die Rubrik m für diskriminierend, da sie eine Fachparfümerie gegenüber einem "Multiprodukt"-Geschäft, das über eine Fachabteilung verfügt, deren Einrichtung den für den Verkauf von Luxuskosmetika angemessenen Qualitätsanforderungen genügt, im Falle einer Bewerbung begünstigt.
146 Mithin ist diese Rubrik ihrer Natur nach geeignet, den Wettbewerb im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag einzuschränken oder zu verfälschen, denn sie führt zu einer Benachteilung eines Bewerbers allein deshalb, weil seine Tätigkeit im Parfümeriebereich im Verhältnis zu den anderen Tätigkeiten innerhalb des Geschäfts von untergeordneter Bedeutung ist.
147 Obwohl der Bewertungsbogen zum Abschnitt II.6 des Vertrages und zum Verfahren für die Zulassung zum Vertriebssystem von Givenchy gehört, enthält Abschnitt II.A.5 der Entscheidung keine Begründung zur Rechtfertigung der betreffenden Rubrik. Die Entscheidung weist daher insoweit einen Begründungsmangel auf.
148 Somit ist die Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als in ihr festgestellt wird, daß eine Bestimmung, nach der Givenchy die Bewerbung eines Einzelhändlers allein deshalb ungünstiger beurteilen kann, weil seine Tätigkeit im Parfümeriebereich von untergeordneter Bedeutung ist, nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fällt.
c) Das Kriterium des Firmenschildes
149 Galec beanstandet die das Firmenschild betreffende Bestimmung in Abschnitt II.8 des Vertrages als subjektiv, diskriminierend und unverhältnismässig. Die Bestimmung lautet: "Ausgeschlossen ist ein bestehendes Firmenschild, dessen Image durch eine Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen geprägt ist. Ausgeschlossen ist auch ein neues Firmenschild, das in den Augen der Öffentlichkeit mit einer Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen verbunden ist. Dabei wird jedoch die mit einem Firmenschild verbundene übliche Preispolitik nicht als schädlich angesehen." Die Kommission und die Streithelfer halten diese Bestimmung für notwendig, um den Luxuscharakter der Produkte und das Luxusimage der Marke Givenchy aufrechtzuerhalten.
150 Ein Kriterium, das nur dafür sorgen soll, daß das Firmenschild des Einzelhändlers dem Luxusimage der Luxuskosmetika nicht schadet, stellt grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis des Vertriebs solcher Produkte dar und fällt daher nicht notwendig unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Fehlt ein solches Kriterium, besteht nämlich die Gefahr, daß das Luxusimage der Luxuskosmetika und damit ihr Charakter selbst beeinträchtigt wird, indem diese Produkte durch Einzelhändler verkauft werden, deren Firmenschild in den Augen der Verbraucher dem Ansehen der Marke offensichtlich schadet.
151 Da aber das Kriterium des Firmenschilds im Gegensatz zu den Kriterien, die die materiellen Aspekte einer Verkaufsstelle betreffen, nicht durch einen Fotobericht oder eine Besichtigung vor Ort überprüft werden kann, haben die zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden ganz besonders darauf zu achten, daß diese Bestimmung nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt wird.
152 Erstens kann sich dieses Kriterium nämlich nur darauf beziehen, welches Image das Firmenschild derzeit in den Augen der Verbraucher hat. Mithin kann der erste Satz des Vertragesabschnitts II.8, wonach "... ein bestehendes Firmenschild, dessen Image durch eine Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistungen geprägt ist, [ausgeschlossen ist]", nicht dahin ausgelegt werden, daß er moderne Betriebsformen ausschließt, die anfänglich auf einer Beschränkung der Ausstattung oder der Dienstleistung beruhten, seither aber für den Verkauf von Luxusprodukten neue Verfahren zur Imageaufwertung entwickelt haben, so daß ihr Firmenschild insoweit nicht mehr als dem Ansehen schädlich angesehen wird.
153 Zweitens hängt nach Maßgabe der vom Gericht aufgestellten Grundsätze (vgl. vorstehend Randnrn. 121 ff.) die Wirkung des betreffenden Firmenschilds nicht allein vom Ermessen des Herstellers ab, sondern ist so objektiv wie möglich zu ermitteln. In Zweifelsfällen müssen den zuständigen nationalen Gerichten oder Behörden objektive Beweismittel wie Meinungsumfragen oder Marktuntersuchungen zur Prüfung vorgelegt werden.
154 Drittens wird in Abschnitt II.A.5 der Entscheidung, worauf die Beklagte selbst hingewiesen hat, festgestellt, daß das mit der "üblichen Preispolitik des Händlers" verbundene Image nicht das Ansehen der Marke herabsetzt. Das Kriterium des Firmenschilds darf nämlich nicht allein dazu verwandt werden, Geschäfte auszuschließen, die Produkte zu niedrigen Preisen, aber in einer anspruchsvollen Weise anbieten können.
