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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 05.02.2008
Aktenzeichen: 1 K 226/05
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 34
AO § 69
AO § 191
Erhöhte Anforderung an Kausalitätsnachweis bei erfolgter Insolvenzanfechtung für Haftungsbescheid berücksichtigt
Finanzgericht Baden-Württemberg

1 K 226/05

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Lohn-, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag der Firma A GmbH.

Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der A GmbH. Er reichte die Lohnsteueranmeldungen für die GmbH für den Zeitraum April bis Juni 2003 fristgerecht beim Beklagten ein, zahlte jedoch die angemeldete Steuerschuld nicht sofort. Die Steuerschulden wurden durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten des Beklagten am 19.09.2003 beglichen. Weitere Verbindlichkeiten aus Lohnsteuern und Nebenabgaben bestanden danach nicht mehr.

Wegen anderweitiger Steuerschulden beantragte der Beklagte am 22.10.2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Firma A GmbH (Vollstreckungsakte BD. III, 1). Das Amtsgericht X ordnete daher am 21.11.2003 an, dass zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts Rechtsanwältin C zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt werde (Allgemeine Akte (AA), 1). Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 16.01.2004 eröffnet (AA, 18).

Mit Schreiben vom 3. Februar 2004 hat die Insolvenzverwalterin die oben genannten Zahlungen nach § 131 Abs. 1 InsO angefochten (AA, 37). Der Beklagte erkannte die Insolvenzanfechtung an (AA, 43,49) und erstattete die Zahlungen an die Insolvenzmasse. Buchungstechnisch entstanden dadurch wiederum offene Steuerschulden aus den Lohnsteueranmeldungen April bis Juni 2003 sowie Säumniszuschläge hierzu. Auch die Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag aus den Lohnsteueranmeldungen Januar und Februar 2003 wurden wieder fällig. Für diese wieder begründeten Forderungen nahm der Beklagte den Kläger mit Haftungsbescheid vom 7.04 2005 in Haftung.

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die vorliegende Klage.

Der Kläger trägt vor, dass er mit der Zahlung alles Erforderliche getan habe, um die Steuerschuld zum Erlöschen zu bringen. Nach Zahlung der Verbindlichkeiten habe er keinen Einfluss mehr darauf, ob der Beklagte wegen anderen offenen Steuerschulden einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt und ob im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter Zahlungen wegen Gläubigerbenachteiligung anficht. Auch könne er nicht beeinflussen, ob der Beklagte die Insolvenzanfechtung anerkennt. Erkenne der Beklagte, wie im vorliegenden Fall, die Insolvenzanfechtung an, begründe dies nicht nachträglich das Wiederaufleben der Haftung des Geschäftsführers.

Der Kläger beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 16.06.2005 und den Haftungsbescheid vom 7.04.2005 aufzuheben

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Hinweis auf seine Einspruchsentscheidung trägt er vor, dass die haftungsbegründende Kausalität darin liege, dass bei rechtzeitiger Zahlung durch den Kläger die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen hätten.

Die Firma A sei seit Jahren Vollstreckungsschuldner gewesen. Der Insolvenzantrag sei vom Beklagten gestellt worden, nachdem weitere Vollstreckungsvereinbarungen nicht sachdienlich gewesen seien.

Im Klageverfahren fand bereits ein Erörterungstermin statt. Auf die Niederschrift vom 13.12.2007 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 7.04.2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Gemäß §§ 69, 34 AO kann das Finanzamt den Geschäftsführer einer Gesellschaft wegen rückständiger Lohnsteuer und Säumniszuschläge durch Haftungsbescheid nach § 191 AO in Haftung nehmen, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm auferlegten steuerlichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Die Haftungsvoraussetzungen sind insbesondere dann erfüllt, wenn er nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern aus den Mitteln die er verwaltete, entrichtet werden konnten. Voraussetzung der Haftung des Geschäftsführers einer juristischen Person ist, dass sein Verhalten für den eingetretenen Schaden des Fiskus kausal geworden ist. Zwischen dem Verhalten des Geschäftsführers und dem beim Staat eingetretenen Schaden muss eine einheitliche, durchgängige Kausalkette zu bejahen sein. Dabei ist die Pflichtverletzung ursächlich für den eingetretenen Schaden, wenn sie allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet ist, den eingetretenen Erfolg zu verursachen (Intemann in Pahlke/König AO Kommentar § 69 AO Rn 55). Ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Klägers und dem eingetretenen Schaden ist nicht zu bejahen.

Unstreitig sind die Verbindlichkeiten aus den Lohnsteueranmeldungen ursprünglich vom Kläger, wenn auch verspätet, gezahlt worden. Mit der Überweisung bzw. der Zahlung an den Vollziehungsbeamten des Beklagten erloschen die Forderungen aus dem Steuerschuldverhältnis, §§ 47, 224 AO. Die Zahlung beendet gleichsam die Kausalkette 1, die mit der Anmeldung und Nichtabführung der Lohnsteuern beginnt.

Mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Beklagten wurde eine neue, weitere Kausalkette in Gang gesetzt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet erst die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung nach § 131 InsO durch die Insolvenzverwalterin. Aufgrund der erfolgreichen Insolvenzanfechtung wurden die beglichenen Lohnsteuerschulden auch rückwirkend wieder begründet.

Das Wiederaufleben der Steuerforderungen beruht jedoch auf der, durch den Insolvenzantrag des Beklagten in Gang gesetzten Kausalkette 2.

Beide Kausalketten stehen selbstständig nebeneinander. Eine durchgehende Verkettung des Verhaltens des Klägers mit dem beim Beklagten eingetretenen Schaden liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann dem Schuldner nämlich nicht vorgehalten werden, dass er die Lohnsteuerschulden erst am 19.09.2003 entrichtet und damit erst die Anfechtbarkeit der Zahlung begründet hat. Zwar hat der Kläger seine Zahlungspflicht nicht zum Fälligkeitstag erbracht. Die verspätete Zahlung war jedoch für den weiteren Geschehensablauf nicht ursächlich. Der Kläger musste mit einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur einem Monat nach Zahlung an den Vollziehungsbeamten nicht rechnen. Er konnte weder den weiteren Verfahrensgang beeinflussen noch konnte er auf die Antragstellung durch den Beklagten, auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht, auf die Anfechtung seiner Zahlungen durch die Insolvenzverwalterin und die Anerkenntnis der Anfechtung durch den Beklagten Einfluss nehmen. Dieser Geschehensablauf liegt außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung und kann daher nicht mehr als kausal anerkannt werden.

Der Senat sieht sich durch die Rechtsprechung des BFH, nach der eine hypothetische Anfechtbarkeit der Zahlung durch den Insolvenzverwalter bei Haftungsfragen nicht berücksichtigt werden darf (BFH Urteil vom 05.06.2007, VII R 30/06 BFH/NV 2008, 1), bestätigt. Aus dieser Rechtsprechung folgt zur Überzeugung des Senats die Verpflichtung, bei einer tatsächlich erfolgten Insolvenzanfechtung an die haftungsbegründende Kausalität erhöhte Anforderungen zu stellen. Dem wird der vorliegende Haftungsbescheid nicht gerecht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, § 115 FGO.



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