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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.04.2007
Aktenzeichen: 3 K 21/07
Rechtsgebiete: DBA-Schweiz


Vorschriften:

DBA-Schweiz Art. 15a Abs. 1 S. 1
DBA-Schweiz Art. 15a Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

3 K 21/07

Tatbestand:

Die Klägerin wurde für das Jahr 2001 (Streitjahr) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war im Streitjahr ledig und wohnte in X (BRD). Sie erzielte als Heilerziehungspflegerin Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, im Übrigen erzielte sie keine steuerpflichtigen Einkünfte. Sie arbeitete ab dem 01. Oktober 2000 als Erzieherin (mit Fachausbildung) auf einer Wohngruppe (32) Y Internat (CH) der Stiftung Schulheim Y für cerebral Gelähmte (Hinweis auf den Arbeitsvertrag vom 18. Juli 2000, Bl. 151 und 152 der FG-Akten). Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin betrug zunächst 90 v. H. von 42 Stunden (demzufolge 37,8 Stunden), der Ferienanspruch 5 Wochen pro Kalenderjahr. Die genauen Arbeitszeiten und Dienste wurden über den Einsatzplan ihrer Gruppe festgelegt. Die Klägerin war zu allen Diensten einsetzbar und sie verpflichtete sich zu Pikettdiensten und Wochenendeinsätzen im Rahmen ihrer 90%-Anstellung. Sie erhielt als Zulage bei vollem Arbeitstag (in der Regel 7 Stunden) für Wochenenddienste 25 CHF und ebenso für Nachtpikettdienste.

Im Übrigen verpflichtete sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit, jährlich mindestens an einem von ihrer Wohngruppe organisierten Ferienlager teilzunehmen, wobei alle Mitarbeiterinnen "zwingend" am Lagerort schlafen mussten (s. die Bestätigung vom 31. Dezember 2003, Bl. 65 der FG-Akten; Hinweis im übrigen: Freizeitprozesse: Ferien/Lager Personal und Organisation QM 2.6-WE1, Bl. 161 der FG-Akten).

Ab dem 01. Februar 2001 übernahm die Klägerin als Gruppenleiterin mit einem Pensum von 100% die wieder eröffnete Wohngruppe 31 im Y Internat (Vertragsänderung vom 14. Dezember 2000, Bl. 150 der FG-Akten). Die genauen Arbeitszeiten und Dienste legte sie selbst über den Einsatzplan ihrer Gruppe fest. Sie selbst war (weiterhin) zu allen Diensten einsetzbar und sie verpflichtete sich zu Pikettdiensten und Wochenendeinsätzen im Rahmen ihrer (nunmehr) 100% Anstellung.

Nach der Bestätigung ihres Arbeitgebers vom 31. Januar 2003 waren die Kernarbeitszeiten auf den Wohngruppen 06.00 Uhr bis 10.00 Uhr und 15.30 Uhr bis 22.00 Uhr. Von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr waren Pikettdienste zu leisten, wobei der Pikettdienst grundsätzlich nicht zur Arbeitszeit rechnete (Bl. 65 der FG-Akten; Hinweis des Arbeitgebers der Klägerin vom 09. Dezember 2002, Bl. 133 der FG-Akten). Wegen der im Streitjahr maßgeblichen Regelungen zum Pikettdienst: s. Betreuungsprozesse Pikettdienst QM 2.5KO4 (Bl. 159 und 160 der FG-Akten).

Im Übrigen erklärte der Arbeitgeber, Blockarbeitszeiten zu gewährleisten, sei nicht möglich gewesen (vgl. hierzu: Administrationsprozesse Gleitzeitreglement zu: Echte Gleitzeit, Bl. 67 der FG-Akten). Schließlich musste die Klägerin (wie alle anderen Bediensteten) es hinnehmen, dass ihre Dienstzeiten kurzfristig geändert wurden (s. Arbeitszeitbestätigung vom 24. Februar 2007).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Allgemeinen Anstellungsbedingungen (AAB), die Ausführungen zu Betreuungsprozessen (Pikettdienst), Freizeitprozessen (PL/Lager: Personal und Organisation) und Administrations- und Betreuungsprozessen (Gleitzeitreglement und Pikettdienst, Bl. 153 -163 der FG-Akten) Bezug genommen. Die Klägerin arbeitete bei der Stiftung Schulheim Y für cerebral Gelähmte bis zum 28. Februar 2003 (Hinweis auf den Lohnausweis für 2003 bei den Einkommensteuerakten für 2003). Seit dem 01. März 2003 arbeitet die Klägerin im Z-Heim, in/CH (vgl. Einkommensteuerakten für 2002).

