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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Gerichtsbescheid verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: 1 K 53/08
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 12 Abs. 1
UStG § 12 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob die Umsätze des Klägers aus Autorenlesungen dem Regelsteuersatz von 16% nach § 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz - UStG - oder dem ermäßigten Steuersatz von 7% nach § 12 Abs. 2 UStG zu unterwerfen sind.

Der Kläger ist seit vielen Jahren Kinderbuchautor, der von verschiedenen Verlagen Autorenhonorare bezieht. Des Weiteren erhielt der Kläger in den Streitjahren Honorare von Kommunen für Leseveranstaltungen, die der Kläger in Schulen und öffentlichen Bücherhallen vor 7-10 Jahre alten Kindern abhielt.

Der Kläger reichte am 12.07.2007 berichtigte Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre ein und beantragte, seine Umsätze aus der Durchführung von Leseveranstaltungen mit 7% zu versteuern. Diese Umsätze unterlägen dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG, da es sich hierbei um Theateraufführungen vergleichbare Darbietungen ausübender Künstler handele; zu Theateraufführungen zähle nach Abschnitt 166 Abs. 2 Umsatzsteuerrichtlinie -UStR- u.a. auch Kleinkunst . Durch ein bloßes Vorlesen seien die Kinder, das Publikum, nicht zu erreichen, insofern bestehe ein Unterschied zu Lesungen vor Erwachsenen. Bei einem Autorenkollegen, der ähnliche Veranstaltungen wie die des Klägers durchführe, sei im Rahmen eines finanzgerichtlichen Verfahrens vom betreffenden Finanzamt ein Umsatzsteuersatz von 7% anerkannt worden.

Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 19.07.2007 mit der Begründung ab, es handele sich bei den Veranstaltungen des Klägers nicht um Theateraufführungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG.

Den am 10.08.2007 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26.02.2008 zurück. Lesungen eines Schriftstellers würden nach Abschnitt 168 Abs. 8 Satz 2 UStR dem allgemeinen Steuersatz unterliegen. Die europarechtliche Einbettung der Vorschrift sowie deren Ausnahmecharakter geböten eine enge Auslegung des Begriffs "Theater".

Der Kläger verfolgt seinen Änderungsantrag mit der am 19.03.2008 erhobenen Klage weiter. Er ist der Auffassung, die Umsätze aus den Lesungen unterlägen dem ermäßigten Steuersatz entweder gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG oder § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG. Die Autorenlesungen seien Teil, ein Annex, der schriftstellerischen Tätigkeit, wobei es nicht darauf ankomme, ob die Veranstaltungen aufgezeichnet und verbreitet werden. Außerdem sei der Kläger schauspielerisch tätig, was auch die Berichterstattung in der Presse bestätige. Zur Veranschaulichung hat der Kläger eine DVD mit der Aufzeichnung einer Veranstaltung in einer Schule im März 2006 eingereicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 19.07.2007 über die Ablehnung des Antrages vom 12.07.2007 auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2003, 2004 und 2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.02.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide für 2003 bis 2005 dahingehend zu ändern, dass Umsätze des Klägers aus Autorenlesungen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7% unterworfen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an der bereits im Einspruchsverfahren vertretenen Auffassung fest, die Umsätze des Klägers aus den Veranstaltungen seien dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Zweck der Veranstaltungen sei die Lesung. Die Untermalungsmittel des Klägers erreichten nicht die Gestaltungshöhe, um als Theatervorführungen angesehen werden zu können. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität sei hier nicht verletzt, da die Veranstaltungen des Klägers nicht im Wettbewerb zu Theateraufführungen stünden. Die überreichte DVD mit der Aufzeichnung einer beispielhaften Lesung des Klägers brächte keinerlei neue oder anderweitige Erkenntnisse gegenüber den bisherigen Ausführungen des Beklagten. Der Kläger halte sich an den geschriebenen Text. Der Einsatz des Klägers von Stimme, Mimik und Gestik erreiche nicht den Charakter einer Theateraufführung.

