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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: 10 K 10521/06 B
Rechtsgebiete: EStG, SGB X


Vorschriften:

EStG § 66 Abs. 1
EStG § 74 Abs. 1
EStG § 74 Abs. 2
EStG § 76 S. 2 Nr. 1
SGB X § 104 Abs. 1 S. 4
SGB X § 104 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

10 K 10521/06 B

Kindergeld für X. und Y. ...

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 10. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. April 2008

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter am Arbeitsgericht ..., sowie

die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Frau ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Beigeladene, ein türkischer Staatsangehöriger, ist Vater von 7 Kindern, von denen im Jahr 2006 die beiden Töchter X. und Y. in Deutschland lebten und die drei anderen Kinder B., C. und D. in der Türkei. Da der Beigeladene ab Juni 2006 erneut eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufnahm, setzte die Beklagte für die Zeit ab Juni 2006 Kindergeld wie folgt fest:

für X. 154,00 EUR,

für B. 12,78 EUR,

für Y. 154,00 EUR,

für C. 30,68 EUR und

für D. 35,79 EUR.

Bei den Beträgen für die Kinder B., C. und D. handelte es sich um Kindergeld nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit, bei den Beträgen für die Kinder X. und Y. um Kindergeld in der gesetzlichen Höhe gemäß § 66 Abs. 1 EStG. Der gesamte Kindergeldanspruch belief sich auf 387,25 EUR monatlich.

Der Kläger gewährte für das Kind Y. seit dem 19. April 2006 Jugendhilfe in Form von Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und zog den Beigeladenen durch Bescheid vom 8. Mai 2006 mit Wirkung vom 12. Mai 2006 zu einem monatlichen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes von 154,00 EUR heran, den er als kindergeldberechtigter Elternteil gemäß § 94 Abs. 3 SGB VIII zu leisten habe. Wegen der seit dieser Zeit auch für das Kind X. geleisteten Jugendhilfe in Form von Betreutem Wohnen gemäß § 34 SGB VIII zog der Kläger den Beigeladenen mit weiterem Bescheid vom 8. Mai 2006 zur Zahlung mit Wirkung vom 12. Mai 2006 ebenfalls zu einem monatlichen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes von 154,00 EUR heran. Soweit ersichtlich und in Bezug auf das Kind Y. ausdrücklich vorgetragen, wurden die verlangten Kostenbeiträge nicht geleistet.

Mit Schreiben vom 24./26. Mai 2006 meldete der Kläger bei der Beklagten gem. § 104 SGB X einen "Erstattungsanspruch gem. § 74/2 SGB VIII" an und bat unter Bezugnahme auf die gegen den Beigeladenen ergangenen Leistungsbescheide, wegen der seit dem 20. April 2006 geleisteten Jugendhilfe gem. § 27 bzw. § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII laufendes Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR je Kind zu überweisen. Mit Bescheid vom 6. Juni 2006 teilte die Beklagte daraufhin dem Beigeladenen mit, sein Anspruch auf Kindergeld gelte wegen des dem Kläger ab Juni 2006 zustehenden Erstattungsanspruchs für das Kind Y. gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt. Eine Abschrift hiervon erhielt der Kläger.

Mit an den Beigeladenen gerichtetem Bescheid vom 7. August 2006 ordnete die Beklagte die Abzweigung von Kindergeld an den Kläger aus dem Kindergeldanspruch für das Kind X. ab Juni 2006 in Höhe von 77,45 EUR an, weil der Beigeladene dem Kind keinen Unterhalt gewähre. Der auf das Kind entfallende Betrag errechne sich gemäß § 74 Abs. 1 EStG i. V .m. § 76 EStG in der Weise, dass der gesamte Kindergeldbetrag durch die Anzahl der Kinder geteilt werde. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seinem "Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes vom 26. Mai 2006 entsprochen" werde. Dem Kläger stehe von April bis Mai 2006 ein Abzweigungsbetrag in Höhe von 154,00 EUR monatlich aus dem Kindergeldanspruch des Beigeladenen betreffend das Kind X. zu und ab Juni 2006 in Höhe von 77,45 EUR. Da ab Juni 2006 beim Kindergeldanspruch des Beigeladenen drei in der Türkei lebende Kinder zu berücksichtigen seien, betrage der gesamte Kindergeldanspruch ab dann 387,25 EUR. Geteilt durch die Anzahl der Kinder belaufe sich der Abzweigungsbetrag für X. ab Juni 2006 auf 77,45 EUR. Hieraus ergebe sich für den Kläger ein Nachzahlungsbetrag bezüglich des Kindes X. in Höhe von 462,90 EUR. Mit diesem Betrag sei jedoch ein überzahlter Betrag in Höhe von 153,00 EUR (richtig wohl 153,10 EUR) zu verrechnen, weil für das Kind Y. ab Juni 2006 wegen des ab dann auch nur bestehenden monatlichen Anspruchs in Höhe von 77,45 EUR ein zu hoher Betrag abgezweigt worden sei. Somit erhalte der Kläger noch eine Nachzahlung in Höhe von 309,90 EUR.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs machte der Kläger geltend, ihm sei unverständlich, warum der gesamte Anspruch in Höhe von 387,25 EUR durch die Anzahl von 5 Kindern geteilt werde, da der Beigeladene nur für zwei Kinder tatsächlich Kindergeld beziehe und die anderen nicht in seinem Haushalt lebten. Er sei gehalten, sich bei seitens der Elternteile nicht gezahltem Kostenbeitrag das auf das jeweilige Kind entfallende Kindergeld in voller Höhe erstatten zu lassen.

Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13. September 2006 zurück. Zur Begründung führte sie aus, hinsichtlich des Kindes X. sei eine Abzweigung aus dem Kindergeldanspruch des Beigeladenen nur in Höhe von monatlich 77,45 EUR gegeben. Dies ergebe sich aus § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die Abzweigung bis zur Höhe des Betrages erfolgen könne, der sich auf der Grundlage des § 76 EStG errechne. Gehöre das unterhaltsberechtigte Kind zum Kreis der Kinder, für die dem Leistungsberechtigten Kindergeld gezahlt werde, so sei eine Pfändung gem. § 76 Satz 1 Nr. 1 EStG bis zu dem Betrag möglich, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes dieser Kinder entfalle. Unter Berücksichtigung der in der Türkei lebenden Kinder habe der Beigeladene einschließlich des nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit gezahlten Kindergeldes einen Kindergeldanspruch in Höhe von insgesamt 387,25 EUR, so dass sich für das Kind X. ein Kindergeldanspruch in Höhe von 77,45 EUR ergebe. Über die Abzweigung für das Kind Y. sei "analog entschieden" worden.

Zur Begründung der am 19. Oktober 2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, sein Erstattungsanspruch beziehe sich ausweislich seines Erstattungsantrages auf § 74 Abs. 2 EStG. Diese Norm verweise nicht auf § 76 EStG, sondern auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 SGB X. Sämtliche Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs gemäß § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X i.V.m. § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII seien erfüllt. Letztere Norm spreche im Zusammenhang mit dem Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG von dem auf "dieses Kind entfallenden Kindergeld" und nicht von einem sich bei gleichmäßiger Verteilung auf alle Kinder ergebenden Kindergeldbetrag. Für beide in der Bundesrepublik Deutschland lebende Kinder Y. und X. besitze der Beigeladene einen Kindergeldanspruch in Höhe von jeweils 154,00 EUR monatlich. Für die in der Türkei lebenden Kinder bestehe wegen der dort offensichtlich niedrigeren Lebenshaltungskosten und geringeren Unterhaltsbedarfe ein sehr viel geringerer Kindergeldanspruch. Eine gleichmäßige Verteilung des Kindergeldes auf jedes der Kinder würde jedoch die unterschiedlichen Unterhaltsleistungen für jedes der 5 Kinder völlig außer Acht lassen. Dies könne nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger das auf die Kinder Y. und X. entfallende Kindergeld in Höhe von jeweils 154,00 EUR monatlich für die Zeit ab Juni 2006 unter Anrechnung der bereits gezahlten Beträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie räumt ein, dass über den vom Kläger angemeldeten Erstattungsanspruch unzutreffend auf der Rechtsgrundlage einer Abzweigung gemäß § 74 Abs.1 EStG entschieden worden sei. Ihre Ablehnungsentscheidung stelle sich jedoch zugleich als Nichtanerkennung eines Erstattungsanspruchs in der vom Kläger konkret geltend gemachten Höhe dar. Da sich bei Erstattungsansprüchen nach §§ 102 bis 113 SGB X die Familienkasse und der Sozialleistungsträger gleichrangig gegenüber stünden und dies eine Regelung durch Verwaltungsakt auch in der Form eines Abrechnungsbescheides nicht ermögliche, sei die vorliegende Verpflichtungsklage in eine zulässige Leistungsklage umzudeuten. Der geltend gemachte weitergehende Anspruch des Klägers sei jedoch nicht begründet. Der in § 76 Satz 2 Nr.1 EStG enthaltene Rechtsgedanke sei auch bei der Entscheidung über eine Erstattung von Kindergeld für einzelne Kinder nach § 74 Abs. 2 EStG heranzuziehen. Insoweit sei sie an die Weisungen des Bundeszentralamtes für Finanzen (DAFamEStG Nr. 74.3.1 Abs. 2 Satz 1) gebunden.