Die Klägerin absolvierte im Streitjahr insgesamt 73 Pikettdienste und nahm darüber hinaus an einem Lager vom 18. bis zum 25. November in E-tal (bei O) teil (vgl. Bestätigung der Arbeitgeberin der Klägerin vom 13. August 2002, bzw. die Absenzen-& Gleitzeitkontrollen für sämtliche Monate des Streitjahres , Bl. 11-23 der Einkommensteuerakten). Nach der Bescheinigung des Arbeitgebers vom 27. November 2001 erhielt die Klägerin Zulagen für Pikettdienste von insgesamt 1600 CHF (Bl. 7 der Einkommensteuerakten), demzufolge für 64 Pikettdienste (= 1600 CHF : 25 CHF). Der Berechnung liegen die Monate Dezember 2000 bis November 2001 zugrunde.

Nach den im finanzgerichtlichen Verfahren zusammen mit der Klageschrift vom 05. Dezember 2003 vorgelegten Dienstplänen (Bl. 6 bis 64 der FG-Akten) gestalteten sich die Dienste im Zusammenhang mit den Pikettdiensten wie folgt:

 Normalarbeitszeit am Tag zu Beginn des Pikettdienst:Pikettdienstes:Normalarbeitszeit am Tag am Ende des Pikettdienstes:
 (22.00 -06.00) 
 Januar: 
07.00 -11.00; 16.00 -22.0015. (Mo.)06.00 -14.00
15.00 -12.00; 17.00 -22.0017. (Mi.)07.00 -11.00; 16.00 -21.00
08.00 -22.0021. (So.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
07.00 -10.00; 15.00 -22.0023. (Di.)06.00 -14.00
07.00 -22.0027. (Sa.)07.00 -12.00
07.00 -12.00; 17.00 -22.0031. (Mi.) 
 Februar: 
06.00 -22.0001. (Do.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
09.00 -22.0003. (Sa.)06.00 -11.00; 15.00 -20.00
15.00 -22.0005. (Mo.)06.00 -11.00; 16.00 -21.00
07.00 -10.00; 16.00 -22.0012. (Mo.)06.00 -10.00; 14.00 -20.00
15.00 -22.0014. (Mi.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
07.00 -12.00; 16.00 -22.0016. (Fr.)06.00 -19.00
15.00 -22.0019. (Mo.)06.00 -10.00; 12.00 -14.00
07.00 -14.00; 15.00 -22.0021. (Mi.)06.00 -12.00; 16.00 -19.00
09.00 -12.00; 16.00 -22.0023. (Fr.)06.00 -19.00
14.00 -22.0026. (Mo.)06.00 -12.00; 16.00 -21.00
 März: 
15.00 -22.0002. (Fr.)06.00 -10.00; 15.00 -18.00
14.00 -22.0005. (Mo.)08.00 -12.00; 16.00 -20.00
15.00 -22.0007. (Mi.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
13.00 -22.0009. (Fr.)06.00 -13.00
15.00 -22.0019. (Mo.)09.00 -12.00; 16.00 -21.00
 April: 
14.00 -22.0004. (Mi.)06.00 -12.00; 16.00 -21.00
08.00 -22.0007. (Sa.)06.00 -19.00
10.00 -15.00; 20.00 -22.0012. (Do.)06.00 -19.00
15.00 -22.0023. (Mo.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
07.00 -10.00; 16.00 -22.0025. (Mi.)06.00 -12.00
08.00 -22.0028.(Sa.)06.00 -13.00
08.00 -11.00; 16.00 -22.0030. (Mo.)06.00 -13.00
 Mai: 
16.00 -22.0004. (Fr.)06.00 -13.00
07.00 -10.00; 11.00 -14.00; 15.00 -22.0007. (Mo.)06.00 -14.00; 16.00 -20.00
08.00 -22.0010. (Do.)06.00 -10.00; 15.00 -19.00
07.00 -10.00; 16.00 -22.0018. (Fr.) 
 Juni: 
15.00 -22.0006. (Mi.)06.00 -12.00
15.00 -22.0011. (Mo.)06.00 -12.00
07.00 -11.00; 15.00 -22.0015. (Fr.)06.00 -13.00
09.00 -12.00; 17.00 -22.0020. (Mi.)06.00 -12.00
09.00 -22.0027. (Mi.)06.00 -10.00
 Juli: 
15.00 -22.0005. (Do.)06.00 -12.00
11.00 -22.0009. (Mo.)06.00 -10.00
07.00 -14.00; 15.00 -22.0011. (Mi.)06.00 -12.00
07.00 -12.00; 16.00 -22.0013. (Fr.)06.00 -09.00; 14.00 -18.00
07.00 -22.0018. (Mi.)06.00 -12.00
15.00 -22.0023. (Mo.)06.00 -10.00
14.00 -22.0027. (Fr.)06.00 -13.00
15.00 -22.0030. (Mo.)06.00 -10.00
 August: 
09.00 -22.0001. (Mi.)06.00 -10.00
06.00 -22.0006. (Mo.)06.00 -11.00
15.00 -22.0008. (Mi.)06.00 -10.00
06.00 -10.00;13. (Mo.)06.00 -10.00; 11.00 -14.00
11.00 -14.00; 15.00 -22.00  
15.00 -22.0015. (Mi.)06.00 -13.00
15.00 -22.0020. (Mo.)06.00 -12.00
14.00 -22.0024. (Fr.)06.00 -12.00; 16.00 -22.00
15.00 -22.0027. (Mo.)06.00 -12.00
15.00 -22.0031. (Fr.)06.00 -18.00
 September: 
11.00 -14.00; 18.00 -22.0003. (Mo.)06.00 -12.00
11.00 -14.00; 18.00 -22.0005. (Mi.)06.00 -12.00
 Oktober: 
06.00 -10.00;11.00 -14.00;16.00 -22.0001. (Mo.)06.00 -12.00
07.00 -14.00; 15.00 -22.0003. (Mi.)06.00 -14.00
 November: 
15.00 -22.0002. (Fr.)06.00 -14.00
06.00 -22.0005. (Mo.)06.00 -12.00
15.00 -22.0007. (Mi.)06.00 -22.00
09.00 -12.00; 16.00 -22.0012. (Mo.)06.00 -12.00
16.00 -22.0014. (Mi.)06.00 -12.00
 Dezember: 
06.00 -22.0003. (Mo.)06.00 -12.00
15.00 -22.0005. (Mi.)06.00 -10.00
06.00 -10.00; 11.00 . -22.0010. (Mo.)06.00 -12.00
15.00 -22.0012. (Mi.)06.00 -12.00
10.00 -14.00; 18.00 -22.0014. (Fr.)06.00 -13.00
06.00 -22.0017. (Mo.)06.00 -12.00
10.00 -22.0021. (Fr.)06.00 -20.00
07.00 -12.00; 16.00 -22.0023. (So.)06.00 -16.00
09.00 -13.00; 17.00 -22.0025. (Di.)06.00 -13.00

