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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 10.03.2008
Aktenzeichen: 13 V 13042/08
Rechtsgebiete: InvZulG 1999, FGO


Vorschriften:

InvZulG 1999 § 2
FGO § 69 Abs. 2 S. 2
FGO § 69 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

13 V 13042/08

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) - Investitionszulage und Zinsen 2001

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 13. Senat - am 10. März 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ..., den Richter am Finanzgericht ..., den Richter ...,

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung des Bescheides über eine Investitionszulage nach § 2 Investitionszulagengesetz 1999 für das Jahr 2001 vom 16. November 2007 wird ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 14. Dezember 2007 ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 85 von Hundert dem Antragsgegner und zu 15 von Hundert der Antragstellerin auferlegt.

Gründe:

I. Streitig ist die Rückzahlung von Investitionszulage für das Jahr 2001.

Mit dem Bescheid vom 11. Juli 2003 wurde der Antragstellerin eine Investitionszulage für das Jahr 2001 nach § 2 Investitionszulagengesetz -InvZulG- 1999 in Höhe von DM 33.242 (EUR 16.996,36) gewährt. Darin war unter anderem die Investitionszulage für die Anschaffung eines Lkw Renault (Kipper) am 28. Mai 2001 enthalten. Die Anschaffungskosten dieses Lkw mit dem Kennzeichen ... betrugen DM 177.000 (EUR 90.498,66).

Nach einem Verkehrsunfall am 16. Dezember 2004 schied der Lkw aus dem Anlagevermögen aus. Ein Kfz-Sachverständigenbüro stellte in einem Gutachten vom 29. Dezember 2004 fest, dass die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen und der Lkw einen Restwert in Höhe von EUR 18.550 (brutto) hat. Aufgrund des Unfalls war der Lkw nicht mehr fahrbereit.

Da der Restwert (netto) mehr als 10 v. H. der Anschaffungskosten des Lkw betrug, reduzierte der Antragsgegner die Investitionszulage für das Jahr 2001 mit Bescheid vom 16. November 2007 auf DM 6.692 (EUR 3.421,57) und setzte Zinsen in Höhe von EUR 2.439 fest.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 14. Dezember 2007 Einspruch ein. Eine Einspruchsentscheidung ist bisher nicht ergangen. Eine Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 11. Januar 2008 ab.

Die Antragstellerin macht geltend, dass der Lkw aufgrund des Unfalls wirtschaftlich verbraucht war und nur noch einen geringen Wert hatte. Eine Anwendung der vom Bundesfinanzhof -BFH- entwickelten 10%-Grenze für das Verhältnis zwischen Veräußerungserlös und ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten sei im Streitfall nicht sachgerecht. Zum einen habe der Investitionszulagensatz in dem maßgeblichen BFH-Urteil nur 8 v. H. betragen, während er im Streitfall bei 15 v. H. liege. Zum anderen sei der Unfall- Lkw Anfang des Jahres 2005 durch einen vergleichbaren neuwertigen Lkw ersetzt worden. Insofern sei die im InvZulG 2005 eingefügte Regelung, nach der ein derartiges Ausscheiden unschädlich sei, in die Betrachtung einzubeziehen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Bescheides über eine Investitionszulage nach § 2 InvZulG 1999 für das Jahr 2001 und den Zinsbescheid vom 16. November 2007 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ohne Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 16.013,79 auszusetzen, hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er verweist auf die Rechtsprechung des BFH, wonach ein vorzeitiges Ausscheiden eines Wirtschaftsguts nach dem InvZulG 1999 nur dann zulagenunschädlich sei, wenn ein etwaiger Veräußerungserlös im Vergleich zu den ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht mehr als 10 v. H. betrage. Im Streitfall habe die Antragstellerin jedoch einen Veräußerungserlös in Höhe von rund 17 v. H. der Anschaffungskosten erzielt. Die in § 2 Abs. 1 Satz 4 InvZulG 2005 enthaltene Ausnahmeregelung sei nicht auf das InvZulG 1999 übertragbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags nimmt das Gericht auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze einschließlich sämtlicher Anlagen Bezug. Dem Gericht lagen ein Band Investitionszulagenakten (Band 2), ein Band Bilanzakte (Band 3), ein Band Vertragsakte und eine Heftung Rechtsbehelfsakten vor, die vom Antragsgegner unter der Steuernummer 064/108/00932 geführt werden.

