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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.09.2003
Aktenzeichen: 2 K 225/01
Rechtsgebiete: EStG 1997


Vorschriften:

EStG 1997 § 16 Abs. 3
EStG 1997 § 4 Abs. 4
EStG 1997 § 24 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Finanzrechtsstreit

wegen Einkommensteuer 1997-1999

hat der 2. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg - aufgrund der mündlichen Verhandlung - in der Sitzung vom 17. September 2003 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ... Richter am Finanzgericht ... ehrenamtliche Richter ...

für Recht erkannt:

Tatbestand

Streitig ist in den Veranlagungszeiträumen 1997 bis 1999, ob bzw. in welchem Umfang Schuldzinsen steuermindernd berücksichtigt werden können.

Der verheiratete Kläger war bis zum 31. März 1993 als selbständiger Handelsvertreter gewerblich, danach als Handelsvertreter nichtselbständig tätig. In der Zeit seiner selbständigen Tätigkeit hatte der Kläger ein betrieblich bedingtes Darlehen bei der Bank aufgenommen, das dem Erwerb eines weiteren Vertretungsgebietes sowie der Entrichtung von Abfindungszahlungen diente und dessen Schuldstand im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe 130.000 DM betragen hat.

Bei der Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit waren Wirtschaftsgüter mit einem Teilwert von insgesamt 187.852 DM aus dem Betriebs- in das Privatvermögen überführt worden:

 Grund und Boden(Anteil 18,39 % vom Gesamtgrundstück)63.997 DM
Gebäude(Anteil 18.39 % vom Gesamtgrundstück)82.755 DM
Fahrzeuge:Mercedes Benz 300 CE14.700 DM
 Mercedes Benz Geländewagen25.850 DM
 Anhänger500 DM
Faxgerät 50 DM
  187.852 DM

Bei dem Grund und Boden- bzw. Gebäudeanteil handelte es sich um zwei als Büroräume betrieblich genutzte Zimmer, die in vollem Umfange in das im Übrigen vom Kläger und seiner Familie privat genutzte Einfamilienhaus integriert sind, sowie eine Garage, die unmittelbar an das Einfamilienhaus angebaut und mit diesem durch ein gemeinsames Dach verbunden ist.

Nach der Betriebsaufgabe wurden vorgenannte Wirtschaftsgüter vom Kläger im Rahmen seiner nichtselbständigen Tätigkeit genutzt. In den Jahren 1994 und 1995 erfolgte eine Berücksichtigung der hiermit zusammenhängenden Schuldzinsen für das o.g. Darlehen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit.

In den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre erklärte der Kläger u.a. Verluste aus gewerblicher Tätigkeit als Handelsvertreter in Höhe von 11.250 DM in 1997, 9.413 DM in 1998 und 8.100 DM in 1999. Es handelte sich dabei um die Schuldzinsen aus dem vorgenannten Darlehen, die der Kläger als nachträgliche Betriebsausgaben aus seiner zum 31. März 1993 aufgegebenen Handelsvertretung geltend machte.

Das FA ließ die erklärten Verluste nicht zum Abzug zu und vertrat die Auffassung, dass Schuldzinsen nur dann als nachträgliche Betriebsausgaben abzugsfähig seien, wenn die betrieblichen Verbindlichkeiten nicht durch den Veräußerungspreis bzw. die Verwertung von zurückbehaltenen Wirtschaftsgütern hätten abgedeckt werden können. Diese Voraussetzung läge nicht vor. Zwar seien die Schuldzinsen grundsätzlich als Kosten des Arbeitszimmers zu berücksichtigen, da sie hiermit in zumindest mittelbarem Zusammenhang stünden. Aufgrund der Gesetzesänderung im Jahressteuergesetz 1996 hinsichtlich der Aufwendungen für ein Arbeitszimmer nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Einkommensteuergesetz (EStG) könnten diese Kosten in den Streitjahren jedoch nur noch in Höhe von 2.400 DM zum Abzug zugelassen werden. Da die Kosten für das Arbeitszimmer (ohne Schuldzinsen) bereits diese Höchstgrenze überschritten hätten, könnten sich die Schuldzinsen somit steuermindernd nicht mehr auswirken.

Das FA setzte die Einkommensteuerschulden i.H.v. 35.810 DM (1997), 42.114 DM (1998) und 46.274 DM (1999) fest.

Hiergegen wandten sich die Kläger nach vorangegangenem erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren mit ihrer Klage, in deren Verlauf sie im Wesentlichen folgendes vortragen lassen: Es sei nicht einsichtig, dass der Teil eines Einfamilienhauses, der aus steuerlichen Gründen - ohne Finanzierungsbedarf - aktiviert werden und bei Betriebsaufgabe - ohne Liquiditätsvorteile - wieder ins Privatvermögen entnommen werden müsse, zum verwertbaren Aktivvermögen gerechnet werde. Damit würde man dem Steuerpflichtigen zumuten, das ganze Objekt zu veräußern, obwohl das Darlehen in keiner Weise mit der Herstellung des Objektes in Zusammenhang stehe. Dies könne der Gesetzgeber mit der Aktivierungspflicht nicht beabsichtigt haben. Es sei im Übrigen richtig, dass es keine Bestrebungen gegeben habe, das Grundstück, Fahrzeug oder Faxgerät zu veräußern, um mit dem Erlös Betriebsschulden zu bezahlen. Alle Gegenstände würden weiterhin zur Berufsausübung benötigt.

