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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 19.05.2008
Aktenzeichen: 6 K 526/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 121 Abs. 1
AO § 125 Abs. 1
AO § 164 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Schätzungsbescheid nichtig ist, weil er nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) erging und das Absehen hiervon nicht begründet wurde.

Der Kläger führt seit dem 1. Juli 2003 einen Fugerbetrieb und wird zur Einkommensteuer einzelveranlagt. Am 11. April 2005 ging die Einkommensteuererklärung des Klägers für 2003 beim beklagten Finanzamt (FA) ein. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb war mit 24.500 EUR erklärt; eine Gewinnermittlung war der Erklärung nicht beigefügt. Diese wurde auch nach Aufforderung vorerst nicht nachgereicht.

Im Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 8. November 2005 schätzte das FA anhand eingereichter Umsatzsteuervoranmeldungen der Zeiträume Juli bis Dezember 2003 den Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb auf 30.000 EUR. Der Bescheid erging nicht unter dem VdN. Weshalb hiervon abgesehen wurde, hat das FA nicht begründet. Gegen den Bescheid wurde kein Einspruch eingelegt.

Der damalige steuerliche Berater des Klägers reichte die Einnahme-Überschuss-Rechnung (EÜR) für den Fugerbetrieb vom 1. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003, die einen Gewinn von 24.334,84 EUR aufwies, samt der Einkommensteuererklärung 2004 am 17. März 2006 beim FA ein. Dieses erließ am 17. August 2006 den Einkommensteuerbescheid für 2004, in dem negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 1.440 EUR der Besteuerung zugrunde gelegt wurden. Infolge eines zu versteuernden Einkommens (zvE) von - 2.445 EUR wurde die Einkommensteuer auf 0 EUR festgesetzt. Im Bescheid zum 31.12.2004 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer vom 22. August 2006 wurde ein verbleibender Verlustvortrag i.H.v. 848 EUR festgestellt.

Am 28. August 2006 erließ das FA einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung 1977 (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2003, in dem es einen Verlustrücktrag aus 2004 i.H.v. 11.326 EUR anstatt wie bisher i.H.v. 848 EUR berücksichtigte. Eine Änderung infolge der am 17. März 2006 nachgereichten EÜR erfolgte nicht.

Der Einkommensteuerbescheid für 2004 wurde am 4. September 2006 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert und negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. nunmehr 11.918 EUR angesetzt. An der festgesetzten Einkommensteuer von 0 EUR änderte sich nichts.

Der Einspruch des Klägervertreters vom 5. September 2006 gegen den Änderungsbescheid für 2003 vom 28. August 2006 ging am 6. September 2006 beim FA ein. Die Besteuerungsgrundlagen seien lediglich hinsichtlich des Verlustrücktrags aus 2004 geändert worden; die Schätzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb i.H.v. 30.000 EUR sei trotz zwischenzeitlich glaubhaft gemachter, anders lautender Besteuerungsgrundlagen nicht geändert worden.

Der Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 8. November 2005 sei nichtig. Nach § 164 AO könne eine Steuerfestsetzung unter dem VdN erfolgen, solange ein Steuerfall nicht abschließend geprüft sei. Dieser komme insbesondere dann in Betracht, wenn es sich um einen Schätzungsbescheid handele und der Steuerpflichtige die Abgabe der Steuererklärungen in Aussicht gestellt habe. Ob der VdN ausgesprochen werde oder nicht, bedürfe einer Ermessensentscheidung, welche seitens des FA nicht vorgenommen worden sei. Eine solche sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Es sei deshalb vom Nichtgebrauch des Ermessens auszugehen.

Am 7. September 2006 erließ das FA einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid zum 31.12.2004 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer, der einen Verlustrücktrag in den Veranlagungszeitraum 2003 i.H.v. 11.326 EUR ausweist und den verbleibenden Verlustvortrag auf nunmehr 0 EUR (bisher : 848 EUR) feststellt.

Gegen die Verlustfeststellungsbescheide vom 22. August 2006 bzw. 7. September 2006 sowie gegen den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 4. September 2006 legte der Klägervertreter mittels Schreibens vom 21. September 2006, eingegangen beim FA am 22. September 2006, Einspruch ein. In den Einspruchsentscheidungen vom 12. Juni 2007 wurden die Einsprüche gegen die Verlustfeststellungsbescheide als unbegründet zurückgewiesen, der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 mangels Beschwer als unzulässig verworfen.

Der Einspruch des Klägervertreters vom 5. September 2006 gegen den Änderungsbescheid für 2003 vom 28. August 2006 wurde in einer weiteren Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte änderten, könnten nach § 351 Abs. 1 AO nur insoweit geändert werden, als die Änderung reiche, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergebe. Der Einspruch richte sich gegen den Bescheid vom 28. August 2006. Dieser ändere den bereits unanfechtbaren Bescheid vom 11. November 2005, gegen den der Kläger keinen Einspruch erhoben habe. Die bisher festgesetzte Steuer sei durch den geänderten Bescheid herabgesetzt worden.

Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei dadurch ausgeschlossen, dass es sich bei dem Gewinn aus Gewerbebetrieb nicht um eine neue Tatsache handele, die dem FA erst nach Freigabe des erstmaligen Steuerbescheides für das Jahr 2003 bekannt geworden sei, da der Kläger insofern bereits Angaben in seiner am 11. April 2005 abgegebenen Erklärung vorgenommen habe. Zum anderen habe er die entsprechenden Besteuerungsgrundlagen dem FA pflichtwidrig nicht mitgeteilt und müsse dahingehend grobes Verschulden vertreten.

