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Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 29.08.2007
Aktenzeichen: 12 K 1127/05
Rechtsgebiete: AO, BGB, InsO, UStG


Vorschriften:

AO § 38
AO § 226 Abs. 1
BGB § 387
BGB § 388 S. 1
InsO § 95 Abs. 1 S. 3
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 13 Abs. 1 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

12 K 1127/05

Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2000, 2003

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg -12. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. August 2007

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts

...

die Richterin am Finanzgericht ...

den Richter am Finanzgericht ... sowie

die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herr...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH; aufgrund eines am 6. Juli 1999 gestellten Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das zuständige Amtsgericht ... durch Beschluss vom 4. Oktober 1999 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet und zugleich den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger reichte beim Beklagten die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2000 im Jahre 2002 ein, mit welcher er einen Umsatzsteuer-Erstattungsbetrag in Höhe von 12.260,00 DM (6.268,44 EUR) deklarierte. Durch seine Mitteilung vom 5. Juni 2002 stimmte der Beklagte dieser Jahreserklärung zu. Der Erstattungsbetrag wurde nicht an den Kläger ausgezahlt, sondern teilweise mit Umsatzsteuerschulden der Gemeinschuldnerin für den Voranmeldungszeitraum Juli 1999 verrechnet. Dies teilte der Beklagte dem Kläger mit der Umbuchungsmitteilung vom 9. Juli 2002 mit. Dieser Umbuchung widersprach der Kläger; er bat um Auskehrung des Guthabens in Höhe von 3.567,10 EUR (= 6.976,64 DM), da es sich insoweit um Umsatzsteuererstattungen aufgrund von Ausbuchungen von Umsätzen, die innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrages erzielt wurden, handele; weitere 81,81 EUR (= 160,00 DM) resultierten nach seinen, des Klägers, Angaben aus Vorsteuern, welche nach Insolvenzeröffnung entstanden seien. Dieser Betrag sei daher ebenfalls auszukehren.

Der Beklagte zahlte daraufhin 81,81 EUR an den Kläger aus, lehnte die darüber hinausgehende Erstattung aber weiterhin ab. Am 21. November 2003 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Abgabenordnung -AO-zur Umsatzsteuer für 2000.

Mit der im Jahre 2004 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 2003 machte der Kläger einen Erstattungsanspruch in Höhe von 182,96 EUR beim Beklagten geltend. Auch dieser Erklärung stimmte der Beklagte zu und buchte einen Teil dieser Erstattung in Höhe von 94,40 EUR auf rückständige Umsatzsteuer für Juni 1999 um. Nachdem der Kläger dieser Umbuchung ebenfalls widersprochen hatte, erließ der Beklagte am 6. September 2004 auch insoweit einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO.

Gegen die Abrechnungsbescheide legte der Kläger jeweils rechtzeitig Einsprüche ein, die er wie folgt begründete: Die Umsatzsteuerguthaben aus den Jahreserklärungen 2000 und 2003 würden aus der Ausbuchung von uneinbringlichen Forderungen resultieren, welche in einem Zeitraum von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und seinerzeit auch umsatzversteuert worden seien. Damit fielen diese Beträge unter das Aufrechnungsverbot gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Insolvenzordnung -InsO-.

Mit seiner zusammengefassten Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2005 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Er meint, er habe wirksam die Aufrechnung der strittigen Forderungen erklärt.

§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe der Aufrechnung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sei eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Im Streitfall seien die Umsatzsteuerfestsetzungen, welche die Forderungen des Gemeinschuldners begründeten, zwar erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Oktober 1999 ergangen, der Rechtsgrund des Erstattungsanspruchs sei jedoch bereits bei Verfahrenseröffnung gelegt gewesen. Resultierten -wie im Streitfall -Erstattungsansprüche aus Berichtigungen des Steuerbetrages wegen der Uneinbringlichkeit des Entgelts für Lieferungen und Leistungen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 Umsatzsteuergesetz -UStG-), die vor Insolvenzeröffnung ausgeführt worden seien, so seien diese Umsatzsteuererstattungsansprüche aufgrund ihres unlösbaren Zusammenhanges mit der ursprünglichen Leistung nach der ständigen Finanzrechtsprechung stets als vor dem Eröffnungszeitpunkt begründet anzusehen. Es könne mithin eine Aufrechnung dieser Ansprüche mit anderen bestehenden Insolvenzforderungen stattfinden.

