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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 03.08.2005
Aktenzeichen: 7 K 318/02
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, ZPO
Vorschriften:
AO 1977 § 362 Abs. 1 | |
ZPO § 418 Abs. 1 | |
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a |
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 7. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03. August 2005 durch Präsident des Finanzgerichts ... Richter am Finanzgericht ... Ehrenamtliche Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Der Einkommensteuerbescheid für 2001 in der Fassung vom 21. November 2003 wird dahingehend geändert, dass die festgesetzte Einkommensteuer auf 117.616 DM herabgesetzt wird.
2. Die Revision wird zugelassen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
Anschrift: Finanzgericht Baden-Württemberg - Außensenate Karlsruhe -, Postfach 10 01 08, 76231 Karlsruhe
Dienstgebäude: Moltkestraße 80, 76133 Karlsruhe
Fernsprecher: 0721 926 3690, Fax: 926 3559, E-Mail: Poststelle@FGKarlsruhe.justiz.bwl.de
Verkehrsverbindung: Haltestelle Moltkestraße
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einspruchsrücknahme rechtzeitig widerrufen wurde und ob der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen ungekürzt zu gewähren ist.
Der am 31. Dezember 1937 geborene Kläger wurde gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Klägerin, zur Einkommensteuer des Streitjahres veranlagt. Er war bis 31. Dezember 2000 nichtselbständig tätig und ging mit Ende des Jahres 2000 in den Ruhestand. Im Streitjahr bezog der Kläger von seinem früheren Arbeitgeber Einkünfte in Höhe von insgesamt 394.562 DM, nämlich als betriebliche Altersversorgung laufende Versorgungsbezüge in Höhe von 171.912 DM sowie eine im April 2001 ausbezahlte persönliche Gratifikation (53.750 DM) sowie Erfolgsbeteiligung (168.900 DM) für das Jahr 2000 von insgesamt 222.650 DM. Sozialversicherungsbeiträge wurden hierfür nicht einbehalten. Als beschränkt abziehbare Sonderausgaben erklärten die Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von 22.481 DM.
Der Beklagte - das Finanzamt (FA) veranlagte mit Einkommensteuerbescheid vom 4. Juni 2002 die Kläger erklärungsgemäß, kürzte allerdings vollständig den Vorwegabzug unter Berücksichtigung der Bezüge in Höhe von 222.650 DM.
Mit beim FA am 19. Juni 2002 eingegangenem Einspruchsschreiben vom 16. Juni 2002 wandte sich der Kläger gegen die Kürzung des Vorwegabzugs.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2002 fragte das FA beim Kläger an, ob er den Einspruch aufrechterhalte. Er habe Arbeitslohn nach § 19 Einkommensteuergesetz (EStG), eine Rente sowie eine Betriebsrente bezogen und gehöre deshalb zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG, so dass die Vorsorgepauschale zu kürzen sei.
Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 21. August 2002, seinen Einspruch vom 16. Juni 2002 gegen den Bescheid zur Einkommensteuer 2001 zurückzuziehen. Das FA versah dieses in der Rechtsbehelfsakte befindliche Schreiben mit seinem Eingangsstempel vom 22. August 2002.
Mit Computerfax vom 22. August 2002 teilte der Kläger dem FA mit, seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 zurückgezogen zu haben, den Inhalt dieses Schreibens aber zu widerrufen und den Einspruch aufrecht zu erhalten.
Der Kläger teilte dem Sachbearbeiter des Finanzamts - ... - am 22. August 2002 auch telefonisch mit, die Rücknahme des Einspruchs zu widerrufen und dies unverzüglich per Fax dem FA mitzuteilen. Darüber fertigte der Sachbearbeiter einen Aktenvermerk mit folgendem Inhalt: "Laut Anruf des Steuerpflichtigen wurde bereits Einspruchsrücknahme in Briefkasten geworfen. Steuerpflichtiger will aufgrund neuer Informationen den Einspruch aber nicht zurücknehmen. Diesbezüglich kommt neues Schreiben."
Das beim FA eingegangene Fax des Klägers über den Widerruf der Rücknahme des Einspruchs ist mit dem Eingangsstempel des FA vom 22. August 2002 versehen. In der Fußzeile trägt es den durch das Faxgerät des FA angebrachten Datum- und Uhrzeitaufdruck "22-AUG-2002 14:28". In der Kopfzeile enthält es den durch den PC des Klägers angebrachten Datum- und Uhrzeitaufdruck "22.08.2002 14:23:12".