Der Bescheid vom 8. November 2005 sei nicht nichtig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO. Das FA habe sein Auswahlermessen bzgl. der endgültigen Festsetzung der Einkommensteuer des Jahres 2003 ausgeübt. Die Auffassung, der Bescheid habe unter dem VdN ergehen müssen, habe durch die rechtzeitige Einlegung eines entsprechenden Einspruchs geltend gemacht werden müssen.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 10. Juli 2007, eingegangen bei Gericht am 11. Juli 2007. Eine Ermessensentscheidung darüber, ob der VdN ausgesprochen werde oder nicht, lasse auch die Einspruchsentscheidung vermissen. Dem Kläger sei die angebliche Ermessensentscheidung weder bekannt gegeben noch begründet worden. Das FA habe eine solche gar nicht vorgenommen.

Der Kläger beantragt,

die mit Bescheid für 2003 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 8. November 2005 bzw. 28. August 2006 festgesetzte Einkommensteuer 2003 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2007 auf 2.462 EUR herabzusetzen sowie die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Finanzamt vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 12. Dezember 2007 Bezug genommen.

Der Rechtsstreit wurde mittels Beschlusses vom 20. November 2007 auf den Einzelrichter übertragen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

1.

Die Abgabenordnung eröffnet keine Möglichkeit, den Einkommensteuerbescheid vom 28. August 2006 dahingehend abzuändern, dass Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 24.334,84 EUR anstelle von 30.000 EUR der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2007 wird Bezug genommen, § 105 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung (FGO).

2.

Ergänzend ist zur unterbliebenen VdN-Festsetzung Folgendes auszuführen:

a)

Der Bescheid vom 11. November 2005 ist diesbezüglich bereits nicht rechtswidrig.

aa)

Gemäß § 164 Abs. 1 AO können Steuern, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem VdN festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Nach der gesetzlichen Regelung steht es im Ermessen der Finanzbehörde, einen Verwaltungsakt, sofern der Steuerfall noch nicht abschließend geprüft worden ist, unter dem VdN zu erlassen. Eine Verpflichtung zur Aufnahme des Nachprüfungsvorbehaltes in allen Schätzungsfällen ist aus dem Gesetz nicht abzuleiten (vgl. Hessisches Finanzgericht (FG), Urteil vom 15.03.2001, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 798 ; FG Köln, Urteil vom 10. November 1995 3 K 3229/94 , EFG 1996, 899 , 900; FG München, Urteil vom 18. April 1995 7 K 2/93 , EFG 1995, 866 ). Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass kein genereller Anspruch auf eine Vorbehaltsfestsetzung besteht (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHSp), AO, § 164 Rz. 8 a m.w.N.).

bb)

Wie sich dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen lässt, steht die Aufnahme des VdN im Ermessen der Finanzbehörde, welches nicht zu begründen ist. Aus der fehlenden Begründungspflicht, die als lex specialis eine Einschränkung des § 121 Abs. 1 AO enthält und nicht nur für die Aufnahme der Nebenbestimmung, sondern erst recht für deren Nichtbeifügung gilt, ergibt sich zugleich, dass die Finanzverwaltung bei der Entscheidung über die Aufnahme frei ist (Urteil des Niedersächsischen FG vom 13. Dezember 2005 13 K 427/05, EFG 2006, 864). Denn ohne eine Begründungspflicht kann die Ausübung des Ermessens durch das Finanzgericht mit Ausnahme von groben Verstößen, wie z.B. objektiver Willkür, nicht überprüft werden. Es obliegt deshalb grundsätzlich allein der Einschätzung der Finanzverwaltung, ob und ggf. wann sie eine Festsetzung unter dem VdN erlassen will. Dies gilt auch, soweit es sich um eine Schätzungsveranlagung handelt. Denn auch bei Schätzungsveranlagungen darf das Finanzamt davon ausgehen, dass der Fall für eine spätere Prüfung nicht mehr offen gehalten werden soll. Die Interessen des Steuerpflichtigen werden zum einen durch die Änderungsvorschriften und zum anderen durch die Anfechtungsmöglichkeit des Schätzungsbescheides hinreichend geschützt (Urteil des Niedersächsischen FG vom 13. Dezember 2005 13 K 427/05, EFG 2006, 864; Heuermann, in: HHSp, § 164 Rz. 8 a m.w.N.).

b)

Der Bescheid vom 11. November 2005 wäre auch dann nicht nichtig, wenn entsprechend der Argumentation des Klägers eine Begründung der Ermessenserwägungen verlangt würde.

Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschriften beurteilt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ( BFH) vom 20. Dezember 2000 I R 50/00 , Bundessteuerblatt ( BStBl) II 2001, 381 , m.w.N.).

Begründungsmängel führen in aller Regel nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts (BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 I R 31/93, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 1995, 576). Der Streitfall stellt insoweit keinen Ausnahmefall dar. Der steuerlich beratene Kläger hatte den Jahresabschluss 2003 trotz Aufforderung vom 21. April 2005 bis zum Erlass des Bescheides am 8. November 2005 nicht eingereicht. Wenn das FA vor diesem Hintergrund das Ermessen dahingehend ausübt, vom VdN abzusehen und dies nicht begründet, führt dies nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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