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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 08.07.2008
Aktenzeichen: T-99/04
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 81 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

8. Juli 2008

"Wettbewerb - Kartelle - Organische Peroxide - Geldbußen - Art. 81 EG - Verteidigungsrechte - Recht auf ein faires Verfahren - Begriff des Zuwiderhandelnden - Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) - Grundsatz der Rechtssicherheit - Berechtigtes Vertrauen"

Parteien:

In der Rechtssache T-99/04

AC-Treuhand AG mit Sitz in Zürich (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Karl, C. Steinle und J. Drolshammer,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bouquet als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2005/349/EG der Kommission vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-2/37.857 - Organische Peroxide) (ABl. 2005, L 110, S. 44)

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter J. Azizi und O. Czúcz,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2007,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Entscheidung 2005/349/EG der Kommission vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-2/37.857 - Organische Peroxide) (ABl. 2005, L 110, S. 44) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) betrifft ein insbesondere von der AKZO-Gruppe (im Folgenden: AKZO) sowie der Atofina SA, Rechtsnachfolgerin von Atochem (im Folgenden: Atochem/Atofina), und der Peroxid Chemie GmbH & Co. KG, eine von der Laporte plc, nunmehr Degussa UK Holdings Ltd, kontrollierte Gesellschaft (im Folgenden: PC/Degussa), gegründetes und durchgeführtes Kartell auf dem europäischen Markt für organische Peroxide, chemische Produkte, die in der Kunststoff- und Gummiindustrie verwendet werden.

2 Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass das Kartell 1971 mit dem Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung von 1971) - die 1975 geändert wurde (im Folgenden: Vereinbarung von 1975) - zwischen den drei Herstellern für organische Peroxide AKZO, Luperox GmbH, die anschließend zu Atochem/Atofina wurde, und PC/Degussa begann (im Folgenden: Kartell). Es zielte insbesondere darauf ab, die Marktanteile dieser Hersteller zu erhalten und ihre Preiserhöhungen zu koordinieren. Es fanden regelmäßige Zusammenkünfte statt, um die Durchführung des Kartells abzustimmen. Im Rahmen des Kartells waren die Fides Trust AG (im Folgenden: Fides) und anschließend - ab 1993 - die Klägerin, die AC-Treuhand AG, auf der Grundlage von mit AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa geschlossenen Dienstverträgen u. a. damit betraut, in ihren Geschäftsräumen bestimmte geheime Dokumente über das Kartell wie die Vereinbarung von 1971 aufzubewahren, bestimmte Daten über die Geschäftstätigkeit der drei Hersteller organischer Peroxide zu sammeln und zu verarbeiten und ihnen die so verarbeiteten Zahlen mitzuteilen und bestimmte logistische und Sekretariatsaufgaben im Zusammenhang mit der Organisation von Zusammenkünften zwischen den genannten Herstellern insbesondere in Zürich (Schweiz) auszuführen, etwa die Reservierung von Räumen und die Erstattung der Reisekosten ihrer Vertreter. Bestimmte tatsächliche Aspekte hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin in Verbindung mit dem Kartell sind allerdings zwischen den Parteien umstritten.

3 Die Kommission nahm die Untersuchung des Kartells nach einem Treffen am 7. April 2000 mit Vertretern von AKZO auf, in der diese sie über eine Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln unterrichtet hatten, um Straffreiheit nach der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über die Zusammenarbeit) zu erlangen. Anschließend beschlossen Atochem/Atofina und PC/Degussa, ebenfalls mit der Kommission zusammenzuarbeiten und ihr zusätzliche Informationen zu liefern (Erwägungsgründe 56 bis 63 der angefochtenen Entscheidung).

4 Am 3. Februar 2003 richtete die Kommission ein Auskunftsverlangen an die Klägerin. Darin teilte sie im Wesentlichen mit, dass sie dabei sei, eine mutmaßliche Zuwiderhandlung von europäischen Herstellern organischer Peroxide gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu untersuchen. Außerdem ersuchte sie die Klägerin, ein Organigramm ihres Unternehmens vorzulegen, ihre Tätigkeit und deren Entwicklung einschließlich der Übernahme der Tätigkeit von Fides, ihre Tätigkeit als "Sekretariat" der Hersteller organischer Peroxide und ihren Umsatz in den Jahren 1991 bis 2001 darzulegen. Die Klägerin antwortete auf dieses Auskunftsverlangen mit Schreiben vom 5. März 2003 (Erwägungsgrund 73 der angefochtenen Entscheidung).

5 Am 20. März 2003 fand eine Zusammenkunft zwischen Vertretern der Klägerin und den mit der Sache betrauten Beamten der Kommission statt, an deren Ende Letztere äußerten, dass sich die von der Kommission eingeleiteten Ermittlungen auch gegen die Klägerin richteten, ohne jedoch die gegen sie erhobenen Anschuldigungen näher zu erläutern.

6 Am 27. März 2003 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren ein und erließ eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sie anschließend u. a. der Klägerin zustellen ließ. Die Klägerin übermittelte am 16. Juni 2003 ihre Stellungnahme zu diesen Beschwerdepunkten und nahm an der Anhörung teil, die am 26. Juni 2003 stattfand. Schließlich erließ die Kommission am 10. Dezember 2003 die angefochtene Entscheidung, die sie der Klägerin am 9. Januar 2004 zustellen ließ und mit der sie ihr eine Geldbuße in Höhe von 1 000 Euro auferlegte (Erwägungsgrund 454 und Art. 2 Buchst. e der angefochtenen Entscheidung).

7 Der Erlass und die Zustellung der angefochtenen Entscheidung wurden durch eine Pressemitteilung begleitet, in der die Kommission u. a. ausführte, dass die Klägerin als Beratungsgesellschaft ab Ende 1993 eine Schlüsselrolle in dem Kartell gespielt habe, indem sie Zusammenkünfte organisiert und Beweise für die Zuwiderhandlung verborgen habe. Daher schloss die Kommission, dass auch die Klägerin gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen habe, und führte dazu aus:

"Da es für die Beteiligung eines Beratungsunternehmens noch keinen Präzedenzfall gibt, wurde gegen [die Klägerin] nur eine geringe Geldbuße festgesetzt. Die Botschaft ist jedoch eindeutig: Nicht nur Kartellmitglieder, sondern auch Unternehmen oder Einrichtungen, die Kartelle organisieren oder unterstützen, müssen ab jetzt mit schweren Strafen rechnen."

Verfahren und Anträge der Parteien

8 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 16. März 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

9 Mit Schreiben, das am 30. November 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt, dass bei der Veröffentlichung des Endurteils des Gerichts die gesamte, ihrer Klageschrift als Anlage beigefügte Vereinbarung zwischen ihr und Fides sowie die Namen von Fides und ihres früheren Mitarbeiters, Herrn S., vertraulich behandelt werden.

10 Mit Schreiben, das am 1. Februar 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin angegeben, dass sie ihren Antrag auf vertrauliche Behandlung aufrechterhalte, und hilfsweise beantragt, dass die geschwärzten Abschnitte der in Randnr. 9 angeführten Vereinbarung, von der sie auf Ersuchen des Gerichts eine nicht vertrauliche Fassung vorgelegt hat, vertraulich behandelt werden.

11 Gemäß Art. 14 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht auf Vorschlag der Dritten Kammer nach Anhörung der Parteien entsprechend Art. 51 der Verfahrensordnung beschlossen, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

12 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

13 In der Sitzung, die am 12. September 2007 stattfand, haben die Parteien mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

14 Die mündliche Verhandlung ist am Ende der Sitzung vom 12. September 2007 geschlossen worden. Da ein Mitglied der Kammer daran gehindert war, an der Beratung teilzunehmen, hat gemäß Art. 32 der Verfahrensordnung der in der Rangordnung im Sinne von Art. 6 der Verfahrensordnung niedrigste Richter an der Beratung nicht teilgenommen, und die Beratungen des Gerichts sind von den drei Richtern fortgesetzt worden, deren Unterschriften das vorliegende Urteil trägt.

15 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin, wie im Sitzungsprotokoll vermerkt, ihren Antrag auf vertrauliche Behandlung in Bezug auf die Verwendung des Namens von Fides zurückgenommen.

16 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung, soweit die Klägerin betroffen ist, für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

A - Einleitende Bemerkungen

18 Zunächst muss der Antrag der Klägerin auf vertrauliche Behandlung beschieden werden, soweit sie ihn nicht in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat (vgl. oben, Randnrn. 9, 10 und 15).

19 Was den Namen des früheren Mitarbeiters der Klägerin betrifft, hat das Gericht dem Antrag entsprechend seiner Veröffentlichungspraxis in Bezug auf die Identität von natürlichen Personen in anderen Rechtssachen Rechnung getragen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 16. November 2006, Peróxidos Orgánicos/Kommission, T-120/04, Slg. 2006, II-4441, Randnrn. 31 und 33). Dagegen hat die Existenz - als solche - der Vereinbarung zwischen Fides und der Klägerin in jedem Fall ihren möglicherweise vertraulichen Charakter eingebüßt, da diese Vereinbarung im der Klageschrift beigefügten Auszug aus dem öffentlichen Handelsregister des Kantons Zürich über die Gründung der Klägerin sowie in den Erwägungsgründen 20 und 91 der vorläufig auf der Internetseite der Generaldirektion "Wettbewerb" der Kommission veröffentlichten Fassung der angefochtenen Entscheidung genannt wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts vom 4. März 2005, BUPA u. a./Kommission, T-289/03, Slg. 2005, II-741, Randnrn. 34 und 35), wobei die Klägerin gegen die Veröffentlichung keine Einwände entsprechend dem Verfahren gemäß Art. 9 des Beschlusses 2001/462/EG, EGKS der Kommission vom 23. Mai 2001 über das Mandat von Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren (ABl. L 162, S. 21) erhoben hat.

20 Folglich ist der Antrag auf vertrauliche Behandlung zurückzuweisen, soweit er die Existenz der Vereinbarung zwischen Fides und der Klägerin betrifft.

21 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin für ihre Klage fünf Klagegründe geltend macht: erstens eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren, zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege), drittens einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, viertens, hilfsweise, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) und fünftens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) in Bezug auf Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung.

B - Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren

1. Vorbringen der Parteien

a) Vorbringen der Klägerin

22 Die Klägerin meint, die Kommission habe sie zu spät, nämlich drei Jahre nach dem Beginn der Ermittlungen, über das gegen sie eingeleitete Verfahren und die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert. Sie habe davon erst bei der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und dem Erlass der Mitteilung der Beschwerdepunkte am 27. März 2003 erfahren. Vorher habe sie lediglich das Auskunftsverlangen vom 3. Februar 2003 erhalten, auf das sie mit Schreiben vom 5. März 2003 ordnungsgemäß geantwortet habe. Erst am 20. März 2003 habe sie beim Zusammentreffen mit der Kommission erfahren, dass sich die Ermittlungen auch gegen sie richteten, ohne dass sie jedoch genaue Informationen zur Tragweite der gegen sie erhobenen Vorwürfe erhalten hätte.

23 Nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) habe jede angeklagte Person das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht sei eine Ausprägung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK niedergelegten Grundrechts auf ein faires Verfahren und zähle zu den Verteidigungsrechten, wie sie in der Rechtsprechung als in Verwaltungsstrafverfahren nach der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, erste Durchführungsverordnung zu den [Art. 81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), anwendbare allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anerkannt seien (Urteile des Gerichtshofs vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnrn. 172 bis 176, vom 28. März 2000, Krombach, C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Randnrn. 25 und 26, vom 6. März 2001, Connolly/Kommission, C-274/99 P, Slg. 2001, I-1611, Randnrn. 37 und 38, und vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Slg. 2004, I-123, Randnrn. 63 und 64; vgl. auch Urteile des Gerichts vom 20. März 2002, Brugg Rohrsysteme/Kommission, T-15/99, Slg. 2002, II-1613, Randnrn. 109 und 122, und LR AF 1998/Kommission, T-23/99, Slg. 2002, II-1705, Randnr. 220), was durch Art. 6 Abs. 2 EU sowie Art. 48 Abs. 2 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2000, C 364, S. 1) bestätigt werde.

24 Denn die Geldbußen, die nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 gegen Unternehmen verhängt werden könnten, hätten trotz des Abs. 4 dieses Artikels in Wirklichkeit "strafrechtlichen Charakter", da mit ihnen sowohl präventive als auch repressive Ziele verfolgt würden (Schlussanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf in der Rechtssache Rhône-Poulenc/Kommission, T-1/89, Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991, Slg. 1991, II-867, II-885; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Roemer in der Rechtssache Wilhelm u. a., 14/68, Urteil des Gerichtshofs vom 13. Februar 1969, Slg. 1969, 1, 17, 24, Schlussanträge des Generalanwalts Mayras in der Rechtssache Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, Slg. 1975, 1663, 2062, 2141, Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Baustahlgewebe/Kommission, C-185/95 P, Urteil des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1998, Slg. 1998, I-8417, I-8422, Nr. 31, und Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in den Rechtssachen Aalborg Portland u. a./Kommission [oben in Randnr. 23 angeführt], Nr. 26 [C-204/00 P, Slg. 2004, I-133], Nr. 32 [C-205/00 P, Slg. 2004, I-171], Nr. 26 [C-213/00 P, Slg. 2004, I-230], Nr. 29 [C-217/00 P, Slg. 2004, I-267], und Nr. 25 [C-219/00 P, Slg. 2004, I-342]). Dieser Schluss werde auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorgegeben (Urteile vom 8. Juni 1976, Engel u. a./Niederlande, Serie A, Bd. 22 [1977], Nr. 82, vom 21. Februar 1984, Öztürk/Deutschland, Serie A, Bd. 73, Nr. 53, und vom 25. August 1987, Lutz/Deutschland, Serie A, Bd. 123, Nr. 54).

25 Die Klägerin tritt insoweit dem Vorbringen der Kommission entgegen, wonach während des Ermittlungsabschnitts des Verwaltungsverfahrens gegen die Unternehmen kein Vorwurf erhoben werde. Vielmehr treffe die Kommission in diesem Abschnitt Maßnahmen, die mit dem Vorwurf verbunden seien, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen hätten (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/99 P bis C-252/99 P und C-254/99 P, Slg. 2002, I-8375, Randnr. 182). Denn der Umstand, dass im Verfahren nach der Verordnung Nr. 17 erst mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine förmliche Anschuldigung gegen die Betroffenen erhoben werde (Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 2003, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied und Technische Unie/Kommission, T-5/00 und T-6/00, Slg. 2003, II-5761, Randnr. 79), sei nicht entscheidend und schließe es nicht aus, dass die Klägerin bereits während des Ermittlungsabschnitts zur "angeklagten Person" im Sinne von Art. 6 Abs. 3 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geworden sei. Nach dieser Rechtsprechung sei eine förmliche Anklageerhebung nicht erforderlich, vielmehr genüge die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Januar 1970, Delcourt/Belgien, Serie A, Bd. 11, S. 13, Nr. 25, vom 17. Juli 1971, Ringeisen/Österreich, Serie A, Bd. 13, S. 45, Nr. 110, vom 27. Februar 1980, Deweer/Belgien, Serie A, Bd. 35, S. 22, Nr. 42, vom 19. Februar 1991, Viezzer/Italien, Serie A, Bd. 196-B, S. 21, Nr. 17, vom 26. März 1982, Adolf/Österreich, Serie A, Bd. 49, S. 15, Nr. 30, und vom 24. November 1993, Imbrioscia/Schweiz, Serie A, Bd. 275, S. 13, Nr. 36).

26 Aus dem Zweck des Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK ergebe sich, dass ein Beschuldigter im Fall einer strafrechtlichen Verfolgung unverzüglich von der Einleitung und dem Gegenstand der ihn betreffenden Ermittlungen unterrichtet werden müsse, damit er nicht unnötig lange im Ungewissen gelassen werde. Eine Unterrichtung erst im Stadium der förmlichen Anklageerhebung, die häufig erst am Ende langwieriger Ermittlungen erfolge, reiche hingegen nicht aus und bringe die Gefahr mit sich, dass die Fairness des weiteren Verfahrens ernsthaft beeinträchtigt und das mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK garantierte Recht seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werde. Wenn die Kommission wie im vorliegenden Fall heimlich rund drei Jahre ermittle, bevor sie die Mitteilung der Beschwerdepunkte erlasse, erhalte sie einen unfairen Beweisvorsprung, der mit Art. 6 EMRK unvereinbar sei. Das liege daran, dass es für die betroffenen Unternehmen infolge des Zeitablaufs schwierig oder sogar fast unmöglich sei, den Sachverhalt zu rekonstruieren und Gegenbeweise anzutreten.

27 Im Übrigen folge die Pflicht zu einer unverzüglichen Unterrichtung der betroffenen Unternehmen aus der erheblichen oder sogar entscheidenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für die spätere Entscheidung der Kommission (Urteile des Gerichtshofs vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg. 1989, I-2859, Randnr. 15, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 63). Nach einer langen, dem Erlass der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorausgehenden Ermittlung mit Hilfe von Personen, die Straffreiheit oder -milderung beantragten (Kronzeugen), neige die Kommission nämlich dazu, den Sachverhalt bereits als aufgeklärt anzusehen, und sei danach kaum noch bereit, von ihren Ermittlungsergebnissen abzurücken. Die Gefahr einer Präjudizierung der späteren Entscheidung sei umso höher, als die Kommission Ermittlungsbehörde, Anklägerin und Richterin in einer Person sei. Unter den Umständen des vorliegenden Falles sei die Kommission kein unvoreingenommener Richter mehr gewesen, und die Klägerin habe keine geeignete und ausreichende Gelegenheit (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 19. Dezember 1990, Delta/Frankreich, Serie A, Bd. 191-A, S. 16, Nr. 36) mehr gehabt, die falschen Anschuldigungen der Hauptbelastungszeugin AKZO zu widerlegen. Im Stadium der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe ein beteiligtes Unternehmen daher deutlich geringere Erfolgschancen, die Kommission davon zu überzeugen, dass die Sachverhaltsdarstellung in dieser Mitteilung falsch sei, was die Effektivität seiner Verteidigung erheblich beeinträchtige.

28 Im vorliegenden Fall habe die Kommission ihre Vorwürfe nahezu ausschließlich auf die Aussage der Kronzeugin AKZO gestützt, mit der sie seit 2000 in engem Kontakt stehe. Unter diesen Umständen verfüge AKZO aus Sicht der Kommission über einen Glaubwürdigkeitsvorsprung gegenüber jedem anderen Unternehmen wie etwa der Klägerin, das sich nicht zur Zusammenarbeit gemäß Abschnitt B Buchst. d der Mitteilung über die Zusammenarbeit verpflichtet habe und den mit der Sache betrauten Beamten nicht persönlich bekannt sei. Demzufolge habe die Kommission den falschen Behauptungen von AKZO zur Rolle der Klägerin mehr Glauben geschenkt als den von der Klägerin gemachten Angaben, ohne dass diese Gelegenheit gehabt hätte, sich effektiv gegen die Behauptungen von AKZO zu verteidigen und diese richtigzustellen.