Ergänzend wird auf den Vortrag der Beteiligten in ihren Schriftsätzen samt Anlagen sowie im Erörterungstermin vom 18.07.2008 Bezug genommen.

Dem Gericht haben die den Streitfall betreffenden Rechtsbehelfs- und Umsatzsteuerakten (Steuernummer .../.../...) vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Beklagte hat zu Unrecht den Änderungsantrag des Klägers zur Umsatzsteuer 2003 bis 2005 und damit die Umsatzbesteuerung der vom Kläger durchgeführten Leseveranstaltungen mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7% abgelehnt und eine zu hohe Umsatzsteuerbelastung des Klägers fortbestehen lassen. Der Kläger ist dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 101 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Die Umsätze des Klägers aus Leseveranstaltungen in Schulen und öffentlichen Bücherhallen sind dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG zu unterwerfen, weil es sich um Theatervorführungen im Sinne dieser Vorschrift handelt.

Abweichend von dem in den Streitjahren 16% betragenden Regelsteuersatz gemäß § 12 Absatz 1 UStG ermäßigt sich in den in § 12 Absatz 2 UStG aufgeführten Ausnahmefällen der Steuersatz auf 7%. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG gilt der ermäßigte Steuersatz für die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler (so der Gesetzeswortlaut für 2003 und bis zum 15.12.2004) beziehungsweise für die Leistungen der Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre und Museen sowie die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer (Gesetzeswortlaut ab 16.12.2004). Für den gesamten Streitzeitraum sind damit Darbietungen ausübender Künstler, die als Theatervorführungen anzusehen beziehungsweise mit diesen vergleichbar sind, mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz zu besteuern (vergleiche Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 12 Rz 2; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, Rz 30, 34, 34a).

Unter Theatervorführungen im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur Aufführungen von Theaterstücken, Opern und Operetten zu verstehen, sondern auch Darbietungen der Pantomime und Tanzkunst, der Kleinkunst und des Varietés bis zu den Puppenspielen (BFH-Urteil vom 09.10.2003 V R 86/01, BFH/NV 2004, 984, und vom 26.04.1995, XI R 20/94, BFHE 177, 548). Dem entspricht auch die Verwaltungsauffassung in Abschnitt 166 Abs. 2 Satz 2 UStR. Auch in der Literatur wird der Begriff im Allgemeinen weit verstanden, so definieren beispielsweise Alvermann und Fraedrich (Die Umsatzsteuerermäßigung für Theatervorführungen, INF 2003, 145, 146) den Begriff Theater als "eine Inszenierung jeglicher Art, deren Darsteller durch Kommunikationsmittel wie Sprache, Körper oder Musik den Bezug zum Publikum herstellen."

Kleinkunst ist seit dem 19. Jahrhundert ein gebräuchlicher Begriff für Darbietungen von Schauspielern, die im Gegensatz zur "großen Kunst" im Theater die "kleine Kunst" (in Varieté, Singspielhallen u.a.) darbieten. Seit Entstehung der ersten deutschen Kabaretts (1901) ist Kleinkunst die Sammelbezeichnung für alle angebotenen dramatischen, literarischen und musikalischen Formen (Artistik, Bänkelsang, Chansons, Pantomime, Posse, Puppentheater, Rezitation, Singspiel, Sketch, Zauberkunst u.a.) (vgl. statt vieler: Brockhaus, Die Enzyklopädie, 12. Band, 20.Aufl., 1997). Auch in der Satzung zur Vergabe des deutschen Kleinkunstpreises, der seit 1972 alljährlich vergeben wird, wird der Begriff Kleinkunst weit verstanden. So heißt es unter VI. der Satzung:

"Die Ermittlung der Kleinkunst - Preisträger erfolgt aus den Bereichen

a) Kabarett

b) Chanson / Lied / Musik

c) Kleinkunst (als Oberbegriff für alle durch Kabarett und Chanson nicht erfassten Sparten)".

