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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 15.07.2009
Aktenzeichen: 12 K 9048/06 B
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 17 Abs. 1
UStG § 17 Abs. 2
UStG § 18 Abs. 3
AO § 34
AO § 69
AO § 150
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 12. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Juli 2009

durch

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter ...,

den Richter am Finanzgericht ... sowie

die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 04. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2006 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner.

Der Kläger war Geschäftsführer der A - GmbH (im folgenden: GmbH), die die Zeitschrift "..." herausgab. Er reichte für die GmbH Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum Februar bis April 2004 ein, die bei dem Beklagten am 14. Mai 2004 eingingen. Daraus ergaben sich erhebliche Erstattungsbeträge.

Die GmbH hatte vom Verlag B ein Darlehen in Höhe von rund EUR 360 000 erhalten; der Verlag hatte außerdem eine Option auf eine Beteiligung an der GmbH. Spätestens am 18. Mai 2004 stellte sich jedoch heraus, dass eine weitere Zusammenarbeit der GmbH mit dem Verlag B nicht mehr stattfinden würde. Diese Entwicklung war dem Kläger als Möglichkeit bereits am 13. oder 14. Mai 2004 avisiert worden.

Am 19. Mai 2004 ging bei dem Amtsgericht C ein vom 17. Mai 2004 datierter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens der GmbH ein. Am 15. Juni 2004 wurde Herr Rechtsanwalt D zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Nach dessen Gutachten vom 02. August 2004 war die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet, da Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 603 000 Aktiva in Höhe von knapp EUR 64 000 gegenüberstanden. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.

Der Beklagte zahlte an die GmbH am 09. Juni 2004 EUR 17 462,32 und am 14. Juni 2004 EUR 20 583,23 aus.

Nach den Feststellungen des Beklagten im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Zeitraum Oktober bis Dezember 2004 hatte die GmbH zum 31. Dezember 2003 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 214 434, Forderungen in Höhe von EUR 26 652 und liquide Mittel in Höhe von EUR 22 720, zum 29. Februar 2004 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 284 291, Forderungen in Höhe von EUR 41 603 und liquide Mittel in Höhe von EUR 29 363, zum 31. März 2004 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 408 380, Forderungen in Höhe von EUR 35 329 und liquide Mittel in Höhe von EUR 31 903, und zum 30. April 2004 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 400 386, Forderungen in Höhe von EUR 47 250 und liquide Mittel in Höhe von EUR 24 658.

Der Beklagte nahm den Kläger mit dem hier angefochtenen Haftungsbescheid für Umsatzsteuer in Höhe von EUR 33 304,23 in Anspruch, weil dem Kläger bei Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Februar bis April 2004 bekannt gewesen sei, dass die GmbH zahlungsunfähig gewesen sei, so dass er pflichtwidrig gehandelt habe, indem er die ausgewiesenen Vorsteuerbeträge nicht gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berichtigt bzw. diese überhaupt geltend gemacht habe.

Der Kläger trägt vor, dass er zum Ende des Voranmeldungszeitraums April 2004 nicht habe absehen können, dass die GmbH insolvent sei. Ende April habe die GmbH noch über Forderungen und liquide Mittel in Höhe von EUR 71 908 verfügt. Im Mai 2004 hätten noch bestätigte Angebote zu Veröffentlichungen für die Septemberausgabe 2004 mit einem Umsatzvolumen von EUR 165 567 vorgelegen, so dass ein weiteres Erscheinen jedenfalls vorstellbar gewesen sei. Bis zum 18. Mai 2004 habe er darauf vertrauen dürfen, dass die GmbH die zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten erforderlichen Mittel durch die Zusammenarbeit mit dem Verlag B erhalten werde. Die Berichtigungsvoraussetzungen seien somit allenfalls im Mai 2004 eingetreten. Da die GmbH aufgrund einer Dauerfristverlängerung die entsprechende Umsatzsteuervoranmeldung aber erst am 10. Juli 2004 einzurechen gehabt habe, falle dies nicht mehr in seinen, des Klägers, Verantwortugngsbereich, da bereits zum 15. Juni 2004 der vorläufige Insolvenzverwalter bestellt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 04. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2006 aufzuheben,

