Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 8 K 232/04
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 | |
AO § 174 Abs. 3 S. 1 | |
AO § 175 Abs. 1 S. 1 |
Finanzgericht Baden-Württemberg
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes im Veranlagungszeitraum 1993.
Der Kläger war vom 30. Juni 1989 bis zum 4. März 1993 an der ....................-GmbH (GmbH) zunächst mit 50 vom Hundert und ab dem 24. Juni 1991 mit 25 vom Hundert beteiligt. Zugunsten der GmbH ging der Kläger am 5. Juli 1990 eine Bürgschaftsverpflichtung ein. Der Kläger verkaufte mit notariellem Geschäftsanteilsübertragungsvertrag vom 4. März 1993 seine Beteiligung an der GmbH für 1 DM. Von der Bürgschaft nehmenden Bank wurde der Kläger 1994 in Anspruch genommen und leistete an diese in den Jahren 1994 bis 1998 im Wege von Ratenzahlungen insgesamt 100.913 DM. In den Jahren 1994 und 1995 hatte der Kläger anteilige Ratenzahlungen in Höhe von 19.200 DM (1994) und 25.452 DM (1995) zu leisten. Die GmbH wurde am 11. Januar 1996 wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
Der Kläger gab für den Veranlagungszeitraum 1993 zunächst keine Steuererklärung ab, so dass die Besteuerungsgrundlagen vom Beklagten geschätzt und die Einkommensteuer 1993 mit Bescheid vom 24. August 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde. Der Bescheid wurde durch Änderungsbescheid vom 23. Mai 1996 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geändert. Die Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1993 ging beim Beklagten am 30. März 1999 ein. Der Kläger erklärte für den Veranlagungszeitraum 1993 u.a. einen Verlust aus dem Verkauf der Beteiligung an der GmbH in Höhe von 12.499 DM (Veräußerungserlös 1 DM ./. Beteiligung 12.500 DM). Mit Änderungsbescheid vom 23. Juni 1999 berücksichtigte der Beklagte den erklärten Veräußerungsverlust, so wie er von dem fachlich vertretenen Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1993 erklärt worden war, und hob gleichzeitig den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Einkommensteuerbescheid 1993 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Juni 1999 wurde bestandskräftig.
Der Kläger reichte am 19. Oktober 1999 die Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1994 ein. Der Kläger begehrte in der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1994 unter anderem einen Veräußerungsverlust infolge der Inanspruchnahme des Klägers aus der vorgenannten Bürgschaft zugunsten der GmbH in Höhe von 19.200 DM. Im Einkommensteuerbescheid 1994 vom 16. November 1999 wurde der Verlust - wie vom Kläger erklärt - bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt. Der Steuerbescheid wurde bestandskräftig.
Auch für den Veranlagungszeitraum 1995 gab der Kläger - zunächst - keine Einkommensteuererklärung hab. Die Besteuerungsgrundlagen wurden vom Beklagten geschätzt und die Einkommensteuer mit Bescheid vom 15. Juli 1997 unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Mit Bescheid vom 19. Januar 1999 wurde der Einkommensteuerbescheid 1994 aufgrund einer Mitteilung über Beteiligungseinkünfte nach § 164 Abs. 2 AO geändert und gleichzeitig der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Der Kläger legte gegen diesen letztgenannten Bescheid mit Schreiben vom 25. Januar 1999 Einspruch ein und reichte am 17. Mai 2000 die Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1995 nach. Der Kläger begehrte in der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1995 unter anderem abermals einen Veräußerungsverlust aus der Inanspruchnahme des Klägers aus der vorgenannten Bürgschaft zugunsten der GmbH und reichte am 11. August 2000 zum Nachweis hierfür eine Zahlungsaufstellung seiner Bank ein. Der Beklagte änderte am 23. August 2000 den Einkommensteuerbescheid 1995 aufgrund der eingereichten Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1995 erneut ab. Die vom Kläger begehrte Berücksichtigung der Zahlungen aus der Bürgschaftsinanspruchnahme als Veräußerungsverlust berücksichtigte der Beklagte jedoch nicht. Der Kläger legte am 25. August 2000 gegen den vorgenannten Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 1995 erneut Einspruch ein und beantragte den Abzug der Zahlungen aus der Bürgschaftsinanspruchnahme, die 1995 von ihm an die Bürgschaft nehmende Bank zu leisten waren. Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2001 wurde der Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 1995, zuletzt geändert durch Bescheid vom 23. August 2000, als unbegründet zurückgewiesen. Der vorgenannte Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2001 wurde bestandskräftig.
