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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 30.01.2008
Aktenzeichen: 2 K 145/05
Rechtsgebiete: EStG, DBA/Schweiz


Vorschriften:

EStG § 1 Abs. 1 S. 1
EStG § 2 Abs. 1
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 5
DBA/Schweiz Art. 4 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

2 K 145/05

Tatbestand:

Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Stückzinsen.

Die Kläger sind verheiratet und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Zum 28. September 1998 verlegten sie ihren Wohnsitz in die Schweiz. In der am 05. Oktober 1999 beim Finanzamt (FA) eingereichten Einkommensteuererklärung 1998 erklärten der Kläger bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (Anlage KSO Zeile 21) ausländische Kapitalerträge in Höhe von 1.592.593 DM. Die Einkünfte wurden zunächst antragsgemäß in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) ergangenen Einkommensteuerbescheid 1998 vom 08. November 1999 berücksichtigt.

Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass dem Kläger in dem Zeitraum vom 01. Januar 1998 bis 27. September 1998 insgesamt 3.759.824,71 DM ausländische Kapitalerträge zugeflossen sind. Von diesem Betrag wurden beim Kauf von festverzinslichen Anleihen gesondert in Rechnung gestellte und vor Wegzug in die Schweiz bezahlte Stückzinsen in Höhe von 2.506.817,20 DM abgesetzt, so dass in dem in Zeile 21 der Anlage KSO erklärten Betrag die ausländischen Kapitalerträge lediglich mit 1.253.007,51 DM berücksichtigt wurden. Der Zufluss der den Stückzinsen korrespondieren Zinserträge erfolgte jeweils nach dem Wegzug der Kläger in die Schweiz. Der Prüfer vertrat die Ansicht, dass in Höhe von 1.730.639,68 DM eine Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen nicht in Betracht komme, da der Kläger zum Zeitpunkt des Zuflusses der den Stückzinsen korrespondierenden Zinserträge nicht mehr in Deutschland ansässig gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 1.05 des Betriebsprüfungsberichts vom 13. Juli 2001 und die vom Prüfer gefertigte Aufstellung (Anlage 5) verwiesen. Das FA schloss sich der Auffassung der Betriebsprüfung an und erließ am 02. August 2000 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid. Mit Bescheid vom 13. September 2001 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 08. Juni 2005). Stückzinsen seien keine Werbungskosten, sondern negative Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG. Eine Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen setze jedoch stets voraus, dass der Steuerpflichtige die Absicht habe, aus den Wertpapieren Einkünfte zu erzielen bzw. dass durch den Erwerb des Wertpapiers ein wirtschaftlicher Gewinn und ein steuerlicher Totalüberschuss gem. § 20 EStG erzielt werde. Die Wertpapiere, für die die strittigen Stückzinsen gezahlt worden seien, seien im Zeitraum vom 01. Mai 1998 bis 27. August 1998 erworben worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Wegzug der Kläger in die Schweiz bereits festgestanden. Im Zeitpunkt des Zuflusses der ausländischen Zinserträge seien die Kläger nicht mehr in Deutschland ansässig gewesen. Damit habe Deutschland für diese Zinserträge das Besteuerungsrecht verloren. Nach der Systematik des Einkommensteuerrechts und der Rechtsprechung des BFH könnten vorab entstandene negative Einnahmen nur dann zu berücksichtigen sein, wenn die späteren positiven Einnahmen steuerpflichtig seien.

Zur Begründung der am 07. Juli 2005 erhobenen Klage lassen die Kläger im Wesentlichen folgendes vortragen: Seit 1994 seien Stückzinsen im Jahr ihrer Zahlung als negative Einnahmen von den positiven Einnahmen aus Kapitalvermögen abziehbar. Dieser Abzug sei auch dann zulässig, wenn im hier maßgebenden Veranlagungszeitraum 1998, in dem die Stückzinsen an den Veräußerer gezahlt worden seien, noch keine Zinsscheine eingelöst worden seien. Dies gelte auch, wenn das Kalenderjahr in mehrere Steuerbemessungszeiträume aufgeteilt werden müsse. Das Zu- und Abflussprinzip des § 11 Einkommensteuergesetz (EStG) könne sich bei Ende der unbeschränkten Steuerpflicht während des Kalenderjahres für den Steuerpflichtigen sowohl positiv als auch negativ auswirken.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 08. August 2005 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen mit 229.131 DM angesetzt werden und die Einkommensteuer auf 286.806 DM herabgesetzt wird, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und führt ergänzend an, dass es im Streitfall um die wirtschaftliche Zuordnung von negativen Einnahmen gehe. Dafür gelte das Zu- und Abflussprinzip nicht.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1998 wurde wegen anderer, hier nicht streitiger Punkte mehrfach geändert, zuletzt mit Bescheid vom 08. August 2005.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die dem Senat vorliegenden Steuerakten verwiesen.