155 Das Gericht ist schließlich der Auffassung, daß das Kriterium des Firmenschilds besonders vorsichtig anzuwenden ist, wenn es keinem Zweifel unterliegt, daß der Einzelhändler die notwendigen Investitionen vorgenommen hat, um allen Erfordernissen bezueglich der materiellen Verkaufsbedingungen (Einrichtung, Trennung von den übrigen Artikeln, Fachpersonal usw.) zu genügen, und Verpflichtungen bezueglich der Lagerung, der jährlichen Mindesteinkäufe, der Zusammenarbeit in der Werbung usw. übernommen hat. In einem solchen Fall haben die zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden darüber zu wachen, daß das Kriterium des Firmenschilds nicht allein dazu verwandt wird, eine für den Verkauf der betreffenden Produkte geeignete Verkaufsstelle von dem Vertriebssystem auszuschließen, ohne daß wirklich die Gefahr einer Beeinträchtigung des Images dieser Produkte besteht.
C - Zum Vorbringen des Klägers zu der Frage, ob seine Mitglieder von vornherein vom Vertriebsnetz von Givenchy ausgeschlossen sind, und zu seinem Vorbringen zu der entsprechenden Haltung der Verbraucher
156 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist jetzt das Vorbringen von Galec zu der Frage, ob seine Mitglieder durch die Kumulierung der Auswahlkriterien von vornherein vom Vertriebssystem von Givenchy ausgeschlossen sind, und zu der entsprechenden Haltung der Verbraucher zu behandeln.
157 Die Kommission hat im Laufe des Verfahrens wiederholt betont, die Entscheidung schließe moderne Betriebsformen wie die von den Leclerc-Zentren betriebenen Supermärkte nicht von vornherein aus (vgl. z. B. vorstehend Randnrn. 71 und 72). Givenchy hat ihrerseits darauf hingewiesen, sie sei gegenüber Supermärkten oder anderen modernen Vertriebsformen oder gegenüber den Leclerc-Zentren nicht voreingenommen (vgl. vorstehend Randnrn. 84 und 91). Auch die übrigen drei Streithelfer haben geltend gemacht, daß die Entscheidung die von den Mitgliedern von Galec betriebene Vertriebsform oder andere moderne Vertriebsformen nicht an und für sich ausschließe. Die Streithelfer haben vielmehr, um den nichtrestriktiven Charakter des Systems von Givenchy zu belegen, insbesondere auf die in mehreren Mitgliedstaaten als Vertragshändler zugelassenen "Multiprodukt"-Geschäfte hingewiesen.
158 Mithin hat keiner der Beteiligten vor dem Gericht geltend gemacht, daß Supermärkte oder andere Formen von "Multiprodukt"-Geschäften für den Verkauf von Luxuskosmetika grundsätzlich ungeeignet seien. Die Kommission und die Streithelfer räumen ein, daß ein solcher Verkauf nach der Entscheidung möglich ist, sofern solche Verkaufsstellen in geeigneter Weise eingerichtet sind und ähnliche Verpflichtungen übernehmen, wie sie die übrigen Vertragshändler übernommen haben. Nach Auffassung des Gerichts würde das Vertriebssystem von Givenchy anderenfalls gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstossen, da es eine Gruppe in Betracht kommender Wiederverkäufer von dem System ausschließen würde (vgl. vorstehend Randnr. 116).
159 Zwar hat sich die Kommision in den Abschnitten II.A.5 Absatz 6 und II.B.5 Absatz 4 der Entscheidung etwas unklar ausgedrückt, wenn sie von "Kaufhäusern" spricht, einer normalerweise traditionellen Handelsform, und wenn sie erklärt, sie habe "nicht feststellen können", daß die Verbreitung selektiver Vertriebssysteme für Luxuskosmetika "grundsätzlich" bestimmte moderne Vertriebsformen ausschließe; sie hat jedoch während des Verfahrens betont, sie habe beim Erlaß der Entscheidung nicht die Absicht gehabt, Betriebsformen wie die Supermärkte der Mitglieder von Galec auszuschließen, und solche Betriebsformen würden von dem Ausdruck "Kaufhäuser" in der Entscheidung umfasst (vgl. vorstehend Randnr. 72).
160 Im übrigen hat das Gericht im vorliegenden Urteil die Rolle der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden bei der nichtdiskriminierenden und die Verhältnismässigkeit beachtenden Anwendung der betreffenden Kriterien hervorgehoben.
161 Folglich ist dem Kläger rechtlich nicht der Beweis gelungen, daß es gegenwärtig Hemmnisse für den Zugang von Einzelhandelsgroßbetrieben zum Vertrieb von Luxuskosmetika gibt, sofern ihre Verkaufsstellen in einer für den Verkauf solcher Produkte geeigneten Weise eingerichtet sind.
