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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 1 K 15/04
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 3 Abs. 9 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

1 K 15/04

Tatbestand:

Der Kläger (Kl) erwarb mit Kaufvertrag vom 17. Dezember 1996 ein Grundstück in C für rund 7,7 Mio. DM. Verkäuferin war die W GmbH (W GmbH), die ein Wohn- und Geschäftshaus auf dem Grundstück errichtete. Neben dem Kaufvertrag schlossen der Kl und die W GmbH einen Mietgarantie- und Mietvermittlungsvertrag, der am 1. Januar 1998 mit einer Laufzeit von 10 Jahren beginnen sollte (Anlage 4 des Kaufvertrages). Die W GmbH garantierte dem Kl darin eine monatliche Garantiemiete von 47.505 DM netto. Für die Garantieübernahme zahlte der Kl an die W GmbH 300.000 DM. Zur Absicherung der Garantieverpflichtung stellte die W GmbH dem Kl eine Bankbürgschaft über 570.000 DM.

Schwierigkeiten bei der Vermietung des Objekts und die dadurch drohende Inanspruchnahme aus der Mietgarantie führten zu der Gefahr der Insolvenz der W GmbH, die bereits die erste Garantiemiete für den Januar 1998 nicht zahlte und weiter in Verzug geriet. Daraufhin schlossen der Kl und die W GmbH am 28. Mai 1998 eine Vereinbarung, in der sie den Mietgarantievertrag im gegenseitigen Einvernehmen rückwirkend zum Jahresende 1997 aufhoben. Hierfür zahlte die W GmbH dem Kl eine Abstandssumme von 800.000 DM. Im Gegenzug erhielt sie die Bankbürgschaft über 570.000 DM zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarung vom 28. Mai 1998 verwiesen (Bl. 129 d. Betriebsprüfungshandakte).

Der Kl unterwarf die Zahlung der 800.000 DM in seiner Umsatzsteuererklärung 1998 nicht der Umsatzsteuer. Nach Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung vertrat das beklagte Finanzamt (FA) die Auffassung, die 800.000 DM seien das Bruttoentgelt für einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz des Kl und erließ am 20. Dezember 2001 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid 1998.

Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kl geltend, die Zahlung der 800.000 DM sei nicht steuerbarer Schadensersatz für die Nichterfüllung der Mietgarantie. Im übrigen sei die Abstandszahlung für die Abgeltung der Mietgarantie umsatzsteuerlich nicht anders zu behandeln als die nicht steuerbare Mietgarantiezahlung selbst. Das FA wies den Einspruch mit Entscheidung vom 17. Dezember 2003 zurück. Der Kl habe mit der einvernehmlichen Vertragsaufhebung auf seinen Erfüllungsanspruch aus dem Mietgarantievertrag verzichtet und damit eine sonstige steuerbare und steuerpflichtige Leistung erbracht, für die die W GmbH 800.000 DM bezahlt habe.

Der Kl hat am 14. Januar 2004 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen, dass die Abstandszahlung echter Schadensersatz sei, weil die W GmbH die Garantieleistung aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht habe erfüllen können und sie hierfür schadensersatzpflichtig geworden sei. Die Qualifizierung als Schadensersatz werde nicht durch die einvernehmliche Einigung über dessen Höhe ausgeschlossen. Aber selbst wenn man in der Aufhebung des Mietgarantievertrages gegen Abstandszahlung eine Verzichtsleistung sehen würde, wäre diese nicht steuerbar. Hätte die W GmbH ihre Garantieverpflichtung erfüllt, wären die Ersatzzahlungen für die gescheiterte Vermietung keine Leistung gegen Entgelt und damit nicht steuerbar gewesen. Nach dem Grundsatz der Vertragseinheit müsse die Rückabwicklung einer nicht steuerbaren Leistung ebenso behandelt werden wie die nicht steuerbare Leistung selbst, auch wenn hierfür eine Abfindung bezahlt werde.

