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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.07.2008
Aktenzeichen: 13 K 227/06
Rechtsgebiete: GG, EStG, BKGG, AufenthG
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
EStG § 52 Abs. 61a S. 2 | |
EStG § 62 Abs. 2 S. 1 | |
BKGG § 1 Abs. 3 | |
AufenthG § 25 Abs. 5 |
Finanzgericht Baden-Württemberg
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin für die Monate nach der Geburt ihres Kindes, in denen sie die Voraussetzungen des § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der seit dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung nicht erfüllt, Kindergeld zusteht, weil das Kind mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat.
Die Klägerin stammt aus Kamerun und reiste nach eigenen Angaben am 20. Juli 2003 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 22. Juli 2003 beantragte sie die Anerkennung als Asylberechtigte und erhielt am gleichen Tag eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Mit Urteil vom 7. Februar 2005 wies das Verwaltungsgericht X die Klage der Klägerin u.a. auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (.........). Vom 12. April 2005 bis zum 25. Juli 2006 war die Klägerin ausländerrechtlich geduldet. Am 26. Juli 2006 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) und am 9. Oktober 2006 eine - in den Aufenthaltstitel aufgenommene - Zustimmung zu einer geringfügigen Beschäftigung nach § 39 AufenthG erteilt, die die Klägerin nach eigenen Angaben ab diesem Monat auch ausübte. Am 25. Januar 2007 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Die Klägerin bezog zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ab dem 1. September 2006 bezieht sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 31. Dezember 2005 brachte die Klägerin das Kind Z zur Welt, das nach § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte. Für dieses Kind beantragte die Klägerin am 9. August 2006 Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. September 2006 ab. Den Einspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, sie habe als Mutter eines deutschen Kindes ein Recht zum Daueraufenthalt, wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 28. September 2006 mit der Begründung, die Klägerin sei nicht im Besitz eines der in § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG genannten Aufenthaltstitel, als unbegründet zurück.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte der Klägerin zunächst mit Bescheid vom 19. Februar 2008 für die Zeit ab Januar 2007 und mit Bescheid vom 26. Mai 2008 für die Zeit ab Oktober 2006 Kindergeld für das Kind Z bewilligt. Der Rechtsstreit wurde insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt und das Verfahren wegen Kindergeld ab Oktober 2006 abgetrennt und eingestellt (13 K 2635/08).
Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG könne zur Niederlassungserlaubnis verfestigt werden, auch sei ihr Kind Deutscher. § 62 EStG, der für eine solche Fallgestaltung die Bewilligung von Kindergeld verneine, sei deshalb verfassungswidrig und verstoße gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Außerdem werde das Kind wegen seiner Abstammung diskriminiert. Es werde zudem auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 10. Mai 2007 10 K 4132/05 (InfAuslR 2007, 392) verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Ablehnungsbescheid vom 12. September 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 28. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld für die Monate Dezember 2005 bis September 2006 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Akten (1 Heft Kindergeldakten und 1 Heft Ausländerakten) verwiesen.
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin für den Zeitraum Dezember 2005 bis September 2006 Kindergeld zu bewilligen.
Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 des Ausländergesetzes 1990 -AuslG 1990-) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56 AuslG 1990) reichte nicht aus. Diese Regelung war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts für die nahezu wortgleiche Regelung in § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353) insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art des Aufenthaltstitels abhing (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114). Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Beschluss das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten war, dass sie auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben würden (s. BTDrucks 12/5502, S. 44), nicht beanstandet, sondern nur die zur Erreichung dieses Ziels getroffenen gesetzlichen Unterscheidungskriterien, die allein an die Qualität des ausländerrechtlichen Titels anknüpften und deshalb nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sachlich nicht gerechtfertigt waren.
Der Gesetzgeber hat daraufhin § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 1915) geändert. Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG).
Nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er über eine Niederlassungserlaubnis verfügt. Auch aus einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, kann sich unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld ergeben. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges im Heimatland oder nach den §§ 23a, 24 und § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG kann einen Kindergeldanspruch begründen, wenn sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 Buchst. c EStG). Ausländer, die nach §§ 55, 56 AuslG 1990 bzw. nach § 60 a des ab 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes geduldet sind, haben auch nach der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG keinen Anspruch auf Kindergeld.
Diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld erfüllt die Klägerin in den noch streitbefangenen Monaten nicht. Von Dezember 2005 bis Juni 2006 war sie lediglich ausländerrechtlich geduldet. In den Monaten Juli 2006 bis September 2006 besaß die Klägerin zwar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, auch hielt sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet auf. Der Anspruch auf Kindergeld scheitert in diesen Monaten aber daran, dass sie im Bundesgebiet weder berechtigt erwerbstätig war noch laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, d.h. bestimmte Lohnersatzleistungen (vgl. ausführlich FG Münster Urteil vom 24. April 2007 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007, 1700) bezogen, noch Elternzeit nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit -BEEG- (BGBl. I 2006, 2748) in Anspruch genommen, d.h. ein bestehendes Arbeitsverhältnis gemäß § 15 ff. BEEG unterbrochen hat. Berechtigt erwerbstätig war die Klägerin erst ab Oktober 2006, ab diesem Zeitpunkt hat die Beklagte der Klägerin inzwischen Kindergeld bewilligt.
Die neue gesetzliche Regelung begegnet nach Auffassung des Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hinsichtlich des Ausschlusses lediglich geduldeter Ausländer vom Kindergeldbezug folgt der Senat der Auffassung des Bundesfinanzhofs, wonach die Nichtgewährung von Kindergeld in diesem Fall mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, weil für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Ausländern mit den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln und Ausländern, die lediglich geduldet sind, hinreichende sachliche Gründe bestehen (vgl. BFH, Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03 und III R 54/05, BFH/NV 2007, 1234 und 1298;vom 22. November 2007 III R 54/02, BFH/NV 2008, 457).
Während die herkömmlichen Aufenthaltstitel einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründen, gilt dies bei einer bloßen Duldung nicht. Die Duldung bescheinigt lediglich das Bestehen eines Abschiebungshindernisses. Sie vermittelt keinen legalen Aufenthalt und beseitigt auch die grundsätzlich bestehende Ausreisepflicht des Ausländers nicht. Der Auffassung des 10. Senats des Finanzgerichts Köln (Urteil vom 10. Mai 2007 10 K 4132/05, InfAuslR 2007, 392), dass § 62 Abs. 2 EStG n.F. nicht und § 62 Abs. 2 EStG a.F entgegen seinem Wortlaut auszulegen sei, kann sich der Senat nicht anschließen (so auch: FG Köln, Urteil vom 14. Juni 2007 15 K 1928/02, EFG 2008, 66).
Auch soweit der Kindergeldbezug für die Klägerin für die Monate ausgeschlossen ist, in denen sie zwar über einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügte, aber die weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 Buchst. c EStG nicht erfüllte, vermag der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht zu teilen.
Der Senat folgt auch in diesem Punkt der Auffassung des Bundesfinanzhofs, dass Art. 3 Abs. 1 GG es nicht gebietet, rechtmäßig oder rechtswidrig eingereisten Ausländern, bei denen - wie hier - auf Grund eines Abschiebungshindernisses damit zu rechnen ist, dass sie auf absehbare Zeit nicht mehr ausreisen, von Anfang an oder nach einer gewissen Zeit Kindergeld zu gewähren, weil von einem Daueraufenthalt auszugehen ist. Der Gesetzgeber handelte verfassungskonform und im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums, als er typisierend gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Daueraufenthalt erst bei einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und bei Integration in den Arbeitsmarkt unterstellte (vgl. BFH, Urteil vom 22. November 2007 III R 54/02, a.a.O.).
Da der Gesetzgeber nach der Dauer des Aufenthalts und der Integration in den Arbeitsmarkt differenziert und im Übrigen davon ausgehen durfte, dass das Existenzminimum des Kindes eines nicht kindergeldberechtigten Ausländers durch Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in ausreichendem Maße gewährleistet ist (BTDrucks 16/1368, 9; vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007 10 K 5107/05 Kg, EFG 2007, 600), vermag der Senat auch die gerügten Verstöße gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK oder gegen das Verbot der Diskriminierung auf Grund der Abstammung (Art. 3 Abs. 3 GG) nicht festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionen III R 13/07, III R 22/07 und III R 1/08 sowie die beim Bundesverfassungsgericht anhängige Vorlage 2 BvL 4/07 zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).
Ende der Entscheidung
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