29 Die Klägerin macht geltend, dass die Kommission ihr im vorliegenden Fall Art und Grund des gegen sie bestehenden Verdachts hätte mitteilen müssen, als AKZO ihr am 27. Juni 2000 eine Beschreibung der angeblichen Rolle der Klägerin im Rahmen des Kartells übergeben habe, da ab diesem Zeitpunkt die Gefahr bestanden habe, dass die spätere Entscheidung der Kommission durch die falschen Anschuldigungen von AKZO präjudiziert werde, spätestens aber, als AKZO der Kommission am 18. Juni 2001 ihre abschließende Aussage vorgelegt habe. In Bezug auf die Klägerin sei die angefochtene Entscheidung nämlich nahezu ausschließlich auf diese Aussage gestützt worden. Dadurch, dass sie die Klägerin nicht bei der Einleitung der gegen sie gerichteten Ermittlungen unterrichtet habe, habe die Kommission ihr Recht auf ein faires Verfahren und ihre Verteidigungsrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. a EMRK verletzt.

30 Diese Rechtsverletzung müsse zu einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen (Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Degussa/Kommission, C-250/99 P [Slg. 2002, I-8503], Urteil des Gerichtshofs Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Nr. 80). Um die praktische Wirksamkeit des in Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK verankerten Rechts zu gewährleisten, das eine elementare rechtsstaatliche Verfahrensgarantie sei, dürfe von dem betroffenen Unternehmen nicht der Nachweis verlangt werden, dass die angefochtene Entscheidung der Kommission bei rechtzeitiger Unterrichtung inhaltlich anders ausgefallen wäre. Die rechtzeitige und vollständige Unterrichtung des Beschuldigten sei eine unverzichtbare Mindestanforderung an ein faires Verfahren. Daher müsse jede Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße, die unter Verletzung dieser Verfahrensgarantie erlassen worden sei, für nichtig erklärt werden.

31 Hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass sie den relevanten Sachverhalt leichter und vollständiger hätte rekonstruieren können, als ihr dies im Jahr 2003 möglich gewesen sei, wenn die Kommission das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK verankerte Recht gewahrt und sie unverzüglich über Art und Grund der gegen sie gerichteten Ermittlungen unterrichtet hätte. Insbesondere hätte sie die Kommission auf die Fehlerhaftigkeit der Aussage von AKZO über die Rolle der Klägerin in dem Kartell aufmerksam machen können. Dadurch wäre die Kommission während des Verwaltungsverfahrens zu Rückfragen an AKZO und erforderlichenfalls zu einer Nachprüfung nach Art. 14 der Verordnung Nr. 17 veranlasst worden.

32 Mangels unverzüglicher Unterrichtung sei der Klägerin jedoch die Möglichkeit genommen worden, die Durchführung der Ermittlungen und den internen Entscheidungsprozess der Kommission entscheidend zu beeinflussen. Andernfalls wäre die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin in Wirklichkeit keine Zuwiderhandlung begangen habe, sondern nur straflose Gehilfin der am Kartell beteiligten Hersteller organischer Peroxide gewesen sei. Demnach habe die Kommission der Klägerin in diesem entscheidenden Verfahrensstadium die Möglichkeit einer zeitnahen und effektiven Verteidigung gegen die Anschuldigungen von AKZO genommen.

33 Daher sei die angefochtene Entscheidung wegen Verletzung der Verteidigungsrechte und des Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK für nichtig zu erklären.

34 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin insoweit allerdings auf eine spezielle Frage des Gerichts hin eingeräumt, dass, selbst wenn sie im Stadium des Auskunftsverlangens vom 3. Februar 2003 informiert worden wäre und sich deshalb effektiver hätte verteidigen können, ihrer Meinung nach die sie betreffenden Schlussfolgerungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht hätten beeinflusst werden können; dies ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

b) Vorbringen der Kommission

35 Die Kommission meint, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin vor der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdegründe über Art und Grund der gegen sie gerichteten Ermittlung zu informieren.

36 Zum einen hätten, wie in Art. 15 Abs. 4 der Verordnung Nr. 17 ausdrücklich bestätigt werde, weder das Verwaltungsverfahren noch die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen nach dieser Verordnung strafrechtlichen Charakter. Zum anderen sei dieses Verfahren in zwei Abschnitte gegliedert, nämlich einerseits den Abschnitt der Voruntersuchung und andererseits den kontradiktorischen Abschnitt von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der abschließenden Entscheidung. Während es der kontradiktorische Abschnitt der Kommission ermögliche, sich abschließend zu der gerügten Zuwiderhandlung zu äußern (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnrn. 182 bis 184), werde gegenüber den betroffenen Unternehmen im Abschnitt der Ermittlungen noch kein Vorwurf erhoben. Dieser Abschnitt diene dazu, die tatsächlichen Umstände zu ermitteln, die der Kommission die Feststellung erlaubten, ob gegen ein Unternehmen vorzugehen sei oder nicht. Die Kommission könne zu diesem Zweck Auskünfte verlangen, und die Unternehmen seien zu einer aktiven Mitwirkung in Form der Bereitstellung aller den Gegenstand der Ermittlungen betreffenden Informationen verpflichtet (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Oktober 1989, Orkem/Kommission, 374/87, Slg. 1989, 3283, Randnr. 27).

37 Zu dem Zeitpunkt, zu dem solche Ermittlungsmaßnahmen getroffen würden, sei die Kommission nämlich noch nicht in der Lage, Vorwürfe gegen Unternehmen zu erheben, weil sie noch auf der Suche nach Umständen sei, die zum Erlass einer Mitteilung von Beschwerdepunkten führen könnten. Daher bedeute allein die Tatsache, dass die Kommission bei einem Unternehmen ermittle, noch nicht, dass es beschuldigt werde (Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Degussa/Kommission, C-250/99 P, oben in Randnr. 30 angeführt, Urteil des Gerichtshofs Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Nrn. 41 bis 46). Folglich könne das Vorbringen der Klägerin, sie hätte bereits im Abschnitt der Voruntersuchung unterrichtet werden müssen, um ihre Verteidigung aufbauen zu können, nicht gehört werden.

38 Die Kommission erkennt an, dass die Verteidigungsrechte als Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehörten, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe (Urteile Krombach, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 25 und 26, und Connolly/Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 37 und 38). Außerdem treffe es zu, dass die Kommission darüber zu wachen habe, dass diese Rechte im Abschnitt der Ermittlungen, der für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet seien, deren Haftung auszulösen, von entscheidender Bedeutung sein könne, nicht beeinträchtigt würden (Urteile Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 15, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 63). Allerdings beziehe sich diese Verpflichtung nur auf bestimmte Verteidigungsrechte wie das Recht auf juristischen Beistand und auf Wahrung der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant, während andere Rechte nur das streitige Verfahren im Anschluss an eine Mitteilung von Beschwerdepunkten beträfen (Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 16).

39 Jedenfalls bestehe das geltend gemachte Recht, unverzüglich über Art und Grund der Untersuchung in Kenntnis gesetzt zu werden, nicht, und es könne auch nicht aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK hergeleitet werden, da in der Ermittlungsphase keine "Beschuldigung" erhoben worden sei. Zu einer solchen förmlichen "Beschuldigung" komme es erst mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte (Urteil Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied und Technische Unie/Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 79). Diese Mitteilung setze die Einleitung des Verfahrens nach Art. 3 der Verordnung Nr. 17 voraus und bringe den Willen der Kommission zum Ausdruck, eine Entscheidung über die Feststellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 6. Februar 1973, Brasserie de Haecht, 48/72, Slg. 1973, 77, Randnr. 16). Zugleich werde damit das Unternehmen von dem Gegenstand des gegen es eingeleiteten Verfahrens und von den ihm von der Kommission vorgeworfenen Verhaltensweisen in Kenntnis gesetzt (Urteile des Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T-305/94 bis T-307/94, T-313/94 bis T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94, T-329/94 und T-335/94, Slg. 1999, II-931, Randnr. 132, und Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied und Technische Unie/Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 80).

40 Bestätigt werde dies durch die Rechtsprechung des Gerichts, wonach es im Gemeinschaftswettbewerbsrecht keinen Anspruch gebe, über den Stand eines Verwaltungsverfahrens vor der förmlichen Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte unterrichtet zu werden; die gegenteilige Ansicht führe nämlich dazu, dass ein Anspruch darauf geschaffen würde, in einer Situation, in der gegen ein Unternehmen ein bestimmter Verdacht bestehe, über die Untersuchung unterrichtet zu werden, was die Tätigkeit der Kommission schwerwiegend beeinträchtigen könnte (Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, Dalmine/Kommission, T-50/00, Slg. 2004, II-2395, Randnr. 110).

41 Die Kommission ergänzt, dass der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK zwar gegebenenfalls bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Bedeutung zukommen könne, etwa bei der Berechnung einer "angemessenen Frist" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, dass jedoch nichts dafür spreche, dass dies auch für Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK gelte. Voraussetzung für die Berücksichtigung der Nichtbeachtung entsprechender Garantien im Ermittlungsstadium sei, dass dadurch die Fairness des Verfahrens ernsthaft beeinträchtigt werde (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. November 1993, Imbroscia/Schweiz, Serie A, Bd. 275, Nr. 36 und dort angeführte Rechtsprechung), wobei auf die Ausgestaltung des Gesamtverfahrens abzustellen sei.

42 Vorliegend komme insoweit dem kontradiktorischen Abschnitt des Verwaltungsverfahrens nach der Verordnung Nr. 17 besondere Bedeutung zu, da dessen spezifischer Zweck gerade in der Unterrichtung des Betroffenen über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung liege. Die Klägerin habe jedoch keinerlei Rüge hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs dieses Abschnitts des Verfahrens erhoben. Sie könne daher nicht erstmals in der Erwiderung behaupten, im kontradiktorischen Abschnitt des Verfahrens keine geeignete und ausreichende Gelegenheit gehabt zu haben, zu dem Sachverhaltsverständnis der Kommission Stellung zu nehmen. Jedenfalls könne die falsche Behauptung der Klägerin diesem Abschnitt des Verwaltungsverfahrens nicht den kontradiktorischen und fairen Charakter nehmen.

43 Der vorliegende Klagegrund sei daher als unbegründet zurückzuweisen.

2. Würdigung durch das Gericht

44 Mit ihrem ersten Klagegrund trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, die Kommission habe ihre Verteidigungsrechte und insbesondere ihr Recht auf ein faires Verfahren, so wie es in Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK anerkannt sei, verletzt, indem sie sie nicht in einem sehr frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens von Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung informiert und ihr insbesondere die Aussagen von AKZO nicht früher übermittelt habe.

45 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht die Rechtmäßigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Untersuchung nicht anhand der Bestimmungen der EMRK beurteilen kann, da diese als solche nicht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts sind. Allerdings ist der Gemeinschaftsrichter dazu berufen, auf die Wahrung der Grundrechte, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, zu achten, und lässt sich dabei von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Instrumente über den Schutz der Menschenrechte geben, an denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind. In diesem Rahmen kommt der EMRK, wie durch Art. 6 Abs. 2 EU bestätigt wird, besondere Bedeutung zu (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. Februar 2001, Mannesmannröhren-Werke/Kommission,T-112/98, Slg. 2001, II-729, Randnrn. 59 und 60 und die dort zitierte Rechtsprechung). Dies ist im Übrigen im fünften Erwägungsgrund, in Art. 52 Abs. 3 und in Art. 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt worden.

46 Nach ständiger Rechtsprechung stellen die Verteidigungsrechte in allen Verfahren wie dem mit der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, Grundrechte dar, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter sicherstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 64, und vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C-3/06 P, Slg. 2007, I-1331, Randnr. 68).

47 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsverfahren nach der Verordnung Nr. 17 vor der Kommission in zwei unterschiedliche, aufeinander folgende Abschnitte unterteilt ist, die jeweils einer eigenen inneren Logik folgen, nämlich einen Abschnitt der Voruntersuchung und einen kontradiktorischen Abschnitt. Der Abschnitt der Voruntersuchung, in dem die Kommission von ihren in der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Untersuchungsbefugnissen Gebrauch macht und der bis zur Mitteilung der Beschwerdepunkte währt, soll es der Kommission ermöglichen, alle relevanten Elemente zusammenzutragen, durch die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften bestätigt oder nicht bestätigt wird, und eine erste Position zur Ausrichtung und zum weiteren Gang des Verfahrens einzunehmen. Dagegen hat es der zweite Abschnitt, der sich von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der abschließenden Entscheidung erstreckt, der Kommission zu ermöglichen, sich abschließend zu der gerügten Zuwiderhandlung zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnrn. 181 bis 183, und Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C-105/04 P, Slg. 2006, I-8725, Randnr. 38).

48 Was zum einen den Abschnitt der Voruntersuchung anbelangt, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass dieser Abschnitt beginnt, wenn die Kommission in Ausübung der ihr durch die Art. 11 und 14 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Befugnisse Maßnahmen trifft, die mit dem Vorwurf verbunden sind, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen haben (Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 182, und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 38). Zum anderen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das betroffene Unternehmen erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert wird, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, und zur Sicherstellung der wirksamen Ausübung seiner Verteidigungsrechte über ein Recht auf Zugang zu den Akten verfügt. Folglich kann das betroffene Unternehmen seine Verteidigungsrechte erst nach Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte umfassend geltend machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnrn. 315 und 316, Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 66 und 67, vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 47, und Urteil des Gerichtshofs vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C-407/04 P, Slg. 2007, I-829, Randnr. 59). Durch die Erstreckung dieser Rechte auf den Zeitraum vor Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte würde nämlich die Effizienz der von der Kommission geführten Untersuchung beeinträchtigt, da das betroffene Unternehmen schon im Abschnitt der Voruntersuchung erfahren würde, welche Informationen der Kommission bekannt sind und welche damit noch vor ihr verborgen werden können (Urteil Dalmine/Kommission, Randnr. 60).

49 Daher ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren hätte vorausgesetzt, ihr im Abschnitt der Voruntersuchung Zugang zu den Aussagen von AKZO zu gewähren.

50 Wie aus der oben in Randnr. 48 angeführten Rechtsprechung hervorgeht, implizieren die von der Kommission im Abschnitt der Voruntersuchung ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Nachprüfungsmaßnahmen und die Auskunftsverlangen gemäß den Art. 11 und 14 der Verordnung Nr. 17, nichtsdestoweniger naturgemäß den Vorwurf einer Zuwiderhandlung und können erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen haben.

51 Folglich muss verhindert werden, dass die Verteidigungsrechte in diesem Abschnitt des Verwaltungsverfahrens in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden können, da die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung auszulösen, von entscheidender Bedeutung sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 15). In Bezug auf die Beachtung einer angemessenen Frist hat der Gerichtshof dementsprechend im Wesentlichen entschieden, dass die übermäßige Dauer des Abschnitts der Voruntersuchung Auswirkungen auf die künftigen Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen haben könne, insbesondere durch eine Verringerung der Wirksamkeit der Verteidigungsrechte, wenn diese im kontradiktorischen Abschnitt geltend gemacht würden. Je mehr Zeit nämlich zwischen einer Ermittlungsmaßnahme und der Mitteilung der Beschwerdepunkte vergehe, desto wahrscheinlicher werde es, dass etwaige Entlastungsbeweise nicht mehr oder nur noch schwer gesammelt werden könnten. Aus diesem Grund dürfe sich die Beurteilung der Quelle einer etwaigen Beeinträchtigung der wirksamen Ausübung der Verteidigungsrechte nicht auf den Abschnitt beschränken, in dem diese Rechte ihre volle Wirkung entfalteten, nämlich den kontradiktorischen Abschnitt des Verwaltungsverfahrens, sondern müsse sich auf das gesamte Verwaltungsverfahren erstrecken und es in voller Länge einbeziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnrn. 49 und 50).

52 Diese Erwägungen gelten entsprechend für die Frage, ob und inwieweit die Kommission verpflichtet ist, dem betroffenen Unternehmen bereits ab dem Abschnitt der Voruntersuchung bestimmte Informationen zum Gegenstand und zum Zweck der Ermittlungen zur Verfügung zu stellen, die dieses Unternehmen in die Lage versetzen, die Wirksamkeit seiner Verteidigung im Rahmen des kontradiktorischen Abschnitts zu wahren. Denn auch wenn das betroffene Unternehmen aus formeller Sicht während des Abschnitts der Voruntersuchung nicht den Status eines "Beschuldigten" hat, lässt sich die Einleitung einer Untersuchung gegen dieses Unternehmen, insbesondere dadurch, dass eine es betreffende Ermittlungsmaßnahme getroffen wird, aus materieller Sicht in aller Regel nicht vom Vorliegen eines Verdachts und damit von einem implizierten Vorwurf im Sinne der oben in Randnr. 48 angeführten Rechtsprechung trennen, der es rechtfertigt, dass diese Maßnahme getroffen wird (vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27. April 2006, Casse/Luxemburg, Beschwerde Nr. 40327/02, Nrn. 29 bis 33, 71 und 72).

53 Hinsichtlich des Umfangs dieser Informationspflicht ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission in einem Auskunftsverlangen unabhängig davon, ob es informell im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 ist oder die Form einer Entscheidung nach Art. 11 Abs. 5 dieser Verordnung annimmt, nach Art. 11 Abs. 3 insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen verpflichtet ist, die Rechtsgrundlagen und den Zweck des Ersuchens anzugeben. Die Erforderlichkeit der von der Kommission angeforderten Auskünfte im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 ist demnach nach Maßgabe des Zwecks der Untersuchung zu beurteilen, so wie er in dem Auskunftsverlangen selbst zwingend angegeben ist. Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass die Kommission nur solche Auskünfte verlangen kann, die ihr die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlungen, die die Durchführung der Untersuchung rechtfertigen und die im Auskunftsverlangen selbst angegeben sind, ermöglichen können (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 1991, SEP/Kommission, T-39/90, Slg. 1991, II-1497, Randnr. 25, und vom 8. März 1995, Société Générale/Kommission, T-34/93, Slg. 1995, II-545, Randnrn. 39, 40, 62 und 63).

54 Sodann ist auf das für die Kommission geltende Erfordernis hinzuweisen, in einer Nachprüfungsentscheidung nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 den Gegenstand und den Zweck der entsprechenden Nachprüfung anzugeben. Dieses Erfordernis stellt eine grundlegende Garantie für die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen dar, weshalb der Umfang der Pflicht zur Begründung der Nachprüfungsentscheidungen nicht aufgrund von Erwägungen eingeschränkt sein kann, die die Wirksamkeit der Untersuchung betreffen. Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Kommission zwar weder dem Adressaten einer Nachprüfungsentscheidung alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln braucht, noch eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen muss, dass sie aber klar anzugeben hat, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 41, und vom 17. Oktober 1989, Dow Benelux/Kommission, 85/87, Slg. 1989, 3137, Randnrn. 8 und 9, sowie Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2007, CB/Kommission, T-266/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36; vgl. entsprechend auch Urteil Société Générale/Kommission, oben in Randnr. 53 angeführt, Randnrn. 62 und 63). Ebenso müssen die Inspektoren der Kommission im Rahmen einer auf Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 gestützten Nachprüfung einen schriftlichen Prüfungsauftrag vorlegen, in dem ebenfalls der Gegenstand und der Zweck der Nachprüfung bezeichnet sind.

55 Die oben in den Randnrn. 53 und 54 dargelegten Anforderungen kommen unabhängig davon zur Anwendung, ob das Auskunftsverlangen, das an ein Unternehmen gerichtet wird, das im Verdacht steht, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, als formelle Entscheidung im Sinne von Art. 11 Abs. 5 der Verordnung Nr. 17 oder als informelles Schreiben im Sinne von Art. 11 Abs. 2 ergeht. Außerdem wirkt es sich im Abschnitt der Voruntersuchung auf die Möglichkeit des betroffenen Unternehmens, seine Verteidigung sachdienlich vorzubereiten, nicht aus, ob die Kommission eine Ermittlungsmaßnahme nach Art. 11 oder Art. 14 der Verordnung Nr. 17 ergreift, da alle diese Maßnahmen mit dem Vorwurf verbunden sein können, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen haben können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 182, und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 38).