Am 30. Januar 2008 wurde die Streitsache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Das FA hat zu Recht die bis zum 28. September 1998 gezahlten Stückzinsen in Höhe von 1.730.639 DM nicht als negative Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen berücksichtigt.

Bis zu ihrem Wegzug in die Schweiz am 28. September 1998 waren die Kläger in Deutschland nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig und unterlagen nach § 2 Abs. 1 EStG mit ihren Welteinkünften der deutschen Steuerpflicht. Mit den nach Wegzug in die Schweiz zugeflossenen Erträgen aus ausländischen festverzinslichen Wertpapieren unterlagen die Kläger nicht mehr der deutschen Besteuerung. Die Erträge waren weder nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG beschränkt steuerpflichtige Einkünfte noch von der Wegzugsbesteuerung nach Art. 4 Abs. 4 DBA/Schweiz erfasst, da es sich bei diesen Erträgen nicht um Einkünfte handelt, die aus Deutschland stammen.

Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 - 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen der Erzielung positiver Einnahmen oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 1 EStG einordnen ließen (BFH, Urteil vom 27. Juli 1999 VIII R 36/98, BFHE 189, 408; BStBl II 1999, 769). Aufwendungen können daher nur dann zu Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 EStG führen, wenn sie in einem hinreichenden Zusammenhang mit positiven Einnahmen oder Überschüssen stehen, die der Einkommensteuer unterliegen. Dies sind nach § 2 Abs. 1 EStG (nur) Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Steuerpflicht erzielt. Daraus folgt, dass Aufwendungen, die ausschließlich mit Einkünften in Zusammenhang stehen, die nicht der deutschen Besteuerung unterliegen, nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einzubeziehen sind (so zu vorweggenommenen Werbungskosten BFH, Urteil vom 20. September 2006 I R 59/05, BFHE 215, 130; BStBl II 2007, 756). Für den Bereich der Werbungskosten und Betriebsausgaben ist dieser allgemeine Rechtsgrundsatz in § 3 c EStG kodifiziert worden (vgl. Heinicke in L. Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 3 c Anm. 1). Nach Auffassung des Senats sind die oben dargelegten grundsätzlichen Erwägungen gleichermaßen bei negativen Einnahmen anzuwenden. Auch hier gilt, dass negative Einnahmen als solche, d.h. ohne einen hinreichenden Zusammenhang zu positiven Einnahmen oder Überschüssen i. S. des § 2 Abs. 1 EStG, nicht den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG zuzurechnen sind.

Die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Einkünfteerzielung ist bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für jede Kapitalanlage gesondert zu beurteilen (ständige Rechtsprechung vgl. BFH, Beschluss vom 22. Januar 2007 VIII B 161/05, BFH/NV 2007, 889). Die beim Kauf von festverzinslichen Wertpapieren entrichteten Stückzinsen sind nach allgemeiner Auffassung vorab entstandene negative Einnahmen, die seit der Aufhebung des Satzes 2 in § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1994 gemäß § 11 EStG im Veranlagungszeitraum des Abflusses zu berücksichtigen sind (vgl. BFH, Urteile vom 27. Juli 1999 VIII R 36/98, a.a.O. und 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BStBl III 1964, 184).

Sämtliche hier in Frage stehenden Stückzinsen wurden zur Erzielung von Zinseinnahmen aufgewandt, die nicht der deutschen Besteuerung unterlagen. Ein Zusammenhang der Stückzinsen mit Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG, d.h. positiven Einnahmen oder Überschüssen, die der deutschen Besteuerung unterliegen, ist daher nicht gegeben. Dies ist jedoch, wie oben dargelegt, nach der Systematik des Einkommensteuerrechts zwingende Voraussetzung für die Einbeziehung der negativen Einnahmen in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer. Entsprechend ist die Berücksichtigung von negativen Einnahmen unabhängig vom Zeitpunkt des Abflusses grundsätzlich auf die Fälle zu beschränken, in denen die mit den negativen Einnahmen in Zusammenhang stehenden positiven Einnahmen im Veranlagungszeitraum des Zuflusses nicht steuerbefreit waren (so auch Stuhldreier, Betriebs-Berater 1981, 1947).

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten führt das in § 11 Abs. 2 EStG verankerte Abflussprinzip zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese Vorschrift regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen welche Aufwendungen mit welchen Einkünften zusammenhängen und was daraus für deren Abziehbarkeit folgt; sie betrifft vielmehr allein die zeitliche Dimension eines - von ihr vorgegebenen - dem Grunde nach zulässigen Abzugs (BFH, Urteil vom 20. September 2006 I R 59/05, a.a.O). Daher führt der Umstand, dass die Kläger zum Zeitpunkt der Zahlung der Stückzinsen noch in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren, zu keiner anderen Beurteilung des Streitfalles. Auch die Frage, wann der Wegzug der Kläger in die Schweiz sicher feststand, ist ohne Bedeutung, da die Besteuerung an den tatsächlich verwirklichten und nicht einen hypothetischen Sachverhalt anknüpft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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