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Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 27.01.2004
Aktenzeichen: 13 K 1697/02
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 237
AO § 227
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Zinsbescheides, der gegen den Kläger ergangen ist.

Dem Erlass des Zinsbescheides liegt Folgendes zu Grunde:

Der Kläger beteiligte sich ab dem Jahre 1970 an der I. Hotelgesellschaft mbH & Co Entwicklungs KG (nachfolgend I. KG) als Kommanditist. Nach einer bei der I. KG durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1970 bis 1974 wurden die ursprünglich geltend gemachten hohen Verluste reduziert und der Feststellungsbescheid geändert. Gegen den im Februar 1978 erlassenen Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen durch das Betriebsstättenfinanzamt in Frankfurt am Main legte die Kommanditgesellschaft Einspruch ein. Das Betriebsstättenfinanzamt setzte am 23. Mai 1978 die Vollziehung des Grundlagenbescheides aus.

Das Wohnsitzfinanzamt setzte im Hinblick auf den beim Betriebsstättenfinanzamt eingelegten Rechtsbehelf die Vollziehung der Einkommensteuer 1972 und 1974 mit Bescheid vom 1. August 1978 aus.

Gegen die im August 1990 erlassene Einspruchsentscheidung des Betriebsstättenfinanzamtes wurde Klage erhoben. Auf Grund einer tatsächlichen Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen im Jahre 1995 erließ das Betriebsstättenfinanzamt am 5.September 1996 geänderte Grundlagenbescheide. Die ursprünglich geltend gemachten Verluste wurden zum Großteil wieder anerkannt. Das Wohnsitzfinanzamt änderte daraufhin die Einkommensteuerbescheide 1972-1974 mit Bescheiden vom 21.Februar 1997.

Mit Zinsbescheid vom 19.August 1997 setzte der Beklagte Zinsen hinsichtlich der gewährten Aussetzung der Vollziehung i.H.v. insgesamt 547.008,- DM fest, wobei der Zinslauf am 1.August 1978 begann und am 24. März 1997 endete.

Mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 22. August 1997 beantragte der Kläger Erlass der Zinsen. Der Beklagte beabsichtigte zunächst, die Zinsen in Höhe von 260.628,- DM zu erlassen, da in den Jahren 1972 und 1974 Nachzahlungen zu leisten waren in Höhe von 463.344,- und 29.794,- DM, demgegenüber im Jahre 1973 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 234.866,- DM gegeben war. Denn ein Absehen von der Zinserhebung aus sachlichen Billigkeitsgründen - so das Finanzamt in den Aktenvermerken vom 18. Juni 2001 und 9. Januar 2002 - sei geboten, wenn dem Liquiditäts- und Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ein Liquiditäts- und Zinsvorteil der Finanzbehörde gegenüberstehe, die der Höhe und der Zeitdauer nach vergleichbar seien; dies sei hier gegeben. Wegen Einzelheiten dieser zunächst vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung wird auf die Aktenvermerke (Blatt 35 und 110 des Sonderbandes Erlassantrag) Bezug genommen. Die wegen der Höhe des Erlassbetrages zu beteiligende Oberfinanzdirektion Frankfurt folgte dieser Rechtsauffassung mit Verfügung vom 14. März 2002 (Blatt 123 des Sonderbandes) nicht. Nach Auffassung der OFD Frankfurt sieht das Gesetz keinen Ansatz "fiktiver Erstattungszinsen" vor. Die Nachzahlungsbeträge für die Jahre 1972 und 1974 seien nämlich tatsächlich fällig geworden; diese seien lediglich durch eine (interne) Verrechnung mit dem Guthaben aus dem Jahre 1973 im Wege eines verkürzten Zahlungsweges ausgeglichen worden. Zu einer Unbilligkeit im Rahmen eines Erlassverfahrens führe dies nicht; denn der Gesetzgeber habe dies ausdrücklich so geregelt. Die Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen nach § 233a AO sei erst durch das Steuerreformgesetz 1990 eingeführt worden und habe erstmals für Ansprüche gegolten, die nach dem 31. Dezember 1988 entstanden seien. Da der Gesetzgeber sich des Umstandes bewusst gewesen sei, dass aus verschiedenen Gründen Steuerforderungen verzinst wurden und werden (§§ 234ff AO), er aber gleichwohl die Vollverzinsung erst für nach dem 31. Dezember 1988 entstandene Ansprüche anordnete, laufe die Erhebung von Aussetzungszinsen für bestimmte Veranlagungszeiträume auch dann nicht den gesetzlichen Wertungen zuwider, wenn für die anderen Veranlagungszeiträume mangels gesetzlicher Regelung keine Zinsen auf Erstattungsbeträge zu zahlen seien. Nach der Berechnung der OFD ergibt sich eine Erlassmöglichkeit lediglich auf Grund der Möglichkeit einer Überbrückungsstundung ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Verständigung am 4. Mai 1995 in Höhe von 23.152,- DM (= 11.837,- EUR). Wegen Einzelheiten wird auf das Schreiben der Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 14. März 2002 (Blatt 123 des Sonderbandes) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 4. April 2002 sprach der Beklagte einen Erlass in der von der OFD ermittelten Höhe aus; im Übrigen lehnte er den Antrag ab. Da der Kläger auf Erlass des Gesamtbetrages bestand, wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25. April 2002 den Einspruch als unbegründet zurück und folgte der Rechtsauffassung der OFD.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten, fristgemäß Klage erhoben, mit der er sein Ziel weiterverfolgt.

