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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 13.02.2008
Aktenzeichen: 13 K 218/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 122
AO § 162
AO § 164 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

13 K 218/04

Tatbestand:

Zum 02.11.2001 meldete der Kläger bei der Stadt A das Gewerbe eines "Copy Shops" mit der Betriebsstätte in A, ..., an. Die Anschrift des Betriebsinhabers (Kläger) wurde mit B, angegeben.

Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns 2001 für "Copy Shop A" vom 08.01.2003 wurden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 10.000 DM festgestellt. Der Bescheid ist an den Kläger mit der Anschrift in A, ..., adressiert. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es:

"Die Besteuerungsgrundlagen wurden gem. § 162 AO geschätzt, da Sie trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben haben. Über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags erhalten Sie einen gesonderten Bescheid."

Mit Bescheid vom 08.01.2003 wurde wegen Nichtabgabe der Erklärung zur gesonderten Feststellung des Gewinns 2001 ein Verspätungszuschlag von 25 EUR festgesetzt.

Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns 2002 für "Copy Shop A" vom 02.02.2004 wurden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 15.000 EUR festgestellt. Der Bescheid ist an den Kläger mit der Anschrift in B, adressiert. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es:

"Die Besteuerungsgrundlagen wurden gem. § 162 AO geschätzt, da Sie trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben haben.

Über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags erhalten Sie einen gesonderten Bescheid." Mit Bescheid vom 02.02.2004 wurde wegen Nichtabgabe der Erklärung zur gesonderten Feststellung des Gewinns 2002 ein Verspätungszuschlag von 110 EUR festgesetzt.

Am 04.05.2004 reichte der Kläger die Erklärungen zur gesonderten Feststellung des Gewinns für die Jahre 2001 und 2002 beim Finanzamt ein; für 2001 wurde ein Gewinn von 0 DM und für 2002 ein Verlust von 24.136 EUR erklärt. Mit Schreiben vom 11.05.2004 teilte das Finanzamt dem steuerlichen Berater des Klägers mit, die Feststellungsbescheide für 2001 vom 08.01.2003 und für 2002 vom 02.02.2004 seien bestandskräftig. Bei den eingereichten Erklärungen handele es sich um Änderungsanträge. Wegen der Bestandskraft scheide eine Änderung aus. Hiergegen hat der steuerliche Berater mit Schreiben vom 14.05.2004 Einspruch eingelegt und vorgebracht: Die im Schreiben des Finanzamts vom 11.05.2004 angesprochenen Feststellungsbescheide 2001 und 2002 seien beim Kläger nicht angekommen. Eine Zustellung sei somit nicht erfolgt. Damit sei die Einspruchsfrist nicht abgelaufen und die Bescheide seien noch änderbar.

Mit Einspruchsentscheidung vom 21.06.2004 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen; die Einspruchsentscheidung führt u.a. aus: Der Feststellungsbescheid 2001 vom 08.01.2003 sei zusammen mit dem Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags an die Adresse in A, unter der der Kläger seinen Copy Shop betrieben habe, gesandt worden. Dagegen sei der Feststellungsbescheid 2002 vom 02.02.2004 zusammen mit dem Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags an die Adresse in B, unter der der Kläger wohnhaft sei, gesandt worden. Zwar komme es auch unter normalen Postverhältnissen immer wieder vor, dass abgesandte Briefe den Empfänger nicht erreichten. Dass jedoch gleich zwei Briefe, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedliche Anschriften gesandt würden, nicht angekommen seien, sei völlig unwahrscheinlich. Hinzu komme, dass zusammen mit den Feststellungsbescheiden jeweils der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags abgesandt worden sei. Der Zugang dieser Bescheide sei jedoch nicht bestritten worden. Auch sei der Umbuchung eines Umsatzsteuerguthabens auf den Verspätungszuschlag 2001 trotz Zusendung der Umbuchungsmitteilung vom 21.10.2003 nicht widersprochen worden. Die Behauptung des Klägers, die

Entscheidungsgründe:

Feststellungsbescheide seien nicht angekommen, stellten eine reine Schutzbehauptung dar, nur um eine Änderung der Bescheide zu erreichen.

