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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.12.2007
Aktenzeichen: 6 K 69/05
Rechtsgebiete: HGB
Vorschriften:
HGB § 255 Abs. 2 S. 4 |
Finanzgericht Baden-Württemberg
Tenor:
1. Der Körperschaftsteuerbescheid 1999 vom 23. März 2004 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2005 wird geändert; dem beklagten Finanzamt wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner der Klägerin das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft des Urteils neu bekanntzugeben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Finanzamt.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil wird im Kostenausspruch für vorläufig vollstreckbar erklärt. Ermöglicht die Entscheidung über die Kosten eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin Sicherheit in Höhe der für sie festgesetzten Kostenerstattung zu leisten. Im Übrigen kann das beklagte Finanzamt die Vollstreckung abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der für sie festgesetzten Kostenerstattung leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob es sich bei der - jährlichen - Zahlung einer erfolgsabhängigen Prämie durch die Klägerin an ihre Mitarbeiter um freiwillige soziale Leistungen im Sinne von § 255 Abs. 2 Satz 4 des Handelsgesetzbuches -HGB- handelt, die nicht in die Herstellungskosten der unfertigen Leistungen einzubeziehen sind, oder nicht.
Die Klägerin ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der "... mbH" - nachfolgend GmbH -, welche im Streitjahr zu der ... AG als Tochtergesellschaft gehört und im Bereich des Entwicklungs- und Projektmanagements tätig gewesen ist. Sie erbrachte bautechnische Beratungsleistungen für Großprojekte, welche häufiger sich über ein oder auch mehrere Jahre erstreckten und am Ende abgerechnet wurden. Von den Auftraggebern wurden Anzahlungen auf die Projekte entsprechend dem Projektfortschritt geleistet.
Die Klägerin zahlte ihren Arbeitnehmern im Streitjahr Erfolgsprämien. Dazu ist in allen Arbeitsverträgen folgende Klausel aufgenommen:
" Die Geschäftsleitung entscheidet einmal jährlich über die Gewährung einer frei zu bestimmenden Prämie, die sich an der wirtschaftlichen Lage, den persönlichen Leistungen des Mitarbeiters und am Ergebnis der Gesellschaft orientiert. Einzelheiten ergeben sich aus der jeweils gültigen Fassung des Prämiensystems. Dieses kann bei Erfordernissen der Bürosituation angepasst werden. Die Teilnahme am Prämiensystem kann von der Geschäftsleitung widerrufen werden. "
Für das Prämiensystem besteht keine Betriebsvereinbarung. Allerdings existiert eine von der Geschäftsleitung herausgegebene Broschüre "Prämie und Ranking" (vgl. Bl. 63 ff. der finanzgerichtlichen Akten des Verfahrens 6 V 44/04), die sich im Einzelnen mit der Prämie, ihrer Ermittlung und ihrer Zahlung auseinandersetzt; auf den Inhalt dieser Broschüre wird verwiesen. Ferner ist die Prämie erst fällig ab einem Rohertrag von mehr als 22,5% an (vgl. Bl. 69 ff., 72 ff., 74 der FG-Akten des Verfahrens 6 V 44/04).
In dieser Broschüre heißt es u.a.:
" Mit dem Grundgehalt honoriert das Unternehmen die normale Leistung des Mitarbeiters, ihre Qualifikation und Bereitschaft zur Weiterbildung. Die Prämie ist eine zusätzliche, ergebnisabhängige Anerkennung für den wirtschaftlichen Erfolg und den Grad der Kundenzufriedenheit, den ein Mitarbeiter ... erzielt hat ...
Nur was erwirtschaftet wird, kann auch verteilt werden. Deshalb entscheidet die Geschäftsleitung einmal jährlich darüber, in welchem Umfang Prämien möglich sind. Die Höhe der Prämie richtet sich nach der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ...
Da die Prämie vom wirtschaftlichen Erfolg unseres Unternehmens und vom individuellen Erfolg des Einzelnen abhängt, kann die Höhe von Jahr zu Jahr erheblich schwanken. Deshalb kann auch die Prämie keine Garantieleistung sein ...
Wer im Laufe eines Jahres mehr als sechs Wochen abwesend oder krank ist, dessen Anteil an der Prämie verringert sich entsprechend ... Wer im laufenden Geschäftsjahr kündigt, hat für dieses Geschäftsjahr keinen Anspruch auf Prämie. Die Geschäftsleitung entscheidet im Einzelfall über die Auszahlung eventueller Restprämien."