Im Klageverfahren trägt er, ähnlich wie auch in den Parallelverfahren 13 K 13/00 und 13 K 1529/01, im wesentlichen folgendes vor:

1. Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung vom 1. August 1978 sei nichtig, weil er nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sei. Fraglich sei bereits der Zugang des Bescheides, da der Bekanntgabeadressat, nämlich die (WP-Gesellschaft) vom Kläger nicht bevollmächtigt gewesen sei. Auch sei der Bescheid dieser Gesellschaft nicht zugegangen. Der Beklagte habe den Zugang nicht nachgewiesen. Selbst wenn der Zugang nachgewiesen werden könne, sei dies unbeachtlich; denn der Bescheid hätte unmittelbar an den Kläger selbst gehen müssen. Die Gesellschaft sei nicht Empfangsbevollmächtigte gewesen, sondern habe den Kläger in steuerlichen Angelegenheiten lediglich beraten.

2. Es sei weiterhin zu berücksichtigen, dass lediglich die Grundlagenbescheide, nicht jedoch die Folgebescheide angefochten worden seien. Eine Aussetzung der Folgebescheide auf Antrag gem. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO sei daher gar nicht zulässig gewesen. Die Aussetzung hätte vielmehr von Amts wegen gem. § 361 Abs. 3 AO erfolgen müssen. Soweit die WP-Gesellschaft mit Schreiben vom 19. Juli 1978 einen Antrag auf AdV gestellt haben sollte - was nicht der Fall war - wäre dieser ohnehin unzulässig. Beantragt sei lediglich eine zinslose Stundung gewesen. Nur insoweit sei die WP-Gesellschaft - wenn überhaupt - vertretungsbefugt gewesen. Dem Kläger selbst sei der Bescheid nicht zugegangen. Hieraus ergebe sich, dass die dem hier streitigen Zinsbescheid zu Grunde liegende Hauptschuld (Einkommensteuer 1972 und 1974) zwischenzeitlich mangels Bekanntgabe des Aussetzungsbescheides verjährt sei. Daraus folge, dass auch der Zinsbescheid wegen § 232 AO aufzuheben sei, da der Zinsanspruch auf Grund der Verjährung der Hauptschuld nicht entstehen konnte.

