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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 12 K 8367/05 B
Rechtsgebiete: KStG, EStG


Vorschriften:

KStG § 8 Abs. 4 S. 1
EStG § 10d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

12 K 8367/05 B

Gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2001, gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 12. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Oktober 2008

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ... sowie

die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Frau ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2001 und über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001, beide vom 18. Dezember 2002, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2005, werden dahingehend geändert, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer DM 93 275 und der vortragsfähige Gewerbeverlust DM 157 992 betragen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss:

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von zum 31. Dezember 2000 bestehenden Verlustvorträgen.

Das Stammkapital der Klägerin betrug seit 1996 DM 50 000 und wurde von den Herren C (DM 26 000), D (DM 12 000), E (DM 6 000) und F (DM 6 000) gehalten. Mit Vertrag von 29. Juni 2000 wurden hiervon 90% an Herrn B veräußert; lediglich Herr C blieb mit DM 5 000 an der Klägerin beteiligt.

Im Jahr 2001 gewährte C der Klägerin ein Darlehen über rund DM 35 000.

In den Bilanzen der Klägerin wurden folgende Positionen ausgewiesen:

 - 1999 2000 2001
Aktiva    
Software 1 1 1
Sachanlagen 12 106 977 13
Rückdeckung Lebensversicherung 107 862 132 521 158 306
unfertige Leistungen 0 0 132 000
Forderungen 19 568 2 704 40 704
Kassenbestand 21 299 14 641 6 862
Rechnungsabgrenzungsposten 2 501 1 131 304
nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag 5 488 40 885 31 120
Summe Aktiva 168 825 192 860 369 310
    
Passiva    
gezeichnetes Kapital 50 000 50 000 50 000
Gewinn-/Verlustvortrag 2 543 ./. 55 488 ./. 90 884
Jahresfehlbetrag/-überschuss ./. 58 031 ./. 35 396 9 765
Kapitalfehlbetrag 5 488 40 885 31 120
Sonderposten 1 836 494 0
Pensionsrückstellungen 142 769 170 762 201 216
sonstige Rückstellungen 4 700 4 450 8 738
erhaltene Anzahlungen 0 0 49 000
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen 400 658 58 843
partiarisches Darlehen 0 0 35 511
sonstige Verbindlichkeiten 19 120 16 495 16 001
Summe Passiva 168 825 192 860 369 310

Der Beklagte ging davon aus, dass die Klägerin im Laufe des Jahres 2001 ihre wirtschaftliche Identität verloren hatte und setzte mit Bescheiden vom 18. Dezember 2002 die vortragsfähigen Verluste zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer mit DM 0 fest. Dagegen - sowie gegen weitere, im Klageverfahren nicht mehr angefochtene Bescheide - legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2005 zurückwies.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) nicht erfüllt seien. Es fehle an der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens. Die Klägerin macht geltend, dass die Erhöhung ihres Aktivvermögens im wesentlichen auf einer Erhöhung des Umlaufvermögens sowie auf der Erhöhung des Anspruchs aus der Rückdeckungsversicherung beruhe. Als wesentlich neues Betriebsvermögen kommt nach Ansicht der Klägerin jedoch nur Anlagevermögen in Betracht; zudem habe die Erhöhung des Anspruches aus der Rückdeckungsversicherung außer Betracht zu bleiben, da sie im Zusammenhang mit der bestehenden Pensionszusage zu sehen sei. Allenfalls das Gesellschafterdarlehen könne als eine vorübergehende Zuführung von Betriebsvermögen von außen anzusehen sein.

Zudem sei sie, die Klägerin, im Jahr 2000 sanierungsbedürftig und -fähig gewesen. Im Jahre 2000 habe sie einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von über DM 40 000 zu verzeichnen gehabt. Ohne Sanierungsmaßnahmen habe sie nicht mehr rentabel und ertragsfähig arbeiten können. Ihre, der Klägerin, Geschäftsführung habe daher im September 2000 einen Sanierungsplan aufgestellt. Aufgrund der darin geplanten Betriebsergebnisse und anderer eingeleiteter Maßnahmen habe sie, die Klägerin, im Jahre 2001 wieder Gewinne erzielt und 2002 ihre buchmäßige Überschuldung überwunden. Die Klägerin hat zwei Schriftstücke, datiert mit "September 2000" eingereicht, deren eines mit "Planung der Betriebsergebnisse in DM" und deren anderes mit "Maßnahmen zur Verbesserung der Rentabilität des Unternehmens und zur Beseitigung der Überschuldung" überschrieben ist.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2001 und über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001, beide vom 18. Dezember 2002, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2005, dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer DM 93 275 und der vortragsfähige Gewerbeverlust DM 157 992 betragen,

sowie,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat die Berücksichtigung der Verlustvorträge der Klägerin zu Unrecht versagt.

a) Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann es an der wirtschaftlichen Identität fehlt, nämlich dann, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an der Körperschaft übertragen wird und sie danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wiederaufnimmt. Die Vorschrift setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind. Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen wird, überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.

b) Danach hat die Klägerin im Jahre 2001 ihre wirtschaftliche Identität nicht verloren.

aa) Zwar sind mit Vertrag vom 29. Juni 2000 mehr als 50% der Geschäftsanteile an der Klägerin übertragen worden.

bb) Die Klägerin hat ihren Geschäftsbetrieb jedoch nach der Übertragung der Geschäftsanteile nicht mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgesetzt. Die Erhöhung des Aktivvermögens der Klägerin allein, die in der Summe zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, reicht zur Bejahung des Merkmals "Fortführung des Geschäftsbetriebes mit überwiegend neuem Betriebsvermögen" nicht aus. Bei der Beurteilung, ob die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgesetzt hat, haben jedenfalls die Erhöhung des Umlaufvermögens sowie die Erhöhung des Anspruchs aus der Rückdeckungsversicherung außer Betracht zu bleiben.