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die den Beigeladenen betreffende Kindergeldakte hat zur Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Leistungsklage gemäß § 40 Abs. 1 (3. Variante) Finanzgerichtsordnung -FGO- zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger zunächst auf die von der Beklagten nunmehr selbst als unrichtig erkannte Bescheidung eines Abzweigungsbegehrens im Sinne des § 74 Abs. 1 EStG eingelassen und die Klage in der Form einer Verpflichtungsklage erhoben hat. Denn der Kläger hat beginnend mit der Anmeldung im Schreiben vom 24./26. Mai 2006 bis hin zur Klagebegründung durchgängig einen Erstattungsanspruch nach Maßgabe von § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 SGB X geltend gemacht, den die Beklagte in dieser Höhe nicht anerkannt hat, so dass es für die Einordnung in das System der Klagearten und die prozessuale Würdigung nicht auf die äußere Entscheidungsform der Familienkasse sowie die Bezeichnung des Klagetyps durch den Sozialeistungsträger, sondern auf den wirklichen Inhalt des Klagebegehrens (Urteilsspruchs) ankommt (vgl. BFH, Urteil vom 12. Juni 1997 -I R 70/96- BStBl. II 1998, 38; Gräber-von Groll, FGO, 6. Auflage, Rz. 11 zu § 40) und der Klageantrag entsprechend umgestellt werden konnte. Ein nach der Rechtsprechung unzulässiger Übergang von einem Abzweigungsbegehren auf einen Erstattungsanspruch (vgl. Beschluss des BFH vom 13. August 2007 -III B 51/07- BFH/NV 2007, 2276) liegt nicht vor. Der Klageantrag ist auch nicht zu unbestimmt, da es um die laufende monatliche Zahlung geht und zwischen den Verfahrensbeteiligten Klarheit über die Höhe des hier nur nach dem Rechtsgrund streitigen Differenzbetrags besteht.

Für eine Leistungsklage fehlt es dem Kläger auch nicht wegen der Subsidiarität einer solchen Klage gegenüber einem zuvor zu erwirkenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Abgabenordnung -AO- und einer nachfolgend zulässigen Anfechtungsklage am Rechtsschutzbedürfnis. Denn Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X sind als eigenständige Ansprüche normiert, die sich nicht aus einem Steuerschuldverhältnis im Sinne der §§ 37, 218 AO ergeben. Familienkasse und Sozialleistungsträger sind bei derartiger Erstattung zur engen Zusammenarbeit nach § 86 SGB X verpflichtet, stehen sich dabei aber nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber, das zu einer Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde (vgl. BFH, Urteil vom 26. Januar 2006 - III R 89/03 - BStBl. II 2006, 544).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger ab Juni 2006 das auf die Kinder Y. und X. entfallende Kindergeld in der sich aus § 66 Abs. 1 EStG ergebenden Höhe von 154,00 EUR je Kind zu erstatten. Ihre - wenn auch unzutreffend unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Abzweigung getroffene - Entscheidung, den Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld in Anwendung von § 76 Satz 2 Nr.1 EStG auf den sich bei gleichmäßiger Verteilung des dem Beigeladenen für alle 5 Kinder zustehenden Kindergeldes auf den Betrag von 77,45 EUR je Kind zu beschränken, ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Kläger besitzt für die von ihm an die Kinder des Beigeladenen erbrachten Leistungen der Jugendhilfe einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 S. 4 SGB X. Werden Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses erbracht und bezieht einer der Elternteile Kindergeld für den jungen Menschen, so hat dieser gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einen Kostenbeitrag mindestens in Höhe des Kindergeldes zu zahlen. Zahlt der Elternteil den Kostenbeitrag nicht, so ist der Träger der Jugendhilfe insoweit berechtigt, dass auf dieses Kind entfallende Kindergeld durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG in Anspruch zu nehmen (§ 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII). Die Anspruchsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil der Beigeladene die für ihn vom Kläger festgesetzten Kostenbeiträge nicht gezahlt hat. Damit wurde die durch § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 4 SGB X geregelte Erstattungspflicht ausgelöst.