162 Es ist nämlich Sache von Galec oder seiner Mitglieder, ihre Bewerbung einzureichen, und den zuständigen nationalen Gerichten oder Behörden obliegt dann gegebenfalls die Entscheidung, ob die Versagung der Zulassung in einem konkreten Fall unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag vereinbar ist. Im übrigen hat die Kommission insbesondere bei einem Antrag auf Verlängerung der Entscheidung darüber zu wachen, daß die modernen Vertriebsformen nicht ungerechtfertigt vom Vertriebssystem von Givenchy oder vergleichbaren Systemen ausgeschlossen werden.
163 Demnach ist die Behauptung von Galec, seine Mitglieder seien von dem Vertriebssystem von Givenchy von vornherein ausgeschlossen, zurückzuweisen.
164 Ebenfalls zurückzuweisen ist die Rüge von Galec, wonach die Kommission ihre Feststellung nicht begründet habe, daß nur die in der Entscheidung genannten qualitativen Kriterien der Exklusivität von Luxusparfüms inhärent seien und/oder daß die Verfahren der Einzelhandelsgroßbetriebe zur Herausstellung der Marke dem Vertrieb von Luxusprodukten nicht angemessen seien. Die Entscheidung kann nämlich nicht so verstanden werden, als enthalte sie eine solche Feststellung.
165 Aus den gleichen Gründen ist auch das Vorbringen von Galec zurückzuweisen, die Kommission habe beim angeblichen Ausschluß der Großformen des Handels vom Vertrieb der betreffenden Produkte einen offensichtlichen Tatsachenfehler begangen.
166 Aus den gleichen Gründen ist ferner die zweiteilige Rüge von Galec gegenüber der Kommission zurückzuweisen, daß diese ihre Feststellungen zu den Motiven des Verbrauchers nicht begründet und in diesem Punkt einen offensichtlichen Tatsachenfehler begangen habe.
167 Die Kommission hat sich insoweit zwar nicht auf ein unabhängiges Gutachten gestützt, das ihre Feststellungen bezueglich der Motive des Verbrauchers insbesondere in Abschnitt II.B.3 der Entscheidung belegen würde. Es trifft auch zu, daß, wie Galec in der Sitzung vorgetragen hat, die vier französischen Verbraucherverbände, die in dem dem Erlaß der Entscheidung Yves Saint Laurent vorangegangenen Verwaltungsverfahren Stellung genommen haben, nämlich die Union féminine civique et sociale (UCS), das Institut national de la consommation (INC), die Confédération syndicale du cadre de vie (CSCV) und die Confédération des familles (CSF), den Standpunkt der Kommission nicht vorbehaltlos unterstützt haben. CSF und INC haben sich nämlich gegen die vorgeschlagene Entscheidung insbesondere mit der Begründung gewandt, daß diese zur Aufrechterhaltung zu hoher Preise führen und einem erheblichen Teil der Bevölkerung den Zugang zu diesen Produkten versperren würde. UCS hat geltend gemacht, daß durch einige dieser Bestimmungen die Einführung neuer Vertriebsformen auf dem Markt schwieriger als früher geworden sei und daß diese Bestimmungen "nicht dazu beitrügen, den Wettbewerb im Rahmen des Binnenmarktes zu verbessern und auch nicht den Belangen der Verbraucher dienten". CSCV hat zum Schluß ihrer Ausführungen bemerkt, daß die "Yves Saint Laurent SA unter dem Vorwand der hohen technischen Entwicklung ihrer Produkte und des Ansehens ihrer Marke den Wettbewerb durch diskriminierende Auswahlkriterien beschränkt und fiktiv einen sehr hohen Preis für ihre Produkte aufrechterhält".
168 Allerdings ist festzustellen, daß die Kommission in der Entscheidung nicht behauptet hat, der Verbraucher suche Luxus nur im traditionellen Handel. Auch hat der Kläger nicht nachgewiesen, daß die Kommission bei der Frage der Erwartungen der Verbraucher einen offensichtlichen Tatsachenfehler oder einen Fehler in der Begründung begangen hätte. Aus der Entscheidung ergibt sich nämlich, daß der Verbraucher, der Luxuskosmetika lieber in der Verkaufsstelle eines grossen, angemessen eingerichteten Einkaufzentrums einkauft, die Möglichkeit dazu haben muß, während der Typ von Verbraucher, wie er in der Untersuchung von Professor Glais geschildert wird, der lieber in einer Fachparfümerie oder einem grossen traditionellen Kaufhaus einkauft, weiterhin diese Verkaufsstellen aufsuchen kann.