Die Entfernung vom Wohnort der Klägerin in X zu ihrer Arbeitsstelle in Y betrug im Streitjahr ca. 90 km (s. S. 4 Abs. 2 der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 26. März 2007). Die Klägerin gibt an, dass sie durchschnittlich für eine Fahrtstrecke (mit dem eigenen Pkw) 1 1/2 Stunden benötigt habe. Wegen der Dienste, die sie im Streitjahr zu verrichten hatte, wird auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 26. März 2007 Bezug genommen (Bl. 201 bis 209 der FG-Akten), insbesondere auch wegen der in den Dienstplänen enthaltenen Abkürzungen.

Am 14. März 2002 reichte die Klägerin beim Beklagten (dem Finanzamt -FA -) die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein. Dabei ging sie davon aus (siehe Anlage N, den Lohnausweis für die Steuererklärung und die Bescheinigung ihres Arbeitgebers über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Tagen i.S. des Artikels 15 a Abs. 2 des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland/Schweiz sowie das Verhandlungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 [Bl. 4 bis 6 der Einkommensteuerakten]), dass sie nicht der deutschen Besteuerung als Grenzgängerin unterliege, weil sie im Streitjahr an mehr als 60 Tagen aus beruflichen Gründen nicht an ihren Wohnort zurückgekehrt sei.

Dem folgte das FA im Einkommensteuerbescheid vom 22. August 2002 nicht. Die Klägerin legte form- und fristgerecht Einspruch ein. Mit Schriftsatz vom 09. Dezember 2002 legte sie über ihren damaligen Bevollmächtigten Dienstpläne für das Streitjahr vor (Bl. 24/Klarsichthülle der Rechtsbehelfsakten). Diese Dienstpläne weichen zum Teil von den Angaben in den im Dezember 2003 im Klageverfahren vorgelegten Dienstplänen ab. Auf die Ausführungen in der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 26. März 2007 (FG-Akten Bl. 201 bis 209) wird insoweit Bezug genommen und auf die Arbeitszeitbestätigung der Kollegin der Klägerin, B, vom 24. April 2007.