Der Kläger stellte am 22. November 2001 einen Antrag auf Änderungen des Einkommensteuerbescheids 1993 zur Berücksichtigung des gesamten Veräußerungsverlustes infolge der Inanspruchnahme des Klägers aus der vorgenannten Bürgschaft zugunsten der GmbH nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen und nach Einspruchsentscheidung vom 10. April 2002 erhob der vertretene Kläger am 13. Mai 2002 Klage, die beim Finanzgericht unter dem Aktenzeichen 8 K 130/02 geführt wurde. Diese Klage wurde am 21. Juni 2002 zurückgenommen und das finanzgerichtliche Verfahren mit Beschluss vom 24. Juni 2002 eingestellt.
Mit einem weiteren Antrag vom 1. Juli 2002 begehrte der Kläger die Änderungen der Einkommensteuerbescheide der Veranlagungszeiträume 1995 bis 1998 zur Berücksichtigung des Veräußerungsverlustes infolge der Inanspruchnahme des Klägers aus der vorgenannten Bürgschaft zugunsten der GmbH nach § 173 AO. Letztgenannter Änderungsantrag wurde mit Bescheid des Beklagten vom 31. März 2004 bestandskräftig zurückgewiesen.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 30. Juni 2002 die Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 nach § 174 AO zu ändern, um den Veräußerungsverlust infolge der Inanspruchnahme des Klägers aus der vorgenannten Bürgschaft zugunsten der GmbH in 1994 im Veranlagungszeitraum 1993 berücksichtigt zu bekommen. Dieser Antrag des Klägers vom 30. Juni 2002 auf Änderungen der Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 wurde mit Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2002 abgelehnt und der Einspruch vom 20. August 2002 mit Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28. Mai 2004 als unbegründet zurückgewiesen. Die Ablehnung des Antrags auf Änderungen der Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 mit Bescheid vom 29. Juli 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 ist im vorliegenden Verfahren streitgegenständlich.
Der vertretene Kläger erhob gegen die Ablehnung seines Änderungsantrages mit Bescheid vom 29. Juli 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 mit Schreiben vom 8. Juni 2004 Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, dass spätestens im Jahr 1999 die Voraussetzungen einer widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 3 AO vorliegen. Der Beklagte habe 1999 einen bestimmten Sachverhalt in Gestalt der Bürgschaftsinanspruchnahme 1994 in Höhe von 19.200 DM bei der Einkommensteuerveranlagung 1994 berücksichtigt und nicht bei der Einkommensteuerveranlagung 1993. Hätte der Beklagte bereits 1999 die richtige Vorgehensweise vorgenommen und die Bürgschaftszahlungen 1994 mit der Begründung, diese sei 1993 zu berücksichtigen, abgelehnt, hätte innerhalb der Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum 1993 eine Änderung der Steuerfestsetzung 1993 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO bewirkt werden können. Der Beklagte habe den Sachverhalt allerdings erkennbar im Jahr 1994 berücksichtigt, obwohl er im Jahr 1993 hätte berücksichtigt werden müssen. Erst im Jahr 2000 habe der Beklagte die Bürgschaftszahlungen des Jahres 1995 mit Einkommensteuerbescheid 1995 vom 23. August 2000 abgelehnt und den Einspruch vom 25. August 2000 mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2001 bestandskräftig abgelehnt. Somit liege eine Periodenkollision bezüglich der Jahre 1993,1994 und 1995 vor. Ein Antrag auf Änderung nach § 174 Abs. 1 Satz 2 AO sei bis zum Ablauf eines Jahres nach dem der andere Steuerbescheid - also der Steuerbescheid des Jahres 1995 - unanfechtbar geworden sei, möglich. Die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 sei somit an die Festsetzungsverjährung des Einkommensteuerbescheids 1995 gekoppelt. Die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 1995 beginne nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO am 31. Dezember 1998. Die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 AO sei durch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO bis zur Unanfechtbarkeit des Einspruchs - Ablauf der Klagefrist - gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2001 - bis zum 15. Januar 2002 - gehemmt gewesen. Die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 1993 endete somit nach § 174 Abs. 1 Satz 2 AO am 15. Januar 2003 (15. Januar 2002 plus ein Jahr). Der Antrag auf Änderung der Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 vom 30. Juni 2002 sei damit innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. Juli 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1993 vom 24. August 1995 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Juni 1999 dahingehend zu ändern, die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft in Höhe von weiteren 100.913 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 - zuletzt geändert durch Bescheid vom 23. Juni 1999 - weder nach § 175 AO noch § 173 AO oder § 174 AO möglich sei. Mit Ablauf des Jahres 2000 sei für den Veranlagungszeitraum 1993 Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 sei daher nicht mehr möglich.