Das FA versah eingehende Post, die am Morgen aus seinem bei der Post AG unterhaltenen Postfach entnommen wurde ebenso wie die aus dem eigenen Hausbriefkasten des FA entnommene Post und die bei Dienstbeginn in seinem Faxgerät vorgefundenen Telefaxschreiben mit dem Eingangsstempel des Vortages. Erst nach Bearbeitung dieser Eingangspost - "Morgenpost" - wurde der Posteingangsstempel taggenau auf das gegenwärtige Datum umgestellt. Die dann eingehenden Schreiben erhielten unabhängig von ihrer Versendungsform - Post AG, Fax, persönliche Übergabe - das aktuelle Tagesdatum.
Das FA verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2002 als unzulässig. Der Einspruch sei nach § 362 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung - AO - durch Schreiben vom 21. August 2002 wirksam zurückgenommen worden. Die Zulässigkeit des Einspruchs unterstellt, wäre der Vorwegabzug aber jedenfalls zu kürzen. Denn der Kläger gehöre zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG.
Mit beim Finanzgericht am 12. Dezember 2002 eingegangener Klage begehrt der Kläger den ungekürzten Vorwegabzug.
Die Rücknahme des Einspruchs sei zwar erklärt, jedoch rechtzeitig widerrufen worden. Das die Rücknahme des Einspruchs erklärende Schreiben sei am 21. August 2002 gegen 22.00 Uhr erstellt worden, wie der Ausdruck zu den Dokumenteneigenschaften des Schreibens ergebe. Am 22. August 2002 sei dieser Brief vormittags in den Briefkasten der Post AG geworfen worden. Am 22. August 2002 um 14.23 Uhr sei beim FA das Fax über den Widerruf der Rücknahme des Einspruchs eingegangen, wie das auf dem Fax angebrachte Sendeprotokoll belege. Die Rücknahme des Einspruchs sei zu diesem Zeitpunkt dem FA noch nicht zugegangen. Denn die Postbriefkästen würden gegen 16.00 Uhr geleert, der Brief könne daher nicht, wie in der Einspruchsentscheidung behauptet, am 22. August 2002, sondern frühestens am 23. August 2002 beim FA eingegangen sein.
Die Kürzung des Vorwegabzugs sei nicht berechtigt, weil er im Jahr 2001 keine Einkünfte, die eine Anwartschaft auf eine künftige Altersversorgung begründeten, bezogen habe. Steuerfreie Beiträge zu einer Versorgungseinrichtung seien nicht geleistet worden. Eine "Berufstätigkeit" im Sinne des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG sei nicht ausgeübt worden.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 2001 in der Fassung vom 21. November 2003 zu ändern und bei der Ermittlung der beschränkt abziehbaren Sonderausgaben zusätzlich den Vorwegabzug in Höhe von 12.000 DM steuermindernd zu berücksichtigen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Einspruch sei wirksam zurückgenommen worden. Der formell ordnungsgemäß angebrachte Eingangsstempel einer Behörde erbringe den vollen Beweis für Zeit und Ort des Eingangs des Schriftstücks nach § 418 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 418 Abs. 2 ZPO sei der Gegenbeweis zu erbringen. Dieser erfordere aber den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Die fehlende Aufklärbarkeit ginge zu Lasten des Klägers, denn er trage die objektive Beweislast im Sinne der Feststellungslast.
Nach dem Wortlaut des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG sei schon dann, wenn der Kläger vor dem Streitjahr eine Berufstätigkeit ausgeübt habe, eine Kürzung des Vorwegabzugs vorzunehmen. Nur so seien das in der Zeitform des Präsenz formulierte Tatbestandsmerkmal des "Unterliegen", sowie die im Perfekt formulierten Tatbestandsmerkmale "ausgeübt ... erworben haben" sinnvoll auszulegen. Schon ein geringfügiger Bezug von sozialversicherungspflichtigem Arbeitslohn führe dazu, dass auch sozialversicherungsfreie Zuflüsse für die Berechnung der Minderung nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG heranzuziehen seien. Der Kläger habe im Streitjahr auch keinen einem Selbständigen vergleichbaren erhöhten Versorgungsbedarf gehabt, da bereits eine Altersversorgung bestanden habe.
Der Veranlagungszeitraum 2001 sei zwar entscheidungserheblich, Sinn und Zweck der Kürzung des Vorwegabzugs erfordere aber den streitjahrübergreifenden Rückblick. Mit dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand entfalle die sozialversicherungspflichtige Qualität seines Beschäftigungsverhältnisses nicht, so dass die dem Kläger auch in späteren Jahren zufließenden Einnahmen kürzungsverhaftet seien. Auch § 10 c EStG gewähre Arbeitnehmern, die eine Anwartschaft ohne eigene Beitragsleistungen erworben hätten, dauerhaft nur die geringere Vorsorgepauschale. Dasselbe müsse auch im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG gelten.