Mit Rechtsbehelfsentscheidung vom 10. November 2003 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das FA führt aus: Der Bundesfinanzhof -BFH- habe mit Urteil vom 16. Mai 2001 I R 100/00 (BStBl. II 2001, 633) entschieden, dass ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland und Arbeitsort in der Schweiz, der an mehr als 60 Tagen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehre, dennoch als Grenzgänger gemäß Artikel 15 a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA-Schweiz) der deutschen Besteuerung unterliege, wenn die Nichtrückkehr auf die Wahrnehmung eines gelegentlichen Nachtbereitschaftsdienstes zurückzuführen sei. Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit beziehe, seien gemäß Artikel 15 a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig sei. Grenzgänger i.S. des Artikel 15 a Abs. 1 DBA-Schweiz sei gemäß dessen Abs. 2 Satz 1 jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort habe und von dort regelmäßig an ihren Wohnort zurückkehre. Die Grenzgängereigenschaft entfalle gemäß Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz, wenn die betreffende Person an mehr als 60 Tagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnort zurückkehre. Bei der Auslegung dieser Einschränkungen sei das Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BStBl. I 1993, 929 Abschn. II zu Artikel 15 a Abs. 2 DBA-Schweiz) zu beachten. Die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz i.S. von Artikel 15 a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz werde dadurch nicht ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände, wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst über mehrere Tage erstrecke. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 07. Juli 1997 IV C 6 -S 1301 Schz -37/97 (BStBl. I 1997, 723 zu Tz. 12) sei die Regelung auch dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit vorübergehend eingesetzt sei (hier: Nachtpräsenz einer Sozialpädagogin im Feriencamp). Das FA verstehe diese Einschränkung in dem Verhandlungsprotokoll dahin, dass bei einer sich über mehrere Tage erstreckenden Arbeitsausübung eine "regelmäßige" Rückkehr i.S. von Artikel 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz unterstellt und damit eine zwischenzeitliche Rückkehr an den Wohnort fingiert werde; solche Tage der Nichtrückkehr berührten die Grenzgängereigenschaft folglich nicht. So verhalte es sich auch im vorliegenden Fall; die Tätigkeit der Klägerin sei eine "mehrtätige" im Sinne der Protokollvereinbarung. Ausschlaggebend für die in Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz gemachte Einschränkung seien die "betrieblichen Umstände", die die Mehrtätigkeit der Arbeitsausübung auslösten. Solche Umstände lägen insbesondere vor, wenn sie vertraglich ausbedungen und gewissermaßen berufstypisch seien. In dem BFH-Urteil in BStBl. II 2001, 633 werde ausgeführt, dass mit der zitierten Bestimmung des Verhandlungsprotokolls die Vertragsstaaten ersichtlich verhindern wollten, dass Arbeitnehmer allein deshalb aus dem Anwendungsbereich der Grenzgängerregelung herausfallen könnten, weil sich ihre Arbeitszeit über Mitternacht hinaus erstrecke und sie deshalb nicht am Tag ihres Arbeitsbeginns nach Hause zurückkehrten. Eine in diesem Sinne "arbeitsbedingte" Nichtrückkehr solle mithin im Rahmen des Artikels 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz unbeachtlich sein. Andererseits solle die genannte Rechtsfolge nur gelten, wenn die Nichtrückkehr darauf zurückzuführen sei, dass sich -wie es im Protokolltext heißt -"die Arbeitsausübung über den Tag hinaus erstreckt"; vom Verhandlungsprotokoll nicht erfasst würden mithin diejenigen Fälle, in denen die Arbeitszeit vor Mitternacht ende und der Arbeitnehmer aus anderen beruflichen Gründen auf seine Rückkehr an den Wohnsitz verzichte. Das entscheidende Abgrenzungskriterium sei demnach, ob der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus seiner Arbeit nachgehe oder ob er -aus beruflichen Gründen -nach getaner Arbeit außerhalb des Ansässigkeitsstaates verbleibe. Zwar lasse sich nicht von der Hand weisen, dass bei diesem Regelungsverständnis der Anwendungsbereich von Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz in weitem Bereich eingeschränkt werde. Anwendungsfälle für "betriebliche Umstände", durch welche eine schädliche Nichtrückkehr i.S. von Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz ausgelöst werde, seien hiernach nur außergewöhnliche Fälle berufsbedingter Nichtrückkehr nach der eigentlichen Arbeitsausübung, im Wesentlichen nur beruflich bedingte Übernachtungen außerhalb des Ansässigkeitsstaates infolge einer Reisetätigkeit oder einer mehrtätigen beruflichen Veranstaltung, bei denen eine Rückkehr an den Wohnort ausgeschlossen oder jedenfalls unzumutbar sei. Die Formulierungen im Verhandlungsprotokoll gebe gleichwohl mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, dass diese Einschränkung von den Abkommensbeteiligten gewollt sei. Weder der Abkommens- noch der Protokolltext erzwängen ein anderes Verständnis. Vielmehr sei zu vermuten, dass ein solches andernfalls besonders hervorgehoben worden wäre, etwa wie dies in Abschnitt II Satz 2 des Protokolls gegebenen Abkommensdefinition hinsichtlich der zu Grunde liegenden "Arbeitstage" geschehen sei. Nach diesen Maßstäben sei die Klägerin als Grenzgängerin zu behandeln, weil sie aufgrund ihrer spezifischen Tätigkeit und Arbeitssituation gezwungen gewesen sei, wiederholt über Nacht an ihrem Arbeitsort zu bleiben. Die Nachtbereitschaft gehöre also faktisch zu den beruflichen Tätigkeitsbereichen und damit zur "Arbeitsausübung", um außergewöhnliche Fälle berufsbedingter Nichtrückkehr handele es sich sonach nicht.