Auch die Berechnung des auf die Kinder Y. und X. entfallenden Kindergeldes begegnet keinen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht der Betrag maßgeblich, der sich gemäß § 66 Abs. 1 EStG für das jeweilige Kind als Zahlkind ergibt, sondern der Betrag nach Aufteilung des Gesamtkindergeldanspruchs nach Kopfteilen der Zahlkinder gemäß der für die Pfändung von Kindergeldansprüchen geltenden Regelung des § 76 Satz 2 Nr.1 EStG. Allerdings enthält § 74 Abs. 2 EStG anders als die Regelung zur Abzweigung in § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG keine Verweisung auf die Norm des § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG. Auch im Kontext mit dem in § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII verwendeten Begriff des auf "dieses Kind entfallenden" Kindergelds bedeutet dies jedoch nicht, dass eine entsprechende Anwendung von § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG -anteilige Aufteilung des Kindergelds- auf den Erstattungsanspruch nach Maßgabe von § 74 Abs. 2 EStG versperrt ist. Denn während es sich bei der Abzweigung sogar nur um eine Entscheidung der Familienkasse handelt, die grundsätzlich in deren Ermessen steht, entspricht die Rechtsposition des Trägers der Jugendhilfe bei einem Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X derjenigen eines Pfändungsgläubigers, wobei der den Kostenbeitrag festsetzende Verwaltungsakt den für die Pfändung erforderlichen Titel ersetzt. Mithin stellt § 104 Abs. 1 S. 4 SGB X eine verkürzte Form der Zwangsvollstreckung dar und handelt es sich funktional um die Pfändung eines Steuervergütungsanspruchs bzw. einer Sozialleistung (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Januar 1998 -B 14/10 KG 24/96 R- zu §§ 48 Abs. 1 Satz 2 und 54 Abs. 5 Satz 2 SGB I betreffend sozialrechtliches Kindergeld mit nicht berücksichtigtem Zählkindervorteil; ebenso FG Köln, Urteil vom 31. August 2000 -2 K 2108/99- betreffend den Ausgleich des Zahlkindvorteils). Ferner ist zu bedenken, dass Kindergeld als Steuervergütung ebenso wie als Sozialleistung allen Kindern gemeinsam unabhängig von ihrem Lebensalter und der hiervon abhängenden Ordnungszahl im Sinne des § 66 Abs. 1 EStG zugute kommen soll.

Eine hiervon abweichende rechtliche Beurteilung ist nicht dadurch geboten, dass sich im vorliegenden Fall der gesamte Kindergeldanspruch des Beigeladenen in Höhe von 387,25 EUR auch aus drei wesentlich niedrigeren Kindergeldteilbeträgen gemäß Art. 33 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April1964 zusammensetzt und sich dadurch der Erstattungsanspruch betreffend die Kinder Y. und X. in Anwendung von § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG von jeweils 154,00 EUR um nahezu die Hälfte auf 77,45 EUR vermindert. Denn auch das Kindergeld nach diesem Abkommen ist Kindergeld im Sinne des § 31 EStG mit dem darin beschriebenen Normzweck (vgl. Urteil des FG München vom 27. Januar 2000 - 16 K 3596/98- und FG Bremen, Urteil vom 28. Januar 1999 -498133 K-), so dass die entsprechende Anwendung der Pfändungsvorschrift nicht von vornherein ausscheidet. Gegen die Anwendung spricht allerdings, dass der Unterhaltsbedarf für in der Türkei lebende Kinder gegenüber in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern geringer anzusetzen ist und die für Zahlkinder geltende Ausgleichsregel des § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG bei der vorliegenden Fallkonstellation den Kindergeldberechtigten begünstigt, während sie den Sozialleistungsträger, der das Kindergeld erheblich übersteigende Leistungen erbringt, nicht unerheblich benachteiligt. Gleichwohl ist an der entsprechenden Anwendung festzuhalten, weil sie allgemein geeignet ist, gerade auch im Fall der bei einem Kindergeldberechtigten parallel vorstellbaren Abzweigung und Erstattung von Kindergeld für verschiedene Zahlkinder die Verteilung der Gesamtsumme des Kindergelds systemkonform vorzunehmen (vgl. Urteil des Senats vom 17. April 2008 -10 K 10321/06-).

Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Frage der entsprechenden Anwendung des § 76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG auf den Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1 und 3 sowie 139 Abs. 4 FGO.



Ende der Entscheidung

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