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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 08.04.2009
Aktenzeichen: 9 K 298/07
Rechtsgebiete: EStG, AO
Vorschriften:
EStG § 46 Abs. 2 | |
AO § 169 Abs. 2 | |
AO § 170 Abs. 2 |
Tatbestand:
Streitig ist, ob nach rechtskräftiger Ablehnung einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Einkommensteuergesetz (EStG) und Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) zur Antragsveranlagung eine Pflichtveranlagung durchzuführen ist.
Der -ledige- Kläger erzielte im Streitjahr 1998 als Bäcker Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Da er trotz Aufforderung für das Streitjahr zunächst keine Steuererklärung abgab, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen. Das beklagte Finanzamt setzte neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von 50.000,00 DM Lohnersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, von 2.500,00 DM als Besteuerungsgrundlage an. Der Schätzungsbescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).
Am 25. Mai 2001 legte der Kläger eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1998 vor. Aus der Steuererklärung ergab sich, dass der Kläger ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt hatte und Lohnersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, nicht erzielt wurden. Daneben war der Kläger an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt. Der für diese Gesellschaft ergangene Feststellungsbescheid wies einen (anteiligen) Verlust am Ergebnis der GbR für den Kläger aus.
Der Beklagte lehnte die antragsgemäße Veranlagung aufgrund der abgegebenen Steuererklärung ab, weil es sich nach Auffassung des Beklagten um eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG handelte. und die Antragsfrist von zwei Jahren bei Einreichung der Steuererklärung in 2001 bereits abgelaufen war. Der Beklagte hob den Schätzungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO ersatzlos auf. Der gegen die Ablehnung der Antragsveranlagung erhobene Einspruch blieb erfolglos.
Die hiergegen gerichtete Klage (Az. 9 K 438/03) wies der Senat mit Urteil vom 3. Mai 2005 rechtskräftig ab.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 beantragte der Kläger nunmehr, die Einkommensteuerveranlagung für 1998 von Amts wegen durchzuführen. Zur Begründung verwies der Kläger auf das BFH-Urteil vom 29. November 2006, wonach auch bei einem Verlust aus einer gewerblichen Tätigkeit (im Streitfall: 12.712 DM), der über 800 DM hinausgeht, kein Fall der Antragsveranlagung vorliege. Zudem sei die Zwei-Jahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG verfassungswidrig. Gleichwohl hielt der Beklagte an der Auffassung fest, dass ein Fall der Pflichtveranlagung nicht vorliege und lehnte daher den Antrag ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Durchführung einer Pflichtveranlagung. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Das beklagte Finanzamt habe sich rechtswidrig verhalten, indem es die Veranlagung trotz seit 2001 ordnungsgemäß eingereichter Steuererklärungen nicht durchgeführt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH und der zwischenzeitlichen Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (Aufhebung der Zweijahres-Antragsfrist) die Veranlagung nicht hätte abgelehnt werden dürfen. Zudem hätten nach der Rechtsprechung des BFH auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorgelegen. Die Summe der negativen Einkünfte des Klägers übersteige die gesetzliche Grenze von 800,00 DM im Streitjahr 1998.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 11. Juli 2007 und des Veranlagungs-Ablehnungsbescheides vom 20. Februar 2007 den Beklagten zu verpflichten, den Kläger für 1998 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte zunächst auf seinen Einspruchsbescheid vom 11. Juli 2007. Nach Auffassung des Beklagten kommt eine Einkommensteuerveranlagung für 1998 nicht in Betracht, weil zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags vom 15. Januar 2007 die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten war. Die Festsetzungsfrist von vier Jahren habe bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2005 geendet.
Entscheidungsgründe:
1. Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat zu Recht den erneuten Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 1998 abgelehnt.
a. Sieht man in dem Antrag des Klägers vom 15. Januar 2007 einen Antrag auf Änderung des bereits bestandskräftigen Bescheides über die Ablehnung der Antragsveranlagung vom 5. Juni 2001 wegen geänderter Rechtsprechung des BFH zur Verfassungswidrigkeit der Zwei-Jahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bzw. wegen geänderter Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (jeweils in der für das Streitjahr geltenden Fassung), kann die Klage keinen Erfolg haben, da im Zeitpunkt der Antragstellung die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO bereits abgelaufen war und die Rechtsprechungsänderungen auch keinen Tatbestand einer Änderungsvorschrift erfüllen.
aa. Die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist beginnt - im für den Kläger günstigsten Fall - am 31. Dezember 2001 ( § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und endet spätestens am 31. Dezember 2005.
Für den Streitfall kommt es daher nicht darauf an, ob die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch in den Fällen der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu berücksichtigen ist. Selbst wenn man - entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. z.B. OFD Hannover, Verfügung vom 4. März 2009, S 2270-280-StO 216, Ziff. 1 a) - zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch bei der Antragsveranlagung zu beachten ist (so FG Düsseldorf, Urteil vom 24. April 2008 - 12 K 4730/04 E, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 23/08; FG Köln, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 11 K 4917/07, StE 2009, 102, Revision eingelegt, Az. des BFH: VI R 2/09), endet die Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2005.
