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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.01.2008
Aktenzeichen: 6 K 2192/07
Rechtsgebiete: EStG 2005


Vorschriften:

EStG 2005 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
EStG 2005 § 9 Abs. 2 S. 1
EStG 2005 § 11 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

6 K 2192/07

Tatbestand:

Streitig ist, ob Aufwendungen für eine vorab bezahlte Jahreskarte als Werbungskosten im Kalenderjahr der Zahlung absetzbar sind.

Der in X wohnhafte Kläger erzielte im Streitjahr 2005 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Tonmeister bei einem Arbeitgeber mit Sitz in X sowie als Dozent bei einem zweiten Arbeitgeber mit Sitz in Y. Von 1. Januar bis 4. Dezember 2005 fuhr der Kläger 23 Mal mit dem Pkw von seiner Wohnung zu der 479 km entfernt gelegenen Arbeitsstelle in Y. Nach Erwerb einer noch im Kalenderjahr 2005 bezahlten DB-Bahncard 100 mit Gültigkeit von 5. Dezember 2005 bis 4. Dezember 2006 zum Preis von 2.950 EUR pendelte der Kläger vom 5. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2005 noch drei Mal mit dem Zug zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

In der am 3. Januar 2007 beim beklagten Finanzamt (FA) eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2005 machte der Kläger bzgl. der Fahrten nach Y folgende Aufwendungen als Werbungskosten geltend (Bl. 8 ESt-Akten):

Entfernungspauschale X-Y bis 4.12.2005

23 * 479 km * 0,30 EUR/km = 3.305,10 EUR

DB Card 100 2.950,00 EUR

Im Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 1. März 2007 erkannte das FA insoweit lediglich Werbungskosten i.H.v. 3.305,10 EUR an, nicht aber die Kosten für die DB Card 100 (Bl. 28 ESt-Akten).

Dagegen legten die Kläger am 8. März 2007 Einspruch ein. Der Bundesfinanzhof (BFH) habeim Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 40/04, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2005, 712) entschieden, dass die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Prüfung, ob der Ansatz der tatsächlichen Kosten für öffentliche Verkehrsmittel oder der Ansatz der Entfernungspauschale günstiger ist, tagesbezogen durchzuführen sei. Aus der Vergleichsberechnung resultierten höhere tatsächliche Kosten :

Entfernungspauschale X-Y ab 5.12.2005

3 * 479 km * 0,30 EUR/km = 431,10 EUR

DB Card 100 2.950,00 EUR

Daneben gelte weiterhin das in § 11 EStG genannte Zu- und Abflussprinzip. Die Bahncard sei am 5. Dezember 2005 gekauft und bezahlt worden.

Daraufhin erging am 5. Oktober 2007 ein Teilabhilfebescheid (Bl. 34 ESt-A.), in dem die Entfernungspauschale für weitere drei, nunmehr insgesamt 26 Fahrten nach Y gewährt wurde:

26 * 479 km * 0,30 EUR/km = 3.736,20 EUR

In der Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Zu- und Abflussprinzip sei im Streitfall ohne Bedeutung. Bzgl. der Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 EStG handele es sich um eine Regelung, die - ebenso wie § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 7 S. 1 EStG - den Grundsatz des § 11 Abs. 2 EStG einschränke.

Im Rahmen der Günstigerprüfung des § 9 Abs. 2 S. 2 EStG seien die Kosten der Bahncard auf die Fahrten während ihrer Gültigkeit aufzuteilen. Diese Kosten habe der Kläger nicht nur für die drei Fahrten im Dezember 2005, sondern für sämtliche Fahrten mit der Bahncard 100 während ihrer einjährigen Gültigkeit aufgewandt.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 3. November 2007, eingegangen bei Gericht am 5. November 2007, in der unter Aufrechterhaltung der Argumentation aus dem Einspruchsverfahren der Antrag gestellt wurde, die Kosten für die Bahncard 100 i.H.v. 2.950 EUR als Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach der Regelung des § 11 Abs. 2 EStG erweise es sich als unerheblich, welchem Zeitraum eine Zahlung wirtschaftlich zuzuordnen sei. Eine periodengerechte Rechnungslegung finde im Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht statt.

Während des Klageverfahrens reduzierten die Kläger ihr Klagebegehren um die drei Fahrten, die ab dem 5. Dezember 2005 mit der Bahncard 100 unternommen worden waren und im Teilabhilfebescheid vom 5. Oktober 2007 durch den Ansatz der Fahrtkostenpauschale berücksichtigt wurden (3 * 479 km * 0,30 EUR/km = 431,10 EUR).

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger die Einkommensteuererklärung für 2006 noch nicht beim FA eingereicht.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 5. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 dahingehend abzuändern, dass weitere Werbungskosten des Klägers aus nicht selbständiger Arbeit i.H.v. 2.518,90 EUR berücksichtigt werden, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,

hilfsweise

Zulassung der Revision.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

Zulassung der Revision.

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verbiete es, die Kosten der BahnCard als Werbungskosten anzusetzen. Diese Regelung gehe § 11 Abs. 2 EStG vor. Denn nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sei es irrelevant, ob und ggf. wann dem Steuerpflichtigen Kosten entstanden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Finanzamt vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschriften über den Erörterungstermin vom 12. Dezember 2007 und über den Verhandlungstermin vom 17. Januar 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Nichtberücksichtigung der Zahlungen in Höhe von 2.518,90 EUR als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) .