169 Hieraus folgt, daß das gesamte Vorbringen des Klägers zu der Frage, ob seine Mitglieder vom Verkauf von Luxuskosmetika von vornherein ausgeschlossen sind, sowie das damit zusammenhängende Vorbringen zu den Erwartungen der Verbraucher zurückzuweisen sind.
D - Zur Frage, ob das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag wegen der Existenz paralleler Vertriebssysteme in dem betreffenden Bereich Anwendung findet
170 Galec macht weiterhin geltend, daß im vorliegenden Fall Artikel 85 Absatz 1 auf jeden Fall verletzt sei, da im gesamten betroffenen Bereich ähnliche Vertriebssysteme wie das von Givenchy bestuenden, so daß für andere Vertriebsformen kein Platz sei und auf dem relevanten Markt - dem Markt für "Luxusparfums" - im Sinne des Urteils Metro II (Randnrn. 40 bis 42) kein wirksamer Wettbewerb herrsche. Die Kommission und die Streithelfer sind der Auffassung, daß trotz der Existenz von Systemen, parallel zu dem System von Givenchy, auf dem relevanten Markt - dem Markt für "Luxuskosmetika" - ein wirksamer Wettbewerb herrsche, so daß Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag nicht anwendbar sei.
171 In seinem Urteil Metro II (Randnr. 40) hat der Gerichtshof festgestellt, daß "einfache" selektive Vertriebssysteme (d. h. lediglich auf qualitative Kriterien gegründete Systeme) zwar ein mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbarer Bestandteil des Wettbewerbs sein können, daß es jedoch zu einer Beschränkung oder einer Ausschaltung des Wettbewerbs gleichwohl dann kommen kann, wenn die Zahl dieser Systeme keinen Raum mehr für Vertriebsformen lässt, denen eine andere Wettbewerbspolitik zugrunde liegt, oder wenn sie zu einer Starrheit der Preisstruktur führt, die nicht durch andere Faktoren des Wettbewerbs zwischen Erzeugnissen derselben Marke oder durch das Bestehen eines echten Wettbewerbs zwischen verschiedenen Marken ausgeglichen wird. Nach den Randnummern 41 und 42 des Urteils lässt jedoch allein das Bestehen einer grossen Zahl selektiver Vertriebssysteme für ein bestimmtes Erzeugnis nicht den Schluß zu, daß der Wettbewerb im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 beschränkt oder verfälscht ist. Bei einer Erhöhung der Zahl der "einfachen" selektiven Vertriebssysteme ist Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag nämlich nur anwendbar, wenn der relevante Markt schon so starr und strukturiert ist, daß ein wirksamer Preiswettbewerb nicht mehr besteht (vgl. auch Randnrn. 44 und 45 dieses Urteils).
172 Im Gegensatz zu dem Rechtsstreit, der dem Urteil Metro II zugrunde lag und in dem die betreffenden Produkte der Unterhaltungselektronik nicht immer im Wege des selektiven Vertriebs verkauft wurden, steht im vorliegenden Fall fest, daß fast alle Hersteller, die im Bereich der Luxuskosmetika tätig sind, Vertriebssysteme benutzen, die dem von Givenchy ähnlich sind.
173 Das Gericht hat indessen bereits festgestellt, daß der selektive Vertrieb von Luxuskosmetika den Wettbewerb im Interesse des Verbrauchers verbessern kann, indem er insbesondere zur Wahrung des "Luxusimages" der Produkte im Vergleich zu anderen vergleichbaren Produkten, die ein solches Image nicht haben, beiträgt, so daß Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag auf bestimmte qualitative Kriterien, die dieses Ziel verfolgen, nicht anwendbar ist (vorstehend Randnrn. 108 ff.).
174 Unter diesen Umständen bedeutet nach Auffassung des Gerichts der Hinweis im Urteil Metro II auf die Ausschaltung des Wettbewerbs, wenn "die Zahl dieser Systeme keinen Raum mehr für Vertriebsformen lässt, denen eine andere Wettbewerbspolitik zugrunde liegt", keineswegs, daß Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag automatisch allein deshalb anzuwenden wäre, weil sich alle Hersteller von Luxuskosmetika bei der Wahl ihrer Vertriebsmethoden gleich entschieden haben. Im vorliegenden Fall sind die Randnummern 40 bis 46 des Urteils Metro II so auszulegen, daß die kumulierende Wirkung anderer Vertriebssysteme an dem Ergebnis, daß bestimmte Auswahlkriterien von Givenchy für sich genommen nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fallen, nur dann etwas ändern kann, wenn nachgewiesen wird, daß erstens Hindernisse für den Zugang neuer Mitbewerber zum Markt bestehen, die zum Verkauf der betreffenden Produkte in der Lage sind, so daß die betreffenden selektiven Vertriebssysteme den Vertrieb zugunsten bestimmter bereits bestehender Vertriebswege abschotten (vgl. Urteil Delimitis, a. a. O., Randnrn. 15 ff.), oder daß zweitens wegen der Natur der betreffenden Produkte ein wirksamer Wettbewerb insbesondere bei den Preisen nicht besteht.