Der Kl beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 20. Dezember 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2003 dahingehend zu ändern, dass die Zahlung der 800.000 DM nicht der Umsatzsteuer unterworfen wird.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die vorliegenden Behördenakten Bezug genommen (je 1 Heft Umsatzsteuer- und Rechtsbehelfsakten sowie 2 Hefte Betriebsprüfungsakten).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kl in seinen Rechten, soweit das FA den von der W GmbH an den Kl gezahlten Betrag von 800.000 DM der Umsatzsteuer unterworfen hat. Die Zahlung der 800.000 DM ist kein Entgelt für eine steuerbare Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG).

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. Der Leistungsempfänger muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems führt (vgl. EuGH-Urteile vom 16. Oktober 1997 C-258/95 - Fillibeck -, Slg. 1997, I-5577; vom 29. Februar 1996 C-215/94 - Jürgen Mohr -, Slg. 1996, I-959; vom 18. Dezember 1997 C-384/95 - Landboden -, Slg. 1997, I-7387).

Die Zuwendung eines verbrauchsfähigen Vorteils kann auch in einem Unterlassen bestehen (§ 3 Abs. 9 Satz 2 UStG), etwa indem ein Unternehmer darauf verzichtet, ein ihm zustehendes Recht auszuüben. Die vom Umsatzsteuerrecht geforderte Konnexität von Leistung und Entgelt ist in den Fällen eines Verzichts aber nur gewahrt, wenn der Leistungsempfänger für seine Zahlung einen Vorteil zur eigenen Verwendung erhält. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Testamentsvollstrecker auf seine Amtsausübung verzichtet, weil die Erben damit die volle Verfügungsmacht über die Nachlassgegenstände erhalten, die sie vorher nicht hatten (vgl. BFH-Urteil vom 6. Mai 2004 V R 40/02, BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854). Als steuerbarer (aber unter die Befreiungsvorschrift für Vermietungsleistungen fallender) Umsatz wird auch die vertragliche Auflösung eines Mietvertrages gegen Abfindung des Mieters beurteilt (EuGH-Urteil vom 15. Dezember 1993 C-63/92 - Lubbock Fine -, in Slg. 1993, I-6665). Denn der Vermieter erhält damit vorzeitig den Besitz an der Mietsache zurück, zu deren wirtschaftlichen Nutzung allein der Mieter berechtigt war. Der Mieter verzichtet in diesem Fall nicht nur auf einen schuldrechtlichen Erfüllungsanspruch, sondern auf den Besitz an der Mietsache.

Der durch die Verfügung über eine Rechtsposition zugewendete Vorteil kann auch abstrakter Natur sein. So ist es, wenn ein Unternehmer auf die Ausübung eines Markenrechts oder seiner gewerblichen Tätigkeit verzichtet (vgl. § 3a Abs. 4 Nr. 8 und 9 UStG) und damit dem hierfür zahlenden Leistungsempfänger einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Eine steuerbare Leistung kann zudem darin liegen, dass sich die Parteien eines streitigen Vertragsverhältnisses zur Abwendung weiterer Durchsetzungsversuche oder zur Wahrung der "Diskretion" über einen Verzicht auf die Vertragserfüllung verständigen (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1998 V R 58/97, BFH/NV 1999, 572; vgl. auch BFH-Urteil vom 7. Juli 2005 V R 34/03, BFHE 211, 59). Eine steuerbare Leistung ist aber nicht mehr gegeben, wenn sich die Parteien eines gestörten Vertragsverhältnisses darüber einig sind, dass der Vertrag nicht mehr erfüllt werden kann und Gegenstand des "Anspruchsverzichts" nicht die Einigung über einen Leistungsaustausch ist, sondern die Zahlung lediglich dazu dient, die wirtschaftlichen Verluste einer Partei aus einem gescheiterten Vertragsverhältnis auszugleichen (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1998 V R 58/97, BFH/NV 1999, 572). Dabei sind die von den Beteiligten verwendete Begriffe wie "Schadensersatz" oder "Vertragsaufhebung" ebenso wie die zivilrechtliche Qualifizierung des Lebenssachverhalts nach nationalem Recht für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung nicht entscheidend. Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist allein nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 1997 V R 94/96, BFHE 183, 288, BStBl II 1997, 707).