Die Aufrechnung sei auch nicht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, denn der Beklagte habe die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. § 131 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 InsO erlangt. Als Rechtshandlung in diesem Sinne sei die von einem Willen getragene Betätigung zu verstehen, die in irgendeiner Weise eine Rechtswirkung auslöse. Die Erklärung der Aufrechnung stelle zwar eine solche Rechtshandlung dar, auf sie könne jedoch nicht abgestellt werden. Maßgeblich sei die Rechtshandlung, welche zur Herstellung der Aufrechnungslage geführt habe.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Er meint, die Aufrechnung sei gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -BGH- stelle die Herstellung der Aufrechnungslage grundsätzlich die anfechtbare Rechtshandlung i.S. der § 129 ff. InsO dar. Im Streitfall seien daher die Vertragsschlüsse mit entsprechender Leistungserbringung durch die Gemeinschuldnerin und die daraus resultierende Besteuerung des Entgelts sowie die Änderung der Bemessungsgrundlage aufgrund Ausfalls der Forderungen sowie die Geltendmachung dieser Bemessungsgrundlagen durch Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen als Rechtshandlungen anzusehen.

Es läge auch ein Fall der inkongruenten Deckung im Sinne des § 131 InsO vor; denn die aufgrund der oben dargestellten Rechtshandlung hergestellte Aufrechnungslage habe dem Beklagten eine Befriedigung gewährt, die er nicht zu beanspruchen gehabt hätte. Der Beklagte habe weder einen rechtsgeschäftlichen noch einen gesetzlichen Anspruch auf eine Entgeltminderung bzw. eine Verminderung der Bemessungsgrundlage gehabt.

Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei am 6. Juli 1999 beim Amtsgericht ... eingegangenen. Durch die Zurückverlagerung des Entstehungszeitpunktes für das Umsatzsteuerguthaben auf den Zeitpunkt der Begründung des Entgelts gelte die Rechtshandlung in den Monaten April, Mai und Juni 1999 als vorgenommen. Da die Gemeinschuldnerin spätestens ab April 1999 zahlungsunfähig gewesen sei, sei die Herstellung der Aufrechnungslage somit gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

Der Kläger beantragt,

die Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer 2000 vom 21. November 2003 und zur Umsatzsteuer 2003 vom 6. September 2004 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2005 dahingehend abzuändern, dass das mit Mitteilung für 2000 über Umsatzsteuer vom 5. Juni 2002 festgesetzte Guthaben von 6.268,44 EUR in Höhe eines Teilbetrages von 3.567,10 EUR und das mit Umbuchungsmitteilung vom 13. August 2004 aufgerechnete Guthaben von 94,40 EUR an den Kläger ausgezahlt werden,

sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung Bezug.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Abrechnungsbescheide nicht in seinen Rechten verletzt, da diese rechtmäßig sind (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Auskehrung der begehrten Beträge zu, da die strittigen Ansprüche auf Erstattung von Umsatzsteuer aus den Veranlagungen für 2000 und 2003 durch wirksame Aufrechnungen erloschen sind.

Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, also die §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, sinngemäß.

Der Beklagte hat die Aufrechnung im Sinne des § 388 S. 1 BGB gegenüber dem Kläger erklärt. Nach der herrschenden Ansicht, der der erkennende Senat sich anschließt, sind in den Umbuchungsmitteilungen der Finanzverwaltung wirksame Aufrechnungserklärungen zu sehen (so u.a. Finanzgericht Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2005, 3 K 1669/02, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-2006, 1480; Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 26. Juli 2005, VII R 72/04, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 350; Rüsken in Klein, Kommentar zur AO, 9. Aufl. 2006, § 226 Rz. 62 a). Im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärungen war die Aufrechnungslage gemäß § 387 BGB i.V.m. § 95 InsO gegeben.