Auf die gegenseitig gewechselten, in der Akte befindlichen Schriftsätze des Klägers vom 11. Dezember 2002, 18. April 2003, 19. August 2003, 14. Juli 2004, 26. Juli 2004, 1. September 2004, 13. Dezember 2004 und 1. Februar 2005 sowie des FA vom 19. Februar 2003, 16. Juni 2003, 17. Juli 2003, 7. Juli 2004, 11. Juli 2004, 10. November 2004 und 19. Januar 2005 wird nebst Anlagen Bezug genommen.
Die den Streitfall betreffenden Akten haben dem Senat vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der Einspruch wurde nicht wirksam zurückgenommen. Die Klage war daher nicht wegen Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, seitdem ständige Rechtsprechung). Der Einkommensteuerbescheid für 2001 in der Fassung vom 21. November 2003 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, als ihnen darin der Vorwegabzug gekürzt wurde. Das zu versteuernde Einkommen der Kläger ist daher um 12.000 DM niedriger anzusetzen und die Einkommensteuer dementsprechend geringer festzusetzen.
1. Der am 19. Juni 2002 gegen den Einkommensteuerbescheid vom 4. Juni 2002 fristgerecht eingelegte Einspruch wurde durch das Schreiben des Klägers vom 21. August 2002 nicht zurückgenommen.
a) Die Rücknahme eines Einspruchs ist grundsätzlich wegen der unmittelbaren Gestaltungswirkung für das anhängige Verwaltungsverfahren weder widerruflich noch nach den Vorschriften des Zivilrechts über Willenserklärungen anfechtbar. Ein Widerruf ist allerdings dann möglich, wenn dieser vor der Rücknahmeerklärung, spätestens gleichzeitig mit ihr beim Finanzamt eingeht (vgl. von Wedel, in: Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 362 AO, Rdz. 12; Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 362 Rdz. 62; Urteil des FG München vom 16. März 1999, 12 K 616/94, ESG 1999, 654).
b) Das als Computerfax unstreitig am 22. August 2002 beim FA eingegangene Schreiben über den Widerruf der Rücknahme des Einspruchs ging vor der Einspruchsrücknahme - Schreiben vom 21. August 2002 - beim FA ein. Denn die mit Schreiben vom 21. August 2002 erklärte Einspruchsrücknahme ging erst am 23. August 2002 beim FA ein. Der Kläger hat seine Einspruchsrücknahme mit dem bereits am 22. August 2002 beim FA eingegangenen Computerfax (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Januar 2003 VI B 125/99, BFH/NV 2003, 646) daher wirksam widerrufen.
aa) Die Einspruchsrücknahme vom 21. August 2002 ist erst am 23. August 2002 beim Beklagten eingegangen. Der Kläger hat nach der Überzeugung des Senats glaubhaft dargetan, dass er dieses Schreiben erst am Abend des 21. August gegen 22 Uhr erstellt hat. Diesen Umstand belegt der Kläger durch den hierzu vom ihm zu den Akten gegebenen Ausdruck über die Erstellung des mit dem Textprogramm Word abgefassten Schreibens vom 21. August 2002. Auch der vom Mitarbeiter des Beklagten am 22. August 2002 verfasste Aktenvermerk stimmt mit dieser Schilderung des Klägers überein. Dieser Aktenvermerk enthält nicht nur die Feststellung, dass der Kläger den Einspruch nicht zurücknehmen wollte, sondern auch, dass der Kläger dem FA den Zugang eines neuen Schreibens angekündigt hat, welches dann auch beim FA per Fax am 22. August 2002 um 14:28 Uhr eingegangen war. Dies ergibt sich aus dem durch das Faxgerät des FA angebrachten Aufdruck und wird auch durch das FA nicht in Abrede gestellt. Der Aktenvermerk enthält auch nichts dazu, dass das Rücknahmeschreiben vom 21. August 2002 dem Sachbearbeiter schon vorgelegen hat. Weitere Indizien dafür, dass sich das den Einspruch zurücknehmende Schreiben zu dem Zeitpunkt, zu dem das Fax beim FA einging, noch auf dem Postweg befand und nicht etwa vom Kläger selbst in den hauseigenen Briefkasten des FA eingelegt worden war, sieht der Senat schließlich in seiner Adressierung an das Postfach des FA und in dem Wortlaut des Fax, in dem der Kläger schreibt, "morgen" werde ein Schreiben eingehen. Insgesamt fügt sich die Schilderung des Klägers unter Berücksichtigung des von ihm behaupteten Geschehensablaufs, der in den Akten vorgefundenen Posteingangsstempel und der allgemeinen Praxis des FA, die Morgenpost jeweils mit dem Stempel des Vortages zu versehen, zu einem in sich stimmigen und widerspruchsfreien Gesamtbild.