Mit der Klage wird u.a. vorgebracht: Dem Kläger bzw. seinem steuerlichen Berater sei erst durch das Schreiben des Finanzamts vom 11.05.2004 bekannt geworden, dass Schätzungsbescheide für 2001 und 2002 erlassen worden seien. Bis heute sei die Zustellung der Bescheide nicht nachgeholt worden. Zum Zeitpunkt des Feststellungsbescheids 2001 vom 08.01.2003 sei der Copy Shop in A bereits geschlossen gewesen; der Kläger habe einen Nachsendeauftrag erteilt und die Post sei ebenfalls an die B Adresse gegangen. Für die Wohnungen im Haus ... in B sei am 08.01.2003 und auch noch Wochen später nur ein Briefkasten vorhanden gewesen. Der im Haus wohnende ältere Vermieter habe des öfteren die Post des Klägers mit seiner eigenen verwechselt. Somit sei im Fall der Zusendung des ersten Bescheids im Januar 2003 ein Verwechseln möglich und wahrscheinlich. Der Bescheid vom 08.01.2003 sei nicht in den Machtbereich des Klägers gelangt. Erst weit nach der Zustellung des zweiten Bescheids (02.02.2004 und Tage später) sei der Briefkasten entfernt worden (April 2004) und für jede Wohnung ein Briefkasten angebracht worden. Auch hier sei ein Verwechseln der Post durch den Vermieter als möglich zu erachten.

Auch der Bescheid für 2002 vom 02.02.2004 sei nicht in den Machtbereich des Klägers gelangt. Das Finanzamt schließe fälschlich aus dem Umstand, dass gegen die Festsetzung von Verspätungszuschlägen kein Einspruch eingelegt worden sei, dass die Bescheide angekommen seien.

Außerdem seien die Schätzungsbescheide nichtig. Das Finanzamt hätte die Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen müssen. Damit liege ein schwerwiegender Mangel vor. Darüber hinaus seien die Schätzungsbescheide aufgrund ihrer Höhe nichtig. Die Höhe sei bewusst willkürlich zum Nachteil des Klägers geschätzt worden. Da das Gewerbe erst seit dem 02.11.2001 betrieben worden sei, sei ein Gewinn von 10.000 DM für 2001 nicht realistisch. Auch hätten verschiedene Umsatzsteuervoranmeldungen auf einen Verlust schließen lassen.

Der Kläger stellt den Antrag aus der Klageschrift vom 17.07.2004.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bringt u.a. vor: Die Versuche des Klägers, einen atypischen Geschehensablauf bei der Postübermittlung darzustellen (jahrelang ein Briefkasten bei einem Zweifamilienhaus bei mehrmaligen Verwechslungen durch den Vermieter) seien nicht glaubhaft. In einem solchen Fall hätte der Kläger wohl umgehend auf einen eigenen Briefkasten gedrängt. Im vorliegenden Fall sei kein Vorbehalt der Nachprüfung erforderlich gewesen. Der Fall sei weder für eine Außenprüfung vorgesehen gewesen noch sei zu erwarten gewesen, dass der Steuerpflichtige die Steuererklärung nachreiche. Der Kläger sei seinen Steuererklärungspflichten nicht nachgekommen und habe insbesondere auch nicht auf Zwangsgeldandrohungen, Zwangsgeldfestsetzungen und Schätzungsandrohungen reagiert. Im Übrigen hätte ein etwaiger Ermessensfehler nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Fehlerhaftigkeit geführt, die der Kläger mit dem Rechtsbehelf hätte geltend machen müssen. Im Streitfall liege auch keine zur Nichtigkeit führende willkürliche Schätzung vor, zumal bei Ergehen des Feststellungsbescheids 2001 vom 08.01.2003 noch nicht einmal Voranmeldungen vorgelegen hätten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Die Klage ist nicht begründet.

1. Zutreffend hat das Finanzamt eine Änderung der Feststellungsbescheide für 2001 vom 08.01.2003 und für 2002 vom 02.02.2004 auf der Grundlage der am 04.05.2004 nachgereichten Steuererklärungen abgelehnt. Die vom Kläger erhobenen Einwände gegen den Zugang dieser Feststellungsbescheide sind nicht begründet.

Der Kläger macht mit Schriftsatz vom 16.10.2004 geltend, zum Zeitpunkt des Feststellungsbescheids 2001 vom 08.01.2003 sei sein Copy-Center in A bereits geschlossen gewesen und es habe ein Nachsendeauftrag an die B Anschrift bestanden. Der Feststellungsbescheid 2002 vom 02.02.2004 war von Anfang an an die B Anschrift adressiert. Damit waren beide Bescheide an die B Anschrift gerichtet.