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG 2005 sind Werbungskosten auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach Satz 2 Halbsatz 1 der Vorschrift für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 EUR im Kalenderjahr. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG 2005 sind durch die Entfernungspauschalen sämtliche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte veranlasst sind. Indes können Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angesetzt werden, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 EStG 2005).

Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die vom Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, geleistet werden, gelten als in diesem Kalenderjahr geleistet (§ 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG).

2. a) Die im Streitjahr geleisteten Zahlungen für die Bahncard 100 sind im Streitjahr auch als Werbungskosten abzugsfähig. §§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1, 11 Abs. 2 S. 1 EStG 2005 finden im Streitfall Anwendung. Deren Tatbestandsmerkmale sind (zwischen den Beteiligten unstreitig) erfüllt.

b) Die Ausgaben für die Bahncard sind auch keine regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG.

aa) Solche Zahlungen sind dann regelmäßig wiederkehrend, wenn sie nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis grundsätzlich am Beginn oder am Ende des Kalenderjahres zahlbar sind, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Sie müssen zum Jahreswechsel bzw. kurz vorher oder danach fällig sein (Schmidt/Heinicke, EStG, § 11 Rn. 22). Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis weist aber bereits keinen Bezug zum Jahreswechsel auf; vielmehr bleibt es dem Kläger unbenommen, die Bahncard 100 für die Dauer eines Jahres unabhängig vom Jahreswechsel zu erwerben.

bb) Überdies wären die Ausgaben nicht kurze Zeit vor Beginn des Kalenderjahres (2006) geleistet. Kurze Zeit ist nach ständiger Rechtsprechung in der Regel ein Zeitraum bis zu zehn Tagen (BFH-Urteil vom 24. Juli 1986 IV R 309/84, BStBl II 1987, 16).

c) Dass sich der von den Klägern begehrte Anteil an den Kosten der Bahncard 100 auf Fahrten bezieht, die erst im Veranlagungszeitraum 2006 durchgeführt werden, hindert den Abzug im Veranlagungszeitraum 2005 nicht. Vorab entstandene Werbungskosten sind abziehbar, soweit sie - wie im Streitfall - im Hinblick auf eine angestrebte Einkunftserzielung getätigt werden (BFH-Urteil vom 18. April 1996 VI R 75/95, BStBl II 1996, 529).

3. a) § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 EStG 2005 stellt keine vorrangige gesetzliche Ausnahmevorschrift zu § 11 Abs. 2 EStG dar. Während § 9 EStG Werbungskosten definiert und der Höhe nach begrenzt, trifft § 11 Abs. 2 EStG Aussagen zum Zeitpunkt des Abzugs von Ausgaben.

b) Das Problem der doppelten Berücksichtigung von Aufwendungen dergestalt, dass die tatsächlichen Ausgaben für die Bahncard im Jahr der Zahlung (2005) und zusätzlich die Entfernungspauschale im Jahr des tatsächlichen Anfalls der Fahrten (2006) als Werbungskosten abgezogen werden, betrifft nach der Überzeugung des Senats nicht die Auslegung des § 11 Abs. 2 EStG, sondern von § 9 EStG 2005. § 11 Abs. 2 EStG lässt nur im Falle regelmäßig wiederkehrender Ausgaben einen Abzug entsprechend der wirtschaftlichen Zuordnung von Ausgaben zu. Alle weiteren Auslegungsprobleme, auch zur doppelten Berücksichtigung, sind über die Auslegung der §§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 2 EStG 2005 zu lösen, die u.a. Regelungen zur Deckelung der Aufwendungen und zum Konkurrenzverhältnis von tatsächlichen Aufwendungen zur Entfernungspauschale enthalten. Ob dies im Wege teleologischer Reduktion über eine Kürzung des aus der Entfernungspauschale errechneten Werbungskostenbetrages um die bereits im vorangegangenen Veranlagungszeitraum angefallenen Zahlungen für die Bahncard oder über eine Änderung des Einkommensteuerbescheides des vorangegangenen Veranlagungszeitraums gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) erfolgt, kann der Senat im Streitfall offen lassen.

4. Der Abzug der beantragten Aufwendungen erfolgt im Streitjahr unabhängig von einer Vergleichsrechnung i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG. Diese könnte entgegen der Auffassung des Klägers nicht derart vorgenommen werden, dass Kosten für die Bahncard aus 2005, die auf Fahrten im darauffolgenden Kalenderjahr (2006) entfallen, mit Aufwendungen, die aus der Entfernungspauschale bzgl. Fahrten im Jahr der Zahlung (2005) resultieren, verglichen werden. Aus dem Sinnzusammenhang von § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG 2005 ergibt sich, dass sich die jeweiligen Kosten auf die selben Fahrten beziehen müssen. Hätte der Kläger seine Tätigkeit in Y erst 2006 aufgenommen und auch wieder beendet, die Bahncard 100 aber bereits 2005 erworben, wäre nach der Rechtsauffassung des Klägers eine Vergleichsrechnung gar nicht möglich, weil für 2005 kein als Entfernungspauschale abziehbarer Betrag existiert und in 2006 keine Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mehr anfielen. Eine doppelte Berücksichtigung wäre die Folge. Dies widerspräche der Absicht des Gesetzgebers.

5. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO infolge der rechtlichen Problematik des Falles für notwendig erklärt.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).

7. Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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