3. Der Zinsbescheid sei auch wegen eingetretener Verjährung der Festsetzung von Aussetzungszinsen nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO aufzuheben. Denn hinsichtlich des Rechtsstreits der I.-KG sei zwischen den Beteiligten am 4. Mai 1995 eine tatsächliche Verständigung erfolgt; der Rechtsstreit sei ab diesem Zeitpunkt endgültig erfolglos geblieben im Sinne der vorbezeichneten Norm. Die Festsetzungsfrist habe somit mit Ablauf des Kalenderjahres 1995 begonnen und Ende 1996 geendet. Bei Erlass des Bescheides am 19. August 1997 sei somit bereits Verjährung eingetreten gewesen.

Der Kläger begehrt hilfsweise Erlass der Aussetzungszinsen und stützt sein Begehren auf § 237 Abs. 4 i.V.m § 234 Abs. 2 AO.

Hierzu trägt der folgendes vor:

1.Geltend gemacht würden ausschließlich sachliche Billigkeitsgründe. Ein Erlass sei zwingend geboten, wenn der Steuerschuldner den ausgesetzten Steuerbetrag mit Ansprüchen gegen den Gläubiger aufrechnen könne. Ebenso wenn Ansprüche gegen den Gläubiger bestanden hätten, für die keine Erstattungszinsen angefallen seien. Vorliegend sei die Situation einer so genannten Verrechnungsstundung gegeben gewesen. Aus dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1973 habe sich für den Kläger ein Erstattungsanspruch in Höhe von 234.866,- DM ergeben. Hieraus ergebe sich ein zwingender Verzicht auf Aussetzungszinsen in Höhe von 260.701,- DM. Nach Abzug von Prozesszinsen ergebe sich ein Betrag von 169.130,- DM, der noch um den bereits gewährten Erlass von 23.151,- DM zu reduzieren sei. Es verbleibe somit ein Betrag von 145.979,- DM.

2. Die Festsetzung der Aussetzungszinsen verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Vorliegend sei das Betriebsstättenfinanzamt 10 Jahre aus eigenem Verschulden untätig geblieben. Durch diese lange Zeit sei ein solcher Vertrauenstatbestand geschaffen worden, dass sich der Steuerpflichtige nicht mehr mit einer Zinsforderung in dieser Größenordnung ausgesetzt sehen musste. Es sei auch zu berücksichtigen, dass andere Wohnsitzfinanzämter gar keine Nachveranlagungen und Zinsfestsetzungen mehr vornehmen konnten, weil deren Akten vernichtet gewesen seien. Die andere Verfahrensweise des Beklagten verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot.

Es sei überdies unzumutbar, eine Nebenleistung zu verlangen, die höher ist als der eigentliche Steueranspruch. Von Nebenleistung können in diesem Fall nicht mehr gesprochen werden.

Die Zinsfestsetzung verstoße zudem gegen den Gesetzeszweck des § 237 AO. Da der Rechtsbehelf zu 2/3 Erfolg gehabt habe, könne keine Rede davon sein, dass die Fälligkeit der Schuld durch Einlegung eines Rechtsbehelfs zinslos hinausgeschoben werden sollte. Auch der weitere Gesetzeszweck, nämlich Ausgleich des Zinsvorteils, sei vorliegend nicht einschlägig. Eine sofortige Entrichtung des Steuerbetrages bei Fälligkeit hätte zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen geführt, da die Vollverzinsung erst später eingeführt worden sei.

Im Übrigen müsse vorliegend berücksichtigt werden, dass es allein die Finanzverwaltung in der Hand habe, rechtzeitig über ein Rechtsmittel zu entscheiden, um dadurch dann über den Steuerbetrag verfügen zu können.