175 Das Gericht hat bereits festgestellt, daß Hindernisse für den Zugang neuer Mitbewerber zum Markt, die zum Verkauf der betreffenden Produkte in der Lage sind, für die dem Kläger angeschlossenen Supermärkte nicht nachgewiesen worden sind (vgl. vorstehend Randnrn. 156 ff.).
176 Allgemein ist für die Frage, ob ein wirksamer Wettbewerb besteht, zunächst der relevante Markt abzugrenzen. Auch wenn sich die Kommission in der Entscheidung auf den gesamten Bereich der Luxuskosmetika beziehen durfte, da die Parfümerieprodukte sowie Körper- und Schönheitspflegemittel der Luxusklasse das gleiche Luxusimage haben und oft gemeinsam unter der gleichen Marke verkauft werden, kann doch die Frage, ob ein wirksamer Wettbewerb herrscht, nur im Rahmen des Marktes beurteilt werden, in dem sämtliche Erzeugnisse zusammengefasst sind, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Masse austauschbar sind (vgl. Urteil L'Oréal, a. a. O., Randnr. 25).
177 Im vorliegenden Fall steht aber fest, daß ein Parfum von seinen Eigenschaften oder seiner Verwendung her weder mit einem Schönheitsmittel (z. B. einer Schminke) noch mit einem Körperpflegemittel (z. B. einer Nachtcreme) austauschbar ist. Es steht ebenfalls fest, daß seinerzeit Luxusparfums etwa 90 % der Gesamtverkäufe von Givenchy ausmachten. Angesichts der Bedeutung dieses eigenen Sektors ist daher zu prüfen, ob auf der Ebene des Einzelhandels ein wirksamer Wettbewerb bei Luxusparfums besteht, obwohl diese stets im Wege des selektiven Vertriebs verkauft werden.
178 Insoweit ist zunächst das Vorbringen der Kommission und der Streithelfer zurückzuweisen, das sich auf Abschnitt B.3 Absatz 3 der Entscheidung stützt, wo es heisst: "Wenn hingegen der Kunde das Ansehen der Marke oder die Bedienung in einem selektiven Vertriebssystem für nebensächlich hält, kann er sich immer noch für ähnliche Artikel eines benachbarten Marktes entscheiden, die ohne ein selektives Vertriebssystem auskommen, und so die Verkaufsstrategie des Herstellers bestätigen." Die Kommission hat nämlich in der Entscheidung selbst festgestellt, daß Luxuskosmetika sich "kaum" durch ähnliche Produkte aus anderen Marktsegmenten ersetzen lassen (Abschnitt I.B. Absatz 1) und daß in diesem Fall, da "in den Augen des Verbrauchers Luxuskosmetika kaum durch ähnliche Produkte aus anderen Marktsegmenten zu ersetzen sind", "nur der Markt für Luxuskosmetika" relevant ist (Abschnitt II.A.8). Ferner ergibt sich aus den Abschnitten I.B und II.A.8 der Entscheidung, daß die Kommission bei der Prüfung, ob die fraglichen Beschränkungen den innergemeinschaftlichen Handel spürbar beeinträchtigen können, den Anteil der Gruppe Louis Vuitton Moët-Hennessy am Markt für Luxuskosmetika zugrunde gelegt hat.
179 Für die Entscheidung, ob bei Luxusparfums ein wirksamer Wettbewerb besteht, kann daher der angebliche Wettbewerb von Parfums, die nicht der Luxusklasse angehören, nicht berücksichtigt werden.
180 Ebenfalls zurückzuweisen ist das Vorbringen der Kommission und der Streithelfer, daß sich das Bestehen eines wirksamen Wettbewerbs aus der Tatsache ableiten lasse, daß nach Abschnitt I.B. Absatz 3 der Entscheidung, der sich auf die Untersuchung von Professor Weber stützt, der Anteil der über Vertragshändlernetze verkauften Erzeugnisse am Kosmetikmarkt "1987... in Deutschland bei 24,7 %, in Frankreich bei 30,3 %, in Italien bei 36,2 % und im Vereinigten Königreich bei 22,4 % [lag]". Diese Zahlen stammen nämlich aus der Tabelle Nr. 22 der Untersuchung von Professor Weber und geben den Anteil der im selektiven Vertrieb erfolgten Verkäufe wieder, ausgedrückt als Prozentsatz aller Verkäufe sämtlicher Kategorien von kosmetischen Produkten, d. h. der Parfums, Schönheits- und Körperpflegemittel, Haarpflegemittel (insbesondere Haarwaschmittel) und Toilettenartikel (Zahncreme, Seifen, Deodorants, usw.). Aus dieser Untersuchung (S. 89) ergibt sich ferner, daß der Anteil der im selektiven Vertrieb verkauften Parfums sich in Italien auf 81 % und in Frankreich auf 65 % belief. Nach den von FIP vorgelegten Zahlen betrug der Anteil der in Frankreich im selektiven Vertrieb verkauften Parfums 73 % (vgl. Anlage I zum Streithilfeschriftsatz, S. 17). Die in Abschnitt I.B Absatz 3 der Entscheidung angeführten Zahlen sind daher bei der Beurteilung der Wirksamkeit des Wettbewerbs in einem spezifischen Bereich wie dem der Luxusparfums nicht von Nutzen.