2. Im Streitfall hat der Kl mit dem "Verzicht" auf seine Rechte aus dem Mietgarantievertrag keine steuerbare sonstige Leistung erbracht. Die Voraussetzungen einer Leistung gegen Entgelt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG sind nicht erfüllt. Das gilt unabhängig davon, ob man die Vertragsaufhebung als eigenständige Leistung betrachtet oder sie im Kontext des ursprünglichen Mietgarantievertrages qualifiziert.

a) Betrachtet man die Aufhebung des Mietgarantievertrages gegen Abfindung als eine neue umsatzsteuerliche Leistungsbeziehung außerhalb des ursprünglichen Vertragsverhältnisses, fehlt es am Merkmal einer steuerbaren Leistung, weil der Kl der W GmbH keinen verbrauchsfähigen Vorteil zugewendet hat.

Das FA geht davon aus, dass der Mietgarantievertrag durch dessen einvernehmliche Aufhebung beendet worden sei und die Vertragsbeteiligten sich über die Höhe des für die Bereitschaft hierfür zu zahlenden Entgelts geeinigt haben. Danach habe der Kl eine aufgrund seiner vorausgehenden wirtschaftlichen Tätigkeit erworbene Rechtsposition und die rechtliche Möglichkeit, darüber zu disponieren, zum Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages gemacht. Die W GmbH habe durch die Leistung des Kl einen Vorteil erlangt, da sie dadurch ohne weitere Streitigkeiten vorzeitig aus dem bis Ende 2007 fest abgeschlossenen Mietgarantievertrag entlassen worden sei.

Diese Betrachtungsweise wird den wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen es zu der Vertragsaufhebung kam, nicht gerecht. Der Kl und das FA gehen übereinstimmend davon aus, dass die Aufhebung des Mietgarantievertrages wirtschaftlich zwingend war, weil die W GmbH zur dauerhaften Erfüllung der Mietgarantie finanziell nicht in der Lage war und ansonsten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hätte. Bei dieser Sachlage war der Mietgarantieanspruch in den Händen des Kl keine wirtschaftlich werthaltige Forderung mehr, über die er frei hätte disponieren können, auch wenn im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung die W GmbH zahlungsfähig gewesen sein sollte. Die Mietgarantie war bereits zu diesem Zeitpunkt praktisch wertlos und hätte nicht durchgesetzt werden können. Mit dem Verzicht auf die Mietgarantie hat der Kl der W GmbH daher keinen umsatzsteuerlichen Nutzen zugewendet. Die einvernehmliche Vertagsaufhebung beseitigte keine Unsicherheit über die Durchsetzungsfähigkeit des Mietgarantieanspruchs, weil beiden Parteien klar war, dass die Mietgarantie nicht durchsetzungsfähig gewesen wäre. Die W GmbH hat sich mit ihrer Zahlung auch nicht die Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten erkauft. Sie wurde damit lediglich aus einem Vertrag entlassen, den sie ohnehin nicht erfüllt hätte, wie bereits die Nichtzahlung auf die erste Mietgarantie für den Januar 1998 zeigt. Von einem aus wirtschaftlichen Gründen unerfüllbaren Vertrag brauchte sich die W GmbH nicht freizukaufen. Der bloße Erlass einer umfangreicheren, später zu zahlenden Geldforderung gegen die sofortige Zahlung einer geringeren Geldforderung ist jedenfalls dann keine Zuwendung eines umsatzsteuerlichen Vorteils, wenn die sofortig Zahlung letztlich nur eine Einigung über die nach Auffassung beider Parteien endgültig gescheiterte Vertragserfüllung ist. War der Vertrag wie im vorliegenden Fall auf eine Geldleistung gerichtet, so stellt der Verzicht auf die Geldleistung ebenso wenig eine umsatzsteuerliche Leistung dar wie die Zahlung von Geld selbst.