Mit ihrer form- und fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Wegen ihres Vorbringens wird auf die Klageschrift vom 05. Dezember 2003 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid vom 28. August 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. November 2003 (ersatzlos) aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist im wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Im Übrigen verweist es wegen des BFH-Urteils vom 15. September 2004 I R 67/03, BFH/NV 2005, 267 auf den Entwurf eines BMF-Schreibens betreffend die Anwendung dieses Urteils (Bl. 174 bis 178 der FG-Akten). Für die Jahre 2002 und 2003 ist das FA bei einem im wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalt davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht als Grenzgängerin der deutschen Besteuerung unterliege, weil sie an mehr als 60 Tagen nicht an ihren Wohnort in Deutschland zurückgekehrt sei.

Dem Senat lagen folgende Akten vor:

2 Bde. Einkommensteuerakten Bd. I ab 2000 und Sonderakte 2001 StNr. 11062/45868

1 Bd. Rechtsbehelfsakten StNr. 11062/45868.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Zu Unrecht hat das FA den Arbeitslohn der Klägerin aus ihrer Tätigkeit als Heilerziehungspflegerin im Y Internat der Stiftung Schulheim Y für cerebral Gelähmte der deutschen Besteuerung unterworfen. An der hierfür erforderlichen Voraussetzung, der Grenzgängereigenschaft der Klägerin nach dem DBA-Schweiz, fehlt es.

1.

a) Nach Artikel 15 a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem der Grenzgänger ansässig ist. Grenzgänger im Sinne dieser Vorschrift ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Artikel 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz). "Regelmäßig" bedeutet lediglich, dass der Arbeitnehmer "jeweils nach Arbeitsende" vom Arbeitsort an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Kommentar, Artikel 15 a Rn. 33; Hild, Der Betrieb -DB-1995, 171, zu III. 2.). Demzufolge gehört seit dem Inkrafttreten des Artikel 15 a DBA-Schweiz (zum 1. Januar 1994 -Hinweis auf Artikel VII Absatz 2 des Protokolls vom 21. Dezember 1992 und das Gesetz zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992, BGBl. II 1993, 1086) zum Begriff des Grenzgängers lediglich die "regelmäßige" Rückkehr (Kempermann, Finanz-Rundschau -FR-1994, 564). Es ist nicht mehr erforderlich, dass der Arbeitnehmer regelmäßig arbeitstäglich die Grenze in beide Richtungen überquert (vgl. hierzu: BFH-Urteile vom 21. August 1996 I R 80/95, BStBl II 1997, 134;vom 16. März 1994 I B 186/93, BStBl II 1994, 696 im Anschluss an das Verhandlungsprotokoll vom 18. Juni 1971, BStBl I 1975, 504 zu Artikel 15 Absatz 4 DBA-Schweiz a.F.; Züger in: Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer[Hrsg.], Arbeitnehmer im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 2003, 177, 191-195).

b) Nach Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz entfällt bei einer in einem Vertragsstaat ansässigen und im anderen Vertragsstaat arbeitenden Person die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Tagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

Zu Artikel 15 a Abs. 2 (Satz 2) DBA-Schweiz heißt es im Verhandlungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BGBl. II 1993, 1889, BStBl I 1993, 829), die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz im Sinne des Artikel 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände, wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst, über mehrere Tage erstreckt (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift: Urteil des FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 28. September 2006 14 K 202/01, EFG 2007, 1055, Revision anhängig, Az. BFH: I R 10/07). Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Artikel 15 a Abs. 2 (Satz 2) DBA-Schweiz (BFH-Urteile vom 20. Oktober 2004 I R 31/04, BFH/NV 2005, 840;vom 15. September 2004 I R 67/03, BFH/NV 2005, 267;vom 16. Mai 2001 I R 100/00, BStBl II 2001, 633).

Diese Protokollvereinbarung soll verhindern, dass derjenige nicht aus der Grenzgängerregelung herausfällt, der am Morgen des Tages 01 seine Arbeitstätigkeit aufnimmt, diese Tätigkeit erst während des Tages 02 beendet und sodann im weiteren Verlauf des Tages 02 seinen Wohnort aufsucht. Der Tag 01 soll daher als "Rückkehrtag" gewertet werden. Dass der Arbeitnehmer an diesem Tag (01) tatsächlich nicht mehr nach Hause zurückgekehrt ist, soll die "Regelmäßigkeit" seiner Rückkehr im Sinne des Art. 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz nicht in Frage stellen.