Mit den Beteiligten wurde 22. April 2008 der Sach- und Streitstand erörtert. Die Beteiligten erklärten im Erörterungstermin für den Fall einer streitigen Entscheidung den Verzicht auf mündliche Verhandlung. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin am 22. April 2008 wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass sich der Kläger der Erledigungserklärung des Beklagten im Erörterungstermin vom 22. April 2008 nicht anschließe und um streitige Entscheidung bitte.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 8 Juni 2004, 26. August 2004, 18. März 2008, 25. März 2008 und 7. Mai 2008 sowie auf die des Beklagten vom 24. August 2004 und auf den Bescheid vom 29. Juli 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Nach § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) spricht das Gericht, wenn die Sache spruchreif, die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen. Der erkennende Senat vermag im Streitfall die Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 - zuletzt geändert durch Bescheid vom 23. Juni 1999 - durch Bescheid vom 29. Juli 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 nicht als rechtswidrig zu beanstanden. Der Beklagte hat zu Recht die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1993 vom 24. August 1995 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Juni 1999 abgelehnt.
Ein Steuerbescheid ist, wenn er - wie im Streitfall - nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, u.a. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d) AO nur zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. Eine einschlägige Änderungsvorschrift, die im Streitfall zu der vom Kläger begehrten Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1993 führt, vermag der Senat im Streitfall jedoch nicht zu erkennen.
a) Der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 1993 kann insbesondere nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. und 2 AO geändert werden. Die Bürgschaftsinanspruchnahme des Klägers 1994 löst - mangels eines nachträglichen Ereignisses i. S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO - die Rechtsfolge dieser Korrekturvorschrift im Streitfall nicht aus. Ein Steuerbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die für die Entstehung und Höhe des Veräußerungsverlusts nach § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG 1993 maßgebenden Ereignisse sind im Streitfall neben dem Veräußerungsvorgang im Jahre 1993 in der - wie im Streitfall bei Wertlosigkeit des Rückgriffsanspruchs gegen die Gesellschaft nach § 774 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) - dem Grunde nach zu nachträglichen Anschaffungskosten führende Inanspruchnahme aus der vom Kläger eingegangenen, eigenkapitalersetzenden Bürgschaftsverpflichtung zugunsten der GmbH im Jahre 1994 zu sehen, soweit - wovon der Senat im Streitfall zugunsten des Klägers ausgeht - die Übernahme der Bürgschaft ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hatte (vgl. Finanzgericht - FG - München Urteil vom 29. Oktober 2007 9 K 1805/06, [...], m.w.N.; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 27. Auflage, § 17 Rz. 175 m.w.N.). Nachträgliche Anschaffungskosten sind in diesem Zusammenhang bereits dann entstanden, wenn der Gesellschafter oder - wie im Streitfall der ehemalige Gesellschafter - aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen wird, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt die Leistung aus seiner Bürgschaftsverpflichtung durch Zahlung an den Gläubiger noch nicht erbracht hat (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 3. Juni 1993 VIII R 81/91, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1994, 162 m.w.N.; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 27. Auflage, § 17 Rz. 178 m.w.N.). Die Inanspruchnahme - nicht die Leistung wie im Streitfall in Gestalt der Ratenzahlungen - eines wesentlich beteiligten Gesellschafters aus einer durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Bürgschaft stellt ein Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Der Tatbestand der Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt allerdings voraus, dass das Ereignis - nicht so im Streitfall - nachträglich, d.h. nach Entstehung des Steueranspruchs und nach Erlass des zu ändernden Steuerbescheids, eingetreten ist (vgl. Rüsken, in Klein, AO, 9. Auflage, § 175 Rz. 52 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Nur in diesem Fall besteht die Notwendigkeit, die Bestandskraft des zu ändernden Steuerbescheids zu durchbrechen. Hätte das Ereignis - im Streitfall die Bürgschaftsinanspruchnahme des Klägers 1994 - bei Erlass des zu ändernden Steuerbescheids - im Streitfall ist dies der Einkommensteuerbescheid 1993 vom 24. August 1995 - wie im Streitfall bereits berücksichtigt werden können, greift die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ein (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 2002 I R 69/00, BFH/NV 2002, 1545 m.w.N.; Finanzgericht - FG - München, Urteil vom 29. Oktober 2007 9 K 1805/06, [...]; FG München, Urteil vom 6. Juli 2005 10 K 1395/02, [...]).