Bei der Zahlung weist die Klägerin auf Folgendes hin:
" Wir [= Geschäftsleitung der Klägerin] weisen nochmals darauf hin, dass diese Zahlung freiwillig und unter Vorbehalt erfolgt. Die Geschäftsleitung behält sich für jedes Geschäftsjahr die Entscheidung darüber vor, ob und in welcher Höhe eine Prämie gewährt wird. Ein Rechtsanspruch für die Zukunft wird dadurch nicht begründet. "
In der Zeit vom 29. Juli 2002 bis 30. September 2003 fand bei der GmbH eine Betriebsprüfung statt, die sich u.a. auch auf die Körperschaftsteuer des Streitjahres erstreckte (vgl. Bericht über die Außenprüfung vom 7. Januar 2004 -Bp-Bericht-). Bei der Überprüfung der Bilanzposition "Unfertige Leistungen" stellte der Außenprüfer fest, dass die oben dargestellten Prämien nicht in die Herstellungskosten mit einbezogen worden seien. Während die GmbH die Auffassung vertrat, dass es sich bei den Prämien um freiwillige soziale Leistungen handele, vertrat der Außenprüfer die Auffassung, dass die Prämienzahlungen als Bestandteile der Lohn- und Gehaltskosten zu den Herstellungskosten der einzelnen Projekte gehörten, die als Bilanzposition in dem Wirtschaftsgut "Unfertige Leistungen" zusammengefasst sind.
Das beklagte Finanzamt -FA- schloss sich der Rechtsauffassung des Außenprüfers an und erließ mit Datum 23, März 2004 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1999, in dem der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 der Abgabenordnung -AO- aufgehoben wurde.
Gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1999 legte die GmbH form- und fristgerecht Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2005, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Wesentlichen ist ausgeführt, dass für die GmbH eine zivilrechtliche Rechtspflicht bestanden habe, die Prämien als Arbeitslohn zu bezahlen.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2005, der am gleichen Tag bei Gericht eingegangen ist, wurde Klage erhoben. Die Klägerin verfolgt ihr außergerichtliches Begehren weiter und trägt im Wesentlichen Folgendes vor: Entgegen der Auffassung des FA besteht kein Zwang zur Zahlung der Erfolgsprämie; diese ist vielmehr vom Ertrag des einzelnen Projekts abhängig. Wird nicht der vom Unternehmen vorgegebene Mindestertrag von 22,5% erreicht, ist eine Prämie nicht fällig. Daraus folge, dass das Unternehmen keine Bindung hinsichtlich der Erfolgsprämie eingehen wolle, da diese ausschließlich vom Erfolg des einzelnen Wirtschaftsjahres abhängig sei. Arbeitsgerichtliche Streitigkeiten betreffend die Prämienzahlungen habe es bisher nicht gegeben, und zwar auch nicht in den Fällen, in denen bei Ausscheiden eines Mitarbeiters innerhalb des ersten Quartals eines Folgejahrs keine Erfolgsprämie gezahlt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid für 1999 vom 23. März 2004 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2005 dahingehend abzuändern, dass 76.000 DM abzüglich der darauf entfallenden Gewerbesteuer als Betriebsausgaben anerkannt werden,
hilfsweise
für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegen Zulassung der Revision,
sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise
für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegen Zulassung der Revision.
Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2005 wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die GmbH verpflichtet gewesen sei, Prämien zu zahlen, sofern sie Überschüsse erwirtschaftet habe; für eine Freiwilligkeit der Zahlung bleibe kein Raum. Demnach scheide auch die Anwendung des § 255 Abs. 2 Satz 4 HGB aus. Der Vorbehalt in dem einzelnen Arbeitsvertrag sowie bei der Auszahlung der Prämie würde durch die Prämienregelung sowie die praktische Handhabung überlagert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom FA vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 18. September 2006 Bezug genommen.
Zum Verfahren wurden die Akten des zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Finanzrechtsstreit 6 V 44/04 beigezogen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
1. Nach der Definition des Handelsgesetzbuchs (§ 255 Abs. 2 und 3 HGB) sind Herstellungskosten die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Dazu gehören die Materialkosten, die Fertigungskosten und die Sonderkosten der Fertigung. Bei der Berechnung der Herstellungskosten dürfen auch angemessene Teile der notwendigen Materialgemeinkosten, der notwendigen Fertigungsgemeinkosten und des Wertverzehrs des Anlagevermögens, soweit er durch die Fertigung veranlasst ist, eingerechnet werden. Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie Aufwendungen für soziale Altersversorgung brauchen nicht eingerechnet werden. Aufwendungen in diesem Sinne dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als sie auf den Zeitraum der Fertigung entfallen. Vertriebskosten gehören nicht zu den Herstellungskosten.