Die Protokollvereinbarung ist insoweit durch die Neuregelung des Artikel 15 a Abs. 2 DBA-Schweiz obsolet geworden. Denn zum Begriff des Grenzgängers gehört nicht mehr, wie noch vor Inkrafttreten der Neufassung des Artikel 15 a Abs. 2 DBA-Schweiz, dass der Arbeitnehmer sich morgens über die Grenze zu seiner Arbeitsstelle begibt und am gleichen Tag (nach getaner Arbeit) an den Wohnsitz zurückkehrt und demzufolge regelmäßig arbeitstäglich die Grenze in beide Richtungen überqueren muss, um als Grenzgänger beurteilt werden zu können (BFH-Urteil in BStBl II 1997, 134 unter Hinweis auf die Verständigungsvereinbarung vom 18. Juni 1971, BStBl I 1975, 504), sondern es wird nur die regelmäßige Rückkehr "nach Arbeitsende" gefordert (Art. 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz).

Bei einer sachgerechten und den Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes) berücksichtigenden Auslegung des Artikel 15 a Abs. 2 DBA-Schweiz und der Bestimmung zu Artikel II. 1. des Verhandlungsprotokolls vom 18. Dezember 1991 ist nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 840, in BFH/NV 2005, 267) darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner aktiven Tätigkeit tatsächlich in den Ansässigkeitsstaat (an seinen Wohnsitz) zurückgekehrt oder in dem anderen Vertragsstaat geblieben ist. Kehrt der Arbeitnehmer im Anschluss an seine aktive Tätigkeit tatsächlich in den Ansässigkeitsstaat (an seinen Wohnsitz) zurück, steht dies der Annahme einer regelmäßigen (Hinweis auf Artikel 15 a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz) Rückkehr an seinen Wohnsitz nicht entgegen, und zwar unabhängig davon, ob die Ankunft im Ansässigkeitsstaat oder sogar das Ende der gesamten Arbeitstätigkeit zeitlich auf den Folgetag entfällt. Entscheidend ist nämlich nicht die "(arbeits) tägliche" Rückkehr, sondern lediglich, dass der Arbeitnehmer "jeweils nach Arbeitsende" (Art. 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz) in den Wohnsitzstaat zurückkehrt (Gosch, BFH-PR 2005, 81; Kempermann, FR 1994, 564, zu II. 2.). Kehrt der Arbeitnehmer hingegen tatsächlich nicht nach seiner aktiven Tätigkeit in den Ansässigkeitsstaat zurück, kommt es nach Artikel 15 a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz auf die Veranlassung der Nichtrückkehr durch die Arbeitsausübung an. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Rückkehr dem Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war. Ein solcher beruflicher Grund ist auch im Falle einer Rufbereitschaft, zu der der Arbeitnehmer sich verpflichtet hat, anzunehmen (BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 267, in BFH/NV 2005, 840). Eine "regelmäßige" Rückkehr liegt daher dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer an mehr als 60 Tagen infolge einer angeordneten Rufbereitschaft im Anschluss an seine aktive Tätigkeit nicht in den Wohnsitzstaat zurückkehrt.

c) Das Ende der "aktiven" Arbeitszeit wird im Anschluss an die zuvor dargelegten Rechtsgrundsätze auch nicht durch einen sich anschließenden Pikettdienst (vgl. hierzu: Schweizerisches Privatrecht, VII/4, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., herausgegeben von Roland von Büren u.a.; Geiser, Gutachten zum Pikettdienst nach Arbeitsgesetz in den Spitälern, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen) hinausgezögert.

Nach Artikel 15 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz vom 10. Mai 2000 (ArGV 1 Amtliche Sammlung -AS2000, 1581) ist die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit Arbeitszeit, wenn der Pikettdienst im Betrieb geleistet wird. Wird der Pikettdienst außerhalb des Betriebes geleistet, so ist nur die Zeit auf die Arbeitszeit anzurechnen, in der der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird. Allerdings zählt dann auch die Wegzeit zu und von der Arbeit als Arbeitszeit. Damit wird nach dem insoweit maßgeblichen schweizerischen Arbeitsrecht (vgl. Artikel 3 Abs. 2 DBA-Schweiz) zwischen der sogenannten Arbeitsbereitschaft (Pikettdienst im Betrieb) und der Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebes) unterschieden (Hinweis insoweit auch auf Artikel 10 des Bundesratsbeschlusses über den Normalarbeitsvertrag für das Pflegepersonal vom 23. Dezember 1991, AS 1971, 1832).