Die überlange Verfahrensdauer bedeute auch einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, gegen Art. 19 Abs. 4 GG und gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Wegen Einzelheiten dieses Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 18. Mai 2002, 31. August 2002, 17. März 2003 und 16. Januar 2004 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Zinsbescheid vom 19. August 1997 nichtig ist,

hilfsweise,

den Beklagten zu verpflichten, die mit Bescheid vom 19. August 1997 festgesetzten Zinsen in Höhe von insgesamt 523.856,- DM unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2002 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 25. April 2002 zu erlassen,

hilfsweise,

den Bescheid vom 4. April 2002 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 25. April 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt hält auch im gerichtlichen Verfahren an seiner außergerichtlich dargestellten Rechtsauffassung fest:

Der Zinsbescheid vom 19. August 1997 sei bestandskräftig geworden, da er nicht durch Einspruch angefochten worden sei.

Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung vom 1. August 1978 sei nicht nichtig. Insbesondere sei er ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Schließlich sei auch hinsichtlich des Zinsbescheides keine Festsetzungsverjährung nach § 239 AO eingetreten. Hinsichtlich des beantragten Erlasses vertritt das Finanzamt auch im gerichtlichen Verfahren die Auffassung, dass ein Erlass mangels Vorliegens sachlicher Billigkeitsgründe nicht zu gewähren sei. Wegen Einzelheiten dieses Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 30. Januar 2003 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist nur im zweiten Hilfsantrag begründet. Im übrigen ist sie unbegründet.

1. Der hier streitige Zinsbescheid vom 19. August 1997 ist mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs bestandskräftig geworden. Er ist nicht nichtig.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, der Zinsbescheid sei deshalb nichtig, weil ihm keine wirksame Grundlage in Form eines Aussetzungsbescheides zu Grunde liege, teilt das Gericht diese Auffassung nicht.

Der Aussetzungsbescheid vom 1. August 1978 ist dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden. Zwar war der Bescheid nicht unmittelbar an den Kläger persönlich adressiert; die Bekanntgabe an die WP-Gesellschaft war jedoch ausreichend. Dass der Aussetzungsbescheid abgesandt wurde, ergibt sich aus dem Erledigungsvermerk auf der Rückseite des Bescheides (Bl. 193 Einkommensteuerakten 1972 bis 1974). Entgegen der klägerischen Auffassung sind hier die nicht auszuführenden Verfügungsbestandteile, wie z.B. Mitteilung an Gemeinde/Finanzamt, durchgestrichen; die auszuführenden Teile jedoch nicht. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass der ur-sprünglich durchgestrichene Verfügungspunkt 3.) (Mitteilung an Finanzkasse absenden) wieder handschriftlich dahingehend korrigiert wurde, dass die durchgestrichene "3" wieder handschriftlich ergänzt wurde. Verfügungspunkt 2). (Reinschrift an Steuerpflichtigen oder Bevollmächtigten (ggf. mit Durchschrift) absenden) ist nicht durchgestrichen. Der Erledigungsvermerk bezieht sich somit auch auf diesen Verfügungspunkt.

Dass die Gesellschaft auch Kenntnis von dem Aussetzungsbescheid hatte, ergibt sich im Übrigen auch ausdrücklich durch ein Schreiben der Gesellschaft vom 22. August 1997 an den Beklagten, mit welchem Erlass der Zinsen begehrt wird.