56 Daraus folgt, dass die Kommission verpflichtet ist, das betroffene Unternehmen im Stadium der ersten gegen es ergriffenen Maßnahme - auch in den Auskunftsverlangen, die sie nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 an das Unternehmen richtet -, insbesondere von Gegenstand und Zweck der laufenden Ermittlungen zu informieren. Die Begründung muss insoweit nicht denselben Umfang haben wie diejenige, die bei Nachprüfungsentscheidungen verlangt wird, bei denen sich die Anforderungen aus ihrem zwingenderen Charakter und ihren besonders intensiven Auswirkungen auf die Rechtsstellung des betroffenen Unternehmens ergeben (vgl. in Bezug auf die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission Urteil CB/Kommission, oben in Randnr. 54 angeführt, Randnr. 71). Die Begründung muss das Unternehmen jedoch in die Lage versetzen, den Zweck und den Gegenstand der Ermittlungen nachzuvollziehen, was voraussetzt, dass die vermutete Zuwiderhandlung benannt und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass das Unternehmen in Bezug auf diese eventuelle Zuwiderhandlung Vorwürfen ausgesetzt sein kann, damit es die Maßnahmen, die es zu seiner Entlastung für sachdienlich hält, ergreifen und somit seine Verteidigung im kontradiktorischen Abschnitt des Verwaltungsverfahrens vorbereiten kann.

57 Demzufolge war die Kommission im vorliegenden Fall bei der Übersendung des Auskunftsverlangens vom 3. Februar 2003 verpflichtet, die Klägerin insbesondere von der vermuteten Zuwiderhandlung, die Gegenstand der durchgeführten Ermittlungen war, und davon zu informieren, dass die Kommission Vorwürfe gegen sie erheben könnte. Aus dem Auskunftsverlangen geht allerdings nur hervor, dass die Kommission dabei war, eine vermutete Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG zu untersuchen, die europäische Hersteller von organischen Peroxiden mit bestimmten, beispielhaft und allgemein aufgeführten Machenschaften begangen hätten, ohne dass aber angegeben wurde, dass die Ermittlungen auch eine eventuell der Klägerin vorzuwerfende Zuwiderhandlung betrafen. Anscheinend haben nämlich die mit der Sache betrauten Beamten der Kommission erst bei dem Zusammentreffen am 20. März 2003, d. h. einige Wochen vor der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens, darauf hingewiesen, dass sich die Untersuchung der Kommission auch gegen die Klägerin richte. Eine vorherige Unterrichtung der Klägerin wäre aber umso nötiger gewesen, als die Entscheidung der Kommission, gegen ein Beratungsunternehmen vorzugehen, ihren eigenen Angaben nach eine Neuorientierung ihrer früheren Entscheidungspraxis darstellte und die Klägerin daher nicht unbedingt damit rechnen konnte, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte unmittelbar an sie gerichtet werde.

58 Dieser Umstand kann allerdings als solcher nicht zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen. Zu prüfen bleibt nämlich noch, ob die von der Kommission begangene Unregelmäßigkeit konkret die Verteidigungsrechte der Klägerin im vorliegenden Verfahren beeinträchtigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 71 ff. und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnrn. 55 ff.).

59 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keinen konkreten Umstand zum Nachweis dafür vorgebracht, dass die fragliche Unregelmäßigkeit die Wirksamkeit ihrer Verteidigung während des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens beeinträchtigt hat und dass der Ablauf dieses Verfahrens insgesamt und der Inhalt der Entscheidung der Kommission durch eine wirksamere Verteidigung hätten beeinflusst werden können. Vielmehr hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass eine vorherige Unterrichtung über die Tragweite der Vorwürfe ihr gegenüber insbesondere im Stadium des Auskunftsverlangens vom 3. Februar 2003 nicht dazu angetan gewesen wäre, die sie betreffenden Schlussfolgerungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung in irgendeiner Weise zu beeinflussen; dies ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden. Ein solcher Einfluss ist umso unwahrscheinlicher, als nur rund sieben Wochen Abstand zwischen dem Auskunftsverlangen einerseits und der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens und der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte andererseits liegen.

60 Folglich ist der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

C - Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege)

1. Vorbringen der Parteien

a) Vorbringen der Klägerin

Allgemeine Ausführungen

61 Die Klägerin meint, sie habe keine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG begangen, da sie lediglich straflose Gehilfin der Kartellmitglieder, d. h. insbesondere AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa, gewesen sei. Die Kommission habe in Erwägungsgrund 339 der angefochtenen Entscheidung selbst anerkannt, dass die Klägerin keine Vertragspartei des von diesen Herstellern organischer Peroxide geschlossenen Kartells gewesen sei. Dennoch sei sie in Erwägungsgrund 349 dieser Entscheidung zu dem sehr vagen Schluss gelangt, dass die Klägerin "Partei der Vereinbarung war und/oder als Unternehmen und/oder Unternehmensvereinbarung [sic] Beschlüsse fasste". In Erwägungsgrund 454 der Entscheidung habe die Kommission sodann anerkannt, "dass sie mit einer an ein Unternehmen bzw. eine Unternehmensvereinigung in einer derartigen besonderen Rolle gerichteten Entscheidung ... in gewisser Weise Neuland betritt". Damit habe die Kommission die Grenzen der ihr durch Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 in Verbindung mit Art. 81 Abs. 1 EG eingeräumten Befugnis überschritten und gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoßen. Zudem beruhe die unzutreffende rechtliche Würdigung der Kommission auf falschen tatsächlichen Feststellungen zur Rolle der Klägerin in dem Kartell.

Zur Rüge des in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts

62 Die Klägerin wendet sich im Wesentlichen gegen die Bedeutung, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung ihrer Tätigkeit in dem Kartell beimisst (Erwägungsgründe 95, 105, 332, 333 und 345 der angefochtenen Entscheidung). In Wirklichkeit habe die Klägerin nur als Beratungsunternehmen und weisungsabhängige Beauftragte von AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa Sekretariatsdienstleistungen für diese Unternehmen erbracht, von denen die meisten nichts mit dem Kartell zu tun gehabt hätten.

63 Erstens hätten von Ende 1993 bis Ende 1999 zwischen der Klägerin und den drei genannten Herstellern organischer Peroxide Auftragsverhältnisse nach schweizerischem Obligationenrecht ohne jeden wettbewerbswidrigen Zweck bestanden. Auf der Grundlage dieser Auftragsverhältnisse habe die Klägerin nach Weisung der genannten Hersteller erstens eine Marktstatistik erstellt, zweitens vier offizielle Treffen der Hersteller in Zürich organisiert und am offiziellen Teil dieser Treffen teilgenommen, drittens einen Tagungsraum für vier inoffizielle Treffen der Hersteller in Zürich organisiert, jedoch nicht - oder nur teilweise - an diesen Treffen teilgenommen und keine Kenntnis von ihrem Inhalt gehabt, viertens den Vertretern der Hersteller die Auslagen für die Anreise zu diesen Treffen erstattet und fünftens für PC/Degussa und Atochem/Atofina bestimmte Dokumente aufbewahrt, die teilweise einen wettbewerbswidrigen Inhalt gehabt hätten.

64 Im Übrigen hätten diese Dienstleistungsverträge entgegen der Behauptung in Erwägungsgrund 340 der angefochtenen Entscheidung keine Wettbewerbsbeschränkungen enthalten; nur die Verträge zwischen den Herstellern, insbesondere die Vereinbarung von 1971, bei denen die Klägerin nie Vertragspartei gewesen sei (Erwägungsgrund 339 der angefochtenen Entscheidung), hätten Beschränkungen des Wettbewerbs auf dem Markt für organische Peroxide vorgesehen. Falsch sei daher auch die Behauptung in Erwägungsgrund 335 der angefochtenen Entscheidung, die Tätigkeit der Klägerin habe "die Grundlage für die Schaffung des Kartells" gebildet, da das Kartell 1971 von AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa ohne Mitwirkung der Klägerin gegründet worden sei. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, soweit ihre beanstandeten Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem Kartell gestanden hätten - etwa die Reservierung eines Tagungsraums und die Erstattung von Reisekosten -, hätten sie nur logistischen Charakter gehabt bzw. seien Sekretariatstätigkeiten für die drei Hersteller organischer Peroxide gewesen.

65 Zweitens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Kommission, indem sie sich in den Erwägungsgründen 87 und 109 ff. insbesondere 209, der angefochtenen Entscheidung auf "Fides/AC-Treuhand" als Einheit bezogen habe, ihr zu Unrecht die von Fides in der Zeit von 1971 bis 1993 begangenen Handlungen zur Last gelegt habe. Damit verstoße die Kommission gegen die Grundsätze der Schuld und der persönlichen Verantwortlichkeit und schädige die Reputation der Klägerin (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125, Randnr. 145). Die 1993 gegründete Klägerin sei nicht für das Verhalten von Fides verantwortlich, und es bestünden keinerlei gesellschaftsrechtliche Verbindungen zwischen dieser und der Klägerin. Die Klägerin habe Ende 1993 nur die Abteilung Verbandsbetreuung von Fides erworben und anschließend neue Dienstleistungsverträge mit den bisherigen Kunden von Fides geschlossen. Außerdem sei das Schreiben von Fides von November 1993, in dem Fides ihren bisherigen Kunden empfohlen habe, die Geschäftsbeziehungen mit der Klägerin fortzusetzen, kein einschlägiger Nachweis einer "personellen Kontinuität" zwischen Fides und der Klägerin. Es sei absolut üblich, dass bei Unternehmenskäufen der Verkäufer aus Marketinggründen solche "Empfehlungsschreiben" betreffend eine eventuelle Übertragung des jeweiligen Mandats auf die Nachfolgegesellschaft versende. Die Klägerin schließt daraus, dass sie für das Verhalten von Fides nicht verantwortlich gemacht werden könne, was die Kommission dazu hätte veranlassen müssen, ihrer Rolle im maßgeblichen Zeitraum 1994-1999 eine wesentlich geringere Bedeutung beizumessen.

66 Dazu trägt die Klägerin vor, dass sie im Gegensatz zu Fides nicht am wettbewerbswidrigen Informationsaustausch zwischen den drei Herstellern organischer Peroxide beteiligt gewesen sei. Bei der Schilderung der Rolle der Klägerin in den Erwägungsgründen 91 ff. der angefochtenen Entscheidung werde nicht berücksichtigt, dass die genannten Hersteller 1993 die Funktionsweise des Kartells grundlegend geändert und von da an darauf verzichtet hätten, ihre Verkaufszahlen und Preise unter Beteiligung von Fides im Rahmen von Zusammenkünften auszutauschen. 1993 sei dieses System durch ein von AKZO organisiertes System des Informationsaustauschs per Telefax und auf sogenannten "Arbeitsgruppentreffen" ohne Beteiligung oder auch nur Kenntnis der Klägerin ersetzt worden (Erwägungsgrund 136 der angefochtenen Entscheidung). In diesem Zusammenhang habe AKZO detaillierte Statistiken erstellt, um sie auf den Arbeitsgruppentreffen zu präsentieren, und sie habe diese Treffen geleitet, die Einhaltung der Marktanteile überwacht und die übrigen Hersteller zu Preiserhöhungen gedrängt.

67 Drittens trägt die Klägerin in Bezug auf die Aufbewahrung der Originale der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 vor, dass sie in ihrem Safe nur die Ausfertigungen von Atochem/Atofina und PC/Degussa aufbewahrt habe, die sie jederzeit hätten mitnehmen oder einsehen können. Außerdem erkennt die Klägerin an, dass sie bis 1995 oder 1996 für die Hersteller organischer Peroxide die Abweichungen von den zwischen ihnen vereinbarten Quoten berechnet habe. Die Unterlagen über diese Berechnung hätten von den Kartellmitgliedern ebenfalls jederzeit eingesehen werden können. Die Aufbewahrung von Unterlagen Dritter durch die Klägerin sei als solche aber keine durch die Wettbewerbsvorschriften untersagte Handlungsweise.

68 Viertens wendet sich die Klägerin gegen den Vorwurf, Daten zum Vertrieb organischer Peroxide gesammelt und die Kartellmitglieder mit den "entsprechenden Statistiken" versorgt zu haben (Erwägungsgrund 92 der angefochtenen Entscheidung). Diese Statistiken seien rechtmäßig gewesen und hätten - wie von AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa bestätigt worden sei - nichts mit dem Kartell zu tun gehabt. Nachdem Fides im Auftrag dieser Hersteller ein offizielles Marktinformationssystem für organische Peroxide errichtet habe, habe die Klägerin mit ihnen Ende 1993 konkludent neue Dienstleistungsverträge über die Erstellung "neutraler" Marktstatistiken geschlossen. Diese Statistiken hätten auf den von den Herstellern mitgeteilten historischen Daten über Verkaufszahlen (in Tonnen) beruht und die von ihnen jeweils praktizierten Preise und die Namen ihrer Kunden nicht offengelegt. Sie seien mit einer Liste der Kategorien der einschlägigen Produkte versehen gewesen, die die Kommission fehlerhaft als "Treuhand-Code" bezeichne (Erwägungsgrund 105 der angefochtenen Entscheidung). Diese Liste sei indessen nur ein Hilfsmittel zum einen für die Klägerin zur Erstellung der Marktstatistiken und zum anderen für die mit der Prüfung der von den Herstellern gemeldeten Absatzmengen betrauten Gesellschaft gewesen. Die so erstellten Statistiken hätten nämlich hinsichtlich der betreffenden Kategorien organischer Peroxide nur das Gesamtmarktvolumen im vorangegangenen Jahr oder Quartal, die Absatzmenge jedes einzelnen Herstellers und seinen jeweiligen Marktanteil ausgewiesen, aber keine Angaben zu den Wettbewerbern enthalten.

69 In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, dass der Austausch der Verkaufsmengen und -preise je Land und Kunde zwischen den Herstellern organischer Peroxide und damit die Koordination ihres Verhaltens in den Jahren 1993 bis 1999 nicht mehr nach den 1971 und 1975 vereinbarten Regeln, sondern per Telefax oder auf separaten Arbeitsgruppentreffen sowie manchmal im Anschluss an die offiziellen Treffen in Zürich erfolgt sei, jedoch ohne ihre Beteiligung (Erwägungsgründe 128 und 136 der angefochtenen Entscheidung). Die Klägerin zieht daraus den Schluss, dass die von ihr erstellte Marktstatistik entgegen dem in Erwägungsgrund 92 der angefochtenen Entscheidung erweckten Eindruck nicht dazu gedient habe, das Verhalten der Hersteller zu koordinieren. Die Aufbereitung und Kontrolle der Zahlen des Marktinformationssystems habe auch nicht die Basis für die Zuwiderhandlung dargestellt. Ab 1993 sei die von der Klägerin erstellte Statistik nämlich nicht mit ihrer Teilnahme an Kartellsitzungen und dem Vorschlag von Quoten verbunden gewesen. Diese Verbindung sei spätestens 1996 mit der Einstellung der Berechnung der Abweichungen von den vereinbarten Quoten durch die Klägerin beendet worden.

70 Die Klägerin trägt vor, die Prüfung der Absatzzahlen der Hersteller organischer Peroxide habe nichts mit dem Kartell zu tun gehabt. Sie habe keine entsprechende Prüfung "kontrolliert und genehmigt" (Erwägungsgrund 333 der angefochtenen Entscheidung) und sei auch nicht der "Rechnungsführer" des Kartells gewesen (Erwägungsgrund 404 der Entscheidung). Diese Fehlbeurteilung beruhe zum einen auf einer Vermengung der Funktion des rechtmäßigen Marktinformationssystems mit der des Kartells und zum anderen auf einer Verwechslung mit den Pflichten der Gesellschaft, die im Unterauftrag der Klägerin die von den Herstellern an die Klägerin gemeldeten Absatzmengen alle drei bis sechs Monate für alle Produktkategorien geprüft habe. Auf dieser Grundlage habe die Klägerin die jeweiligen Marktanteile berechnet, um schließlich den Herstellern die "Gesamtmarktzahlen" mitzuteilen. Schließlich sei die Überprüfung der der Klägerin mitgeteilten Absatzmengen auf Wunsch der drei Hersteller erfolgt, und es handele sich dabei um eine bei seriösen Marktinformationssystemen übliche und erlaubte Vorgehensweise ohne Bezug zu dem Kartell.

71 Fünftens bestreitet die Klägerin das Vorbringen der Kommission, sie habe "mindestens einmal" an einer Arbeitsgruppensitzung (Erwägungsgrund 92 der angefochtenen Entscheidung) oder sogar an mehreren dieser Sitzungen (Randnr. 99 der angefochtenen Entscheidung) teilgenommen. Tatsächlich habe die Klägerin so gut wie nie an den Treffen der drei Hersteller organischer Peroxide mit wettbewerbswidrigem Zweck teilgenommen. Mitarbeiter der Klägerin hätten nur an fünf der 63 in Tabelle 4 der angefochtenen Entscheidung (S. 28 ff.) aufgezählten Treffen ab Ende Dezember 1993, von denen nur neun in Zürich stattgefunden hätten, teilweise teilgenommen, nämlich an den Treffen in Zürich am 25. Oktober 1994, am 16. Februar 1995, am 16. Januar und 19. April 1996 sowie am 23. November 1998. Hinzuzurechnen sei das Treffen in Amersfoort (Niederlande) am 19. Oktober 1998, an dem nur Vertreter von AKZO und ein früherer Mitarbeiter der Klägerin, Herr S., teilgenommen hätten. Die Klägerin wendet sich jedoch mit sehr detaillierten Ausführungen gegen die Bedeutung, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung dieser Beteiligung von Herrn S. beimisst. Jedenfalls trage die Kommission die Beweislast dafür, dass die Klägerin tatsächlich an Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck teilgenommen habe (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 78).

72 Mit Ausnahme des Treffens am 16. Januar 1996 habe es sich um sogenannte "Gipfeltreffen" mit einem "offiziellen" und einem "inoffiziellen" Teil gehandelt. Die Mitarbeiter der Klägerin hätten jedoch nur am offiziellen Teil dieser Treffen teilgenommen, in dem Fragen der offiziellen Marktstatistik, der Produktklassifizierung und der Produktsicherheit erörtert worden seien. Die Rolle der Klägerin sei in diesem Zusammenhang auf Sekretariatstätigkeiten beschränkt gewesen, etwa den Versand der Einladungsschreiben mit der Tagesordnung, die Reservierung eines Sitzungsraums und gegebenenfalls von Hotelzimmern, die Begrüßung der Teilnehmer und die Erstellung eines Protokolls der offiziellen Sitzungen. Außerdem habe die Klägerin auf Anweisung telefonisch einen Sitzungsraum in einem Hotel für die "inoffiziellen" Treffen in Zürich am 23. Oktober 1997 sowie am 17. April und am 27. Oktober 1998 reserviert, ohne jedoch an diesen Treffen teilzunehmen.