Eine umsatzsteuerpflichtige Leistung liegt auch nicht darin, dass der Kl die Bankbürgschaft über 570.000 DM Zug um Zug gegen Zahlung eines Teilbetrags von 570.000 DM der W GmbH zurückgegeben hat. Mit dem "Verzicht" des Kl auf die Mietgarantie wurde die die Bankbürgschaft als Sicherheit für die Mietgarantie gegenstandslos. Die Rückgabe der Bankbürgschaft ist daher nur ein Teil der nicht steuerbaren "Verzichtsleistung" des Kl auf die Mietgarantie.

b) Die Zahlung der 800.000 DM ist auch dann kein Entgelt für eine steuerbare Leistung, wenn man die Abstandssumme nicht als Entgelt für einen "Verzicht", sondern als Entgelt für eine modifizierte Teilerfüllung des Mietgarantievertrages betrachtet.

Der Mietgarantievertrag ist kein idealtypischer gegenseitiger Vertrag, bei dem die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt sind, weil sich ein Unternehmer zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und der Leistungsempfänger hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet (vgl. BFH-Urteil vom 18. Januar 2005 V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394). Die Vermietungsgarantie eines Bauträgers gegenüber dem Bauherrn hat nach Interessenlage und Vertragszweck Versicherungsfunktion im Hinblick auf die Finanzierbarkeit und Rentabilität des Bauobjekts. Der Bauherr sichert sein Vermietungsrisiko ab und erhält für seine Zahlung den versicherungsähnlichen Schutz des Garantiegebers (vgl. § 4 Nr. 8 g UStG). Aufgrund der rein versicherungstechnischen Anknüpfung der Ersatzleistung aus dem Mietgarantievertrag an einen geplanten Vermietungsumsatz ist der Tatbestand der "Leistung gegen Entgelt" nicht erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 X R 16/82, BFHE 153, 150, BStBl II 1988, 640; FG Köln, Urteil vom 2. März 1995 2 K 3459/92, EFG 1995, 638). Die Zahlung des Garantiegebers im Garantiefall ist lediglich Erfüllung des Garantievertrages. Die bloße Befreiung von einer Verbindlichkeit durch Geldzahlung ist aber keine umsatzsteuerliche Leistung.

Wären demnach die Zahlungen aus dem Mietgarantievertrag nicht umsatzsteuerpflichtig gewesen, ist auch dessen Aufhebung gegen Zahlung einer Abfindung nicht steuerbar, wenn man die Vereinbarung vom 28. Mai 1998 als eine Vertragsänderung auslegt, mit der die Mietgarantiezahlungen der Höhe und Fälligkeit nach modifiziert wurden. Die Parteien hätten sich dann lediglich unter dem wirtschaftlichen Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse darauf verständigt, die Mietgarantiezahlungen im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Garantiegebers sofort fällig zu stellen, soweit sie nicht bereits fällig waren.

Wegen der Versicherungsähnlichkeit der Mietgarantie ist die Abstandszahlung auch kein Entgelt für die teilweise umsatzsteuerpflichtig geplante Vermietungsleistung des Kl. Zahlungen eines Dritten sind gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG in die Bemessungsgrundlage nur einzubeziehen, wenn sie für die Leistung gewährt wird. Das ist hier nach Lage der Dinge nicht der Fall, weil die Garantiezahlung die Rentabilität des Mietobjekts sichern sollte (vgl. § 1 des Mietgarantievertrages).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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