bb) Der Senat ist an dieser Würdigung der tatsächlichen Geschehnisse auch nicht durch die Beweisregel des § 418 ZPO gehindert. Durch den Eingangsstempel des FA ist insbesondere nicht bewiesen, dass die Einspruchsrücknahme schon am 22. August beim FA eingegangen war.
Der formell ordnungsgemäße Eingangsstempel einer Behörde kann zwar grundsätzlich öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO sein und damit den vollen Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schriftstückes gemäß § 418 Abs. 1 ZPO erbringen, so dass der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Beweis der Unrichtigkeit einer öffentlichen Urkunde den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs erfordert, insbesondere bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen nicht genügen, sondern zur Überzeugung des Gerichts jegliche Möglichkeit ihrer Richtigkeit ausgeschlossen sein muss (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460; vom 8. Juli 2003 VIII B 3/03, BFH/NV 2003, 1441).
Hier steht es jedoch unstreitig fest und bedarf damit insoweit keiner Beweisaufnahme mehr, dass das FA die so genannte Morgenpost stets mit dem Eingangsstempel des Vortages versehen hat, so dass ein den Eingangsstempel 22. August tragendes Schriftstück tatsächlich auch erst am 23. August eingegangen sein kann. Dies hat das FA im Erörterungstermin und auch schriftsätzlich eingeräumt. Schließlich hat es in der mündlichen Verhandlung diese Handhabung bei der Stempelung seiner Eingangspost nochmals so bestätigt.
Angesichts einer solchen Übung bei der Anbringung der Eingangsstempel mag diesem Stempel noch die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO zukommen, dann allerdings mit dem modifizierten urkundlichen Erklärungsinhalt, dass die gestempelten Poststücke am im Stempel ausgewiesenen Tag oder am Tag danach eingegangen sind. Jedenfalls erweist sich angesichts dieser Stempelungspraxis die durch die öffentliche Urkunde scheinbar bezeugte Tatsache eines am 22. August erfolgten Posteingangs als unrichtig im Sinne des § 418 Abs. 2 ZPO. Denn eine solche unstreitig feststehende Übung bei der Anbringung der Eingangsstempel ist nicht anders zu beurteilen, als wenn sicher feststünde, dass der Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder man bei der Abstempelung Fehler gemacht habe (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872).
Mit der feststehenden inhaltlichen Unrichtigkeit des Eingangsstempels kann es dahinstehen, ob bei taggleichem Eingang von Rücknahme und dessen Widerruf die Erklärungen als gleichzeitig im Sinne des oben genannten Rechtsmaßstabes eingegangen gelten, ohne dass es noch weiter auf die Uhrzeit der Zugänge für die Wirksamkeit des Widerrufs ankommt.
2. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2001 geltenden Fassung steht zusammen veranlagten Ehegatten für Vorsorgeaufwendungen je Kalenderjahr ein Vorwegabzug in Höhe von 12.000 DM zu. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG sind diese Abzugsbeträge um 16 % der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder wenn der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG gehört.
Da im Veranlagungszeitraum 2001 für den Kläger weder Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden waren, noch er zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG gehörte, sind diese Abzugsbeträge im Streitfall nicht zu kürzen.
a) Nach der seitens des Klägers vorgelegten schriftlichen Erklärung vom 10. September 2002 steht fest, dass für die zur Kürzung des Vorwegabzugs zugrundegelegten Einnahmen der ehemalige Arbeitgeber des Klägers keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat. Gegenteiliges wird auch vom FA nicht behauptet.