73 Eindeutig unzutreffend sei somit die in Erwägungsgrund 127 der angefochtenen Entscheidung übernommene Behauptung von AKZO, dass die Klägerin bei den jährlichen Zusammenkünften "stets" zugegen gewesen sei, damit beispielsweise die Marktanteile hätten angepasst werden können. Dafür sei eine Teilnahme der Klägerin nicht notwendig gewesen, da jeder der Hersteller organischer Peroxide die "offiziellen" Marktanteile gekannt habe, zumal die Hersteller untereinander per Telefax oder auf Arbeitsgruppensitzungen ihre Absatzmengen ausgetauscht hätten (Erwägungsgrund 128 der angefochtenen Entscheidung).

74 Sechstens trägt die Klägerin vor, dass sie weder Vorsitzender noch Vermittler des Kartells gewesen sei (Erwägungsgründe 92, 99, 102 und 336 der angefochtenen Entscheidung). Zum einen habe es bei den wenigen Treffen der drei Hersteller organischer Peroxide, an denen die Klägerin zwischen 1994 und 1999 teilgenommen habe, keinen "Vorsitzenden" gegeben, und die Aufgabe der Klägerin habe sich auf die Begrüßung der Teilnehmer und die Erstellung des Protokolls des offiziellen Teils des Treffens beschränkt. Zum anderen habe die Klägerin auch nicht als "Vermittler" bei Spannungen zwischen den Kartellmitgliedern fungiert und sie ermutigt, Kompromisse zu finden. Die Kartellmitglieder seien immer wieder von selbst zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sich die Situation bei einem Abbruch der Diskussionen nur verschlechtere. Außerdem habe die Klägerin nicht als Vermittlerin bei Spannungen unter den Kartellmitgliedern fungieren können, weil sie nicht an den inoffiziellen Treffen teilgenommen habe (vgl. oben, Randnr. 72).

75 Die Klägerin bestreitet insoweit, in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt zu haben, dass sie "als Vermittlerin fungiert" habe (Erwägungsgründe 92, 94 und 99 der angefochtenen Entscheidung). Tatsächlich habe sie erklärt, dass sich die Rolle von Herrn S. als Sekretär auf die "Moderation der Sitzung" beschränkt habe, was u. a. bedeute, dass er die vier offiziellen und erlaubten "Gipfeltreffen" zwischen 1994 und 1999 (vgl. oben, Randnr. 72) mit einer Begrüßung eröffnet und die Mittagspause ausgerufen habe. Herr S. sei aber in dieser Zeit bei den inoffiziellen Treffen der drei Hersteller organischer Peroxide nie oder so gut wie nie anwesend gewesen. Punkt 10 der Vereinbarung von 1971 ("Arbitration") belege, dass die Hersteller selbst als Vermittler fungiert hätten, was von Atochem/Atofina in Bezug auf die Vermittlerrolle von AKZO bei mehreren Treffen bestätigt worden sei. Die Klägerin leitet daraus ab, dass AKZO falsche Anschuldigungen gegen sie erhoben habe, um von ihrer eigenen Vermittlerrolle abzulenken.

76 Siebtens bekräftigt die Klägerin, dass sie nur bis 1995 oder 1996 im Auftrag und auf Anweisung die Aufgabe ausgeübt habe, Abweichungen von den vereinbarten Marktanteilen zu berechnen und sie den Herstellern organischer Peroxide zu übermitteln. Spätestens ab 1997 hätten die drei Hersteller die Abweichungen auf der Grundlage ihrer bei ihren Arbeitsgruppensitzungen oder per Telefax ausgetauschten Absatzzahlen unter Führung von AKZO selbst berechnet (vgl. oben, Randnr. 69). Sodann habe AKZO auf dieser Grundlage die Gesamtstatistik mit den Absatzzahlen aller Hersteller organischer Peroxide erstellt und sie auf dem nächsten Arbeitsgruppentreffen präsentiert. Im Übrigen stammten die von AKZO vorgelegten Dokumente, mit denen AKZO beweisen wolle, dass die Klägerin auch 1996 und 1997 noch die Abweichungen von den vereinbarten Quoten berechnet habe, von AKZO selbst und nicht von der Klägerin.

77 Zuletzt macht die Klägerin geltend, dass die Beweiswürdigung durch die Kommission rechtswidrig sei, da dabei die Unschuldsvermutung (Urteil Baustahlgewebe/Kommission, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnr. 58) und das in Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Recht auf ein faires Verfahren missachtet worden seien. Die Kommission habe nämlich die fehlerhafte Aussage von AKZO übernommen, ohne im Licht der abweichenden Aussagen von Atochem/Atofina und PC/Degussa sowie der Klägerin zu prüfen, ob sie zutreffe. Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folge jedoch, dass den Aussagen eines Kronzeugen nur dann Glauben geschenkt werden dürfe, wenn sie durch weitere, unabhängige Beweise gestützt würden (Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 6. Oktober 1976, X/Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 7306/75, Sammlung der Entscheidungen und Berichte, Bd. 7, S. 119, 122). Außerdem sei die Glaubhaftigkeit das alleinige Kriterium für die Beurteilung von Beweismitteln (Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T-44/00, Slg. 2004, II-2223, unter Verweisung auf die Schlussanträge vom zum Generalanwalt bestellten Richter B. Vesterdorf in der Rechtssache Rhône-Poulenc/Kommission, T-1/89, Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991, oben in Randnr. 24 angeführt, II-869, II-954; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom 23. März 2000, Met-Trans und Sagpol, C-310/98 und C-406/98, Slg. 2000, I-1797, Randnr. 29, und Urteil des Gerichts vom 7. November 2002, Vela und Tecnagrind/Kommission, T-141/99, T-142/99, T-150/99 und T-151/99, Slg. 2002, II-4547, Randnr. 223).

78 Ein Kronzeuge habe allen Grund zur Lüge, und die Kommission sei von Rechts wegen verpflichtet, seine Aussage kritisch zu hinterfragen, insbesondere dann, wenn sie für die abschließende Entscheidung ausschlaggebend sei und ihr eine andere Aussage widerspreche (vgl. auch Erwägungsgrund 85 der Entscheidung 86/399/EWG der Kommission vom 10. Juli 1986 über ein Verfahren zur Anwendung von [Art. 81 EG] [IV/31.371 - Dach- und Dichtungsbahnen] [ABl. L 232, S. 15] und Erwägungsgrund 278 der angefochtenen Entscheidung). Im vorliegenden Fall habe die Kommission gegen diese Grundsätze verstoßen, indem sie mehrere falsche Anschuldigungen von AKZO gegen die Klägerin übernommen habe, ohne dafür weitere, unabhängige Beweise vorzulegen (vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 14. Oktober 2004, Dresdner Bank/Kommission,T-44/02, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 74). Eine besonders kritische Überprüfung der Erklärungen von AKZO sei jedoch zum einen angesichts des Risikos, dass AKZO die Rolle und die Bedeutung der Klägerin bewusst übertreibe, um von ihrer eigenen entscheidenden Rolle bei der Durchführung des Kartells abzulenken, und zum anderen deshalb geboten gewesen, weil AKZO einige der falschen Anschuldigungen gegen die Klägerin erst nachträglich erhoben habe.

79 Hätte AKZO in ihrem Schreiben vom 17. Februar 2003 zugegeben, dass der Vorschlag für neue Quoten von ihr selbst und nicht von der Klägerin gestammt habe, hätte die Kommission nämlich nicht mehr umhin gekonnt, die entscheidende Rolle von AKZO in dem Kartell zu bejahen, was es ihr verwehrt hätte, AKZO in Anwendung von Abschnitt B Buchst. e der Mitteilung über die Zusammenarbeit die Geldbuße zu erlassen. Die Gefahr, dass ihr die Straffreiheit verwehrt würde, und die Höhe der AKZO drohenden Geldbuße belegten, dass sie einen Anreiz gehabt habe, die Klägerin zu belasten. Folglich habe die Kommission, indem sie sich auf die falschen Erklärungen von AKZO gestützt habe, ohne weitere, unabhängige Beweise für ihre Vorwürfe vorzulegen, ohne sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Erklärungen auseinanderzusetzen und ohne alle die Klägerin entlastenden Umstände zu berücksichtigen, die Anforderungen des Grundrechts auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung missachtet.

Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege)

- Zu den Auswirkungen des Grundsatzes der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) auf die Unterscheidung zwischen Täter und Gehilfe im Gemeinschaftswettbewerbsrecht

80 Die Klägerin trägt vor, nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 17 dürfe die Kommission nur gegen solche Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen Geldbußen festsetzen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen hätten. Unternehmen, die - ohne Mitglied des Kartells im Sinne dieser Bestimmung zu sein - nur zu einem von den Kartellmitgliedern begangenen Wettbewerbsverstoß Beihilfe leisteten oder die zu einem solchen Verstoß anstifteten, verstießen jedoch nicht gegen Art. 81 Abs. 1 EG und könnten nicht nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 mit einer Geldbuße belegt werden. Indem die Kommission in der angefochtenen Entscheidung eine Zuwiderhandlung der Klägerin gegen Art. 81 Abs. 1 EG festgestellt und ihr eine Geldbuße auferlegt habe, habe sie demzufolge gegen den in Art. 7 Abs. 1 EMRK verankerten Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoßen. Überdies mache die von der Kommission befürwortete extensive Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG den Tatbestand der in dieser Norm geregelten Zuwiderhandlung uferlos und verstoße deshalb gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa).

81 Im Gemeinschaftswettbewerbsrecht müsse bei einer Zuwiderhandlung zwischen Tätern einerseits und Anstiftern und Gehilfen andererseits unterschieden werden. Diese Unterscheidung zähle zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, da die entsprechenden Vorschriften in den nationalen Rechtsordnungen insoweit übereinstimmten, etwa die in § 27 Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuchs, in Art. 48 des Wetboek van Strafrecht (niederländisches Strafgesetzbuch), in Art. 67 des belgischen Code pénal (Strafgesetzbuch), in Art. 121-7 des französischen Code pénal, in Section 8 des Accessories and Abettors Act von 1861 (Strafgesetzbuch des Vereinigten Königreichs), in Art. 28 Abs. 2 Buchst. b und Art. 29 des Código penal (spanisches Strafgesetzbuch), die die Beihilfe regelten, in den Art. 46 und 47 des Poinikos kodikas (griechisches Strafgesetzbuch), in den Art. 66 und 67 des luxemburgischen Code pénal, in den Art. 26 ff. des Código penal (portugiesisches Strafgesetzbuch), in Kapitel 23 Abschnitt 4 des Brottsbalk (schwedisches Strafgesetzbuch) und in Kapitel 5 des Rikoslaki (finnisches Strafgesetzbuch). Sie werde außerdem bestätigt durch Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26. Juli 1995 (ABl. C 316, S. 49) sowie durch Art. 11 des Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (erstellt unter der Leitung von Mireille Delmas-Marty, Economica, 1997).

82 Folglich müssten auch bei der Verhängung von Sanktionen nach der Verordnung Nr. 17 Täter von Anstiftern und Gehilfen unterschieden werden. Im Gemeinschaftswettbewerbsrecht gebe es jedoch keine gesetzliche Regelung, die besage, dass auch derjenige mit einer Sanktion belegt werden könne, der zu einer Zuwiderhandlung anstifte oder dazu Beihilfe leiste. Daher dürfe nur derjenige mit einer Sanktion belegt werden, der den Tatbestand der in Art. 81 Abs. 1 EG geregelten Zuwiderhandlung als Täter erfülle. Die Gehilfen oder Anstifter einer Zuwiderhandlung dürften hingegen nicht bestraft werden.

83 Eine entgegenstehende extensive Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG, wie sie die Kommission im vorliegenden Fall vornehme, verstoße gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe entschieden, dass Art. 7 EMRK diesen Grundsatz und das Verbot beinhalte, das Strafrecht zu Lasten des Angeklagten extensiv, insbesondere per Analogie, anzuwenden. Daraus folge, dass eine Zuwiderhandlung im Gesetz selbst klar definiert werden müsse (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. März 2001, Streletz u. a./Deutschland, Nr. 34044/96, Slg. 2001-II, Nr. 50 und dort angeführte Rechtsprechung).

84 Die Klägerin meint, dass der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts auch für das repressive Verwaltungsverfahren nach der Verordnung Nr. 17 und insbesondere für die Geldbußen nach Art. 15 Abs. 2 dieser Verordnung gelte. Das ergebe sich zum einen aus Art. 6 Abs. 2 EU und zum anderen aus der Rechtsprechung (Urteil des Gerichtshofs vom 12. Dezember 1996, Strafverfahren gegen X, C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609, Randnr. 25, Urteile Brugg Rohrsysteme/Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 109 und 122, und LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 209 und 210). Überdies mache dieser Grundsatz das Wesen des Rechtsstaats aus und schütze vor willkürlicher Verfolgung und Bestrafung (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Streletz u. a./Deutschland, oben in Randnr. 83 angeführt, Nr. 50 und dort angeführte Rechtsprechung).

- Zum Begriff des Täters im Sinne von Art. 81 EG

85 Die Klägerin trägt vor, das in Art. 7 Abs. 1 verankerte strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) (vgl. oben, Randnr. 80) gebiete bei einer Zuwiderhandlung nach Art. 81 Abs. 1 EG einen restriktiven Täterbegriff (vgl. auch Urteile des Gerichtshofs Strafverfahren gegen X, oben in Randnr. 84 angeführt, Randnr. 25, und vom 2. Oktober 2003, Krupp Hoesch/Kommission, C-195/99 P, Slg. 2003, I-10937, Randnr. 86). Mit diesem Gebot solle gewährleistet werden, dass die für eine Zuwiderhandlung gegen eine Norm drohende Sanktion wie die in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene für den Normadressaten vorhersehbar und die Entscheidungsbefugnis der zuständigen Behörde so eingegrenzt sei, dass "Überraschungsentscheidungen" vermieden würden. Der Gerichtshof habe nämlich entschieden, dass eine Sanktion nach dem Gemeinschaftsrecht, auch wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter habe, nur dann verhängt werden dürfe, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruhe (Urteile des Gerichtshofs vom 25. September 1984, Könecke, 117/83, Slg. 1984, 3291, Randnr. 11, und vom 18. November 1987, Maizena, 137/85, Slg. 1987, 4587, Randnr. 15).

86 Außerdem seien die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gemeinschaftsrechtsakts umso strenger, je intensiver ein Eingriff den Einzelnen betreffe. Der Gerichtshof habe in diesem Sinne entschieden, dass das Erfordernis der Rechtsklarheit besonders zwingend auf einem Gebiet sei, auf dem jede Unsicherheit zur Anwendung besonders empfindlicher Sanktionen führen könne (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 1980, Kommission/Vereinigtes Königreich, 32/79, Slg. 1980, 2403, Randnr. 46). Angesichts des - durch die jüngste Praxis der Kommission bestätigten - besonders hohen Strafrahmens bei den Geldbußen, die nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 verhängt werden könnten, sei es durch den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Strafen gerechtfertigt, im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG einen restriktiven Täterbegriff anzuwenden. Die von der Kommission vertretene extensive Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EG gehe auch deutlich über eine bloße schrittweise Klärung der Strafvorschriften durch richterliche Auslegung hinaus, da sie zum einen der allseits anerkannten Definition der "Vereinbarung" und zum anderen dem Grundgedanken der Wettbewerbsvorschriften, dem Selbständigkeitspostulat, widerspreche.

87 Die Klägerin trägt vor, dass sie nicht Täterin einer Zuwiderhandlung gewesen sei, da sie weder Partei der Kartellvereinbarung noch eine Unternehmensvereinigung gewesen sei. In Wirklichkeit habe sie nur Gehilfenhandlungen für AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa vorgenommen, die nicht den Tatbestand einer Zuwiderhandlung nach Art. 81 Abs. 1 EG erfüllten. Im Licht der oben in Randnr. 81 angeführten nationalen Rechtsvorschriften müsse die Abgrenzung zwischen Tätern einer Zuwiderhandlung und Teilnehmern nach objektiven Kriterien erfolgen. Strafbarer Täter einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG sei nur derjenige, der zu den in Art. 81 Abs. 1 EG genannten Kategorien von Personen gehöre und die darin umschriebene Handlung vornehme. Strafloser Gehilfe sei hingegen, wer - ohne den Tatbestand einer Zuwiderhandlung nach Art. 81 Abs. 1 EG zu erfüllen - wissentlich durch Hilfeleistung die Vorbereitung oder Durchführung des Wettbewerbsverstoßes erleichtere.

88 Denn die in den Art. 81 EG und 82 EG vorgesehenen Zuwiderhandlungen gehörten zur Kategorie der sogenannten "Sonderdelikte", da diese Artikel den Kreis der Unternehmen, die als Täter solcher Zuwiderhandlungen in Betracht kämen, durch besondere persönliche Merkmale beschränkten, nämlich - im Fall des Art. 81 EG - auf die Unternehmen, die Vertragspartner der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung seien. Das folge aus der Formulierung "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" in Art. 81 Abs. 1 EG und werde von der Rechtsprechung bestätigt (Urteil Krupp Hoesch/Kommission, oben in Randnr. 85 angeführt, Randnr. 86). Daher könne nur ein Unternehmen, das Vertragspartner der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sei, nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 mit einer Geldbuße bestraft werden.

89 Nach Wortlaut und Zweck des Art. 81 Abs. 1 EG, der auf die Bewahrung des Wettbewerbs abziele, sei für die Täterschaft entscheidend, ob es sich bei dem fraglichen Unternehmen um einen Wettbewerber handele, der sich dem Wettbewerb aussetzen müsse und deshalb zu einem bestimmten Wettbewerbsverhalten verpflichtet sei. Nur ein Unternehmen, das diese Sonderpflicht in Bezug auf das Ziel eines freien Wettbewerbs habe, sei Normadressat. Eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung könne nämlich nur zwischen Unternehmen geschlossen werden, die Wettbewerber, Anbieter oder Nachfrager, auf dem relevanten Markt seien.

90 Folglich könne ein Unternehmen nur dann als Täter einer Zuwiderhandlung angesehen werden, wenn die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung in seinem Geschäftsbereich erfolgt sei. Die Beschränkung des Täterkreises ergebe sich zudem aus der Rechtsprechung zu dem den Wettbewerbsvorschriften des Vertrags zugrunde liegenden sogenannten "Selbstständigkeitspostulat", wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenke. Dieses Selbstständigkeitspostulat stehe daher streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgehen, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe (Urteile des Gerichtshofs Suiker Unie u. a./Kommission, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnr. 174, und vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission, C-199/92 P, Slg. 1999, I-4287, Randnr. 160).

- Zur Eigenschaft der Klägerin als strafloser Gehilfin

91 Die Klägerin betont, sie sei nicht Partei der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung zwischen den Herstellern organischer Peroxide gewesen und habe damit nicht gegen das dem Wettbewerbsrecht zugrunde liegende Selbstständigkeitspostulat verstoßen. Denn sie habe keinen Kontakt zu ihren Wettbewerbern aufgenommen und deren Marktverhalten weder beeinflusst noch zu beeinflussen versucht. Da die Klägerin nicht auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt für organische Peroxide tätig sei, erfülle sie nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der Zuwiderhandlung nach Art. 81 Abs. 1 EG und könne nicht als Täterin der Zuwiderhandlung angesehen werden. Falsch sei auch die These der Kommission, die Vereinbarung von 1971 und die Dienstleistungsverträge zwischen der Klägerin einerseits sowie AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa andererseits bildeten eine "Gesamtvereinbarung" unter Beteiligung der Klägerin. In der Präambel der Vereinbarung von 1971 würden nämlich als Parteien dieser Vereinbarung ausschließlich die Hersteller organischer Peroxide genannt (Erwägungsgrund 80 der angefochtenen Entscheidung).