Die handelsrechtliche Definition stimmt inhaltlich mit der steuerrechtlichen Begriffsbestimmung überein. Diese dem Handelsrecht nachgebildete Begriffsbestimmung gilt nicht nur im betrieblichen, sondern auch im außerbetrieblichen Bereich. Als Herstellungskosten kommen nur tatsächlich angefallene Aufwendungen in Betracht. Nur kalkulatorische Kosten sowie der Wert der eigenen Arbeitskraft des Herstellers bleiben außer Ansatz. Im Gegensatz zum Handelsrecht, bei dem lediglich für die Einzelkosten eine Einbeziehungspflicht besteht und diese damit die Untergrenze der Herstellungskosten bilden, müssen steuerrechtlich auch die Material- und Fertigungskosten bei der Ermittlung der Herstellungskosten berücksichtigt werden.
Einzelkosten sind die dem Vermögensgegenstand direkt zurechenbaren Kosten. Dies sind nur solche Kosten, deren Maßeinheiten nach Menge und Zeit (Material und Lohn) dem einzelnen Vermögensgegenstand direkt zugerechnet werden können. Die Unmittelbarkeit der Zurechnung bezieht sich auf den zur Herstellung eingesetzten Güterverzehr. Bewertet wird das eingesetzte Material mit seinen Anschaffungskosten einschließlich der Nebenkosten abzüglich Anschaffungskostenminderungen. Zu den Fertigungslöhnen rechnen die Bruttolöhne. Freiwillige Sozialabgaben, Ergebnisbeteiligungen/Prämien und Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung gehören dagegen nicht zu den Fertigungskosten (§ 255 Abs. 2 Satz 4 HGB). Darüber hinaus kommen als Einzelkosten die Sonderkosten der Fertigung und die Entwicklungs-, Versuchs- und Konstruktionskosten in Betracht.
2. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 12. Januar 2000 10 AZR 840/98 gilt Folgendes: Wird im Arbeitsvertrag eine zusätzliche Leistung als freiwillige Leistung bezeichnet, die ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gewährt wird, so kann der Arbeitgeber in jedem Jahr erneut eine Entscheidung darüber treffen, - ob, - unter welchen Voraussetzungen und - an welche Arbeitnehmer eine zusätzliche Leistung gezahlt werden soll. Diese Rechtsprechung, die sich mit dem sog. arbeitsrechtlichen Freiwilligkeitsvorbehalt befasst, hat das BAG in der Folgezeit wiederholt bestätigt und ist zwischenzeitlich gefestigte, ständige Rechtsprechung (vgl. BAG Urteil vom 28. März 2007 10 AZR 261/06 betreffend eine Jahressonderzahlung; vom 25. April 2007 5 AZR 627/06 betreffend Freiwilligkeitsvorbehalt beim Entgelt; vom 23. Mai 2007 10 AZR 363/06 zu dem Problembereich freiwillige Weihnachtsgratifikation und freiwillige Ergebnisgratifikation).
Der erkennende Senat schließt sich der vorstehend dargestellten Rechtsauffassung des BAG an. Entgegen der Rechtsauffassung des FA hat die GmbH in den Arbeitsverträgen und der Broschüre über das Prämiensystem, die kraft der Verweisung in den Arbeitsverträgen Bestandteil der Arbeitsverträge geworden sind, den Freiwilligkeitsvorbehalt in einer den Anforderungen der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung Genüge tuender Weise zum Bestandteil des Arbeitsvertrages gemacht. Die Grundsätze, die das BAG in seinem Urteil vom 5. Juni 1996 10 AZR 883/95 zur Gratifikation aufgestellt hat, sind von der GmbH bei ihrem Prämiensystem berücksichtigt worden. Damit handelt es sich bei der erfolgsabhängigen Prämie um freiwillige Leistungen, die unter die Regelung des § 255 Abs. 2 Satz 4 HGB fallen. Demgemäß war der Klage stattzugeben.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 der Finanzgerichtsordnung -FGO-.
4. Die Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Bei der zu entscheidenden Rechtsfrage handelt es sich um eine schwierige Rechtsfrage und die Klägerin bzw. die GmbH durfte drauf vertrauen, einen fachkundigen Berater mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen zu dürfen.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 709 der Zivilprozessordnung -ZPO-, § 151 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 FGO.
6. Die Revision wird nicht zugelassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO erfüllt sind.
Ende der Entscheidung
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