b) Änderungen, die nachfolgend - wie z.B. ein Teilerlass der Bürgschaftsschuld - die Höhe der tatsächlichen Inanspruchnahme aus der Bürgschaftsverpflichtung und somit auch die Höhe des endgültigen Veräußerungsverlustes mindern oder erhöhen, sind als ein - neues - rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Stichtag der Ermittlung des Veräußerungsverlusts zu berücksichtigen (vgl. FG München, Urteil vom 6. Juli 2005 10 K 1395/02, [...]). Solche nachträglichen Ereignisse sind im Streitfall weder aus den Akten ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen.
c) Entgegen der Ansicht des Klägers liegen die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1993 nach § 174 Abs. 3 Satz 1 AO im Streitfall nicht vor. Diese Korrekturvorschrift eröffnet eine Änderungsmöglichkeit für eine bestandskräftige Steuerfestsetzung für den Fall, dass ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Im Streitfall wurde der Veräußerungsverlust vom Beklagten zutreffend im Einkommensteuerbescheid des Jahres der Veräußerung, 1993, im Wege der Änderung des vorangegangenen Schätzungsbescheids berücksichtigt, nachdem der Kläger seine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1993 verspätet 1999 abgab. In dieser Einkommensteuererklärung des Klägers ist der Veräußerungsverlust in Höhe von 12.499 DM angegeben, ohne dass der fachlich vertretene Kläger die Höhe der den Veräußerungsverlust erhöhenden, nachträglichen Anschaffungskosten infolge der Bürgschaftsinanspruchnahme 1994 dem Beklagten erklärt hätte. Dieser im Streitfall verwirklichte Sachverhalt erfüllt nicht den Tatbestand des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO. Zu einer Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung führt diese Änderungsvorschrift nur, wenn ein bestimmter Sachverhalt durch die Finanzbehörde unzutreffend nicht in dem Steuerbescheid berücksichtigt worden ist, in dem der Sachverhalt hätte berücksichtigt werden müssen. Die Nichtberücksichtigung kann insbesondere darauf beruhen, dass das Finanzamt angenommen hat, der Vorgang habe sich in einem anderen Veranlassungszeitraum zugetragen, oder dass das Finanzamt den Vorgang rechtlich falsch einen bestimmten Veranlagungszeitraum zugeordnet hat (Rüsken, in Klein, AO, 9. Aufl., § 174 Rz. 40a m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die unzutreffende Beurteilung der Finanzbehörde muss für den Steuerbescheid jedenfalls kausal geworden seien. Hieran fehlt es jedoch, wenn der Sachverhalt - wie im Streitfall die Bürgschaftsinanspruchnahme des Klägers 1994 - bei der Veranlagung 1993 unbekannt geblieben ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. Mai 2001 VIII R 19/00, BStBl II 2001, 743 m.w.N.; Rüsken, in Klein, AO, 9. Aufl., § 174 Rz. 40a).