sowie,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, dass bei Einreichung wahrheitsgemäßer Umsatzsteuer- Voranmeldungen der GmbH für Februar 2004 EUR 12 088,07, für März 2004 EUR 7 370,53 und für April 2004 EUR 13 078,63 weniger erstattet worden wären. Die Pflichtverletzung des Klägers liege in der nicht frist- und wahrheitsgemäßen Abgabe der Umsatzsteuer- Voranmeldung. Diese Pflichtverletzung sei auch ursächlich für den Haftungsschaden, denn bei Einreichung zutreffender Umsatzsteuer-Voranmeldungen hätte er, der Beklagte, in der genannten Höhe Erstattungen nicht vorgenommen. Es bestehe eine zwingende Korrespondenz in der Weise, dass in dem Moment, in dem der Gläubiger von Forderungen seine Umsatzsteuervoranmeldung dahingehend berichtige, dass sich die Umsatzsteuerbeträge minderten, auch der Schuldner dieser Forderungen seine Umsatzsteuervoranmeldung insoweit berichtigen müsse, als er die geltend gemachten Vorsteuerbeträge vermindere. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter dazu erklärt, dass ihm nicht bekannt sei, ob die entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen der Gläubiger der GmbH im hier streitigen Zeitraum berichtigt worden seien.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).

a) Gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Zu den steuerlichen Pflichten gehört gemäß § 150 AO i.V.m. § 18 Abs. 3 UStG auch die rechtzeitige Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen.

b) Der Kläger hat seine ihm als Geschäftsführer der GmbH auferlegten Pflichten nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.

Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 UStG muss der Schuldner seinen Vorsteuerabzug berichtigen, wenn sich aus den Gesamtumständen, insbesondere aus einem längeren Zeitablauf nach Eingehung der Verbindlichkeit ergibt, dass er seiner Zahlungsverpflichtung gegenüber seinem Gläubiger nicht mehr nachkommen wird. "Uneinbringlich" in diesem Sinne ist eine Forderung dann, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Schuldner bei Fälligkeit nicht zahlen wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 03. November 2008 - XI B 217/07, [...]) und der Leistende die Entgeltsforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann (BFH-Beschluss vom 04. Juni 2007 - V B 76/06, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2007, 2151, 2152 m.w.N.). Hauptfälle mangelnder Durchsetzbarkeit aus tatsächlichen Gründen sind die Zahlungsunfähigkeit und der mangelnde Zahlungswille des Schuldners. Die Berichtigung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 7 (im Streitjahr: Satz 3) UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.

Demzufolge wäre eine Pflichtverletzung des Klägers durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung nur dann zu konstatieren, wenn die GmbH bis spätestens Ende April 2004 im Hinblick auf die erhaltenen Leistungen, aus deren Bezahlung sie Vorsteuern geltend machte, zahlungsunwillig oder -unfähig war. Dies hat der Beklagte, der insoweit die Feststellungslast trägt, jedoch nicht zur Überzeugung des Senats dargetan. Die Annahme der Zahlungsunwilligkeit liegt angesichts der Bemühungen des Klägers um eine Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit der GmbH bis Mitte Mai 2004 fern. Auch die Zahlungsunfähigkeit der GmbH zum 30. April 2004 ist nicht festzustellen. Die von dem Beklagten ausgewerteten Zahlen und die Ausführungen im Bericht über die Umsatzsteuer- Sonderprüfung lassen nicht den Schluss zu, dass die Verbindlichkeiten der GmbH aus der Sicht der Gläubiger bereits zum 30. April 2004 uneinbringlich i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gewesen wären. Der Beklagte hat nämlich zum einen die Fälligkeit der entsprechenden Verbindlichkeiten nicht festgestellt. Es erscheint damit jedenfalls denkbar und auch lebensnah, dass nicht alle Forderungen, aus denen die GmbH Vorsteuern geltend machte, bereits am 30. April 2004 fällig waren. Zum anderen hatte der Kläger zu dieser Zeit die jedenfalls nicht völlig unberechtigte Hoffnung, dass der Verlag B sich weiter finanziell bei der GmbH engagieren würde, was ihre Liquidität nachhaltig gestärkt hatte. Aus diesen Gründen bestand für den Kläger zum Ende des Voranmeldungszeitraumes Februar bis April 2004 noch kein Anlass, eine Prognose über die Uneinbringlichkeit der bestehenden Verbindlichkeiten zu treffen und die Umsatzsteuervoranmeldung entsprechend anzupassen.

Soweit der Kläger selbst am 19. Mai 2004 offenbar von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH ausging und der Insolvenzverwalter in seinem Gutachten bescheinigt hat, dass die GmbH überschuldet und zahlungsunfähig war, sind dies Ereignisse, die erst nach Ablauf des maßgeblichen Voranmeldungszeitraumes Februar bis April 2004 eingetreten sind und somit auch erst in dem folgenden Voranmeldungszeitraum zu berücksichtigen waren. Dies fiel aber wegen der zwischenzeitlichen Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht mehr in die Verantwortlichkeit des Klägers.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, da die Rechtssache nicht so einfach war, dass der Kläger sich selbst hätte vertreten können.

Ende der Entscheidung

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