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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.10.2008
Aktenzeichen: 2 K 1986/07
Rechtsgebiete: AO, ErbStG
Vorschriften:
ErbStG § 2 Abs. 1 Nr. 1 | |
ErbStG § 2 Abs. 1 Nr. 3 | |
ErbStG § 16 Abs. 2 | |
AO § 8 |
Finanzgericht Baden-Württemberg
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetz (ErbStG) das europäische Gemeinschaftsrecht verletzt.
Die Kläger, am ... 1995, am ... 1996 und am ... 1999 geborene Geschwister, sind britische Staatsbürger und in Großbritannien wohnhaft.
Mit notariellem Grundstücksübertragungsvertrag vom 27. Dezember 2004 erhielten sie von Ihrem Vater - unter Vorbehalt des Nießbrauchs bis zum 23. Oktober 2017 - das im Grundbuch von A Nr. ... eingetragene Grundstück FlSt.-Nr. .../..., Gebäude- und Freifläche, ...-weg mit 1.300m² zu gleichen Teilen.
Am 31. Mai 2005 erließ der Beklagte (das Finanzamt - FA) gegenüber den Klägern jeweils einen Schenkungssteuerbescheid. Unter Zugrundelegung des erklärten und auch festgestellten Grundbesitzwertanteils von 43.166 Euro und Abzug des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 2 ErbStG für beschränkt Steuerpflichtige von 1.100 Euro wurde die Schenkungsteuer jeweils auf 2.940 Euro festgesetzt, wovon ein Teilbetrag von 1.435 Euro gemäß § 25 ErbStG gestundet und inzwischen abgelöst worden ist.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 4. Juni 2005 legten die Kläger Einspruch ein. Zur Begründung trugen sie vor, die Nichtberücksichtigung des höheren Freibetrags gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG sei rechtswidrig, insbesondere verstoße dies gegen das vorrangige Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union. Es liege eine Diskriminierung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit und auch hinsichtlich des Grundrechts der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit vor, weil deutsche und nichtdeutsche Staatsbürger unterschiedlich behandelt würden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück.
Mit der am 22. Oktober 2007 (gemeinsam) erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter. Zur Begründung machen sie ergänzend geltend, dass sie - wie zuvor ihr Vater - das geschenkte Grundstück bzw. das darauf errichtete Wohnhaus gelegentlich als Ferienwohnung und nicht als Einnahmequelle für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nutzen würden. Insgesamt halte sich ihr Vater überwiegend gemeinsam mit Ihnen für die Dauer von jährlich etwa sechs bis acht Wochen in dem - auch mit privaten Gegenständen und Utensilien - voll umfänglich ausgestatteten Anwesen auf. Daraus ergebe sich, dass sowohl Ihr Vater als auch sie als Inländer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 a ErbStG gelten würden. Für die Annahme des hierzu notwendigen Wohnsitzes reiche es aus, dass im Inland ein Wohnraum zur Verfügung stehe, der genutzt werden könne und auch genutzt werde. Eine dauernde Nutzung sei nicht erforderlich. Auch der in Abständen immer wieder genutzte Zweitwohnsitz gelte als Wohnsitz in diesem Sinne.
Die Kläger beantragen,
1. die Bescheide vom 31. Mai 2005, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007, aufzuheben,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären sowie
3. hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidungen und trägt ergänzend vor, dass der Vater der Kläger zwar in den neunziger Jahren bei der Einwohnermeldebehörde in A gemeldet gewesen sei, sich jedoch im November 1999 nach England abgemeldet habe.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die dem Gericht vorliegenden Steuerakten verwiesen.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2008 (AS. 70) haben die Kläger und mit Schreiben vom 22. Juli 2008 (AS. 74) hat das FA jeweils auf mündliche Verhandlung verzichtet (vgl. § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Zutreffend ist das FA zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei den Klägern und ihrem Vater nicht um Inländer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 a ErbStG handelt.
Als Inländer gelten natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Eine natürliche Person hat ihren Wohnsitz im Inland, wenn sie eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen werde (§ 8 der Abgabenordnung - AO). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 12.01.2001 VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231), der sich der Senat anschließt, muss die Wohnung dem Steuerpflichtigen als ständige Bleibe dadurch gedient haben, dass er sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken macht eine Wohnung nicht zum Wohnsitz. Der Wohnsitzbegriff setzt zwar nicht voraus, dass die Wohnung dauernd durch ihren Inhaber genutzt wird oder der Steuerpflichtige sich dort während einer Mindestzeit aufhält. Die Wohnung im Inland muss auch nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bilden. Er kann deshalb mehrere Wohnsitze haben. Nicht genügend ist jedoch, dass sich jemand, der dauernd und langfristig mit seiner Familie im Ausland wohnt, nur gelegentlich im Urlaub oder zu Besuchszwecken in einer Wohnung oder in Räumen aufhält, die ihm unentgeltlich von Dritten, z.B. von den Eltern, zur Verfügung gestellt werden. In einem solchen Fall nutzt er die zur Verfügung gestellten Räume nicht als Bleibe und damit nicht als Wohnsitz, sondern nur besuchsweise oder als Ferienwohnung.