92 Die Klägerin sei nie Partei dieser Vereinbarung gewesen (Erwägungsgrund 339 der angefochtenen Entscheidung), die den Rahmen für die Tätigkeit des Kartells von 1971 bis 1999 gebildet habe (Erwägungsgründe 89, 90 und 316 der angefochtenen Entscheidung), und hätte es auch nicht werden können, da sie auf dem fraglichen Markt nicht tätig gewesen sei. Indem die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einigen Aspekten des Kartells dennoch als Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG ansehe, missachte sie den Wortlaut dieser Bestimmung. Selbst wenn die Klägerin tatsächlich die Funktionen ausgeübt hätte, die die Kommission ihr fehlerhaft zuschreibe (Erwägungsgrund 334 der angefochtenen Entscheidung), wäre die entsprechende Tätigkeit mangels einer direkten Beteiligung an der Vereinbarung, die den Wettbewerb auf dem fraglichen Markt eingeschränkt habe, im Übrigen nicht geeignet, gegen Art. 81 Abs. 1 EG zu verstoßen, sondern wäre eine straflose Beihilfe.

- Zur entgegengesetzten früheren Entscheidungspraxis der Kommission

93 Die Klägerin macht ferner geltend, dass die Kommission mit ihrem Ansatz in der angefochtenen Entscheidung ihrer früheren Entscheidungspraxis seit 1983 widerspreche, wonach Beratungsunternehmen, die nicht auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt tätig seien, nicht als Partei der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung und damit nicht als Täter einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG anzusehen seien. Die von der Kommission noch in ihrer Entscheidung 80/1334/EWG vom 17. Dezember 1980 betreffend ein Verfahren nach [Art. 81 EG] (IV/29.869 - Gussglas in Italien) (ABl. L 383, S. 19, im Folgenden: Entscheidung Gussglas in Italien) vertretene gegenteilige Auffassung habe gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoßen, da das betroffene Beratungsunternehmen keine Partei der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung, sondern nur Gehilfe gewesen sei. Aus diesem Grund habe die Kommission diese Auffassung 1983 zu Recht implizit wieder aufgegeben. In ihrer Entscheidung 83/546/EWG vom 17. Oktober 1983 betreffend ein Verfahren nach [Art. 81 EG] (IV/30.064 - Gusseisen- und Gussstahlwalzen) (ABl. L 317, S. 1, im Folgenden: Entscheidung Gusseisen- und Gussstahlwalzen) habe sie als Täter einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG nur die Unternehmen angesehen, die auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt tätig und Parteien der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung gewesen seien, und nicht das Beratungsunternehmen, das u. a. mit dem Betrieb eines Systems zum Informationsaustausch zwischen den Kartellmitgliedern betraut gewesen sei (Erwägungsgründe 10 ff.). Derselbe Ansatz sei von der Kommission in ihren Entscheidungen 86/398/EWG vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach [Art. 81 EG] (IV/31.149 - Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1, im Folgenden: Entscheidung Polypropylen), Erwägungsgrund 66, 89/191/EWG vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach [Art. 81 EG] (IV/31.866, LDPE) (ABl. 1989, L 74, S. 21, im Folgenden: Entscheidung LDPE), Erwägungsgründe 11 und 19, und 94/601/EG vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach [Art. 81 EG] (IV/C/33.833 - Karton) (ABl. L 243, S. 1, im Folgenden: Entscheidung Karton), Erwägungsgründe 2, 27 ff. 33, 37, 61 ff. 134 und 162, verfolgt worden.

94 Die Kommission könne nicht behaupten, dass die Klägerin im vorliegenden Fall eine bedeutendere Rolle gespielt habe als die Beratungsunternehmen in den genannten Fällen. Vielmehr habe die Klägerin im Gegensatz zu den Beratungsunternehmen in den Fällen, die zur Entscheidung Gusseisen- und Gussstahlwalzen und zur Entscheidung Karton geführt hätten, so gut wie nie an Treffen mit rechtswidrigem Zweck teilgenommen (vgl. oben, Randnrn. 72 ff.). Überdies seien die übrigen Vorwürfe gegenüber der Klägerin unzutreffend bzw. die entsprechenden Tätigkeiten hätten keinen Bezug zu dem Kartell. So verstoße das auf offiziellen Statistiken beruhende Marktinformationssystem nicht gegen Art. 81 Abs. 1 EG (Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Eurofer/Kommission, C-179/99 P, Slg. 2003, I-10725, Randnr. 44, und Urteil des Gerichts vom 11. März 1999, Eurofer/Kommission, T-136/94, Slg. 1999, II-263, auszugsweise Veröffentlichung, Randnr. 186), da keine dem Betriebsgeheimnis unterliegenden Informationen an Wettbewerber gegeben worden seien. Nach der ständigen Entscheidungspraxis der Kommission gelte dies erst recht, wenn ein Beratungsunternehmen nur die ihm gemeldeten Absatzzahlen auswerte, ohne an dem Austausch sensibler Informationen selbst teilzunehmen (Entscheidung 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach [Art. 81 EG] [IV/31.865, PVC] [ABl. L 239, S. 14], Erwägungsgrund 12, Entscheidung LDPE, Erwägungsgrund 11, Entscheidung Polypropylen, Erwägungsgrund 66). Schließlich sei die Überprüfung der von den Kartellmitgliedern gemeldeten Absatzzahlen durch unabhängige Wirtschaftsprüfer keine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG. Somit handele es sich bei den genannten Tätigkeiten der Klägerin als "Sekretariat", die im Zusammenhang mit dem Kartell stünden, nur um Gehilfenhandlungen.

- Zur fehlenden Herrschaft der Klägerin über das Kartell und zum fehlenden Kausalitätszusammenhang zwischen ihrer Tätigkeit und der Einschränkung des Wettbewerbs

95 Die Klägerin trägt vor, ihr habe jede Tatherrschaft gefehlt. Die Entscheidungen über die Einrichtung, Verwaltung und Ausrichtung des Kartells seien ausschließlich von den drei Herstellern organischer Peroxide gefällt worden. Folglich sei das Handeln der Klägerin nicht kausal für die Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt organischer Peroxide gewesen. Die Klägerin sei - als Beauftragte gemäß dem schweizerischen Obligationenrecht gegenüber diesen Herstellern weisungsgebunden und zur Geheimhaltung verpflichtet - nur ein Werkzeug der Kartellmitglieder gewesen. Schon aus diesem Grund könne die Klägerin nicht als den Herstellern organischer Peroxide ebenbürtige Mittäterin der Zuwiderhandlung angesehen werden. Die fehlende Tatherrschaft der Klägerin ergebe sich auch daraus, dass sie an der eigentlichen Kartelltätigkeit, d. h. dem Informationsaustausch zwischen den Herstellern per Telefax und Mobiltelefon sowie während der Arbeitsgruppentreffen in Abwesenheit der Klägerin, nicht beteiligt gewesen sei (vgl. oben, Randnrn. 72 ff.).

96 Was die von der Klägerin im Zusammenhang mit dem Kartell geleisteten Dienste wie die Erstattung der Reisekosten anbelange, so sei sie außerdem entgegen Erwägungsgrund 345 der angefochtenen Entscheidung jederzeit durch die Hersteller organischer Peroxide selbst oder ein anderes Beratungsunternehmen zu ersetzen gewesen, ohne dass dies die Funktion des Kartells ebenso unterbrochen hätte wie der Ausstieg eines der Hersteller.

97 Nach alledem meint die Klägerin, dass sie als straflose Gehilfin der drei am Kartell beteiligten Hersteller organischer Peroxide eingestuft werden müsse. Daran vermöge auch die teilweise Kenntnis der Klägerin von dem Kartell nichts zu ändern, da diese Kenntnis nicht für den Schluss ausreiche, dass sie selbst eine Zuwiderhandlung begangen habe (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C-286/98 P, Slg. I-9925, Randnr. 39; Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in derselben Rechtssache, Slg. 2000, I-9928, Nr. 80).

- Zur unzutreffenden Einstufung der Klägerin als "Unternehmensvereinigung"

98 Schließlich wendet sich die Klägerin gegen ihre Einstufung als "Unternehmensvereinigung" in Art. 1 und in den Erwägungsgründen 347, 373 und 464 der angefochtenen Entscheidung. Mit ihrer extensiven Auslegung dieses Begriffs verstoße die Kommission gegen das Analogieverbot, das Ausfluss des in Art. 7 Abs. 1 EMRK verankerten Grundsatzes der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) (vgl. oben, Randnr. 83) sei, der auch im Verwaltungsstrafverfahren nach der Verordnung Nr. 17 gelte. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei nämlich ein Beratungsunternehmen wie die Klägerin keine "Unternehmensvereinigung", also eine aus Mitgliedsunternehmen bestehende organisatorische Einheit. Die Klägerin bestehe nicht aus Mitgliedsunternehmen, sie sei ein unabhängiges Beratungsunternehmen, das ausschließlich von natürlichen Personen als Aktionären kontrolliert werde. Außerdem sei sie mit ihren Kunden nicht über eine strukturelle Bindung, sondern über ein rein vertragsrechtliches Auftragsverhältnis verbunden.

99 Die Auffassung der Kommission stehe auch im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Tatbestandsmerkmals der Unternehmensvereinigung. Dieses diene nicht dazu, Sanktionen gegen Gehilfen von Kartellmitgliedern verhängen zu können, sondern solle vielmehr verhindern, dass Unternehmen sich allein durch die Form, in der sie ihr Marktverhalten abstimmten, den Wettbewerbsregeln entziehen könnten, und solle damit auch institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit über eine kollektive Struktur oder ein gemeinsames Organ erfassen (Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Wouters u. a., C-309/99, Urteil des Gerichtshofs vom 19. Februar 2002, Slg. 2002, I-1577, I-1582, Nr. 62). Im vorliegenden Fall hätten die Hersteller organischer Peroxide allerdings nicht durch eine kollektive Struktur oder ein gemeinsames Organ gehandelt, sondern ihr Verhalten in direkter Form per Telefax, telefonisch und auf Arbeitsgruppentreffen abgestimmt. Die Klägerin habe insoweit lediglich administrative und logistische Hilfe geleistet, weise jedoch keine "kollektive Struktur" auf und stelle kein "gemeinsames Organ" dieser Hersteller dar.

100 Die Klägerin zieht daraus den Schluss, dass ihr als strafloser Gehilfin von AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa keine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG zur Last falle und dass dadurch, dass die Kommission ihr eine solche Zuwiderhandlung vorwerfe, gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoßen werde.

b) Vorbringen der Kommission

Zum tatsächlichen Rahmen der angefochtenen Entscheidung

101 In Bezug auf den einschlägigen tatsächlichen Rahmen macht die Kommission im Wesentlichen geltend, dass die Klägerin nicht bestreite, dass sie in ihrem Safe u. a. die Atochem/Atofina und PC/Degussa gehörenden Ausfertigungen der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 aufbewahrt habe. Außerdem rügt die Kommission, dass die Klägerin das offizielle Marktinformationssystem isoliert bewertet habe, und ist der Ansicht, dass es im Zusammenhang mit dem Kartell betrachtet werden müsse. Denn die im Rahmen dieses Systems vorgenommene Sammlung, Aufbereitung und Kontrolle der Zahlen sowie die Erstellung von Statistiken für wettbewerbswidrige Zwecke in voller Kenntnis der Umstände seien - verbunden mit der Teilnahme an Sitzungen, dem Vorschlag von Quoten und der Berechnung der Abweichungen von den vereinbarten Quoten - eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des Kartells gewesen.

102 Im Übrigen sei unstreitig, dass die Klägerin an fünf Treffen in Zürich in der Zeit von 1994 bis 1998, von denen vier sogenannte "Gipfeltreffen" gewesen seien, und an dem Treffen mit Vertretern von AKZO in Amersfoort teilgenommen habe. Des Weiteren gebe die Klägerin auch zu, im Zeitraum 1997/98 für drei "inoffizielle" Treffen in Zürich den Sitzungsraum reserviert zu haben. Angesichts dieser feststehenden Umstände könne die Klägerin ihre Beteiligung nicht durch die Verwendung von Begriffen wie "selten" oder "so gut wie nie" herunterspielen. Die Klägerin stelle auch nicht in Abrede, zumindest bis 1995 oder 1996 die Abweichungen von den vereinbarten Quoten berechnet zu haben. Ferner habe sie als Abwicklungsstelle für die Kosten agiert, um sicherzustellen, dass die Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck keine Spuren in den Konten der beteiligten Unternehmen hinterließen. So habe die Klägerin bei der Kostenerstattung selbst darauf geachtet, dass in den von Herrn S. ausgefüllten und unterschriebenen internen Zahlungsaufträgen kein Grund genannt werde. Schließlich wendet sich die Kommission gegen das Vorbringen der Klägerin, dass die angefochtene Entscheidung auf angeblich nicht glaubhafte Erklärungen von AKZO gestützt sei. Dazu trägt sie vor, dass die unterschiedlichen Erklärungen hinsichtlich der relevanten Ereignisse, auch diejenigen, deren Glaubhaftigkeit zwangsläufig gemindert sei, sich gegenseitig verstärken könnten (Urteil Mannesmannröhren-Werke/Kommission, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 87).

Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege)

103 Die Kommission macht geltend, dass die angefochtene Entscheidung nicht gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoße. Sie wendet sich gegen den Ausgangspunkt der Klägerin, dass im Gemeinschaftswettbewerbsrecht nach dem Muster des Strafrechts mehrerer Mitgliedstaaten Täter formalisierend von Anstiftern und Gehilfen zu unterscheiden seien. Weder im einschlägigen Primärrecht noch im einschlägigen Sekundärrecht werde eine solche Unterscheidung vorgenommen. Zudem sei das Verwaltungsverfahren gemäß der Verordnung Nr. 17, wie durch Art. 15 Abs. 4 dieser Verordnung bestätigt werde, nicht strafrechtlicher Art (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994, Tetra Pak/Kommission, T-83/91, Slg. 1994, II-755, Randnr. 235). Im Übrigen bestehe im Gemeinschaftswettbewerbsrecht auch keine Notwendigkeit einer solchen formalisierenden Unterscheidung, da das Vorhandensein unterschiedlicher Beteiligungsformen und die Schwere des Tatbeitrags im Rahmen der Geldbußenbemessung berücksichtigt werden könnten (Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Krupp Hoesch/Kommission, C-195/99 P, Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, oben in Randnr. 85 angeführt, Slg. 2003, I-10941, Fußnote 15).

104 In Ermangelung einer Vorschrift, die zwischen Täter und Teilnehmer unterscheide, könne jede Person, die den Tatbestand der Zuwiderhandlung nach Art. 81 Abs. 1 EG erfülle, nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 mit einer Geldbuße belegt werden. Sodann schließe das aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgende Erfordernis, dass die Rechtsakte der Gemeinschaft eindeutig und ihre Anwendung für die Betroffenen hinreichend vorhersehbar sein müssten, es nicht aus, dass die betreffenden Rechtsakte mitunter der Auslegung bedürften. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkenne nämlich die Notwendigkeit an, das Bestimmtheitsgebot und das strafrechtliche Analogieverbot nach Art. 7 Abs. 1 EMRK einerseits mit der richterlichen Auslegung insbesondere zur schrittweisen Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von einer Rechtssache zur nächsten andererseits zum Ausgleich zu bringen (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. November 1995, S. W./Vereinigtes Königreich, Serie A, Bd. 335-B, Nr. 36). Täter einer Zuwiderhandlung sei mithin jeder, der den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfülle.

105 Die Kommission weist das Vorbringen der Klägerin zurück, sie sei nicht Partei der Kartellvereinbarung gewesen und habe es auch nicht sein können. Die Vereinbarung von 1971 zwischen den Herstellern organischer Peroxide und die Dienstleistungsverträge zwischen der Klägerin und diesen Herstellern seien nämlich als wesentliche Teile einer einheitlichen Gesamtvereinbarung anzusehen. Da die Dienstleistungsverträge der Durchführung der Vereinbarung von 1971 gedient hätten, müssten sie als komplementäre und akzessorische Vereinbarungen zusammen mit dieser bewertet werden (Erwägungsgründe 339 und 340 der angefochtenen Entscheidung; vgl. auch Entscheidung Gussglas in Italien).

106 Nach dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EG sei es insoweit nicht erforderlich, dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Beratungsunternehmen auf dem relevanten Markt als Wettbewerber, Anbieter oder Nachfrager, tätig sei. Ebenso wenig werde eine Beschränkung der geschäftlichen Selbständigkeit der betreffenden Unternehmen und des Wettbewerbs zwischen ihnen gefordert, sondern es genüge jede Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Dies entspreche der Zielsetzung des Art. 81 EG, der nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG Teil eines Systems sei, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schütze (vgl. auch den neunten Erwägungsgrund der Verordnung [EG] Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den [Art.] 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln [ABl. 2003, L 1, S. 1]).

107 Art. 81 Abs. 1 EG finde nämlich nicht nur auf "horizontale", sondern auch auf "vertikale" wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die verschiedenen Vertriebsstufen angehörten (Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322, 387), und sogar auf Vereinbarungen zwischen auf verschiedenen Märkten tätigen Unternehmen Anwendung. Der Vereinbarungsbegriff solle insoweit nur eine Abgrenzung zwischen verbotener Koordinierung und erlaubtem Parallelverhalten ermöglichen (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 2003, Adriatica di Navigazione/Kommission, T-61/99, Slg. 2003, II-5349, Randnr. 89). Im Übrigen ahnde Art. 81 Abs. 1 EG ein "abstraktes Gefährdungsdelikt", da diese Vorschrift auch das Bezwecken einer Wettbewerbsbeschränkung einbeziehe, d. h. die vom Einzelfall abstrahierte Gefährlichkeit des Kartells für den Wettbewerb.

108 Die Kommission weist sodann auf die Rechtsprechung hin, nach der die bloße Teilnahme an Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck und die stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative - ohne sich offen von ihrem Inhalt zu distanzieren oder sie bei den Verwaltungsbehörden anzuzeigen - eine passive Form der Beteiligung an der Zuwiderhandlung darstellten, die geeignet sei, die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Rahmen einer einheitlichen Vereinbarung auszulösen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 83 und 84; Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T-7/89, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 232, vom 10. März 1992, Solvay/Kommission, T-12/89, Slg. 1992, II-907, Randnr. 98, und vom 6. April 1995, Trefileurope/Kommission, T-141/89, Slg. 1995, II-791, Randnrn. 85 und 86). Dies gelte erst recht für die aktive Teilnahme eines Unternehmens an einem Kartell, unabhängig davon, ob dieses Unternehmen auf dem fraglichen Markt tätig sei.

109 Im vorliegenden Fall habe sich die Klägerin nicht wie eine passive Komplizin des Kartells verhalten, sondern habe sich daran aktiv als Organisatorin und Wächterin über seine erfolgreiche Durchführung beteiligt (Erwägungsgrund 343 der angefochtenen Entscheidung). Über diese Aktivitäten habe sie maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Geheimhaltung des Kartells und damit zu einer schwerwiegenden und lang andauernden Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt organischer Peroxide beigetragen. Dies sei notwendig und ausreichend, um ihre Verantwortlichkeit nach Art. 81 Abs. 1 EG zu begründen. Es komme insoweit nicht darauf an, ob ein Teilnehmer an einer Zuwiderhandlung davon profitiere (Urteil Krupp Hoesch/Kommission, oben in Randnr. 85 angeführt), da Art. 81 Abs. 1 EG nicht auf das Kriterium der Bereicherung, sondern auf das der Gefahr für den Wettbewerb abstelle.