d) Der Senat vermag darüber hinaus nicht zu erkennen, dass im Streitfall ein weiterer der in § 174 AO geregelten Tatbestände, die bei einer widerstreitenden Steuerfestsetzung eine Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids zulassen, erfüllt ist. Dies gilt insbesondere für den Fall der Periodenkollision nach § 174 Abs. 1 und Abs. 2 AO hinsichtlich der Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts in mehreren Steuerbescheiden, obwohl dieser Sachverhalt nur einmalige berücksichtigt hätte werden dürfen. Soweit der Beklagte im Veranlagungszeitraum 1994 mit Einkommensteuerbescheid vom 16. November 1999 in Höhe der Ratenzahlungen infolge der Bürgschaftsinanspruchnahme des Klägers einen weiteren Veräußerungsverlust - wie vom Kläger in seiner Einkommensteuererklärungen 1994 erklärt - der Steuerfestsetzung zugrunde legt, handelt es sich hierbei nicht um eine Doppelberücksichtigung desselben Sachverhalts der Bürgschaftsinanspruchnahme in den Einkommensteuerbescheiden 1993 und 1994. Vielmehr wurde vom Beklagten der der durch einen fachlichen Berater erstellten Einkommensteuererklärung 1994 zugrunde liegende materiell-rechtliche Fehler, die Ratenzahlungen infolge der Bürgschaftsinanspruchnahme jeweils im Veranlagungszeitraum des Abflusses als weiteren Veräußerungsverlust, statt - wie materiell-rechtlich zutreffend - im Jahr der Veräußerung als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen, übernommen. Die falsche Rechtsanwendung allein, ist jedoch kein Änderungsgrund i. S. einer widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 1 und 2 AO.
e) Auch die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar handelt es sich hinsichtlich der Bürgschaftsinanspruchnahme des Klägers um eine Tatsache, die dem Beklagten erst nach abschließender Durchführung der Veranlagung der Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1993 und der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Jahr 1999 bekannt geworden ist. Eine Änderung zugunsten des Klägers ist im Streitfall jedoch bereits deshalb ausgeschlossen, weil das nachträgliche Bekanntwerden der für die die Höhe eines Veräußerungsverlustes nach § 17 Abs. 2 EStG maßgebenden Tatsachen auf einem groben Verschulden des Klägers beruht. Grobes Verschulden bedeutet Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt, wer die nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt (vgl. Rüsken, in Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Rz. 112 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der Steuerpflichtige muss sich das Verschulden seines steuerlichen Beraters, welches für das nachträgliche Bekanntwerden ursächlich war, zurechnen lassen (vgl. Rüsken, in Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Rz. 112 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Bei der Bestimmung der einem steuerlichen Berater zumutbaren Sorgfalt ist zu berücksichtigen, dass von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Kenntnis und sachgemäße Anwendung der steuerlichen Vorschriften erwartet werden kann (vgl. Rüsken, in Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Rz. 126 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Es muss nach Ansicht des erkennenden Senats als grobes Verschulden angesehen werden, dass der damalige steuerliche Berater des Klägers die Tatsache der Bürgschaftsinanspruchnahme 1994 im Hinblick auf den Veranlagungszeitraum 1993 vermutlich für steuerlich irrelevant gehalten und diese in der 1999 abgegeben Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1993 jedenfalls nicht geltend gemacht hat. Bei einer Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung ist es völlig unstreitig, dass der Gewinn bzw. Verlust im Zeitpunkt der Veräußerung entsteht und auch für zusätzliche Anschaffungskosten und Veräußerungskosten nicht der Abfluss, sondern das Bestehen der Schuld maßgebend ist (vgl. FG München, Urteil vom 29. Oktober 2007 9 K 1805/06, [...], m.w.N.).
Das grobe Verschulden des steuerlichen Beraters, das dem Kläger zuzurechnen ist, wird im Streitfall nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Finanzamt bei der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1994 möglicherweise seinen Prüfungs- und Ermittlungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist. Die nachfolgende materiell-rechtlich unzutreffende Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1994 durch Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes in Höhe der Ratenzahlungen 1994 war nicht ursächlich für die nachträgliche Geltendmachung der für den Veranlagungszeitraum 1993 steuermindernden Tatsache der Bürgschaftsinanspruchnahme 1994, die infolge zu berücksichtigender, nachträglicher Anschaffungskosten zu einer Erhöhung des Veräußerungsverlustes 1993 geführt hätte.
Darüber hinaus war im Zeitpunkt des Antrags des Klägers auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 in 2002 hinsichtlich der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bereits Festsetzungsverjährung nach § 169 f. AO eingetreten. Die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. AO begann im Streitfall mangels rechtzeitiger Abgabe einer Steuererklärung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1996 und endete mit Ablauf des Jahres 2000.
f) Im Übrigen vermag der Senat im Streitfall die Voraussetzungen weiterer Korrekturvorschriften, die zu einer Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 1993 führen würden, nicht zu erkennen.
2. Der Kläger trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorlag.
4. Der Senat entscheidet nach § 90 Abs. 2 FGO mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.