Der Bescheid vom 1. August 1978 konnte auch wirksam an die oben genannte Steuerberatungsgesellschaft übersandt werden. Diese ist als Bevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Finanzamt aufgetreten. Dass dies ohne Wissen des Klägers geschah, ist nicht ersichtlich. Tritt ein Steuerberater gegenüber dem Finanzamt als Bevollmächtigter eines Steuerpflichtigen mit dessen stillschweigender Duldung auf, so muss der Steuerpflichtige die Bekanntgabe von Bescheiden dem Steuerberater gegenüber gegen sich gelten lassen. Auf das Fehlen einer schriftlichen Vollmacht kann sich der Steuerpflichtige nicht berufen, da ihm der durch das Auftreten des Steuerberaters erzeugte Rechtsschein der Bevollmächtigung zuzurechnen ist (BFH-Beschluss vom 26. Juni 1997 XI B 174/96, BFH/NV 1998,17). Soweit der Kläger zwischen "vertreten" und "beraten" unterscheiden will und meint, es habe nur eine Beratung und keine Vertretung stattgefunden, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Zwar verwendet die Gesellschaft in ihren beiden der Aussetzungsverfügung vorausgehenden Schriftsätzen vom 8. Juni und 19. Juli 1978 jeweils den Eingangssatz: "Herr B. wird in seinen steuerlichen Angelegenheiten von uns beraten". Andererseits führen die Schriftsätze aber auch als Betreff "Antrag auf Aussetzung der Vollziehung..." an. Im Text wird sodann die Bitte um zinslose Stundung der Steuer geäußert; am Textende wird wieder um Stattgabe des Antrages gebeten. Hieraus ist ersichtlich, dass die Steuerberatungsgesellschaft für den Kläger gegenüber dem Finanzamt auftrat und vom Finanzamt auch als bevollmächtigt angesehen werden konnte. Soweit es inhaltlich darum geht, was konkret beantragt bzw. begehrt wird, unterscheidet die Bevollmächtigte selbst nicht deutlich zwischen ihren Anliegen: zinslose Stundung oder Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Mit Erhalt des Bescheides vom 1. August 1978 musste ihr jedoch bekannt sein, dass das Finanzamt Aussetzung der Vollziehung gewährte.

Ob die Aussetzung zutreffend auf § 361 Abs. 2 AO (Aussetzung auf Antrag) - wie im Bescheid geschehen - gestützt werden konnte, kann vorliegend dahinstehen, da Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs. 3 AO angesichts der Aussetzung des Grundlagenbescheides auch von Amts wegen hätte erfolgen müssen. Die möglicherweise falsche Angabe des Aussetzungsgrundes führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des Bescheides.

Auf Grund dieser Aussetzungsverfügung konnte der hier angegriffene Zinsbescheid ergehen.

Festsetzungsverjährung gem. § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO ist nicht eingetreten.

Gem. § 239 Abs. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist 1 Jahr und beginnt bei einer Aussetzung der Vollziehung gem. § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein außergerichtlicher Rechtsbehelfs oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist. Entgegen der klägerischen Rechtsauffassung ist die Festsetzungsfrist nicht zum 31. Dezember 1996 abgelaufen. Der Zinsbescheid vom 12. November 1997, später geändert durch Bescheid vom 17. März 1999, erging rechtzeitig. Das Gericht teilt nicht die Ansicht des Klägers, dass bei der endgültigen Erfolglosigkeit i.S. des § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO auf die tatsächliche Verständigung zwischen I. KG und dem Finanzamt am 4. Mai 1995 abgestellt werden muss. Angesichts des beim Hessischen Finanzgericht anhängigen Klageverfahrens hinsichtlich des Grundlagenbescheides ist vielmehr auf die Erledigung des Rechtsmittels abzustellen. In dem damaligen Rechtsstreit wurden Erledigungserklärungen seitens des Finanzamtes am 5. September 1996 und 20. März 1997 seitens der Klägerin abgegeben. Erst mit Eingang der klägerischen Erledigungserklärung war der Rechtsstreit erledigt. Bei Beendigung eines Rechtsstreits durch Hauptsacheerledigung beginnt die Frist für die Festsetzung der Aussetzungszinsen insgesamt erst mit Ablauf des Jahres, in dem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1998 XI R 24/98, BStBl II 1999, 201). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes an. Festsetzungsverjährung war somit nicht eingetreten.

Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Die Klage konnte daher im Hauptantrag keinen Erfolg haben.

2. Soweit der Kläger einen Erlass begehrt, kann die Klage nur im zweiten Hilfsantrag Erfolg haben.

§ 227 AO regelt den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Danach können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Trotz des unbestimmten Rechtsbegriffes "unbillig" wird die Norm insgesamt seit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichte des Bundes vom 19. Oktober 1971 - GmS OGB 3/70 - BStBl II 1972, 603, 606 als Ermessensvorschrift angesehen (vgl. Gräber/von Groll, FGO, 5. Aufl., § 102, Textziffer 10 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltung können gem. § 102 FGO grundsätzlich nur eingeschränkt gerichtlich überprüft werden, nämlich nur hinsichtlich der Frage, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet oder das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde (Gräber/von Groll, a.a.O. Textziffer 2 mit Rechtsprechungsnachweisen).