Der Annahme einer Nichtrückkehr nach der "aktiven" Arbeitszeit steht nicht entgegen, dass nach den zuvor dargelegten schweizerischen Bestimmungen der Pikettdienst am Beschäftigungsort als "Arbeitszeit" zu beurteilen ist. Denn es ist nicht entscheidend, ob die Zeit nach der aktiven Zeit arbeitsrechtlich oder steuerrechtlich als Arbeitszeit zu werten ist oder nicht (BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 267; in BFH/NV 2005, 2005, 840) Maßgeblich ist allein, dass der Arbeitnehmer wegen des Pikettdienstes nicht und demzufolge aus beruflichen Gründen an der Rückkehr nach der aktiven Arbeitszeit gehindert war (KB in: Internationales Steuerrecht, 2005, 67; Kunde, Kommentierte Finanzrechtsprechung, Fach 11, Art. 15 a DBA-Schweiz 1/05, S. 283). In Übereinstimmung mit der Zielsetzung der Grenzgängerregelung fehlt auch in diesem Fall bei entsprechend häufiger Nichtrückkehr die enge Bindung des Arbeitnehmers an den Wohnsitzstaat und damit die Rechtfertigung für die Anwendung der Grenzgängerbestimmung (BFH-Urteil vom 1. März 1963 VI 207/61 U BStBl III 1963, 271; Züger, a.a.O., S.192).

2.

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich Folgendes: Die Klägerin unterfällt nicht der Grenzgängerregelung, weil sie an mehr als 60 Tagen im Anschluss an ihren aktiven Dienst (Hinweis auf die Aufstellung S. 6 und 7 des Tatbestandes zu: Normalarbeitszeit am Tag zu Beginn...:) im Y Internat aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt ist. Sie hat an 73 Tagen im Streitjahr (vgl. Aufstellung zur Absenzen- & Gleitzeitkontrolle, Bl. 12-23/2000 der Einkommensteuerakten; S. 6-7 des Tatbestandes) im Anschluss an ihren aktiven Dienst Pikettdienst am Beschäftigungsort im Y Internat in den Räumen der Wohngruppen 31 und 32 von 22.00 -6.00 Uhr geleistet. Dieser Pikettdienst ist ein beruflicher Grund für ihren Verbleib in der Schweiz. Damit liegt eine durch die Arbeitsausübung bedingte Nichtrückkehr nach ihrer aktiven Arbeitszeit vor, und zwar unabhängig davon, ob die Zeit des Pikettdienstes arbeitsrechtlich oder steuerrechtlich als Arbeitzeit zu werten ist oder nicht.

Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass die Unterscheidung zwischen einem Pikettdienst, der außerhalb des Arbeitsortes zu leisten ist und einem Pikettdienst, der - wie im Fall der Klägerin - am Beschäftigungsort (in Hörnähe der zu Betreuenden - Ziffer 2, Betreuungsprozesse/Pikettdienst, Bl. 159 der FG-Akten) zu leisten ist, im Hinblick auf die Annahme einer beruflich bedingten Nichtrückkehr kein zutreffendes Abgrenzungskriterium in dem Sinne ist, dass der Pikettdienst am Arbeitsort auf die aktive Arbeitszeit anzurechnen ist. Zwar hätte nach den maßgeblichen schweizerischen arbeitsrechtlichen Bestimmungen der am Beschäftigungsort verbrachte Pikettdienst als Arbeitzeit gerechnet werden und demzufolge eine entsprechende Entlohnung zur Folge haben müssen. Dies war jedoch gerade nicht der Fall. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass der Pikettdienst, wie er sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, lediglich mit 25 CHF pro Pikettdienst entgolten wurde. Eine Besoldung nach den allgemeinen Bestimmungen ihres Arbeitsvertrages erfolgte nur dann, wenn die Klägerin tatsächlich und zwar mehr als 1 Stunde arbeiten musste (anders: s. Ziffer 7. Betreuungsprozesse/Pikettdienst, Bl. 160 der FG-Akten). Dies kam nach den Aussagen der Klägerin, denen sich der Senat anschließt, so gut wie nie vor. Die Klägerin hatte auf der Station, die sie zu beaufsichtigen hatte, ein Zimmer. Störungen der Nachtruhe traten durch die cerebral Gelähmten regelmäßig nur kurzzeitig ein. Die diesbezüglichen Dienste waren dadurch gekennzeichnet, den cerebral Gelähmten wieder die Nachtruhe zu ermöglichen.