110 Jedenfalls habe die Klägerin unmittelbar Nutzen aus der erfolgreichen Fortführung der Vereinbarung gezogen (Erwägungsgrund 342 der angefochtenen Entscheidung). Es komme auch nicht darauf an, ob ein Teilnehmer in der Lage sei, direkt auf die Wettbewerbsparameter Preis und Menge Einfluss zu nehmen (vgl. entsprechend Urteil Brugg Rohrsysteme/Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 61), da sonst die Effektivität des Verbots nach Art. 81 Abs. 1 EG dadurch gefährdet werde, dass die Möglichkeit einer Umgehung über die Einschaltung "spezialisierter Kartelldienstleister" zur Organisation, Aufrechterhaltung und Geheimhaltung von Kartellen eröffnet werde.

111 Folglich ist der vorliegende Klagegrund nach Ansicht der Kommission zurückzuweisen.

2. Würdigung durch das Gericht

a) Vorbemerkungen

112 Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin die Höhe der in der angefochtenen Entscheidung gegen sie verhängten Geldbuße als solche nicht angreift. Mit dem vorliegenden Klagegrund macht sie im Wesentlichen geltend, dass die Kommission, indem sie sie als für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verantwortlich betrachtet und ihr eine Geldbuße auferlegt habe, die Grenzen der ihr mit Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Entscheidungsbefugnis überschritten und gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK verstoßen habe. Die Kommission hätte insoweit berücksichtigen müssen, dass die Klägerin nur straffreie Gehilfin des Kartells gewesen sei und daher nicht im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG als Unternehmen oder Unternehmensvereinigung, das oder die "Täter" einer Zuwiderhandlung sei, eingestuft werden könne.

113 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nach der Verordnung Nr. 17 vor der Kommission ein reines Verwaltungsverfahren ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 200, sowie Urteil des Gerichts vom 15 März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T-25/95, T-26/95, T-30/95 bis T-32/95, T-34/95 bis T-39/95, T-42/95 bis T-46/95, T-48/95, T-50/95 bis T-65/95, T-68/95 bis T-71/95, T-87/95, T-88/95, T-103/95 und T-104/95, Slg. 2000, II-491, Randnrn. 717 und 718) und dass deshalb die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege), wie er im Gemeinschaftswettbewerbsrecht Anwendung findet (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnrn. 215 bis 223), nicht unbedingt dieselbe Tragweite haben müssen wie im Fall ihrer Anwendung auf eine Situation, die dem Strafrecht im strikten Sinne unterliegt.

114 Um zu klären, ob im Hinblick auf das in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellte Verbot und den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) zwischen einem Unternehmen, das "Täter" einer Zuwiderhandlung ist, und einem Unternehmen, das straffreier "Gehilfe" ist, zu unterscheiden ist, muss Art. 81 Abs. 1 EG grammatikalisch, systematisch und teleologisch ausgelegt werden (zur Methodik vgl. Urteile des Gerichts vom 20. November 2002, Lagardère und Canal+/Kommission, T-251/00, Slg. 2002, II-4825, Randnrn. 72 ff. und vom 6. Oktober 2005, Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission, T-22/02 und T-23/02, Slg. 2005, II-4065, Randnrn. 41 ff.).

b) Zur grammatikalischen Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EG

115 Nach Art. 81 Abs. 1 EG sind "[m]it dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ... alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken".

116 Zu klären ist insbesondere die Bedeutung des Ausdrucks "Vereinbarungen zwischen Unternehmen".

117 Dazu ist zunächst festzustellen, dass sich der Gemeinschaftsrichter bislang noch nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert hat, ob den Begriffen der Vereinbarung und des Unternehmens in Art. 81 Abs. 1 EG eine "einheitliche" Konzeption zugrunde liegt, die jedes Unternehmen einbezieht, das zur Begehung einer Zuwiderhandlung beigetragen hat - unabhängig von dem wirtschaftlichen Sektor, in dem es normalerweise tätig ist -, oder, wie die Klägerin geltend macht, eine "bipolare" Konzeption, die bei den Unternehmen zwischen "Tätern" und "Gehilfen" der Zuwiderhandlung unterscheidet. Außerdem behauptet die Klägerin, dass Art. 81 Abs. 1 EG, der auf das "Unternehmen", das Täter der Zuwiderhandlung sei, und seine Beteiligung an einer "Vereinbarung" abstelle, insoweit lückenhaft sei, als davon nur bestimmte Unternehmen mit speziellen Merkmalen und nur bestimmte Beteiligungsformen erfasst würden. Nur wenn die Begriffe des Unternehmens und der Vereinbarung derart begrenzt zu verstehen sein sollten und der Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG demnach entsprechend eingeschränkt wäre, könnte demnach der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) mit der Folge anzuwenden sein, dass jede extensive Auslegung dieser Vorschrift ausgeschlossen wäre.

118 In Bezug auf den Begriff "Vereinbarung" ist festzustellen, dass er zunächst nur ein anderer Ausdruck für ein koordiniertes/kollusives wettbewerbsbeschränkendes Verhalten oder ein Kartell im weiten Sinne ist, an dem sich mindestens zwei verschiedene Unternehmen beteiligen, die ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 79 und 112, sowie Urteile des Gerichts vom 26. Oktober 2000, Bayer/Kommission, T-41/96, Slg. 2000, II-3383, Randnrn. 67 und 173, und vom 27. September 2006, Dresdner Bank u. a./Kommission, T-44/02 OP, T-54/02 OP, T-56/02 OP, T-60/02 OP und T-61/02 OP, Slg. 2006, II-3567, Randnrn. 53 bis 55). Außerdem liegt eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG schon dann vor, wenn ein scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, wobei die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, als solche nicht entscheidend ist (Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 2006, Kommission/Volkswagen, C-74/04 P, Slg. 2006, I-6585, Randnrn. 37). Dieser weite Vereinbarungsbegriff wird dadurch bestätigt, dass unter das Verbot nach Art. 81 Abs. 1 EG auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen fallen, d. h. Formen der Koordinierung zwischen Unternehmen, die nicht zum Abschluss einer Vereinbarung im eigentlichen Sinne führen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 115 und die dort zitierte Rechtsprechung).

119 Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob das Kartell entsprechend dem Vorbringen der Klägerin einem besonderen Tätigkeitssektor oder sogar demselben Waren- oder Dienstleistungsmarkt angehören muss, so dass nur die dort tätigen Unternehmen in ihrer Eigenschaft als Wettbewerber - Anbieter oder Nachfrager - dafür in Betracht kommen, ihr Verhalten als (Mit-)Täter einer Zuwiderhandlung zu koordinieren.

120 Dazu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 81 Abs. 1 EG nicht nur auf "horizontale" Vereinbarungen zwischen Unternehmen Anwendung findet, die auf ein und demselben relevanten Waren- oder Dienstleistungsmarkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, sondern auch auf "vertikale" Vereinbarungen, mit denen das Verhalten zwischen Unternehmen koordiniert wird, die auf verschiedenen Stufen der Produktions- und/oder Vertriebskette und somit auf verschiedenen Waren- oder Dienstleistungsmärkten tätig sind (vgl. dazu Urteile des Gerichtshofs Consten und Grundig/Kommission, oben in Randnr. 107 angeführt, 493 und 494, vom 6. Januar 2004, BAI und Kommission/Bayer, C-2/01 P und C-3/01 P, Slg. 2004, I-23, vom 6. April 2006, General Motors/Kommission, C-551/03 P, Slg. 2006, I-3173, Kommission/Volkswagen, oben in Randnr. 118 angeführt, und Beschluss des Gerichtshofs vom 28. September 2006, Unilever Bestfoods/Kommission, C-552/03 P, Slg. 2006, I-9091, sowie Urteil des Gerichts vom 18. September 2001, M6 u. a./Kommission, T-112/99, Slg. 2001, II-2459, Randnrn. 72 ff.; vgl. auch Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 [EG] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen [ABl. L 336, S. 21] und Mitteilung [2000/C 291/01] der Kommission - Leitlinien für vertikale Beschränkungen [ABl. C 291, S. 1]).

121 Ebenso geht aus der Rechtsprechung hervor, dass eine Vereinbarung schon dann unter das Verbot nach Art. 81 Abs. 1 EG fällt, wenn sie den Wettbewerb auf benachbarten und/oder sich neu entwickelnden Märkten beschränkt, auf denen zumindest eines der beteiligten Unternehmen (noch) nicht vertreten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 2. Mai 2006, O2 [Germany]/Kommission, T-328/03, Slg. 2006, II-1231, Randnrn. 65 ff.; vgl. auch - in Bezug auf die Anwendung von Art. 82 EG - Urteil des Gerichtshofs vom 14. November 1996, Tetra Pak/Kommission, C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951).

122 Mit den in der Rechtsprechung verwendeten Formeln des "gemeinsamen Willen[s] ..., sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten" (Urteil Bayer/Kommission, oben in Randnr. 118 angeführt, Randnr. 67) und des "[Ausdrucks des] gemeinsamen Willen[s] der Kartellmitglieder hinsichtlich ihres Verhaltens auf dem Gemeinsamen Markt" (Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 112) wird insoweit das Element des "gemeinsamen Willens" betont und nicht verlangt, dass sich der relevante Markt, auf dem das Unternehmen tätig ist, das "Täter" der Wettbewerbsbeschränkung ist, und derjenige Markt, auf dem sich diese Beschränkung mutmaßlich verwirklicht, vollständig decken. Daraus folgt, dass jede Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Gemeinsamen Marktes auf eine "Vereinbarung zwischen Unternehmen" im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG zurückzuführen sein kann. Dieser Schluss wird bestätigt durch das Tatbestandsmerkmal der Existenz einer Vereinbarung, mit der eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckt wird. Dieses Tatbestandsmerkmal impliziert, dass ein Unternehmen gegen das in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellte Verbot verstoßen kann, wenn sein mit dem anderer Unternehmen koordiniertes Verhalten die Einschränkung des Wettbewerbs auf einem relevanten speziellen Markt innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt, ohne dass dies unbedingt voraussetzen würde, dass es selbst auf diesem relevanten Markt tätig ist.

123 Daraus folgt, dass nach einer grammatikalischen Auslegung des Ausdrucks "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" keine restriktive Auslegung des Begriffs des Täters einer Zuwiderhandlung entsprechend dem Vortrag der Klägerin geboten ist.

c) Zur systematischen und teleologischen Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG

Zum Erfordernis der Einschränkung der Geschäftsautonomie

124 Die Klägerin trägt für ihren Klagegrund weiter vor, dass der Begriff des Zuwiderhandelnden zwingend impliziere, dass dieser seine Geschäftsautonomie gegenüber seinen Wettbewerbern einschränke und damit dem Art. 81 Abs. 1 EG zugrunde liegenden Selbständigkeitspostulat zuwiderhandele, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenke.

125 Wie die Klägerin unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung vorträgt, wurde das Selbständigkeitspostulat insbesondere im Rahmen der Rechtsprechung über die Abgrenzung verbotener abgestimmter Verhaltensweisen von erlaubtem Parallelverhalten unter Wettbewerbern entwickelt (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 115 bis 117 und die dort zitierte Rechtsprechung, sowie Urteil Adriatica di Navigazione/Kommission, oben in Randnr. 107 angeführt, Randnr. 89). Außerdem ergibt sich aus der in der Rechtsprechung vorgenommen Unterscheidung zwischen dem Vorliegen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und dem Vorliegen einer bloß einseitigen Maßnahme eines Unternehmens, die bezweckt, anderen Unternehmen ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen, dass die Wettbewerbsbeschränkung aus der hinreichend belegten Äußerung eines übereinstimmenden Willens der beteiligten Unternehmen in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten hervorgehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteile BAI und Kommission/Bayer, oben in Randnr. 120 angeführt, Randnrn. 96 bis 102 und 141, und Kommission/Volkswagen, oben in Randnr. 118 angeführt, Randnr. 37). Daraus folgt, dass das Selbständigkeitspostulat entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht unmittelbar mit der - hier nicht relevanten (vgl. oben, Randnrn. 120 bis 123) - Frage zusammenhängt, ob die Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Freiheit einschränken, in demselben Tätigkeitssektor oder auf demselben relevanten Markt aktiv sind, sondern vielmehr an die Begriffe der "aufeinander abgestimmten Verhaltensweise" und der "Vereinbarung" anknüpft, die den Nachweis einer hinreichend klaren und präzisen Äußerung einer Willensübereinstimmung zwischen den beteiligten Unternehmen verlangen.

126 Im Übrigen überschätzt die Klägerin die Bedeutung des Kriteriums der Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit bei der Beurteilung des Vorliegens einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG. Nach ständiger Rechtsprechung fallen nicht alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung, durch die die Handlungsfreiheit der Parteien oder einer der Parteien beschränkt wird, zwangsläufig unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG. Bei der Anwendung dieser Vorschrift im Einzelfall sind nämlich zunächst der Gesamtzusammenhang, in dem die fragliche Vereinbarung oder der fragliche Beschluss zustande gekommen ist oder Wirkungen entfaltet, und insbesondere ihre bzw. seine Zielsetzung zu berücksichtigen (Urteile des Gerichtshofs Wouters u. a., oben in Randnr. 99 angeführt, Randnr. 97, und vom 18. Juli 2006, Meca-Medina und Majcen/Kommission, C-519/04 P, Slg. 2006, I-6991, Randnr. 42). Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass nicht völlig abstrakt und unterschiedslos davon ausgegangen werden kann, dass jede Vereinbarung, durch die die Handlungsfreiheit der Parteien oder einer der Parteien beschränkt wird, zwangsläufig unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fällt, sondern dass bei der Prüfung, ob diese Bestimmung auf eine Vereinbarung anwendbar ist, der konkrete Rahmen zu berücksichtigen ist, in dem diese ihre Wirkungen entfaltet, insbesondere der wirtschaftliche und rechtliche Kontext, in dem die betroffenen Unternehmen tätig sind, die Art der Waren und/oder Dienstleistungen, auf die sich die Vereinbarung bezieht, sowie die tatsächlichen Bedingungen der Funktion und der Struktur des relevanten Marktes (vgl. Urteil M6 u. a./Kommission, oben in Randnr. 120 angeführt, Randnr. 76 und die dort zitierte Rechtsprechung).

127 Angesichts dieses kontextbezogenen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung kann sich somit ein Unternehmen an der Durchführung einer solchen Beschränkung auch dann beteiligen, wenn es seine eigene Handlungsfreiheit auf dem Markt, auf dem es hauptsächlich tätig ist, nicht einschränkt. Jede andere Auslegung könnte nämlich die Bedeutung des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots in einer Weise mindern, die im Widerspruch zu seiner Wirksamkeit und seinem in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG niedergelegten Hauptziel der Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes stünde, da die aktive Beteiligung eines Unternehmens an einer Wettbewerbsbeschränkung dann allein deshalb nicht verfolgt werden könnte, weil diese Beteiligung nicht von einer wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem relevanten Markt ausgeht, auf dem die Beschränkung eintritt oder eintreten soll. Diese Wirksamkeit kann entsprechend dem Vorbringen der Kommission in vollem Umfang nur durch die Verantwortlichkeit jedes "Unternehmens" im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG sichergestellt werden, da dadurch die Schaffung neuer Kartellformen zur Umgehung des Verbots nach Art. 81 Abs. 1 EG mit Hilfe von Unternehmen, die nicht auf den von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Märkten tätig sind, geahndet und vermieden werden kann.

128 Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass eine Betrachtung des Ausdrucks "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" im Licht der mit Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG verfolgten Ziele ebenfalls für eine Konzeption des Kartells und des zuwiderhandelnden Unternehmens spricht, bei der nicht danach unterschieden wird, in welchem Sektor oder auf welchem Markt die betroffenen Unternehmen tätig sind.

Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG darstellt

129 Sodann ist auf die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen hinzuweisen, unter denen die Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell dazu führt, dass es als Mittäter der Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werden kann.

130 Insoweit reicht es für einen hinreichenden Nachweis der Beteiligung des betreffenden Unternehmens an dem Kartell aus, dass die Kommission belegt, dass es an Sitzungen teilgenommen hat, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen geschlossen wurden, ohne sich offen dagegen auszusprechen. Um die Beteiligung eines Unternehmens an einer einheitlichen Vereinbarung darzutun, die eine Gesamtheit von zu unterschiedlichen Zeiten begangenen Zuwiderhandlungen umfasst, muss die Kommission beweisen, dass das Unternehmen durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte, dass es das von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigte oder an den Tag gelegte tatsächliche Verhalten kannte oder vernünftigerweise vorhersehen konnte und dass es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. In dieser Hinsicht führt die stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative, ohne sich offen von deren Inhalt zu distanzieren oder sie bei den Verwaltungsbehörden anzuzeigen, dazu, dass die Fortsetzung der Zuwiderhandlung begünstigt und ihre Entdeckung verhindert wird. Diese Komplizenschaft stellt eine passive Form der Beteiligung an der Zuwiderhandlung dar und ist daher geeignet, die Verantwortlichkeit eines Unternehmens im Rahmen einer einheitlichen Vereinbarung auszulösen (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 83 und 87, Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnrn. 81 bis 84, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnrn. 142 und 143; vgl. auch Urteil Tréfileurope/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 85 und die dort zitierte Rechtsprechung). Ferner ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass diese Grundsätze entsprechend auf Sitzungen Anwendung finden, an denen nicht nur miteinander konkurrierende Hersteller, sondern auch ihre Kunden teilgenommen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001, Tate & Lyle u. a./Kommission, T-202/98, T-204/98 und T-207/98, Slg. 2001, II-2035, Randnrn. 62 bis 66).

131 In Bezug auf die Bestimmung der persönlichen Verantwortung eines Unternehmens, das sich nicht so umfassend und intensiv wie andere Unternehmen an dem Kartell beteiligt hat, ergibt sich im Übrigen aus der Rechtsprechung, dass sich zwar die Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG notwendigerweise aus einem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen ergeben, die alle Mittäter der Zuwiderhandlung sind, dass deren Beteiligung aber insbesondere in Abhängigkeit von den Merkmalen des betroffenen Marktes und der Stellung des einzelnen Unternehmens auf diesem Markt, den verfolgten Zielen und der gewählten oder vorgesehenen Art und Weise der Durchführung verschiedene Formen aufweisen kann; die Verantwortung des einzelnen Unternehmens für die gesamte Zuwiderhandlung einschließlich des Verhaltens, das zwar tatsächlich von anderen beteiligten Unternehmen an den Tag gelegt worden ist, aber dieselbe wettbewerbswidrige Zielsetzung oder Wirkung hat, kann dabei nicht allein deshalb ausgeschlossen sein, weil jedes Unternehmen sich auf eine ihm eigene Art und Weise an der Zuwiderhandlung beteiligt (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 78 bis 80).

132 Die Tatsache, dass sich ein Unternehmen nicht an allen Tatbestandsmerkmalen eines Kartells beteiligt hat oder dass es bei den Aspekten, an denen es beteiligt war, eine untergeordnete Rolle gespielt hat, ist daher für den Nachweis des Vorliegens einer Zuwiderhandlung dieses Unternehmens irrelevant. Die gegebenenfalls begrenzte Bedeutung der Beteiligung des betroffenen Unternehmens kann somit seine persönliche Verantwortung für die gesamte Zuwiderhandlung nicht in Frage stellen, doch kann sie sich nichtsdestoweniger auf die Beurteilung des Umfangs und der Schwere der Zuwiderhandlung und gegebenenfalls die Bemessung der Sanktion auswirken (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 90, Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 86, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 145).