Von einer Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG ist dann auszugehen, wenn der Gesellschaft von dritter Seite Anlagevermögen zugeführt wird. Das war hier nicht der Fall; das Sachanlagevermögen der Klägerin hat sich vielmehr im Jahre 2001 gegenüber den Vorjahren deutlich verringert. Erhöht hat sich lediglich der Anspruch aus der Rückdeckungsversicherung, die aufgrund einer Pensionszusage abgeschlossen worden war. Diese Erhöhung des Anlagevermögens ist jedoch nicht als Zuführung neuen Betriebsvermögens zu qualifizieren. Nach dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 4 KStG, der darin liegt, den Handel mit Verlustvorträgen von nicht mehr aktiv tätigen bzw. in die Krise geratenen Gesellschaften zu verhindern, kann als neues Betriebsvermögen nur solches Vermögen zu sehen sein, das der Gesellschaft in Form von Kapital oder Sachanlagen gewährt wird, um ihr die Wiederaufnahme oder Fortführung ihres Geschäftsbetriebes zu ermöglichen. Die Erhöhung von Ansprüchen gegen eine Versicherung, die automatisch aufgrund der Zahlung der Prämien eintritt, wird der Gesellschaft demgegenüber nicht zugeführt in dem Sinne, dass ihr etwas, was ihr vorher nicht zustand, überlassen wird. Darin liegt selbst dann keine für die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG maßgebliche Erhöhung des Betriebsvermögens, wenn man die Erhöhung des Anspruchs als eine durch die Prämienzahlung innenfinanzierte Anschaffung ansehen wollte und der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, nach der auch innenfinanzierte Anschaffungen von Anlagevermögen neues Betriebsvermögen i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG darstellen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 05. Juni 2007 - I R 106/05, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2007, 2200), folgen wollte. Der BFH hat in der genannten Entscheidung seine Ansicht damit begründet, dass die Anschaffung eines Fahrzeuges, Büroeinrichtung und verschiedener geringwertiger Wirtschaftsgüter für insgesamt rund DM 70 000 bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise eine Änderung von Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlicher Bedeutung des Betriebsvermögens bewirkt hätte. Bei einer solchen wertenden Betrachtungsweise stellt die Erhöhung eines Anspruches gegen eine Versicherung keine Änderung der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens dar, sondern es handelt sich um eine vorgezeichnete Veränderung des Betriebsvermögens, gegen die die Gesellschaft sich vernünftigerweise nicht einmal wehren kann. Wäre sie nämlich gehalten, diese Erhöhung ihres Anlagevermögens im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 4 KStG zu verhindern, würde man sie zu unwirtschaftlichem Verhalten - der Kündigung einer für sie nach wie vor wichtigen Versicherung und der Aufgabe des bislang erreichten Anspruchs bei Verlust der bisher gezahlten Prämien - zwingen.

Die Erhöhung des Umlaufvermögens stellt ebenfalls keine Zuführung neuen Betriebsvermögens dar. Sie beruhte nicht auf einer Zuführung von außen, sondern - wie sich insbesondere an der gleichzeitig zu verzeichnenden signifikanten Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zeigt - auf der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zwar noch nicht abschließend geklärt, ob die Erhöhung des Umlaufvermögens, nicht aber des Anlagevermögens, zur Bejahung überwiegend neuen Betriebsvermögens i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG ausreicht. Der BFH hat dies bislang nur unter der Voraussetzung angenommen, dass gleichzeitig ein Branchenwechsel vorliegt ( BFH-Urteil vom 05. Juni 2007 - I R 9/06, BFH/NV 2008, 166). Nach Auffassung des erkennenden Senats ist das Vorliegen überwiegend neuen Betriebsvermögens bei Erhöhung des Umlaufvermögens infolge eigener wirtschaftlicher Tätigkeit der Gesellschaft zu verneinen, wenn ein Branchenwechsel - wie hier - nicht gegeben ist. Der BFH hat seine Auffassung, dass ein Verlust der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft eingetreten sei, damit begründet, dass derartige Betriebsvermögensänderungen bzw. -erhöhungen für das Unternehmen prägend sein könnten (BFH in BFH/NV 2008, 166, unter II.2.b)bb)bbb) der Gründe). Diese Erwägung greift nicht, wenn die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb, wie hier, innerhalb derselben Branche fortsetzt, denn dann kommt eine abweichende Prägung des Betriebsvermögens durch Veränderungen des Umlaufvermögens nicht in Betracht (Senatsurteil vom 16. Januar 2008 - 12 K 8403/04 B, EFG 2008, 723). Die parallele Erhöhung oder Verminderung von unfertigen Erzeugnissen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sind vielmehr Veränderungen im Betriebsvermögen einer Gesellschaft, die ihren Bestand oder ihre Struktur nicht berühren.

Die übrigen Erhöhungen des Betriebsvermögens der Klägerin sind schon rein betragsmäßig nicht geeignet, eine Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens anzunehmen.

c) Auf die Frage, ob die Klägerin das Sanierungsprivileg des § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG in Anspruch nehmen kann, kommt es danach nicht an.

2. Die Revision zum BFH war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Frage, ob die Erhöhung des Anspruchs einer Kapitalgesellschaft aus einer Rückdeckungsversicherung und die Erhöhung des Umlaufvermögens durch eigene Geschäftstätigkeit in derselben Branche wie zuvor zum Verlust der wirtschaftlichen Identität führen können, von grundsätzlicher Bedeutung ist und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, soweit ersichtlich, noch nicht vorliegt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, da die Rechtssache nicht so einfach war, dass die Klägerin sich selbst hätte vertreten können.

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Ende der Entscheidung

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