181 Kommission und Streithelfer machen gleichwohl geltend, daß auch auf dem Markt für Luxusparfums als solchem ein wirksamer Wettbewerb sowohl zwischen den Herstellern (inter brand) als auch zwischen den Vertragshändlern von Givenchy (intra brand) herrsche.
182 Der Standpunkt der Kommission und der Streithelfer wird insoweit nach Auffassung des Gerichts nicht durch die Untersuchung von Professor Weber gestützt, aus der sich ergibt (insbesondere S. 71, 89 bis 96, 105 und 110), daß 1987 zwischen den Luxusparfumshändlern und zwischen den verschiedenen Vertriebsformen nur sehr beschränkter Wettbewerb bestand. Die Kommission hat jedoch vor Erlaß der Entscheidung im Jahre 1992 von Givenchy zahlreiche Änderungen ihrer Verträge verlangt, u. a. die Beseitigung sämtlicher rein quantitativer Auswahlkriterien, die Streichung von Klauseln, die die Freiheit der Wiederverkäufer beschränken, ihre Produkte an andere Mitglieder des selektiven Vertriebssystems weiterzuverkaufen, die Aufhebung von Klauseln, die den Wiederverkäufer in seiner freien Wahl anderer Marken, die in seiner Verkaufsstelle angeboten werden können, beschränken, sowie die ausdrückliche Anerkennung der Befugnis des Wiederverkäufers, seine Preise unabhängig festzusetzen. Darüber hinaus besteht nach der Entscheidung, wie das Gericht bereits festgestellt hat, die Möglichkeit, daß neue, für den Absatz der betreffenden Produkte in Frage kommende Vertriebsformen Zugang zum Vertriebssystem von Givenchy finden.
183 Unter diesen Umständen oblag es Galec, rechtlich den Nachweis zu führen, daß der Markt nach der Entscheidung so starr und strukturiert geworden ist, daß zwischen den Vertragshändlern von Luxusparfums insbesondere bei den Preisen kein wirksamer Wettbewerb mehr herrscht (vgl. Urteil Metro II, Randnrn. 42 und 44). Da Galec hierzu nichts konkret vorgetragen hat, fehlen im vorliegenden Fall solche Beweise.
184 Aus dem Vorstehenden ergibt sich insgesamt, daß mit Ausnahme der in Randnummer 148 dieses Urteils beanstandeten Bestimmung das Vorbringen des Klägers, mit dem er eine Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag geltend gemacht hat, sowie das damit zusammenhängende weitere Vorbringen insgesamt zurückzuweisen sind.
II - Zur Begründetheit der Entscheidung im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages
Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten
185 Gegen die gewährte Freistellung trägt Galec fünf Hauptargumente vor, die belegen sollen, daß die Erfordernisse des Artikels 85 Absatz 3 EG-Vertrag nicht erfuellt sind. Erstens betrachte die Kommission die Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung bei Luxusparfums nur unter dem Gesichtspunkt der Exklusivität (vgl. Abschnitt II.B.2 Absatz 1 der Entscheidung), obwohl die zusätzlichen, in Abschnitt II.B.2 Absätze 2 bis 6 der Entscheidung angeführten Verpflichtungen von den Einzelhandelsgroßbetrieben erfuellt werden könnten. Zweitens gehe die Kommission bei den Vorteilen für die Verbraucher von einem überholten Verständnis des Verhaltens und der Erwartungen der Verbraucher aus. Drittens habe die Kommission das völlige Fehlen des Preiswettbewerbs innerhalb der Marke, der durch die Großformen des Handels hätte sichergestellt werden können, legitimiert. Viertens habe die Kommission im Widerspruch zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit den selektiven Vertrieb durch Facheinzelhändler nicht mit einem selektiven Vertrieb unter Einsatz anderer Vermarktungsformen verglichen, weshalb ihr entgangen sei, daß die Wiederverkäufer im Rahmen der Großformen des Handels den gleichen Pflichten und Lasten unterworfen seien wie jeder andere Vertragshändler (vgl. insbesondere Abschnitt II.B.4 Absatz 2 a. E. der Entscheidung). Fünftens habe die Entscheidung durch das Erfordernis, daß die anderen Vertriebsformen "ihre besonderen Vertriebsmethoden teilweise umstellen", den Wettbewerb seitens dieser Vertriebsformen, ausgenommen die Randfälle der Kaufhäuser und Einkaufszentren, beseitigt. Jedenfalls habe sich die Kommission nicht um die konkrete augenblickliche Marktlage gekümmert und nicht erläutert, welche Umstellungen vorzunehmen seien.