133 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Rechtsprechung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen auf demselben relevanten Markt tätigen Unternehmen sowie zwischen solchen Wettbewerbern und ihren Kunden die Mitverantwortung der Unternehmen, die Mittäter und/oder Gehilfen einer Zuwiderhandlung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG sind, anerkennt und die objektive Voraussetzung dafür, dass dem betroffenen Unternehmen verschiedene wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zur Last gelegt werden können, die die Gesamtheit des Kartells bilden, als erfüllt ansieht, wenn es - auch in untergeordneter Stellung, nebensächlich oder passiv - zu seiner Durchführung beigetragen hat, etwa durch eine stillschweigende Billigung und die unterbliebene Anzeige des entsprechenden Kartells bei den Behörden, wobei der gegebenenfalls begrenzten Bedeutung dieser Beteiligung im Rahmen der Festlegung der Sanktionshöhe Rechnung getragen werden kann.

134 Im Übrigen kann einem beteiligten Unternehmen die Gesamtheit einer Zuwiderhandlung nur dann zur Last gelegt werden, wenn es seinen eigenen Willen so geäußert hat, dass deutlich wird, dass es - und sei es nur stillschweigend - die Ziele des Kartells teilt. Diese subjektive Voraussetzung ist zum einen in den Kriterien der stillschweigenden Billigung des Kartells und der fehlenden öffentlichen Distanzierung von seinem Inhalt enthalten (Urteile Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 84, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 143; Urteil Tréfileurope/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 85), da diese Kriterien die Vermutung implizieren, dass das betroffene Unternehmen weiterhin die Ziele und die Durchführung des Kartells billigt; sie ist zum anderen die Rechtfertigung dafür, dass das betroffene Unternehmen als mitverantwortlich angesehen werden kann, da es durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte, die Zuwiderhandlungen der anderen Beteiligten kannte oder vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 83 und 87, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 23 angeführt, Randnr. 83).

135 Nur unter Beachtung der oben in den Randnrn. 133 und 134 genannten Voraussetzungen steht es im Einklang mit den Erfordernissen des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit, dem betroffenen Unternehmen die Zuwiderhandlung insgesamt zur Last zu legen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 84).

136 Diese Grundsätze finden angesichts der oben in den Randnrn. 115 bis 127 dargelegten Erwägungen entsprechend auf die Beteiligung eines Unternehmens Anwendung, das aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und seines beruflichen Sachverstands die Wettbewerbswidrigkeit der fraglichen Verhaltensweisen erkennen musste und so die Begehung der Zuwiderhandlung in nicht zu vernachlässigender Weise unterstützen konnte. Nicht gefolgt werden kann daher dem Vorbringen der Klägerin, ein Beratungsunternehmen könne nicht als Mittäter einer Zuwiderhandlung angesehen werden, da es zum einen keine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem relevanten, von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Markt ausübe und zum anderen nur in untergeordneter Weise zu dem Kartell beigetragen habe.

Zur Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege)

137 Die Klägerin macht gleichwohl im Wesentlichen geltend, dass eine solche "einheitliche" Konzeption des Zuwiderhandelnden im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG mit den Erfordernissen unvereinbar sei, die sich zum einen aus dem Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) gemäß Art. 7 Abs. 1 EMRK und zum anderen aus den gemeinsamen Regelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten über die Unterscheidung zwischen Tätern und Gehilfen ergäben, die sowohl im Strafrecht als auch im Wettbewerbsrecht anzuwenden seien.

138 Insoweit ist zunächst zu betonen, dass die Grundrechte, wie oben in Randnr. 45 ausgeführt, zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter sichert, wobei er sich insbesondere von der EMRK als Inspirationsquelle leiten lässt.

139 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Gemeinschaftsrichter den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts in das Wettbewerbsrecht betreffenden Rechtssachen angewandt hat, wobei er die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt hat (vgl. Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnrn. 215 ff. und Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T-43/02, Slg. 2006, II-3435, Randnrn. 71 ff. und die dort zitierte Rechtsprechung). Allgemein verlangt dieser Grundsatz insbesondere, dass jede Gemeinschaftsregelung, insbesondere wenn sie die Verhängung von Sanktionen vorschreibt oder gestattet, klar und bestimmt ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können. Auch ist dieser Grundsatz sowohl bei Normen mit strafrechtlichem Charakter als auch bei spezifischen verwaltungsrechtlichen Instrumenten zu beachten, die die Verhängung von Sanktionen durch die Verwaltung - etwa die nach der Verordnung Nr. 17 - vorschreiben oder gestatten (vgl. in diesem Sinne Urteile Maizena, oben in Randnr. 85 angeführt, Randnrn. 14 und 15, und Strafverfahren gegen X, oben in Randnr. 84 angeführt, Randnr. 25).

140 Außerdem ergibt sich aus der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung vorgenommen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 EMRK, dass der dort niedergelegte Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) insbesondere gebietet, das Strafrecht nicht extensiv - insbesondere durch Analogie - zu Lasten des Angeklagten anzuwenden. Daraus folgt, dass eine Zuwiderhandlung im Gesetz klar definiert sein muss, eine Bedingung, die erfüllt ist, wenn der Einzelne dem Wortlaut der relevanten Vorschrift - bei Bedarf unter Zuhilfenahme ihrer Auslegung durch die Gerichte - entnehmen kann, welche Handlungen oder Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dazu ausgeführt, dass der Begriff des Rechts in Art. 7 EMRK dem in anderen Artikeln der EMRK verwendeten Begriff des Gesetzes entspricht, sowohl Gesetzes- als auch Richterrecht umfasst und qualitative Voraussetzungen impliziert, insbesondere die der Zugänglichkeit und der Vorhersehbarkeit (vgl. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Mai 1993, Kokkinakis/Griechenland, Serie A, Bd. 260-A, Nrn. 40, 41 und 52, S. W./Vereinigtes Königreich, oben in Randnr. 104 angeführt, Nr. 35, vom 15. November 1996, Cantoni/Frankreich, Slg. 1996-V, S. 1627, Nr. 29, vom 8. Juli 1999, Baskaya und Okçuoglu/Türkei, Slg. 1999-IV, S. 308, Nr. 36, vom 22. Juni 2000, Coëme/Belgien, Slg. 2000-VII, S. 1, Nr. 145, und vom 7. Februar 2002, E. K./Türkei, Beschwerde Nr. 28496/95, Nr. 51; vgl. auch Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 216).

141 Angesichts dieser Rechtsprechung kann der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) nicht dahin ausgelegt werden, dass er die schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung verböte (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 217). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bleibt nämlich, so klar eine gesetzliche Vorschrift auch des Strafrechts abgefasst sein mag, unvermeidlich ein Teil richterlicher Auslegung, und es wird immer nötig sein, unklare Punkte zu klären und den Wortlaut in Abhängigkeit von der Entwicklung der Umstände anzupassen. Außerdem ist es dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zufolge in der Rechtsüberlieferung der Staaten, die Parteien der EMRK sind, fest verankert, dass die Rechtsprechung als Rechtsquelle notwendigerweise zur schrittweisen Entwicklung des Strafrechts beiträgt (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte S. W./Vereinigtes Königreich, oben in Randnr. 104 angeführt, Nr. 36). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat insoweit anerkannt, dass zahlreiche Gesetze keine absolute Genauigkeit aufweisen und dass sich viele von ihnen aus der Notwendigkeit, übermäßige Strenge zu vermeiden und sich ändernden Sachlagen anzupassen, zwangsläufig mehr oder weniger unbestimmter Formulierungen bedienen, deren Auslegung und Anwendung von der Praxis abhängen (Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Kokkinakis/Griechenland, oben in Randnr. 140 angeführt, Nrn. 40 und 52, und E. K./Türkei, oben in Randnr. 140 angeführt, Nr. 52; Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnr. 80). Bei der Beurteilung der Bestimmtheit verwendeter Begriffe berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dementsprechend neben dem Gesetzestext auch die ständige und veröffentlichte Rechtsprechung (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27. September 1995, G./Frankreich, Serie A, Bd. 325-B, Nr. 25).

142 Wenn der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) grundsätzlich die schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung gestattet, kann er nichtsdestoweniger der rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung einer Norm, die eine Zuwiderhandlung festlegt, entgegenstehen. Das ist v. a. dann der Fall, wenn das Ergebnis dieser Auslegung zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zu der fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, nicht hinreichend vorhersehbar war. Außerdem hängt der Begriff der Vorhersehbarkeit in hohem Maß ab vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschriften, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten und schließt es nicht aus, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnrn. 217 bis 219 unter Verweisung auf das Urteil Cantoni/Frankreich, oben in Randnr. 140 angeführt, Nr. 35).

143 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Auslegung der Bedeutung des Art. 81 Abs. 1 EG und insbesondere der Begriffe "Vereinbarung" und "Unternehmen" dahin gehend, dass von seinem Anwendungsbereich jedes Unternehmen erfasst wird, das zur Durchführung eines Kartells beigetragen hat, auch wenn es nicht auf dem relevanten, von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Markt tätig ist, zur Zeit der Begehung der zur Last gelegten Handlungen angesichts des Textes dieser Vorschrift in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung hinreichend vorhersehbar sein musste.

144 Dazu ist zu bemerken, dass die Begriffe "Vereinbarung" und "Unternehmen" im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG unbestimmte Rechtsbegriffe sind, deren genaue Bedeutung in letzter Instanz vom Gemeinschaftsrichter festzulegen ist und deren Anwendung durch die Verwaltung einer vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Daher ist die schrittweise Klärung der Begriffe "Vereinbarung" und "Unternehmen" durch den Gemeinschaftsrichter für die Beurteilung der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit ihrer konkreten Anwendung von entscheidender Bedeutung.

145 Angesichts der oben in den Randnrn. 115 bis 128 angeführten ständigen Rechtsprechung ist zum einen der Ausdruck "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" in Art. 81 Abs. 1 EG, der sich auf jedes sich kollusiv verhaltende Unternehmen bezieht, unabhängig vom Tätigkeitssektor oder dem relevanten Markt, in bzw. auf dem es aktiv ist, ein so präziser Ausdruck der oben in Randnr. 128 beschriebenen Konzeption des Kartells und des Zuwiderhandelnden, dass jedes Unternehmen Kenntnis davon erlangen oder sogar einsehen muss, dass es sich im Fall eines solchen Verhaltens Verfolgungen aussetzt.

146 Zum anderen gibt es, wie oben in den Randnrn. 129 bis 135 dargelegt, eine gefestigte Rechtsprechung zur Mitverantwortung nach Art. 81 Abs. 1 EG von Unternehmen, denen als Mittäter und/oder Gehilfen einer Gesamtzuwiderhandlung die Zuwiderhandlungen der jeweils anderen beteiligten Unternehmen zugerechnet werden. Diese Rechtsprechung, die ebenfalls auf der "einheitlichen" Konzeption der Begriffe des Kartells und des Zuwiderhandelnden beruht, bezeichnet klar und präzise die objektiven und subjektiven Zurechenbarkeitsvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Unternehmen als für eine von mehreren Mittätern oder Gehilfen begangene Zuwiderhandlung verantwortlich angesehen werden kann. Insoweit kann der bloße Umstand, dass der Gerichtshof diese Zurechenbarkeitsgrundsätze erst 1999 präzisiert hat (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 78 ff.), für sich genommen nichts an ihrer Vorhersehbarkeit bereits zur Zeit der der Klägerin vorgeworfenen Umstände von 1993 bis 1999 ändern, da sich die für die persönliche Verantwortlichkeit maßgebenden Umstände bereits mit hinreichender Genauigkeit aus der weiten Konzeption des Kartells und des Unternehmens im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und der früheren Rechtsprechung des Gerichts ergaben (vgl. Urteil Tréfileurope/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 85 und die dort zitierte Rechtsprechung). Außerdem reicht der Umstand, dass der Gemeinschaftsrichter sich bislang noch nicht zum besonderen Fall der Mitverantwortlichkeit eines nicht auf demselben Markt wie die Hauptbeteiligten des Kartells tätigen Beratungsunternehmens geäußert hat, nicht für den Schluss aus, dass eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, in der die Mitverantwortlichkeit eines solchen Unternehmens oder zumindest die Möglichkeit einer solchen Mitverantwortlichkeit festgestellt wird, für berufsmäßig tätige Personen auf der Grundlage des Wortlauts des Art. 81 Abs. 1 EG und der oben angeführten Rechtsprechung nicht hinreichend vorhersehbar gewesen wäre.

147 Was im Übrigen die repressive Verwaltungspraxis in dieser Hinsicht anbelangt, ist vielmehr darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie die Klägerin selbst einräumt, 1980 bereits entschieden hatte, eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG einem Beratungsunternehmen zur Last zu legen, das sich in ähnlicher Weise wie die Klägerin im vorliegenden Fall aktiv an der Durchführung des fraglichen Kartells beteiligt hatte (Entscheidung Gussglas in Italien, vgl. insbesondere unter II. A. 4. a. E. der Erwägungsgründe). Dass die Kommission diesen Ansatz in mehreren späteren Entscheidungen nicht mehr verfolgt hat, rechtfertigt insoweit nicht den Schluss, dass eine solche Auslegung der Tragweite des Art. 81 Abs. 1 EG nicht hinreichend vorhersehbar wäre. Das gilt erst recht für ein Beratungsunternehmen, von dem anzunehmen ist, dass es angesichts der Entscheidungspraxis der Kommission seit 1980 seinen wirtschaftlichen Tätigkeiten mit größter Umsicht nachgeht und fachkundigen Rat insbesondere von Rechtsexperten einholt, um die mit seinem Verhalten verbundenen Risiken zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 219).

148 In diesem Zusammenhang kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine solche Auslegung gegen die den Mitgliedstaaten gemeinsamen Regelungen über die persönliche Verantwortlichkeit verstoße, in denen zwischen Tätern und Beteiligten einer Zuwiderhandlung unterschieden werde. Die Klägerin führt nämlich ausschließlich Vorschriften des nationalen Strafrechts an (vgl. oben, Randnr. 81) und erläutert nicht, ob und inwieweit diese Vorschriften in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen auch im Bereich der verwaltungsrechtlichen Ahndung insbesondere wettbewerbswidriger Praktiken anwendbar sind.

149 Außerdem ergibt sich weder aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch aus der Entscheidungspraxis der früheren Europäischen Kommission für Menschenrechte, dass der Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) im Rahmen der strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Ahndung eine Unterscheidung des Täters vom Beteiligten derart verlangt, dass der Letztgenannte nicht bestraft werden könnte, wenn die einschlägige Rechtsvorschrift nicht ausdrücklich eine Sanktion gegen ihn vorsieht. Daraus ergibt sich vielmehr, dass das Verhalten der beschuldigten Person, damit dieser Grundsatz gewahrt bleibt, unter die Definition des Täters der betreffenden Zuwiderhandlung fallen muss, so wie sie sich dem Wortlaut der fraglichen Bestimmung - gegebenenfalls in der entsprechenden Auslegung durch die Rechtsprechung - entnehmen lässt. Sofern diese Definition hinreichend weit ist, um sowohl das Verhalten der Haupttäter der Zuwiderhandlung wie auch das der Gehilfen zu erfassen, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzlichkeit der Straftatbestände und Strafen vor (vgl. a contrario Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte E. K./Türkei, oben in Randnr. 140 angeführt, Nrn. 55 und 56; Zulässigkeitsentscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 15. Januar 1997, L.-G. R./Schweden, Beschwerde Nr. 27032/95, S. 12).

150 Nach alledem war es für jedes Unternehmen, das sich kollusiv verhalten hat, darunter auch für Beratungsunternehmen, die nicht auf dem fraglichen, von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Markt tätig sind, hinreichend vorhersehbar, dass das in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellte Verbot grundsätzlich auf es Anwendung findet. Denn dieses Unternehmen konnte nicht übersehen oder war in der Lage zu verstehen, dass die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und die frühere Gemeinschaftsrechtsprechung bereits hinreichend klar und präzise die Grundlage der ausdrücklichen Anerkennung der Verantwortlichkeit eines Beratungsunternehmens für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG für den Fall in sich trugen, dass sich dieses Unternehmen aktiv und vorsätzlich an einem Kartell zwischen Herstellern beteiligt, die auf einem anderen Markt als es selbst tätig sind.

d) Zur Mittäterschaft der Klägerin

151 Sodann ist zu untersuchen, ob im vorliegenden Fall die objektiven und subjektiven Voraussetzungen vorlagen, die eine Bejahung der Mitverantwortlichkeit der Klägerin dadurch erlauben, dass ihr die Zuwiderhandlungen der anderen beteiligten Unternehmen zugerechnet werden. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass einem Unternehmen die gesamte Zuwiderhandlung nur dann zur Last gelegt werden kann, wenn es zum einen - auch in untergeordneter Funktion - zu der fraglichen Wettbewerbsbeschränkung beigetragen hat und zum anderen die subjektive Voraussetzung hinsichtlich der entsprechenden Willensäußerung dieses Unternehmens erfüllt ist.

152 Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin "Vertragspartei" der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 war und ob die mit den drei Herstellern von organischen Peroxiden geschlossenen Dienstleistungsverträge integraler Bestandteil des Kartells im weiten Sinne waren, hat sich erwiesen, dass die Klägerin von 1993 bis 1999 aktiv zur Durchführung des Kartells beigetragen hat.

153 Erstens steht fest, dass die Klägerin in ihren Geschäftsräumen die Atochem/Atofina und PC/Degussa gehörenden Originale der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 aufbewahrt und verbogen hat, in Bezug auf PC/Degussa sogar bis 2001 oder 2002 (Erwägungsgründe 63 und 83 der angefochtenen Entscheidung). Zweitens hat die Klägerin eingeräumt, bis mindestens 1995 oder 1996 die Abweichungen der jeweiligen Marktanteile der Kartellmitglieder von den vereinbarten Quoten berechnet und ihnen mitgeteilt zu haben, was in der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 ausdrücklich vorgesehen war, und die entsprechenden geheimen Dokumente in ihren Geschäftsräumen aufbewahrt zu haben. Drittens hat die Klägerin in Bezug auf die Abhaltung von Treffen zwischen den Herstellern organischer Peroxide mit einem wettbewerbswidrigen Teil anerkannt, dass sie fünf dieser Treffen organisiert und teilweise daran sowie an dem Treffen in Amersfoort am 19. Oktober 1998 teilgenommen hat, das dazu diente, einen Vorschlag für die Aufteilung von Quoten zwischen den Herstellern vorzubereiten. Viertens steht fest, dass die Klägerin regelmäßig die Reisekosten der Vertreter der Hersteller organischer Peroxide für ihre Teilnahme an den Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck erstattet hat, und dies offenkundig mit dem Ziel, die Spuren der Durchführung des Kartells zu verbergen bzw. nicht in den Büchern dieser Hersteller auftauchen zu lassen (vgl. oben, Randnrn. 63 und 102).

154 Ohne dass es erforderlich wäre, die zwischen den Parteien umstrittenen Umstände hinsichtlich des tatsächlichen Umfangs der Beteiligung der Klägerin an dem Kartell im Detail zu beurteilen, ist aus den oben in Randnr. 153 dargelegten Umständen zu schließen, dass die Klägerin aktiv zur Durchführung des Kartells beigetragen hat und dass entgegen ihrem Vorbringen ein hinreichend konkreter und entscheidender Kausalitätszusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und der Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für organische Peroxide bestand. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nämlich die Existenz dieses Kausalitätszusammenhangs nicht bestritten, sondern lediglich die rechtliche Bewertung ihrer Beteiligung als Handlung eines Täters der Zuwiderhandlung gerügt, da diese Beteiligung nur als Gehilfenhandlung bewertet werden könne, die von jedem anderen Beratungsunternehmen hätte vorgenommen werden können.