Nach § 387 BGB hat die Aufrechnung zur Voraussetzung, dass zwei Personen einander gleichartige Leistungen schulden. Die offenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin aus den Voranmeldungszeiträumen Juni und Juli 1999 sowie der Umsatzsteuererstattungsanspruch des Klägers aus den Jahressteuerfestsetzungen für 2000 und 2003 sind gleichartige Leistungen, da sie jeweils auf Geldzahlungen gerichtet sind. Es besteht auch das geforderte Gegenseitigkeitsverhältnis: Zwar sind die umsatzsteuerlichen Verpflichtungen und Ansprüche der Gemeinschuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter, also den Kläger, zu erfüllen bzw. geltend zu machen, weil dieser allein verfügungsberechtigt ist; allerdings verliert die Gemeinschuldnerin durch die Insolvenzeröffnung nicht ihre Unternehmereigenschaft (vgl. A. 16 Abs. 5 und A. 19 Abs. 1, 2 Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR- sowie Darstellung bei Kling in: Münchener Kommentar zur InsO, 2003, Band 3: Insolvenzsteuerrecht, Rz. 116 f.), so dass vorliegend von gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten im Sinne des § 387 BGB auszugehen ist.

Die Aufrechnung scheitert nicht an § 95 Abs. 1 S. 3 InsO. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Dies bedeutet, dass die Aufrechnung dann versagt, wenn die Forderung der Masse, im Streitfall also der Erstattungsanspruch des Klägers, vor der Insolvenzforderung, also der Umsatzsteuerforderung des Beklagten, unbedingt und fällig war, sie also früher durchgesetzt werden konnte als die Insolvenzforderung. Ist hingegen nur die Forderung der Masse aufschiebend bedingt, so kann der Insolvenzgläubiger aufrechnen, sobald die Bedingung eingetreten ist (vgl. Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, 2001, Band 1, § 95 Rz. 8). Die letztgenannte Konstellation ist im Streitfall gegeben.

Die Aufrechnung ist im Streitfall auch nicht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Zwar ist der Beklagte als Insolvenzgläubiger steuerlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2000 und 2003 etwas schuldig geworden, weil der Steuererstattungsanspruch des Klägers gem. § 38 AO i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 UStG steuerlich erst nach Insolvenzeröffnung mit Ablauf der Voranmeldungszeiträume entstanden ist, in denen die Änderungen der Bemessungsgrundlagen (§ 17 UStG) eingetreten sind, also zu dem Zeitpunkt der Ausbuchung der uneinbringlichen Forderungen in den Jahren 2002 und 2003. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es jedoch hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. So ist ein Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch, der aus einer Änderung der Bemessungsgrundlage resultiert, insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Besteuerung des für die Lieferung oder sonstige Leistung vereinbarten Entgelts begründet worden (BFH, Beschluss vom 6. Oktober 2005, VII B 309/04, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV -2006, 369 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben; die Korrekturen der Bemessungsgrundlagen der Umsätze in den Umsatzsteuer-Jahreserklärungen für 2000 und für 2003 betrafen steuerpflichtige Umsätze, welche die Gemeinschuldnerin in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in den Monaten April bis Juni 1999, bewirkt hatte. Daher ist der Rechtsgrund für den streitigen Erstattungsanspruch bereits in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden, nämlich durch die Besteuerung des für die Lieferung oder sonstige Leistung vereinbarten Entgelts, durch die der Steuerpflichtige einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch erlangt, der auf eine Korrektur der ursprünglichen Umsatzsteuerschuld abzielt (vgl. BFH, Urteil vom 4. August 1987, VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707). Dass die entsprechende Berichtigung der Bemessungsgrundlage für den Besteuerungszeitraum vorgenommen wurde, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten war -also die Uneinbringlichkeit der vereinbarten Entgelte offenbar wurde -, beruht auf der umsatzsteuerrechtlichen Sonderregelung des § 17 Abs. 1 S. 3 UStG und führt nicht etwa zu der Annahme, dass der Beklagte erst in diesem Besteuerungszeitraum, in dem die Berichtigung der früheren Bemessungsgrundlage vorgenommen wurde, den daraus resultierenden Erstattungsanspruch im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Insolvenzmasse schuldig wurde (so auch: BFH, Urteil vom 4. Februar 2005, VII R 20/04, BFH/NV 2005, 942).