Ausnahmsweise kann das Gericht jedoch gem. § 101 Satz 1 FGO eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, wenn der Ermessensspielraum derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (BFH-Urteile vom 25. November 1997 IX R 28/96, BStBl II 1998, 550, 552, und vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297, jeweils m.w.N.).

Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zu Grunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen jedoch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen (BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96, BStBl II 1998, 550 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Billigkeitsprüfung muss sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 26. Oktober 1994 BStBl II 1995, 297) nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken. Sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind. In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich Wertungswidersprüche aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekte der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt.

Unter Zugrundelegung dieser allgemeinen Erwägungen hält der Senat vorliegend zwar einen Ermessensfehlgebrauch, jedoch keine so genannte Ermessensreduzierung auf Null für gegeben.

Soweit der Kläger meint, ein Erlass sei deshalb zwingend geboten, weil er als Steuerschuldner mit Ansprüchen der Steuergläubigers aufrechnen konnte, nämlich mit einer Steuererstattungen aus dem Jahre 1973 in Höhe von 234.866,- DM, ist diese Ansicht unzutreffend.

Zwar hat auch der Beklagte zunächst diese Rechtsauffassung vertreten (vgl. Aktenvermerke vom 18. Juni 2001 und 9. Januar 2002, Blatt 35 und 110 des oben angegebenen Sonderbandes) und einen Erlass in Höhe von 260.628,- DM gegenüber der insoweit zu beteiligenden OFD vorgeschlagen, ist jedoch von der OFD Frankfurt mit Verfügung vom 14. März 2002 (Blatt 123 des Sonderbandes) korrigiert worden. Auf die obige Darstellung im Tatbestand wird hingewiesen.

Der erkennende Senat hält die von der OFD Frankfurt geäußerte Rechtsauffassung für zutreffend. Die Einführung der so genannten Vollverzinsung des § 233 a AO mit Steuerreformgesetz 1990 gilt nur für Ansprüche, die nach dem 31. Dezember 1988 entstanden sind. Die Anwendung dieser Norm für vorher entstandene Ansprüche - wie vorliegend - würde der ausdrücklichen gesetzgeberischen Wertung widersprechen und ist daher nicht möglich.

Die vom Kläger vorgebrachten Argumente sind bei deren Gesamtbetrachtung nach Auffassung des Senats jedoch geeignet, eine Rechtswidrigkeit des abgelehnten Erlasses wegen Ermessensfehlgebrauchs anzunehmen.

Auffällig und ungewöhnlich ist zunächst die außergewöhnlich lange Verfahrensdauer des Rechtsbehelfsverfahrens hinsichtlich des "I.-KG-Komplexes" beim Betriebsstättenfinanzamt und Umsetzung des dortigen Ergebnisses beim Wohnsitzfinanzamt. So vergingen allein 12 Jahre zwischen Rechtsbehelfseinlegung gegen den Grundlagenbescheid im Jahre 1978 und Erlass einer Einspruchsentscheidung im Jahre 1990. Ausweislich einer Stellungnahme des Betriebsstättenfinanzamts gegenüber dem Beklagten vom 26. Februar 1998 (Blatt 27ff des Ordners "Dr. x" ) erfolgte dabei allein über einen Zeitraum von 10 Jahren keine Bearbeitung durch des Betriebsstättenfinanzamt aus Gründen, die allein dieses Finanzamt zu vertreten hatte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gebietet es die Rechtsschutzgarantie auch bei überlanger Verfahrensdauer nicht, dem Steuerpflichtigen die Aussetzungszinsen (§ 237 AO) ganz oder teilweise gem. § 227 AO zu erlassen, wenn die Vollziehung der angefochtenen Bescheide ausgesetzt war (BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BStBl II 1991, 498, und BFH-Beschluss vom 13. September 1991 IV B 105/90, BStBl II 1992, 148, jeweils m.w.N.). Bei den dort behandelten Fällen betrug die Verfahrensdauer 10 bzw. 12 Jahre, wobei im Falle BStBl II 1992, 148 offensichtlich die Dauer nicht auf ein Vertretenmüssen der Finanzverwaltung, sondern auf die Länge des finanzgerichtlichen Verfahrens zurückzuführen war.