Mit der Klageschrift vom 17.07.2004 wird geltend gemacht, für die beiden Wohnungen im Haus in B (Wohnung des Vermieters und Wohnung des Klägers) habe es im fraglichen Zeitraum nur einen Briefkasten gegeben, und es sei für möglich zu erachten, dass der ältere Vermieter die Post des Klägers mit seiner eigenen verwechselt habe. Mit diesem unsubstantiierten Vorbringen kann der Zugang der beiden Steuerbescheide nicht mit Erfolg bestritten werden.

Ein Postsendung ist bereits dann zugegangen, wenn sie derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich war und nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auch erwartet werden konnte (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 AO Rz. 7 m.w.N.).

Das ist beim Einwurf in den Hausbriefkasten der Fall (vgl. BFH-Beschluss vom 30.08.2002 III B 41/01, [...]). Eine Postsendung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn nach der Verkehrsanschauung in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt. Im Streitfall liegt mit dem Einwurf in den (gemeinsamen) Hausbriefkasten die gewöhnliche und im Falle des Klägers übliche Postzustellung vor, so dass die Briefe in seinen Empfangsbereich gelangt sind. Nach dem Klagevorbringen war zumindest in der Zeit von Januar 2003 bis April 2004 nur ein (gemeinsamer) Briefkasten vorhanden. Wer es aber über einen langen Zeitraum duldet, dass die an ihn adressierte Post in einen (mit dem Vermieter gemeinsamen) Briefkasten eingelegt wird, kann unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung nach § 242 BGB nicht geltend machen, die dort eingeworfene Post müsse verloren gegangen sein (vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 19.09.2000 Az. 16 Sa 925/00, [...]).

2. Die Feststellungsbescheide für 2001 vom 08.01.2003 und für 2002 vom 02.02.2004 sind auch nicht deswegen nichtig, weil sie nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind. Aus § 164 Abs. 1 Satz 1 AO ergibt sich kein Anspruch, die Steuerfestsetzung im Schätzungsverfahren unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Durch die Vorbehaltsfestsetzung soll der Finanzbehörde die Möglichkeit eröffnet werden, eine Prüfung des Steuerfalls zu einem späteren Zeitpunkt durchführen zu können. Durch die Vorschrift soll aber nicht die Frist zur Abgabe von Steuererklärungen verlängert werden (vgl. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 20.03.2007 Az. II 136/2006, [...]; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 13.12.2005 Az. 13 K 427/05, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 864; Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 04.07.2002 Az. 1 K 195/01, [...]). Der Hinweis in den beiden Feststellungsbescheiden, dass es sich mangels abgegebener Steuererklärungen um Schätzungen handele, war ausreichend, um den Kläger im Falle von Einwänden gegen die Schätzung entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Rechtsmittelweg zu verweisen.

3. Im Streitfall liegen auch keine zur Nichtigkeit der Feststellungsbescheide führende Schätzungsfehler vor. Nach der Rechtsprechung des BFH führen selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids; anders verhält es sich nur, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (vgl. BFH-Beschluss vom 28.12.2001 V B 148/01, BFH/NV 2002, 682). Nichtigkeit ist aber selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf der Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381). Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige - wie im Streitfall - seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (vgl. BFH-Urteil vom 15.05.2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415).

Selbst wenn also - was vorliegend nicht der Fall ist - dem Finanzamt grobe Schätzungsfehler unterlaufen wären, würde dies nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids führen. Im Streitfall wurde dem Kläger mit der Schätzungsankündigung des Finanzamts vom 04.12.2002 mitgeteilt, er sei der wiederholten Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen für 2001 nicht nachgekommen. Es sei deshalb beabsichtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen und Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 10.000 DM festzustellen. Auf diese Schätzungsankündigung hat der Kläger nicht reagiert. Umsatzsteuer- Voranmeldungen wurden erst am 29.09.2003 abgegeben. Es war deshalb nicht willkürlich, wenn das Finanzamt im Feststellungsbescheid 2001 vom 08.01.2003 den angekündigten Betrag von 10.000 DM geschätzt hat. Da der Kläger auch hierauf nicht reagiert hat, war es auch nicht willkürlich, wenn das Finanzamt die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Jahr 2002, in dem der Betrieb ganzjährig bestanden hat, mit 15.000 EUR geschätzt hat, zumal der vorangemeldete Umsatz 27.513 EUR betragen hat.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.



Ende der Entscheidung

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