Es sei unerheblich, ob ein Verwertungshindernis bestehe oder nicht, da das streitige Darlehen noch nie in irgendeinem Zusammenhang mit dem Grundstück bzw. mit den Büroräumen gestanden habe. Es stehe jedoch noch immer in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Handelsvertretung. Eine "Umwidmung" habe somit logischerweise niemals stattfinden können.

Die aus dem Darlehen resultierenden streitigen Schuldzinsen seien in dem Umfang als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb abzuziehen, als das Darlehen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Handelsvertretung stehe und der betreffende Grundstücksteil kein verwertbares Aktivvermögen darstelle. Im Übrigen seien die Darlehenszinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen, weil dieser Teil des Darlehens tatsächlich umzuwidmen wäre. Die beweglichen Wirtschaftsgüter (Fahrzeug, Faxgerät, Büromöbel usw.) würden nämlich auch weiterhin bei der unselbständigen Tätigkeit genutzt werden.

Die Kläger stellen den Antrag,

die streitigen Einkommensteuerbescheide zu ändern und die Einkommensteuerschulden für 1997 auf 16.193,63 EUR (= 31.672 DM), für 1998 auf 19.638,72 EUR (= 38.410 DM) und für 1999 auf 21.955.89 EUR (= 42.942 DM) herabzusetzen.

Das FA beantragt,

Klagabweisung.

Eine steuermindernde Berücksichtigung von Schuldzinsen könnte zwar insoweit in Betracht kommen, als sie auf die im Rahmen der nichtselbständigen Tätigkeit eingesetzten Wirtschaftsgüter Fahrzeug, Büroausstattung und Faxgerät entfallen. Im Übrigen seien aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sowohl im Falle der Veräußerung eines Gewerbebetriebes als auch im Falle einer Betriebsaufgabe Schuldzinsen für betrieblich begründete Verbindlichkeiten nur insoweit nachträgliche Betriebsausgaben, als die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten nicht durch den Veräußerungserlös oder durch eine mögliche Verwertung von Aktivvermögen beglichen werden könnten. Nicht tilgbare frühere Betriebsschulden blieben danach noch so lange betrieblich veranlasst, bis ein etwaiges Verwertungshindernis entfallen sei.

Im Streitfall könne offen bleiben, ob bei einem teilweise eigenbewohnten Gebäude ein Hindernis für die Verwertung bestehe, da das Darlehen nicht mehr in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der selbständigen Handelsvertretung gestanden, vielmehr durch die Nutzung des ehemaligen Büros und der Garage im Rahmen der nichtselbständigen Tätigkeit eine Umwidmung des Darlehens stattgefunden habe. Daher seien die Schuldzinsen grundsätzlich als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zum Abzug zuzulassen. Der ursprüngliche wirtschaftliche Zusammenhang des Kredits zum Betrieb sei von Rechts wegen dadurch gelöst worden, dass die selbständige Handelsvertretung eingestellt worden und der Kläger das Grundstück nicht zwecks Rückführung des Kredits verwertet, sondern zur Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit eingesetzt habe.

In Höhe des anteiligen Grundstückswertes habe der Kredit nunmehr in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der neuen Einkunftsquelle gestanden. Die durch die erstmalige tatsächliche Verwendung der Darlehensmittel eingetretene Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart sei eindeutig beendet worden. Die nichtselbständige Tätigkeit als Handelsvertreter sei ohne ein geeignetes Büro nicht durchführbar gewesen. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit hätten nur deswegen erzielt werden können, weil das Grundstück nicht veräußert worden sei, um das betriebliche Darlehen zurückzuzahlen. Insofern könne nach den objektiven Gegebenheiten das aufgenommene Darlehen in Höhe des anteiligen Grundstückwertes nunmehr als für Zwecke der Einkunftserzielung aus nichtselbständiger Tätigkeit aufgenommen angesehen werden, so dass grundsätzlich ein Werbungskostenabzug der Schuldzinsen als Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit möglich sei. Der weiteren Anerkennung in den Streitjahren bzw. ab 1996 stehe jedoch die Gesetzesänderung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 entgegen, wonach die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei Handelsvertretern der Abzugsbegrenzung von 2.400 DM unterlägen. Alleine auf diese Gesetzesänderung sei zurückzuführen, dass eine Berücksichtigung der Aufwendungen und damit auch der Schuldzinsen über den Betrag von 2.400 DM hinaus nicht mehr in Betracht komme.