Bei Eingang des erneuten Antrags auf Durchführung der Veranlagung am 15. Januar 2007 ist damit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung kann die Änderung einer Steuerfestsetzung nicht mehr erfolgen ( § 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
bb. Im Übrigen käme eine Änderung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides auch mangels Vorliegen einer Berichtigungsvorschrift nicht in Betracht. Die §§ 172 ff. AO eröffnen bei Rechtsprechungsänderungen keine Änderungsmöglichkeit. Insbesondere ist der Tatbestand des § 173 AO nicht erfüllt, denn rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsaufassung sind keine Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Pahlke/Koenig, Kommentar zur Abgabenordnung, § 173 Rz. 12 m.w.N.).
cc. Die vom BFH festgestellte Verfassungswidrigkeit der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (BFH-Vorlagebeschlüsse vom 22. Mai 2006 - VI 49/04, Az. des BVerfG 2 BvL 55/06, und VI R 46/05, Az. des BVerfG: 2 BvL 56/06; beide Verfahren wurden durch BFH-Beschlüsse vom 27. März 2008 in der Hauptsache für erledigt erklärt) führt zu keiner nachträglichen Änderung der rechtskräftigen Ablehnung der Antragsveranlagung. Denn ein Bescheid, der aufgrund einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig ( BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 - III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204). In diesem Zusammenhang ist auch auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG hinzuweisen, nach der dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen ist, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts der Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben. Dies gilt auch für bestandskräftige Verwaltungsakte, deren Rechtsgrundlage gegen Verfassungsrecht verstößt (Beschluss des BVerfG vom. 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07, NVwZ 2008, Heft 4 X).
b. Begehrt der Kläger mit seinem Antrag vom 15. Januar 2007 die Durchführung einer Pflichtveranlagung auf Grundlage der seit 2001 vorliegenden Einkommensteuererklärung 1998 quasi im Rahmen eines eigenständigen - neben dem Verfahren der Antragsveranlagung bestehenden - Verwaltungsverfahren, so hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg.
aa. Auch einer erstmaligen Einkommensteuerfestsetzung steht zum Zeitpunkt der Antragstellung die Festsetzungsverjährung entgegen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 Alt. AO). Die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beginnt vorliegend mit Ablauf des Kalenderjahres der Abgabe der Einkommensteuererklärung (31. Dezember 2001; § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) und endet mithin am 31. Dezember 2005.
Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO ist vorliegend nicht einschlägig. Danach läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, soweit über einen vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung nicht unanfechtbar entschieden worden ist. Kein Antrag in diesem Sinne ist jedoch die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung (vgl. Pahlke/Koenig, Kommentar zur Abgabenordnung, § 171 Rz. 27 m.w.N.). Sofern man mit dem Kläger von einer Pflichtveranlagung ausgeht, bestand aber gerade eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1998 mit der Folge, dass die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO - anders als bei einer Antragsveranlagung i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 8 AO - nicht einschlägig ist.
bb. Ungeachtet dessen ist der Senat der Auffassung, dass einer erstmaligen Steuerfestsetzung zur Einkommensteuer 1998 die rechtskräftige Entscheidung des Senats vom 3. Mai 2005 (Az. 9 K 438/03) entgegensteht. Gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
Die vorliegende Streitfrage, ob eine Veranlagung zur Einkommensteuer 1998 aufgrund der vorgelegten Einkommensteuererklärung durchgeführt werden muss, war bereits Streitgegenstand des Verfahrens mit dem Az. 9 K 438/03. An das rechtskräftige Urteil des Senats zu diesem Streitgegenstand sind die Beteiligten gebunden. Allein die nachfolgende Änderung der BFH-Rechtsprechung zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8 EStG ändert hieran nichts.
Dieses Ergebnis entspricht dem Grundsatz der Rechtssicherheit und der Bindungswirkung einer bestandskräftigen Entscheidung. Die Bestandskraftwirkung einer rechtskräftigen Entscheidung steht danach --sofern nicht eine Korrekturvorschrift die Aufhebung oder Änderung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes erlaubt (vgl. § 110 Abs. 2 FGO)-- einer erneuten Entscheidung über den gleichen Sachverhalt entgegen (s. BFH-Beschluss vom 25. November 1997 - VII B 57/97, BFH/NV 1998, 670, 671).
Für das Verbot einer neben einen bestandskräftigen Verwaltungsakt tretenden erneuten Regelung des gleichen Sachverhaltes spricht auch der im Steuerrecht geltende Grundsatz, dass für eine Steuerart über einen bestimmten Besteuerungszeitraum gegenüber einem bestimmten Steuerpflichtigen jeweils nur ein rechtswirksamer Steuerbescheid ergehen darf ( BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 - VII R 29/02, BStBl. II 2005, 3).
c. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen konnte der Senat dahinstehen lassen, ob § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes - JStG - 2008 auch rückwirkend für den streitigen Veranlagungszeitraum 1998 zur Anwendung kommt. Auf den Ausgang des beim BFH anhängigen Revisionsverfahrens mit dem Az. VI R 1/09 (Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 6 K 1801/08), das die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55 j EStG in der Fassung des JStG 2008 zum Gegenstand hat, kommt es daher nicht an.
d. Mit Urteilen vom 21. September 2006 (Az.: VI R 47/05, BStBl II 2007, 47 und VI R 52/04, BStBl II 2007, 45) hat der BFH entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung auch dann erfüllt sind, wenn die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenden Einkünfte negativ ist und der Verlust 410,00 EUR übersteigt. Durch das JStG 2007 wurde § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur Klarstellung dahingehend geändert, dass die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte positiv sein muss. Diese Änderung ist nach § 52 Abs. 55 j EStG in der Fassung des JStG 2007 auch für Veranlagungszeiträume vor 2006, also auch auf den streitigen Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden.
Hier konnte der Senat aufgrund der eingetretenen Festsetzungsverjährung ebenfalls offen lassen, ob diese Anwendungsvorschrift rechtswidrig ist. Daher ist auch das diesbezügliche Revisionsverfahren mit dem Az. VI R 63/06 für den Streitfall ohne Bedeutung.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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