Der Senat hat nach seiner richterlichen Überzeugung aufgrund der gesamten Umstände des vorliegenden Falles (Hinweis auf § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) keinen Zweifel daran, dass die Klägerin an insgesamt 73 Tagen Pikettdienste im Anschluss an ihre jeweilige aktive Arbeitszeit geleistet hat. Dies wird auch vom FA nicht bestritten. Die Angaben in den vorgelegten Dienstlisten sind insoweit übereinstimmend. Unterschiede ergeben sich nur hinsichtlich der aktiven Dienste, die vor dem Pikettdienst von der Klägerin geleistet wurden bzw. die sich an den Pikettdienst angeschlossen haben.

Der Senat folgt insoweit den Angaben in den im Finanzgerichtsverfahren vorgelegten Arbeitszeitlisten (vgl. Bl. 6-63 der FG-Akten). Die Klägerin hat im vorliegenden Zusammenhang zur Überzeugung des Senats vorgetragen, dass dies die letztlich maßgebenden Listen waren. Als Grund dafür, dass die Listen zum Teil einen unterschiedlichen Inhalt haben bezüglich der aktiven Dienste am Tag zu Beginn bzw. am Tag bei Beendigung des Pikettdienstes, gab die Klägerin an, dass infolge der häufig eintretenden erheblichen Belastungen von Bediensteten deren Dienste im Anschluss an eine solche übermäßige Belastung geändert werden mussten. Dies hatte wiederum zur Folge, dass die Arbeitszeitlisten ständig angepasst werden mussten. Dem folgt der Senat ohne Bedenken (Hinweis auf die Arbeitszeitbestätigung vom 24. April 2007). Dies entspricht auch einer Erfahrung, die der Senat in Bezug auf andere Arbeitnehmer gewonnen hat, die im medizinischen/pflegerischen Bereich (z.B. als Ärzte, Krankenschwestern, usw.) tätig geworden sind. Hier kommt es häufiger vor, dass infolge unvorhergesehener Ereignisse (insbesondere infolge erheblicher beruflicher Belastung) kurzfristig die Dienstpläne/Arbeitszeiten geändert werden müssen.

Der im Tatbestand befindlichen Aufstellung zur Normalarbeitszeit an den Tagen, an denen die Pikettdienste der Klägerin begannen, ist zu entnehmen, dass deren Arbeitszeit teilweise bis zu 5 Stunden unterbrochen war (s. z.B. 17.1., 23.1., 12.4., 18.5., 20.6., 2.11. 14.12.). Der Senat geht insoweit davon aus, dass sie auch in diesem Zusammenhang aus beruflichen Gründen nicht von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnort zurückgekehrt ist. Die Klägerin erklärte zur Überzeugung des Senats, dass sie die Unterbrechungen zum Teil (auch) für berufliche Zwecke genutzt hat (z.B. für Einkäufe, für Näh- und Putzarbeiten u.Ä.). Im Übrigen war es der Klägerin nicht zumutbar im Hinblick auf die Entfernung von rd. 90 km zwischen ihrem Arbeitsort in der Schweiz und ihrem Wohnsitz in Deutschland selbst bei einer 5stündigen Arbeitsunterbrechung zurückzukehren. Unwidersprochen hat die Klägerin insoweit vorgetragen, dass sie für jede Fahrt rd. 1 bis 1,5 Stunden Zeit benötigte. Bei einer Fahrzeit von insgesamt 2 bis 3 Stunden ist auch bei einer Arbeitsunterbrechung von 5 Stunden eine Rückkehr nicht zumutbar (vgl insoweit: Verständigungsvereinbarung vom 7. Mai 1998, Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, B 15 a.2 zu Nr.6; BMF-Schreiben vom 19. September 1994 IV C 6 -S 1301 Schz- 60/94, BStBI I 1994, 683, zu Tz. 13).

d) Da der Klage schon nach den zuvor dargelegten Erwägungen stattzugeben war, bedurfte es keiner Entscheidung zu der Frage, wie der der Lageraufenthalt im Streitjahr in E -tal im Hinblick auf die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr zu beurteilen ist.

3.

Die Revision war zuzulassen. Der Frage, welche Auswirkungen der von der Klägerin geleistete Pikettdienst auf die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr im Sinne des Art. 15 a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz hat, kommt grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO; Hinweis im übrigen auf den Entwurf eines BMF-Schreibens zur Anwendung der BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 840 und in BFH/NV 2005, 267 [Bl. 174 -178 der FG-Akten und das Gutachten von Prof. Dr. jur. Thomas Geiser von der Universität St. Gallen zum Pikettdienst nach Arbeitsgesetz in den Spitälern]).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

5.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären, weil die Klägerin die Hilfe eines Bevollmächtigten zur Beurteilung der Rechtslage und zu ihrer Vertretung für unentbehrlich halten durfte (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1967 VI B 2/67, BStBl II 1968, 181).



Ende der Entscheidung

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