Gründe

Die Klage ist begründet. Die streitigen Schuldzinsen sind i.H.v. jeweils 78,12 % als nachträgliche Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb, im Übrigen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit steuermindernd zu berücksichtigen.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung sowohl im Falle der Veräußerung eines Gewerbebetriebs (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG) als auch im Falle einer Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) Schuldzinsen für betrieblich begründete Verbindlichkeiten als nachträgliche Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4, § 24 Nr. 2 EStG) beurteilt, soweit die Verbindlichkeiten nicht durch den Veräußerungserlös oder durch die Verwertung von Aktivvermögen beglichen werden konnten. Solange besteht die betriebliche Veranlassung der nicht erfüllten Verbindlichkeiten fort. Die Möglichkeit der Schuldentilgung ist insbesondere solange nicht gegeben, als einer Verwertung von zurückbehaltenem Aktivvermögen Hindernisse entgegenstehen. Die nicht tilgbaren früheren Betriebsschulden bleiben dann solange noch betrieblich veranlasst, bis das Verwertungshindernis entfallen ist (BFH-Urteil vom 22. Januar 2003 X R 60/99, BFH/NV 2003, 900, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 21. November 1989 IX R 10/84, BFHE 159, 68, BStBl II 1990, 213 unter 1.a).

Entfällt das Verwertungshindernis bzw. ist ein solches nicht vorhanden, ist die Verknüpfung der Bankschuld mit dem früheren Betrieb endgültig beendet. Erst dann stellt sich die Frage, ob bzw. in welchem Umfang die streitigen Schuldzinsen wegen der Nutzung der zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten bei diesen abziehbar sind (vgl. BFH-Urteile vom 22. Januar 2003 X R 60/99, a.a.O., vom 19. August 1998 X R 96/95, BFHE 187, 21, BStBl II 1999, 353 und vom 21. November 1989 IX R 10/84, a.a.O.).

Der erkennende Senat geht davon aus, dass im Streitfall der Verwertung des ins Privatvermögen überführten Aktivvermögens insoweit ein Hindernis entgegenstand, als dieses aus den beiden in die privaten Wohnräume des Klägers und seiner Familie integrierten bzw. von diesen umschlossenen Büroräumen und der unmittelbar an das Einfamilienhaus angebauten und mit dieser durch ein gemeinsames Dach verbundenen Garage besteht. Dies ergibt sich schon daraus, dass diese Wirtschaftsgüter mit dem im Übrigen privat genutzten Einfamilienhaus bautechnisch untrennbar verbunden und auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einer separaten Verwertung nicht zugänglich sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass in einem solchen Fall ein objektives Verwertungshindernis besteht, das zur fortbestehenden betrieblichen Veranlassung der hierauf entfallenden nicht tilgbaren früheren Betriebsschuld führt.

Der BFH hat - soweit ersichtlich - die hier entscheidungserhebliche Streitfrage bisher zwar noch nicht ausdrücklich entschieden. In seinem Urteil vom 21. November 1989 (IX R 10/84, a.a.O.), das nur insoweit durch die neuere BFH-Rechtsprechung überholt ist, als eine Umwidmung zur steuerlichen Anerkennung von Aufwendungen im Rahmen einer anderen Einkunftsart führen kann, hat er jedoch das Finanzgericht aufgefordert, tatsächliche Feststellungen darüber nachzuholen, ob einer Teilung des auch mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Hindernisse entgegengestanden haben. Wenn die Frage eines evtl. Verwertungshindernisses sich bereits in einem solchen Fall stellt, in dem ein Bürogebäude an das Einfamilienhaus lediglich angebaut gewesen ist bzw. eine darüber hinaus in die Verwertungsüberlegungen einzubeziehende Hoffläche und Tankstelle außerhalb des Einfamilienhaus bestanden haben, wird deutlich, dass im Streitfall bei einer untrennbaren Verquickung des früheren Betriebsvermögens mit dem Einfamilienhaus ein Verwertungshindernis bejaht werden muss.

Auch in seiner Entscheidung vom 19. August 1998 (X R 96/95, a.a.O.) hielt es der BFH immerhin für denkbar ("lässt offen"), dass der Veräußerung des betrieblich genutzten Erdgeschosses eines Hauses (Ladengeschäft) ein Verwertungshindernis entgegengestanden haben könnte, obwohl es später in zwei selbständige Wohnungen umgewandelt und daher auch durchaus - nach entsprechender Aufteilung - separat hätte verwertet werden können.

Aus den vorstehend genannten Entscheidungen wird somit deutlich, dass es sich vorliegend auch unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätze um einen geradezu typischen Fall eines Verwertungshindernisses handelt. Die fortbestehende betriebliche Veranlassung der Schuldzinsen ist somit bzgl. eines Anteils von 78.12 % zu bejahen, da dies dem Grund- und Boden- sowie Gebäudeanteil von 146.752 DM an dem gesamten Teilwert der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter i.H.v. 187.852 DM entspricht. Im Übrigen (21,88 v.H.) sind die Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Zur Begründung der insoweit auch vom beklagten FA nicht mehr ernsthaft in Frage gestellten Auffassung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidung des BFH vom 19. August 1998 (X R 96/95, a.a.O.) verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3 FGO, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO erfüllt ist.

Ende der Entscheidung

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