Vorliegend betrug die Verfahrensdauer demgegenüber 19 Jahre bei 10-jährigem - unstreitigen - Untätigsein der Finanzverwaltung. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid nicht mutwillig eingelegt wurde, da dieser zu 2/3 erfolgreich war. Auf die Frage, aus welchen Gründen und Motiven sich die Beteiligten über die Grundlage der Besteuerung einvernehmlich geeinigt haben, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an. Es ist vielmehr auf das erzielte Ergebnis abzustellen. Einer der Zwecke des § 237 AO, nämlich Verhinderung von Rechtsbehelfen ohne ernsthafte Erfolgsaussichten verbunden mit einer Aussetzung der Vollziehung, ist daher vorliegend nicht vorrangig einschlägig.

Der Senat teilt zwar nicht die zum 1. Hilfsantrag vertretene Rechtsauffassung des Klägers, dass bei dieser Konstellation ein Erlass der Aussetzungszinsen zwingend auszusprechen sei. Jedoch hätte der Beklagte die vom Kläger vorgebrachten Gesichtspunkte im Rahmen der Ermessensausübung stärker gewichten müssen.

Zu Recht verweist der Kläger auf die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Rechtsschutzgarantie. Zwar hat es der Bundesfinanzhof selbst bei überlanger Verfahrensdauer abgelehnt, einen Erlass für geboten anzusehen, da für den Steuerpflichtigen durch Gewährung von Aussetzung der Vollziehung ein Vorteil entstanden sei. Der Zinsvorteil des Steuerschuldners und der Zinsnachteil des Steuergläubigers würden wirtschaftlich ausgeglichen. In Abweichung zu den bisher vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen liegt die vorliegende Verfahrensdauer mit 19 Jahren deutlich über den bisher bekannten Fällen. Weiterhin weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass der Rechtsbehelf zu 2/3 erfolgreich war - somit nicht ohne ernsthafte Erfolgsaussichten - und die Finanzverwaltung die Verzögerung ganz überwiegend zu vertreten hat. Diese besonderen Gesichtspunkten hätte der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensausübung stärker gewichteten müssen mit der Folge, dass zumindest ein Erlass eines Teilbetrages ernsthaft hätte in Erwägung gezogen werden müssen.

Soweit der Kläger noch weitere Gesichtspunkte für die Notwendigkeit eines Erlasses anführt, braucht der Senat hierauf nicht weiter einzugehen, da bereits aus den dargestellten Gründen eine fehlerhafte Ermessensausübung gegeben ist. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt in keinem Falle vor.

Sollte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu dieser Problematik dahingehend zu verstehen sein, dass Aspekte der Verfahrensdauer - völlig unabhängig von deren Dauer und des Vertretenmüssens der Verzögerung- in keinem Falle einen (Teil-) Erlass begründen können, würde der Senat dem so nicht folgen wollen.

Zur Klärung dieser Rechtsfrage hat der Senat die Revision zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Da der Kläger nicht mit seinem Hauptantrag durchgedrungen ist, sondern nur ein Bescheidungsurteil gemäß § 101 Satz 2 FGO ergeht, erscheint es dem Senat angemessen, die Kosten des Verfahrens dem Kläger und dem Finanzamt je zur Hälfte aufzuerlegen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 26. Januar 1988 VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695; Urteil vom 16. September 1992 X R 169/90, BFH/NV 1993, 510, je m.w.N.).

Der Anspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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