Im Streitfall haben sich die Kläger und ihr Vater nach ihren Angaben nur zu nicht näher benannten Zeiten für die Dauer von jährlich etwa sechs bis acht Wochen in der Wohnung aufgehalten. Ein solcher kurzfristiger Aufenthalt genügt nach der Überzeugung des Senats nicht, um einen Wohnsitz zu begründen oder beizubehalten.
Die Kläger sind somit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG steuerpflichtig mit der Folge, dass ihnen nach § 16 Abs. 2 ErbStG nur ein Freibetrag von jeweils 1.100 Euro zusteht.
Ein Verstoß gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht, hier den im Zeitpunkt der Steuerentstehung geltenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) vom 25. März 1957 (BGBl. II 1957, 766) in der am 1. Februar 2003 in Kraft getretenen Fassung des Vertrags von Nizza vom 11. Dezember 2000 (BGBl. II 2001, 1667) liegt nach Auffassung des Senats nicht vor, so dass die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Art 234 Abs. 2 EG nicht in Betracht kam.
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten die Grundfreiheiten auch uneingeschränkt für den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer (vgl. EuGH-Urteile in der Rs. Erben von Barbier vom 11. Dezember 2003 sowie in der Rs. van Hilten v. 23. Februar 2006).
Da im Streitfall die Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 a und Nr. 3 ErbStG nur an den fehlenden Inlandswohnsitz des Schenkers und der Beschenkten anknüpft, die unabhängig von der deutschen Staatsangehörigkeit ist, scheidet eine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit von vornherein aus.
Die Ungleichbehandlung bei der Gewährung des Steuerfreibetrags könnte allenfalls eine indirekte Diskriminierung nach dem Wohnsitz darstellen. Lediglich wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden (s. Urteile EuGHE I 1995, 225, NJW 1995, 1207; EuGHE I 1995, 2493, EuZW 1995, 703), hier also für gleichartige Erwerbe unterschiedliche Freibeträge gelten (einmal der volle Freibetrag von 205.000 Euro nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, ein andermal hingegen nur der Freibetrag von 1.100 Euro nach § 16 Abs. 2 ErbStG) läge ein solcher Verstoß vor.
Im Streitfall liegt jedoch keine gleichartige Situation vor. Dies ergibt sich daraus, dass der unbeschränkt Steuerpflichtige, dem der höhere Freibetrag zusteht, mit seinem gesamten Vermögen der deutschen Schenkungs- und Erbschaftsteuer unterliegt (zur Berücksichtigung jeweils früherer Erwerbe vgl. § 14 ErbStG), während bei beschränkt Steuerpflichtigen nur das Inlandvermögen besteuert wird. Diese Differenzierung rechtfertigt die unterschiedliche Gestaltung der Freibetragsregelung und könnte allenfalls dann zu einer mittelbaren Diskriminierung im Ausland wohnender EG-Bürger führen, wenn mit der Schenkung das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen des Schenkers übertragen worden wäre und damit der inländischen Schenkungsteuer unterliegen würde (so auch für die Erbschaftsteuer FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juni 2006 9 V 14/06, [...]; FG München, Urteil vom 5. November 2003 4 K 4790/01, EFG 2004, 410, FG Düsseldorf, Urteil vom 3. Juli 1996 4 K 5910/91 Erb, EFG 1996, 1166; offen gelassen von BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03, BStBl II 2005, 875; für europarechtlich bedenklich halten dagegen die Regelung Moench in Moench / Kein-Hümbert / Weinmann, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Stand Juni 2008, § 16 RdNr.12; Meincke, ErbStG, § 16 RdNr. 12; Jülicher in Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG, § 16 RdNr. 21).
In Anlehnung an die Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 Einkommensteuer, die aufgrund der Rechtsprechung des EuGH getroffen wurde, wird dies erst ab 90% des gesamten Vermögens relevant. In Anbetracht des Umstandes, dass die Kläger und ihr Vater in Großbritannien wohnen und ein ansonsten unvermietetes Ferienhaus nur für die Dauer von sechs bis acht Wochen im Jahr nutzen, erachtet es der Senat im Streitfall als ausgeschlossen, dass das Ferienhaus das ganze oder nahezu das ganze Vermögen des Schenkers dargestellt hat. Dies gilt um so mehr, als die von einem Rechtsanwalt vertretenen Kläger das BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03 und ihre bei einem Auslandssachverhalt gesteigerte Mitwirkungspflicht (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO) kannten und daher wussten, dass es für den Erfolg ihrer Klage darauf ankommt, ob der ihnen zugewandte Gegenstand das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen des Schenkers ausgemacht hat. Gleichwohl haben sie bisher keine Angaben zum Vermögen des Schenkers gemacht.
Die von den Klägern gewollte Gewährung des vollen Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG würde dagegen zu einer Besserstellung von Steuerpflichtigen führen, die ihr Vermögen möglichst breit in Staaten der europäischen Gemeinschaft streuen und dann mehrfach von Freibetragsregelungen des jeweiligen nationalen Rechts profitieren würden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Streitfrage wird sich aller Voraussicht nach durch die anstehende Reform der Erbschaftsteuer nicht erledigen. Denn der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht für § 16 Abs. 2 ErbStG lediglich eine geringfügige Anhebung des Freibetrags von 1.100 Euro auf 2.000 Euro vor (Bundestagdrucksache 16/7918 Seiten 11 und 36).
Ende der Entscheidung
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