Zukunftssicherungsleistungen wurden damit im Sinne des § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG nicht erbracht. Entgegen der Auffassung des FA steht dem nach Auffassung des Senats nicht entgegen, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG in den Vorjahren erfüllt hat. Der Senat ist, anders als das Finanzgericht Berlin (Urteil vom 8. Februar 2005 7 K 7342/03, juris, Nr: STRE200570458), aber ähnlich wie etwa das Finanzgericht Köln (Urteil vom 27. April 2005 7 K 1265/03, EFG 2005, 1188) der Auffassung, dass die Kürzungsvoraussetzungen jeweils im Veranlagungszeitraum der Kürzung vorliegen müssen und es insbesondere nicht genügt, wenn diese nur in den vorangegangenen Jahren vorgelegen haben.
aa) Neben dem Wortlaut - "erbracht werden" - spricht die historische Entwicklung, wie vom BFH zur Auslegung der ab 1993 geltenden Neuregelung des Vorwegabzugs herangezogen, für diese Auslegung. Denn die Altregelung erfasste nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit schlechthin (vgl. BFH-Urteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, BStBl II 2004, 709 m.w.N.). Die Kürzung war nach Grund und Höhe abhängig davon, dass dem Steuerpflichtigen Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden waren. Dies war der dieser Regelung zugrunde liegende steuerliche Belastungsgrund, der in seinem Grundanliegen unverändert blieb. Der BFH betont nach Auffassung des Senats zu Recht, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung davon abrücken wollte. Die Vereinfachung zielte zwar auf einen einheitlichen prozentualen Kürzungssatz unter Verzicht auf eine zeitanteilige Berechnung. Es spricht aber nichts dafür, so der BFH, dass entgegen der bis dahin geltenden Rechtslage nunmehr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit auch dann in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen sind, wenn für den Steuerpflichtigen weder Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, noch er zu dem in § 10 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG genannten Personenkreis gehört.
bb) Auch das in der Entscheidung des BFH (BFH-Urteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, a.a.O.) herangezogene Gleichbehandlungsgebot spricht für diese Auslegung. Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG kann nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, BGBl. I 1998, 3430). Wie auch im vom BFH entschiedenen Streitfall wäre der Kläger hier allein deshalb schlechter gestellt, weil seine nicht sozialversicherungspflichtigen Einkünfte der Einkunftsart "nichtselbständiger Arbeit" zugeordnet sind. Denn wie ein Bezieher anderer Einkünfte muss auch er in vollem Umfang die Kosten für seine Zukunftssicherung im Streitjahr allein aufbringen. Im Rahmen des Sonderausgabenabzugs wäre er deshalb schlechter gestellt als ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten, ohne dass die Mehrbelastung durch eine Leistung i.S. des § 3 Nr. 62 EStG ausgeglichen wäre.
b) Der Kläger erfüllte in dem Streitjahr, in dem ihm die Zahlung zugeflossen ist, auch nicht die Voraussetzungen des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG und gehörte damit nicht zu dem in § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG genannten "Personenkreis". Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf eine lebenslange "Versorgung" im Sinne der beamtenrechtlichen und denen gleichgestellten Regelungen nach § 10 c Abs. 3 Nr. 1 EStG.
Er hat auch nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG während des Kalenderjahres eine Berufstätigkeit ausgeübt und in Zusammenhang mit dieser auf Grund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte ohne eigene Beitragsleistungen erworben. Seine in den Vorjahren ausgeübte Berufstätigkeit genügt diesen Anforderungen nicht.
§ 10 c Abs. 3 EStG beschreibt unter Nrn. 1 bis 4 den Personenkreis mit "Arbeitnehmer, die ... während des Kalenderjahrs" versicherungsfrei waren (Nr. 1), Anwartschaftsrechte ohne eigene Beitragsleistungen erworben haben (Nr. 2), Versorgungsbezüge (Nr. 3) oder eine Altersrente erhalten haben (Nr. 4). § 10 c Abs. 3 EStG formuliert damit jeweils in der Vergangenheitsform. § 10 c Abs. 3 Nr. 3 und 4 EStG bezieht diese Voraussetzungen offensichtlich nicht auf vorangegangene Veranlagungszeiträume, sondern auf die im Eingangssatz des § 10 c Abs. 3 EStG genannte Zeitspanne "während des ... Kalenderjahres". Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber dies in den Tatbeständen des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG bei insoweit gleich gewählter Zeitform anders habe regeln wollen. Die Voraussetzung des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG, Anwartschaftsrechte ohne eigene Beitragsleistungen erworben zu haben, bezieht sich deshalb auf den nämlichen Veranlagungszeitraum. Im Veranlagungszeitraum des Streitjahres hat der Kläger keine Anwartschaftsrechte ohne eigene Beitragsleistungen erworben.
Auch der Umstand, dass der Kläger bereits eine Altersversorgung erworben hat und in Anspruch nimmt, führt nicht zur Kürzung. Diese schließt § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG mit der Benennung des § 19 Abs. 2 EStG und dem nicht in Bezug genommenen Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 3 und 4 EStG ausdrücklich aus.
3. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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