186 Die Beklagte erwidert, die gewährte Freistellung betreffe nur das Zulassungsverfahren, die jährlichen Mindesteinkäufe, die Verpflichtungen betreffend die Lagerhaltung und die Zusammenarbeit bei Werbeveranstaltungen, das Verbot des Verkaufs eines noch nicht eingeführten Produkts, die Kontrolle der Rechnungen durch Givenchy und, falls der Kunde selbst Händler sei, die Kontrolle, daß er zum Vertriebsnetz von Givenchy gehöre - alles Verpflichtungen, die der Kläger unter dem Blickwinkel des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag nicht beanstandet habe. Die Kommission habe nicht zu prüfen brauchen, ob die nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag fallenden Kriterien die Voraussetzungen nach Artikel 85 Absatz 3 erfuellten.
187 Im übrigen seien die Beanstandungen des Klägers unbegründet. Unzutreffend sei insbesondere die Behauptung, die Kommission habe sich nicht um den "intra-brand"-Preiswettbewerb gekümmert (vgl. Abschnitt I.C Buchstaben b, c, e und f sowie Abschnitt II.A.5 Absatz 4 der Entscheidung). Jedenfalls habe der Gerichtshof festgestellt, daß mit jedem selektiven Vertriebssystem eine gewisse Beschränkung des Preiswettbewerbs einhergehe, die aber durch einen Wettbewerb im Bereich der Qualität der Leistungen aufgehoben werde (Urteil Metro II, Randnr. 45). Das Vorbringen bezueglich der Verbraucher sei bereits bei der Prüfung des Vertrages im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 widerlegt worden. Zur angeblichen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit führt die Kommission aus, sie habe keinen irreführenden Vergleich angestellt; der Gerichtshof habe in Randnummer 45 des Urteils Metro II hervorgehoben, daß die Kosten, die von den Vertragshändlern aufgrund der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtungen getragen würden, zu berücksichtigen seien. Bezueglich der Beseitigung des Wettbewerbs werde in der Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, daß bestimmte moderne Vertriebsformen nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien; auch sei auf den bestehenden Wettbewerb zwischen den Marken und zwischen den Vertragshändlern hingewiesen worden. Was die "teilweise Umstellung" der Methoden bestimmter moderner Vertriebsformen betreffe, so habe die Kommission die Situation so, wie sie sich darstelle, angemessen gewürdigt. Wenn in der Entscheidung die Umstellungen dieser besonderen Vertriebsmethoden nicht näher beschrieben seien, so deshalb, weil sie von Fall zu Fall gewürdigt werden müssten.
188 Die Streithelfer teilen den Standpunkt der Kommission.
Würdigung durch das Gericht
189 Die Begründung in Abschnitt II.B. der Entscheidung betrifft, wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, lediglich die Aspekte des Vertrages, die ihrer Ansicht nach unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fallen, d. h. insbesondere das Zulassungsverfahren, die Lagerhaltung, die jährlichen Mindesteinkäufe, das Vorhandensein konkurrierender Marken in der Verkaufsstelle, die Einführung neuer Produkte und die Zusammenarbeit bei Werbeveranstaltungen. Diese Aspekte des Vertrages hat aber Galec mit seiner Klage nicht beanstandet.
190 Zur ersten Rüge von Galec, daß die Kommission die Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung bei Luxusparfums nur unter dem Gesichtspunkt der "Exklusivität" betrachtet habe, vertritt das Gericht die Auffassung, daß die Feststellung der Kommission in Abschnitt II.B.2 Absatz 1 der Entscheidung, wonach "[e]ine Kosmetikmarke in der Luxusklasse... sich nur verkaufen [lässt], wenn die Exklusivität gewahrt bleibt", sich auf das Bestreben der Kommission bezieht, den exklusiven oder luxuriösen Charakter der betreffenden Produkte zu erhalten (vgl. Abschnitt II.B.3 Absatz 2). Dieser Satz lässt sich daher nicht so verstehen, daß damit die Großformen des Handels vom Vertrieb dieser Produkte von vorneherein ausgeschlossen sind und dieser ausschließlich den traditionellen Absatzkanälen wie den Parfümerien und den Kaufhäusern im strengen Sinne des Wortes vorbehalten ist.