Der Begriff Rezitation stammt aus dem Lateinischen (recitatio "das Vorlesen") und meint den künstlerischen (gesprochenen) Vortrag, z.B. eines Gedichts (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 5, 1983). Ziel ist es, literarische Werke (Lyrik und Prosa) mit Hilfe von Sprache hörbar zu machen; dies kann mittels eines Solisten oder einer Gruppe von Vortragenden geschehen. Dabei sind Interpretationstechniken wie Atemtechnik, Stimmtechnik sowie Sprechtechnik von Bedeutung. Der Vortragende transportiert mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung die Emotionen und Gedanken des Textes zum Zuhörer.

Die Ausdrücke "Aufführung" oder "Vorführung" in der darstellenden Kunst erfordern eine Darbietung vor einem Publikum. Je nach Genre sind diese Aufführungen eine ganze Einheit (z.B. Theaterstück), oder mehrere, unabhängige Sequenzen (Stücke in der klassischen Konzertpraxis, Nummern in der modernen Populärmusik, in der Kleinkunst oder bei Zirkusvorstellungen und ähnlichem).

Zu den Kleinkunstaufführungen in diesem Sinne gehören auch Autorenlesungen wie im Streitfall. Eine Autorenlesung ist ein öffentlicher Vortrag eines Autors aus einem (eigenen) Buch vor Publikum. Der Kläger bringt seinem Publikum - in der Regel Kindern im Alter von 7 bis 10 Jahren - die Inhalte seiner Bücher näher, indem er mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung - am Theaterspiel orientierte Vortragsweisen - die Texte lebendig werden lässt. Er spricht die einzelnen Gestalten in seinen Geschichten mit unterschiedlichen Stimmen und unterstreicht die Gefühle der Personen durch Mimik und Gestik. Die Lesungen erinnern damit an eine inszenierte Lesung bzw. szenisches Lesen, bei der verschiedene Rollen durch Stimmvolumen, Tempo und Stimmfärbung vorgetragen werden. Eine szenische Lesung erfolgt in der Regel ohne Kostüme und in den allermeisten Fällen auch ohne Bühnenbild. Sie geht noch über das zum Begriff der Kleinkunst gehörende Rezitieren hinaus und ist daher erst recht als Kleinkunst und damit auch als Theateraufführung einzustufen. Nicht erforderlich ist, dass die Darbietung des Klägers der Aufführung eines Theaterstückes vergleichbar ist. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die Untermalungsmittel des Klägers ausreichen, um die Gestaltungshöhe zu erreichen, die für eine Einstufung als Theateraufführung im Sinne der Aufführung eines Theaterstückes erforderlich wäre.

Weitere Voraussetzung für die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes ist, dass die Lesung den eigentlichen Zweck der Veranstaltung bildet (BFH-Urteil vom 26.04.1995 XI R 20/94, BFHE 177, 548, BStBl. II 1995, 519). Dies ist unstrittig der Fall.

Nach Auffassung des Gerichtes steht die Beurteilung der Autorenlesung als Theateraufführung im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 7 a UStG nicht im Widerspruch zu Abschnitt 168 Abs. 8 UStR, wonach der aus seinen Werken lesende Schriftsteller eine sonstige Leistung erbringt, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegt. Die Ausführungen an dieser Stelle der UStR betreffen § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG zur Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz ergeben. Um eine solche Nutzung von Rechten aus dem Urheberrechtsgesetz geht es hier jedoch nicht. Mit der Anwendung der hier maßgeblichen Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr.7 a UStG auf Autorenlesungen hat sich der Richtliniengeber jedoch nicht befasst.

Es ist nunmehr Sache des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes auf der Basis der vom Kläger eingereichten Umsatzsteuererklärungen sowie der eingereichten und eventuell noch weiter einzureichenden Unterlagen die Umsatzsteuer für die Streitjahre neu festzusetzen (§ 101 S. 2 FGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs.3 FGO, 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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