Die erklärte Aufrechnung scheitert auch nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO in Verbindung mit §§ 129 ff. InsO. Nach den genannten Normen ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Gemäß § 129 Abs. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. Unter Rechtshandlung in diesem speziellen anfechtungsrechtlichen Sinne ist jede bewusste Willensbetätigung zu verstehen, die eine rechtliche Wirkung auslöst, gleichgültig ob diese selbst gewollt ist oder nicht. Rein tatsächlich wirkende Maßnahmen bleiben außer Betracht (vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, Band 2, § 129 Rz. 7).

Im Streitfall hat der Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO erlangt; die Forderung des Klägers, also der Umsatzsteuererstattungsanspruch, ist durch die Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung, die die Gemeinschuldnerin vor der Insolvenzeröffnung bewirkt hatte, gemäß § 17 UStG entstanden. Weder der Forderungsausfall noch die Korrektur der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage sind mithin auf bewusste Willensbetätigungen der Gemeinschuldnerin bzw. eines Insolvenzgläubigers - namentlich des Beklagten -zurückzuführen; eine der Insolvenzanfechtung unterliegende Rechtshandlung liegt damit nicht vor. Vielmehr entsteht die Umsatzsteuer bzw. der Umsatzsteuererstattungsanspruch - wie jede Steuer - kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen. Eine durch eine Rechtshandlung in inkongruenter Weise hergestellte Aufrechnungslage, die nach § 131 InsO anfechtbar wäre, liegt daher nicht vor (so auch für den Vorsteuervergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters: BFH, Urteil vom 16. November 2004, VII R 75/03, BStBl II 2006, 193, unter II. 1. b) der Entscheidungsgründe). Nach Überzeugung des erkennenden Senats ist die anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 129 ff. InsO - anders als der Kläger es meint - nicht im Erbringen der umsatzsteuerpflichtigen Leistungen durch die Gemeinschuldnerin zu erblicken; denn die Möglichkeit der Aufrechnung hat der Beklagte nicht durch die Ausführung von Umsätzen der Gemeinschuldnerin, sondern aufgrund der Uneinbringlichkeit der aus diesen Umsätzen resultierenden Entgelte erlangt. Die in den Streitjahren 2000 und 2003 vorgenommene Korrektur der Umsätze gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG hat nicht rückwirkend den Anspruch des Beklagten auf Begleichung der Umsatzsteuervorauszahlungen aus den Voranmeldungszeiträumen April bis Juni 1999 entfallen lassen, sondern die Berichtigung hat zur Folge, dass zugunsten des Klägers Umsatzsteuervergütungsansprüche entstehen, die bei der Berechnung der für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2003 zu zahlenden Umsatzsteuern zu berücksichtigen sind (ebenso: BFH, Urteil vom 4. Februar 2005, VII R 20/04, a.a.O.).

Eine anfechtbare Rechtshandlung im insolvenzrechtlichen Sinne könnte vorliegend auch nicht in der Bezahlung der aus den später berichtigten und vor Insolvenzeröffnung bewirkten Umsätzen resultierenden Umsatzsteuer durch die Gemeinschuldnerin gesehen werden; zwar sind grundsätzlich auch verfügende Rechtsgeschäfte, z.B. das Erbringen wie die Entgegennahme von Erfüllungshandlungen einschließlich Steuerzahlungen als Rechtshandlungen i.S.d. § 129 InsO anzusehen (Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, Band 2, 2002, § 129 Rz. 14). Der Erstattungsanspruch gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 UStG entsteht steuerrechtlich aber erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist, unabhängig davon, ob die ursprünglich aus diesen Umsätzen geschuldete Umsatzsteuer entrichtet wurde oder nicht. Somit kann dahingestellt bleiben, ob die Gemeinschuldnerin die Umsatzsteuer für die Umsätze aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung, die in den Streitjahren 2000 und 2003 korrigiert wurden, seinerzeit tatsächlich beglichen hat, weil in der Zahlung der Umsatzsteuer jedenfalls nicht die zur Herstellung der Aufrechnungslage führende Rechtshandlung im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu sehen wäre.

Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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