155 Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, dass die Klägerin nicht formell und unmittelbar Vertragspartei der Vereinbarung von 1971 und der Vereinbarung von 1975 war. Zum einen ist, sofern die beteiligten Unternehmen sich kollusiv verhalten, für die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG nicht ausschlaggebend, ob eine schriftliche oder anderweitig ausdrückliche Vereinbarung zwischen ihnen vorliegt (vgl. oben, Randnrn. 115 bis 123). Zum anderen erkennt die Klägerin selbst an, dass sie mit konkludent mit den Herstellern organischer Peroxide geschlossenem Vertrag in eigenem Namen und für eigene Rechnung bestimmte, in den genannten Vereinbarungen speziell vorgesehene Tätigkeiten von Fides übernommen hat, etwa die Berechnung und Mitteilung der Abweichungen von den vereinbarten Quoten. Zu ergänzen ist, dass sich das Gericht nicht zum genauen Umfang der Beteiligung der Klägerin zu äußern braucht, soweit sich diese auf die Rechtmäßigkeit der Höhe der verhängten Geldbuße auswirken könnte, da die Kommission gegen sie nur eine Geldbuße in der Mindesthöhe von 1 000 Euro verhängt hat und die Klägerin diesen Betrag als solchen nicht in Frage stellt.

156 Angesichts der gesamten objektiven Umstände, die die Beteiligung der Klägerin kennzeichnen, ist im Übrigen festzustellen, dass sie dem Kartell in voller Kenntnis der Umstände vorsätzlich ihr Fachwissen und ihre Einrichtungen zur Verfügung gestellt hat, um damit zumindest indirekt im Rahmen der Durchführung ihrer individuellen Dienstleistungsverträge mit den drei Herstellern organischer Peroxide Gewinn zu erzielen. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin somit auch wissentlich gegen die berufsrechtlichen Regeln verstoßen hat, denen sie als Wirtschaftsberater unterlag, konnte sie nämlich ganz offensichtlich das wettbewerbs- und rechtswidrige Ziel des Kartells, an dem sie sich beteiligte, nicht übersehen oder kannte es; dieses Ziel trat zutage insbesondere in den Vereinbarungen von 1971 und von 1975, die sie in ihren Geschäftsräumen aufbewahrte, in der Abhaltung von Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck und im Austausch sensibler Informationen, an dem sie sich bis mindestens 1995 oder 1996 aktiv beteiligte.

157 Nach alledem ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung, soweit darin die Mitverantwortlichkeit der Klägerin für die in erster Linie von AKZO, Atochem/Atofina und PC/Degussa begangene Zuwiderhandlung bejaht wird, nicht über die Grenzen des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots hinausgeht und dass demnach die Kommission mit der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 1 000 Euro gegenüber der Klägerin ihre durch Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 übertragenen Befugnisse nicht überschritten hat.

158 Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Kommission die Verantwortlichkeit der Klägerin rechtmäßig auch auf den Begriff des Beschlusses einer Unternehmensvereinigung stützen konnte. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, handelt es sich im vorliegenden Fall um eine rein alternative oder sogar hilfsweise Beurteilung, die nicht geeignet ist, den auf die Begriffe des Kartells und des Unternehmens gestützten Hauptansatz der Kommission rechtlich zu begründen oder zu widerlegen. Ebenso wenig ist es erforderlich, zu beurteilen, ob die Kommission bestimmte Beweise zu Lasten der Klägerin, die für das Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreits nicht entscheidend sind, ordnungsgemäß geprüft und beurteilt hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das oben in den Randnrn. 77 bis 79 wiedergegebene Vorbringen der Klägerin nur die Begründetheit des vorliegenden Klagegrundes stützen soll und keinen getrennten Klagegrund darstellt.

159 Folglich ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

D - Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Vertrauensschutz

1. Vorbringen der Parteien

160 Die Klägerin meint, aufgrund der ständigen Entscheidungspraxis der Kommission seit 1983 habe sie darauf vertrauen dürfen, dass ihr Verhalten von der Kommission so gewertet werde wie das vergleichbare Verhalten anderer Beratungsunternehmen in den früheren Fällen. Daher verstoße die angefochtene Entscheidung gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Zwar seien Entscheidungen der Kommission nur für ihre Adressaten verbindlich, doch handele es sich nichtsdestoweniger, insbesondere wenn sie eine ständige Entscheidungspraxis begründeten, um Rechtsakte, die Bedeutung für vergleichbare Sachverhalte hätten. Dass Privatpersonen auf die Fortsetzung einer bestimmten Entscheidungspraxis vertrauen könnten, sei umso schutzwürdiger, als die Anwendung von Art. 81 EG von zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen abhänge, die der Konkretisierung durch eine solche Entscheidungspraxis bedürften.

161 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, so wie er in der Rechtsprechung anerkannt sei (Urteil des Gerichtshofs vom 3. Mai 1978, Töpfer/Kommission, 112/77, Slg. 1978, 1019, Randnr. 19; Urteil des Gerichts vom 8. Juli 1999, Vlaamse Televisie Maatschappij/Kommission, T-266/97, Slg. 1999, II-2329, Randnr. 71), verbiete es der Kommission, ihre eigene Entscheidungspraxis zu Art. 81 EG ohne Vorwarnung aufzugeben und ein bislang als tatbestandslos angesehenes Verhalten rückwirkend als Zuwiderhandlung anzusehen und mit einer Geldbuße zu ahnden. Seit 1983 habe die Kommission aber im Gegensatz zu ihrem Ansatz in der Entscheidung Gussglas in Italien die Hilfstätigkeit von Beratungsunternehmen, die nicht Partei der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung gewesen seien, nicht mehr als Zuwiderhandlung angesehen (vgl. insbesondere die Entscheidung Gusseisen- und Gussstahlwalzen von 1983, die Entscheidung Polypropylen von 1986, die Entscheidung LDPE von 1988 und die Entscheidung Karton von 1994). Somit habe die Klägerin bei ihrer Gründung Ende 1993 darauf vertrauen können, dass ihre Hilfstätigkeit für die drei Hersteller organischer Peroxide ebenfalls nicht als Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG angesehen werde. Ihre Tätigkeit sei nämlich nicht über die der anderen Beratungsunternehmen in den Fällen hinausgegangen, die der Entscheidung Gusseisen- und Gussstahlwalzen und der Entscheidung Karton zugrunde gelegen hätten. Folglich habe die Kommission die Klägerin nicht für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verantwortlich machen und gegen sie keine Geldbuße verhängen dürfen

162 Nach Ansicht der Kommission ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

2. Würdigung durch das Gericht

163 Da der Grundsatz der Mitverantwortlichkeit eines Beratungsunternehmens, das sich an einem Kartell beteiligt hat, im Gemeinschaftswettbewerbsrecht anerkannt ist, kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes der Neuorientierung der Entscheidungspraxis der Kommission im vorliegenden Fall nicht entgegenstehen. Diese Neuorientierung der Praxis ist nämlich, wie oben aus den Randnrn. 112 bis 150 hervorgeht, auf eine korrekte Auslegung der Tragweite des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots gestützt. Da die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" in letzter Instanz vom Gemeinschaftsrichter vorzunehmen ist, verfügt die Kommission über keinen Handlungsspielraum, der es ihr erlauben würde, gegebenenfalls von der Verfolgung eines Beratungsunternehmens abzusehen, das die genannten Kriterien für eine Mitverantwortlichkeit erfüllt. Vielmehr hat die Kommission kraft ihres in Art. 85 Abs. 1 EG niedergelegten Auftrags für die Anwendung der in Art. 81 EG niedergelegten Grundsätze zu sorgen und von Amts wegen alle Fälle einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung gegen diese Grundsätze in ihrer Auslegung durch den Gemeinschaftsrichter zu untersuchen. Daher konnte die Entscheidungspraxis der Kommission, die der angefochtenen Entscheidung vorausging, bei den betroffenen Unternehmen, ungeachtet der Entscheidung Gussglas in Italien, keine begründeten Erwartungen wecken, auch wenn diese Praxis als im Widerspruch zur genannten Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG stehend erscheinen konnte.

164 Im Übrigen war, wie oben aus den Randnrn. 147 und 148 hervorgeht, die vorliegende Neuorientierung der Entscheidungspraxis der Kommission für die Klägerin umso vorhersehbarer, als es einen Präzedenzfall gab, nämlich die Entscheidung Gussglas in Italien aus dem Jahr 1980. Auch konnte, wie sich oben aus der Randnr. 163 ergibt, die Entscheidungspraxis der Kommission aus der Zeit nach 1980 vernünftigerweise nicht als endgültige Aufgabe des ursprünglichen, in der Entscheidung Gussglas in Italien verfolgten Ansatzes verstanden werden. Wenn die Kommission im Übrigen in der Entscheidung Polypropylen von 1986 die Gesellschaft Fides Trust nicht als Täter einer Zuwiderhandlung eingestuft hat, hat sie das von dieser Gesellschaft geschaffene und betriebene Informationsaustauschsystem nichtsdestoweniger klar als mit Art. 81 Abs. 1 EG unvereinbar eingestuft (Entscheidung Polypropylen, Erwägungsgrund 106 und Art. 2; vgl. auch Entscheidung Karton, Erwägungsgrund 134). Unter diesen Umständen konnte die Entscheidungspraxis der Kommission nach 1980, in der die beteiligten Beratungsunternehmen lediglich nicht verurteilt und bestraft wurden, ohne dass in rechtlicher Hinsicht die ursprünglich in der Entscheidung Gussglas in Italien verfolgte Konzeption verworfen worden wäre, bei der Klägerin erst recht keine begründete Erwartung dahin gehend wecken, dass die Kommission in der Zukunft davon absieht, Beratungsunternehmen zu verfolgen, wenn sie sich an einem Kartell beteiligen.

165 Folglich ist der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

E - Zum hilfsweise geltend gemachten vierten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot

1. Vorbringen der Parteien

166 Die Klägerin trägt vor, dass die rechtliche Würdigung der Kommission in Bezug auf die Klägerin derart vage und widersprüchlich sei, dass sie gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) verstoße. Die Kommission vermeide es, die Umrisse und Grenzen der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit des Verhaltens eines Beratungsunternehmens wie der Klägerin mit der notwendigen Klarheit zu bestimmen und verweigere ihr damit die in einem Rechtsstaat gebotene Rechtssicherheit.

167 Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa), so wie es in Art. 7 Abs. 1 EMRK verankert und als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt sei, sei eine Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit (Urteil Strafverfahren gegen X, oben in Randnr. 84 angeführt, Randnr. 25). Dieser sei ein fundamentales Prinzip des Gemeinschaftsrechts (Urteile des Gerichtshofs vom 14. Mai 1975, CNTA/Kommission, 74/74, Slg. 1975, 533, Randnr. 44, vom 12. November 1981, Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 10, und vom 22. Februar 1984, Kloppenburg, 70/83, Slg. 1984, 1075, Randnr. 11), das insbesondere verlange, dass Rechtsakte der Gemeinschaft eindeutig und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar seien. An die Bestimmtheit und Eindeutigkeit von Entscheidungen der Kommission nach Art. 81 EG über die Verhängung von Geldbußen, deren Betrag besonders hoch ausfallen könne, seien besonders hohe Anforderungen zu stellen (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 1980, Kommission/Vereinigtes Königreich, 32/79, Slg. 1980, 2403, Randnr. 46), damit die betroffenen Unternehmen ihr Verhalten an hinreichend klaren und konkreten Kriterien für die Rechtswidrigkeit einer bestimmten Tätigkeit überprüfen und entsprechend ausrichten könnten.

168 Unter Verstoß gegen diese Anforderungen lege die Kommission in der angefochtenen Entscheidung auf fast fünf Seiten dar, weshalb die Klägerin ihrer Ansicht nach gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen habe (Erwägungsgründe 331 ff. der angefochtenen Entscheidung). Trotzdem werde aus diesen Ausführungen nicht deutlich, welche konkreten Handlungen der Klägerin vom Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst würden und welche nicht (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 339, 343, 344 und 349 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission werfe ihr zu Unrecht vor, Rechtsberatung erteilt zu haben (Erwägungsgrund 339 der angefochtenen Entscheidung). Selbst wenn dies zuträfe, könne Rechtsberatung nicht als Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften angesehen werden. Jedenfalls könne die Kommission nicht behaupten, dass die Rechtsberatung und die Unterstützungshandlungen der Klägerin, so wie sie in der angefochtenen Entscheidung beschrieben würden, in ihrer Summe den Tatbestand einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG erfüllten, während diese Handlungen für sich betrachtet keine Zuwiderhandlungen darstellten. Sonst bliebe unvorhersehbar, an welchem Punkt rechtmäßiges Handeln in rechtswidriges Handeln umschlüge. Ferner habe sich die Kommission in den Erwägungsgründen 332 ff. der angefochtenen Entscheidung vage, unverständlich und widersprüchlich zur angeblichen Beteiligung der Klägerin an dem Kartell geäußert. Dem Argument der Kommission hinsichtlich der fehlenden Eigenständigkeit des vorliegenden Klagegrundes hält die Klägerin entgegen, dass, selbst wenn ihr ein Wettbewerbsverstoß zur Last fallen sollte, aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend klar und eindeutig hervorgehe, welche ihrer konkreten Handlungen den Tatbestand einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt hätten.

169 Da die Frage, weshalb und wodurch die Klägerin gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen habe, nicht eindeutig beantwortet worden sei, sei die angefochtene Entscheidung wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Rechtssicherheit für nichtig zu erklären.

170 Die Kommission meint, dass der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen sei, da damit nur der zweite Klagegrund wiederholt werde.

2. Würdigung durch das Gericht

171 Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes im Wesentlichen dieselben Argumente wie im Rahmen des zweiten und des dritten Klagegrundes vorträgt. Daher genügt eine Bezugnahme auf die oben in den Randnrn. 112 bis 159 angestellten Erwägungen für den Schluss, dass die angefochtene Entscheidung hinreichend Belege für die aktive und vorsätzliche Beteiligung der Klägerin an dem Kartell enthält und damit unabhängig vom tatsächlichen Umfang dieser Beteiligung im Detail die Bejahung ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG erlaubt.

172 Selbst wenn der vorliegende Klagegrund auch dahin zu verstehen sein sollte, dass damit ein Verstoß gegen die Begründungspflicht nach Art. 253 EG geltend gemacht wird, folgt aus diesen Erwägungen auch, dass die angefochtene Entscheidung alle relevanten Elemente enthält, die - entsprechend der gefestigten Rechtsprechung zu diesem Punkt - der Klägerin die Anfechtung ihrer Begründetheit und dem Gericht die Ausübung seiner Kontrolle ermöglichen (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d'Iran/Rat, T-228/02, Slg. 2006, II-4665, Randnr. 138 und die dort zitierte Rechtsprechung).

173 Daher ist auch der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

F - Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot durch Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung

1. Vorbringen der Parteien

174 Die Klägerin macht geltend, mangels einer klaren und präzisen Benennung der ihr vorgeworfenen rechtswidrigen Handlungen verstießen sowohl die rechtliche Würdigung als auch Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot. Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung gehe nämlich nicht genau hervor, mit welchen konkreten Handlungen die Klägerin gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben solle. Folglich könne die Klägerin auch nicht wissen, auf welche Handlungen sich die Verpflichtung nach Art. 3 dieser Entscheidung beziehe. Daraus folge, dass Art. 3 gegen das "Gebot der Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit" von Gemeinschaftsrechtsakten verstoße, das in besonderem Maße gelte, wenn es sich um Vorschriften handele, die finanzielle Konsequenzen haben könnten, denn die Betroffenen müssten in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (Urteile des Gerichtshofs vom 9. Juli 1981, Gondrand und Garancini, 169/80, Slg. 1981, 1931, Randnrn. 17 und 18, vom 15. Dezember 1987, Irland/Kommission, 325/85, Slg. 1987, 5041, Randnr. 18, und Niederlande/Kommission, 326/85, Slg. 1987, 5091, Randnr. 24, vom 22. Februar 1989, Kommission/Frankreich und Vereinigtes Königreich, 92/87 und 93/87, Slg. 1989, 405, Randnr. 22, vom 13. März 1990, Kommission/Frankreich, C-30/89, Slg. 1990, I-691, Randnr. 23, vom 17. Juli 1997, National Farmers' Union u. a., C-354/95, Slg. 1997, I-4559, Randnr. 57, und vom 16. Oktober 1997, Banque Indosuez u. a., C-177/96, Slg. 1997, I-5659, Randnr. 27).

175 Diese Unbestimmtheit der rechtlichen Würdigung und der in Art. 3 der angefochtenen Entscheidung vorgesehenen Verpflichtung werde noch dadurch gesteigert, dass zum einen der Klägerin in diesem Artikel auch Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen untersagt würden, die einen "ähnlichen" Zweck oder eine "ähnliche" Wirkung hätten, und dass zum anderen ein Verstoß gegen diesen Artikel die Verhängung einer Geldbuße nach sich ziehen könne, die nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 besonders hoch ausfallen könne. Überdies habe die Kommission zugegeben, rechtliches "Neuland" betreten zu haben (Erwägungsgrund 454 der angefochtenen Entscheidung). In einem solchen Fall müssten besonders strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der Unterlassungsverfügung gestellt werden, damit die betroffenen Unternehmen den tatsächlichen Umfang des Verbots nach Art. 81 EG erkennen könnten. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit bedrohe die Geschäftstätigkeit der Beratungsunternehmen wie der Klägerin beispielsweise auf dem Gebiet der Erstellung von Marktstatistiken sowie der Verbändebetreuung.

176 Zu dem Vorbringen der Kommission, der vorliegende Klagegrund sei gegen die Abstellungsverfügung (Art. 3 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung) gerichtet, trägt die Klägerin vor, dass ihre Klage sich nur auf die Unterlassungsverfügung (Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung) beziehe. Durch die erste Verfügung werde sie nämlich nicht beschwert, da die Zuwiderhandlung bereits Ende 1999/Anfang 2000 beendet worden sei (Erwägungsgrund 91 der angefochtenen Entscheidung).

177 Daher sei Art. 3 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er die Klägerin betreffe.

178 Die Kommission meint, dass der vorliegende Klagegrund unbegründet sei und zurückgewiesen werden müsse.

2. Würdigung durch das Gericht

179 Mit dem vorliegenden Klagegrund wird nur der vierte Klagegrund neu formuliert, mit dem ebenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Bestimmtheitsgebot geltend gemacht wird, und er ist deshalb nicht anders zu beurteilen.

180 Da sich der vorliegende Klagegrund auf Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung bezieht, genügt der Hinweis, dass die Kommission befugt ist, auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 den Adressaten einer in Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG ergangenen Entscheidung aufzugeben, die Zuwiderhandlung zu beenden und in Zukunft von Praktiken, die dasselbe oder Ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 39 angeführt, Randnrn. 1252 und 1253).

181 Folglich ist auch der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

182 Demnach ist die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

183 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem dahin gehenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die AC-Treuhand AG trägt die Kosten.

Jaeger

Azizi

Czúcz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 2008.



Ende der Entscheidung

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