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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 7 V 7032/08
Rechtsgebiete: UStG, InsO, FGO


Vorschriften:

UStG § 15a
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

7 V 7032/08

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) -

Umsatzsteuer 2005

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Senat,

am 19. Juni 2008

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ... und

den Richter am Finanzgericht ...

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2005 vom 17. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2007 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer vollständigen Entscheidung in dem Verfahren 7 K 7008/08 oder dessen sonstiger Erledigung mit Wirkung vom Fälligkeitstag in Höhe von 366.905,54 EUR ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter im Verfahren betreffend der G-GmbH, deren Geschäftszweck die Produktion und Lieferung von Flachglas waren.

Auf Grund eines Vertrags vom 4. August 2000 erwarb die G-GmbH das Erbbaurecht an dem Grundstück M. Im Zusammenhang mit diesem Kauf machte die GmbH erfolgreich Vorsteuer in Höhe von 759.115,00 EUR geltend.

Am 1. April 2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G-GmbH eröffnet und der Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt.

Er veräußerte mit Vertrag vom 23. Dezember 2004 das oben genannte Erbbaurecht umsatzsteuerfrei.

Am 10. November 2005 reichte ein Steuerberater für die G-GmbH eine Umsatzsteuervoranmeldung Oktober 2005 unter der Steuernummer der G-GmbH (also nicht unter der parallel dazu bestehenden Steuernummer für das Massekonto des Antragstellers) beim Antragsgegner ein. Darin war eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 15 a Umsatzsteuergesetz - UStG - zu Lasten der G-GmbH in Höhe von 367.065,00 EUR berücksichtigt.

Am 15. September 2006 reichte der Antragsteller seine Umsatzsteuererklärung für das Massekonto ein, die als Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkte. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG war darin nicht berücksichtigt.

Am 21. November 2006 führte der Antragsgegner beim Antragsteller eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 1. November 2005 durch. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass der Antragsteller im Rahmen seines Massekontos eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 15 a UStG in Höhe von 366.905,58 EUR berücksichtigen müsse.

Dem folgend erging am 17. Januar 2007 ein geänderter Umsatzsteuerbescheid 2005 gegenüber dem Antragsteller für das Massekonto, mit dem die Umsatzsteuer auf 411.574,79 EUR festgesetzt wurde, was zu einer Nachzahlung von 366.905,54 EUR führte. Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, die Umsatzsteuer aus der Vorsteuerberichtigung stelle eine Masseverbindlichkeit dar.

Den dagegen am 16. Februar 2007 eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2007 als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Antragsteller am 4. Januar 2007 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 7 K 7008/08 bei dem erkennenden Senat anhängig ist.

Am 25. Januar 2008 lehnte der Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.

Am 30. Januar 2008 hat der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner habe zu Unrecht ihm gegenüber mit dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid die streitige Vorsteuerberichtigung geltend gemacht. Vielmehr handle es sich um eine Insolvenzforderung, die im Sinne des § 38 Insolvenzordnung - InsO - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Es handle sich nicht um die Besteuerung einer vom Insolvenzverwalter neu geschaffenen Schuldrechtsbeziehung. Vielmehr sei die Grundlage für den Anspruch bereits vor der Insolvenzeröffnung gelegt worden.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2005 vom 17. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2007 mit Wirkung vom Fälligkeitstag ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Rechtsprechung des V. Senats des Bundesfinanzhofs - BFH -, wonach die Steuerverbindlichkeiten nach § 15 a UStG zu den Massekosten gehören (BFH, Urteil vom 6. Juni 1991 V R 115/87, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 165, 113, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1991 817; Beschluss vom 29. November 1993 V B 390/93, BFH/NV 1995, 351). Der Verkauf des Erbbaurechts stelle einen neuen zivilrechtlichen Sachverhalt dar, der unter § 15 a UStG als eigenen Steuertatbestand falle.

Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 7 K 7008/08, die Umsatzsteuer- und Rechtsbehelfsakte (je ein Band) zur Steuernummer ... sowie die Umsatzsteuervoranmeldungs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichtsakte (je ein Band) zur Steuernummer ... vorgelegen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Der Antragssteller hat ein Rechtschutzbedürfnis für dieses Verfahren (Finanzgericht - FG - Berlin, Beschluss vom 14. Juli 2003 7 B 7184/03, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2003, 1520).

Der Antrag ist begründet.

Es bestehen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 und 3 Finanzgerichtsordnung - FGO - an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel bestehen danach unter anderem dann, wenn die streitige Rechtsfrage von verschiedenen Senaten des Bundesfinanzhofs unterschiedlich beantwortet wird (vgl. BFH, Beschluss vom 5. Februar 1986 I B 39/85, BFHE 146, 105, BStBl II 1986, 490). So liegen die Verhältnisse im Streitfall.

Es erscheint ernstlich zweifelhaft, ob die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus § 15 a UStG in Höhe von 366.905,54 EUR, die der Sache nach ausgehend von der Auffassung der Beteiligten unzweifelhaft entstanden ist, als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegenüber dem Antragsteller durch Umsatzsteuerfestsetzung geltend gemacht werden durfte.