191 Da das Gericht bereits festgestellt hat, daß die Kommission nicht die Absicht hatte, die Großformen des Handels vom Vertrieb der betreffenden Produkte auszuschließen (vgl. vorstehend Randnrn. 156 ff.), ist das Vorbringen von Galec zurückzuweisen, daß die Kommission die Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung im Sinne des Artikels 85 Absatz 3 EG-Vertrag unter einem Gesichtspunkt betrachte, der die Großformen des Handels vom Vertrieb dieser Produkte ausschließe.
192 Zur zweiten Rüge von Galec, die Kommission sei von einem überholten Verständnis der Erwartungen der Verbraucher ausgegangen, verweist das Gericht darauf, daß das Vorbringen zu den Motiven der Verbraucher bereits in den Randnummern 166 ff. dieses Urteils zurückgewiesen worden ist.
193 Zur dritten Rüge von Galec, die Kommission habe das völlige Fehlen eines Preiswettbewerbs innerhalb der Marke legitimiert, hat das Gericht bereits festgestellt, daß Galec hierfür keinen Beweis erbracht hat (vgl. vorstehend Randnr. 183).
194 Zur vierten Rüge von Galec, die Kommission habe den selektiven Vertrieb durch Facheinzelhändler mit einem allgemeinen Vertrieb verglichen, wodurch sie die Möglichkeit eines selektiven Vertriebs mit Hilfe anderer Betriebsformen ausgeschlossen habe, stellt das Gericht fest, daß die Kommission einen solchen Vergleich nicht angestellt hat.
195 Was die fünfte Rüge von Galec betrifft, daß das Erfordernis, "ihre besonderen Vertriebsmethoden teilweise umzustellen", die Großformen des Handels vom Bereich der Luxuskosmetika ausschlösse, so ist im Verfahren festgestellt worden, daß mit der Entscheidung kein Ausschluß der Großformen des Handels vom Bereich der Luxuskosmetika beabsichtigt worden ist. Der Hinweis, daß "sie... ihre besonderen Vertriebsmethoden teilweise umstellen müssten", ist daher so zu verstehen, daß damit Umstellungen verlangt werden, die innerhalb des Geschäfts durchgeführt werden und nicht solche, die den eigentlichen Charakter des Geschäfts als Super- oder Großmarkt radikal verändern würden. Auch wenn es wünschenswert gewesen wäre, daß dieser Punkt in der Entscheidung klarer gefasst worden wäre, reicht der Umstand, daß die Kommission nicht einmal ganz allgemein angegeben hat, welche Umstellungen vorzunehmen wären, nicht aus, um die Entscheidung als rechtswidrig anzusehen, zumal konkrete Fälle gegebenenfalls der Kontrolle der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden unterliegen.
196 Das Vorbringen des Klägers im Hinblick auf eine Verletzung des Artikels 85 Absatz 3 EG-Vertrag ist somit zurückzuweisen.
197 Nach alldem ist die Klage vorbehaltlich des in Randnummer 148 dieses Urteils bezeichneten Teils der Entscheidung abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
198 Gemäß Artikel 87 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 87 § 4 Absatz 2 kann das Gericht entscheiden, daß ein Streithelfer, der kein Mitgliedstaat oder Organ ist, seine eigenen Kosten trägt.
199 Da der Kläger mit seinem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission und auch die der Streithelferin Givenchy, des Adressaten der Entscheidung, aufzuerlegen.
200 Bezueglich der Streithelfer FIP, Colipa und FEPD ist das Gericht der Auffassung, daß das Interesse dieser drei Organisationen am Ausgang des Rechtsstreits nicht so unmittelbar ist wie das von Givenchy. Da es sich um eine Rechtssache handelt, in der die drei anderen Streithelfer allgemeine Erwägungen im Interesse ihrer Mitglieder vorgebracht haben, ohne dem Vorbringen der Kommission Entscheidendes hinzuzufügen, hält das Gericht es nach Artikel 87 § 4 letzter Absatz der Verfahrensordnung für gerecht, sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT
(Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung 92/428/EWG der Kommission vom 24. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/33.542 - selektives Vertriebssystem von Parfums Givenchy) wird insoweit für nichtig erklärt, als in ihr festgestellt wird, daß eine Bestimmung, nach der Givenchy die Bewerbung eines Einzelhändlers allein deshalb ungünstiger beurteilen kann, weil seine Tätigkeit im Parfümeriebereich von untergeordneter Bedeutung ist, nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fällt.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten der Kommission sowie der Streithelferin Givenchy Parfums SA und seine eigenen Kosten.
4. Die Streithelfer Fédération des industries de la parfumerie, Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques sowie Fédération européenne des parfumeurs détaillants tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.