Zwar dürfte der Antragsgegner Umsatzsteuer, die als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsteht, durch Steuerbescheid gegenüber dem Antragsteller geltend machen (BFH, Urteil vom 15. März 1994 XI R 45/93, BFHE 174, 290 [293], BStBl II 1994, 600; Beschluss vom 8. Juli 1997 VII B 89/97, BFH/NV 1998, 86; FG Berlin, Urteil vom 8. März 2005 7 K 7085/04, EFG 2005, 1326), jedoch ist ernstlich zweifelhaft, ob es sich bei dem streitigen Vorsteuerberichtigungsanspruch um eine Masseverbindlichkeit handelt.

Denn Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind solche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Es ist davon auszugehen, dass der Begriff der "Begründung" mit dem gleichlautenden Begriff in § 38 InsO identisch ist, so dass die Begründung im insolvenzrechtlichen Sinne darüber entscheidet, ob eine Verbindlichkeit zu den Insolvenzverbindlichkeiten im Sinne des § 38 InsO oder zu den Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehört. Ungeachtet der Tatsache, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Unternehmereigenschaft der G-GmbH nicht berührt und der Antragsteller lediglich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht an Stelle der G-GmbH ausübt (BFH, Urteil vom 28. Juni 2000 V R 45/99, BFHE 192, 129, BStBl II 2000, 703), ist der Antragsgegner bei Bestehen einer Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO darauf verwiesen, seine Ansprüche im Wege der Anmeldung zur Tabelle gemäß § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO geltend zu machen. Abgesehen von der Möglichkeit, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Feststellungsbescheid im Sinne des § 251 Abs. 3 Abgabenordnung - AO - zu erlassen, ist ihm insoweit die Geltendmachung durch Steuerbescheide versagt.

Für die Frage, in welchem Zeitpunkt eine Verbindlichkeit im insolvenzrechtlichen Sinne begründet ist, geht der VII. Senat des BFH davon aus, dass eine Rückzahlungsverpflichtung des Steuerpflichtigen, der vor Insolvenzeröffnung einen Steuervorteil erhalten hat, auch dann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, wenn die Rückzahlungsverpflichtung auf einem nach Eröffnung des Verfahrens eintretenden Ereignis beruht. Dabei benennt er in einem obiter dictum ausdrücklich die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15 a UStG (BFH, Urteil vom 17. April 2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2007, 729; gleicher Auffassung Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Auflage 2005, S. 196 f.; Rüsken, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZIP - 2007, 2053 [2055]). In die gleiche Richtung weist, dass Berichtigungsansprüche nach § 16 Grunderwerbsteuergesetz - GrEStG - auf Grund von nach Insolvenzeröffnung ausgesprochenen Rücktritten (BFH, Urteil vom 17. April 2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8; HFR 2007, 729) und Ansprüche aus der so genannten zweiten Vorsteuerkorrektur gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG, die darauf beruhen, dass der Insolvenzverwalter aus der Masse vorsteuerbelastete Insolvenzforderungen teilweise beglichen hat (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. November 2007 7 K 5362/05 B, EFG 2008, 518), als vor Insolvenzeröffnung begründet angesehen werden.

Unter diesen Umständen bleibt abzuwarten, ob sich die vom V. Senat des BFH (Urteil vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817; Beschluss vom 29. November 1993 V B 93/93, BFH/NV 1995, 351) vertretene Auffassung, der Berichtigungsanspruch nach § 15 a UStG gehöre zu den Masseverbindlichkeiten, weiterhin behaupten wird.

Dem Antragsgegner ist einzuräumen, dass auch Argumente für die von ihm vertretene Auffassung streiten. Im vom BFH entschiedene Fall zum Erstattungsanspruch gemäß § 16 GrEStG (Urteil vom 17. April 2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8 HFR 2007, 729) ging der Anspruch nicht auf eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters zurück, und die Äußerung zu § 15a UStG war lediglich ein obiter dictum. Die der Entscheidung des FG Berlin- Brandenburg (Urteil vom 14. November 2007 7 K 5362/05 B, EFG 2008, 518) zu Grunde liegende zweite Vorsteuerkorrektur stellte eher einen Reflex der Verwertungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters dar. In Konstellationen, in denen Abgabenansprüche auf die Nutzung nach Insolvenzeröffnung abstellten, hat der BFH die daraus fließenden Ansprüche der Insolvenzmasse zugewiesen(Beschluss vom 30. April 2007 VII B 252/06, BFHE 217, 212, HFR 2007, 824 zu Erstattungszinsen; Urteil vom 17. April 2007 VII R 34/06, BFHE 217, 14, BStBl II 2008, 215 zur Eigenheimzulage). Dies könnte dafür sprechen, den auf die vorsteuerschädliche Nutzung durch den Antragsteller gestützten Berichtigungsanspruch gemäß § 15a UStG den Masseverbindlichkeiten zuzuweisen. Die Würdigung dieser Gesichtspunkte bleibt jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. BFH, Beschluss vom 13. Juli 2006 V B 70/06, BFHE 214, 467, BStBl II 2007, 415). Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (Gräber/Koch, FGO, 6. Aufl. 2006, § 69 Rz 86 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Das Gericht hat die Beschwerde nicht zugelassen, weil es das Bestehen ernstlicher Zweifel als offenkundig ansieht (§ 128 Abs. 3 FGO).



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