II. 1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheids ist unzulässig.

Die sachkundig vertretene Antragstellerin bezieht ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- ausdrücklich auch auf den Zinsbescheid, der im Verhältnis zum Investitionszulagenbescheid als Folgebescheid anzusehen ist (vgl. BFH, Urteil vom 20. Oktober 2005 - III R 24/04, BFH/NV 2006, 816). Da der Zinsbescheid ausschließlich mit Einwendungen gegen den Investitionszulagenbescheid (Grundlagenbescheid) angegriffen wird, fehlt insofern die Darlegung einer Beschwer (vgl. § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 Abgabenordnung -AO-; Koch in: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl. 2006, § 69 FGO Rz. 62). Insbesondere sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich der Antragsgegner weigern wird, bei einer Aussetzung der Vollziehung des Investitionszulagenbescheids nach § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO die Vollziehung des Zinsbescheids auszusetzen.

2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des geänderten Investitionszulagenbescheids ist zulässig und begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 17. Mai 2005 - I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778).

Bei Anwendung dieser Grundsätze bestehen nach Auffassung des erkennenden Senats im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids vom 16. November 2007. Ob die Vollziehung gleichzeitig eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, kann dahingestellt bleiben.

a. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1999 in der für die Streitjahre geltenden Fassung setzt die Förderung mit Investitionszulage unter anderem voraus, dass die Wirtschaftsgüter mindestens fünf Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte im Fördergebiet gehören (Zugehörigkeitsvoraussetzung) und in einer Betriebsstätte im Fördergebiet verbleiben (Verbleibensvoraussetzung). Diese Bindefristen sind im Streitfall nicht erfüllt, da der Lkw vor Ablauf von fünf Jahren nach einem Unfall aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden ist.

b. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auf Grundlage der präsenten Beweismittel und der unstreitigen Sachverhaltsangaben der Beteiligten liegt aber eine vom BFH zugelassene Ausnahme vor. Die Verletzung der Bindefristen ist im Ergebnis unschädlich und führt nicht zu einer Rückforderung von Investitionszulage.

In seinemUrteil vom 1. Juli 1977 (III R 74/76, BStBl II 1977, 793) hat der BFH zu § 19 Berlinförderungsgesetz eine Ausnahme von den Bindefristen angenommen, wenn ein Fahrzeug bei einem Unfall derart beschädigt wird, dass es funktionsunfähig ist und die Kosten der Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit den Zeitwert des Fahrzeugs übersteigen würden (Totalschaden). Dabei hat der BFH ausdrücklich festgestellt, dass es in diesem Fall nicht auf einen bei der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs erzielten Erlös ankomme. Zur Begründung führt der BFH aus, dass der Sinn und Zweck der Bindefristen, Missbräuche zu verhindern, nicht erfordere, in solch einem Fall den Steuerpflichtigen zu einer Reparatur des Fahrzeugs zu zwingen.

Im Streitfall handelt es sich nach der unbestrittenen Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin um einen Totalschaden im Sinne dieser Rechtsprechung des BFH. Denn der Lkw ... war in Folge eines Unfalls nicht mehr fahrbereit und die Reparaturkosten überstiegen nach dem Gutachten des Sachverständigenbüros den Zeitwert des Fahrzeugs.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist diese Rechtsprechung auch nicht durch das Urteil des BFH vom 9. Dezember 1999 (III R 49/97, BStBl II 2000, 434) überholt. Vielmehr wird das Urteil vom 1. Juli 1977 in einem BFH-Beschluss vom 29. März 2006 (III B 180/05, BFH/NV 2006, 1512) zu § 2 InvZulG 1996 weiterhin ohne Einschränkung als ein Beispiel für die eng begrenzten Ausnahmen von den investitionszulagenrechtlichen Bindefristen genannt. Lediglich für die Frage, unter welchen Voraussetzungen "weitere" Ausnahmen in Betracht kommen, verweist der BFH auf sein Urteil vom 9. Dezember 1999. Hierfür reiche es nicht aus, dass keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Investitionszulage vorlägen. Vielmehr sei es erforderlich, dass das betreffende Wirtschaftsgut entweder technisch abgenutzt oder wirtschaftlich verbraucht sei und auch für Dritte keinen oder nur noch einen sehr geringen Wert aufweise, d.h. der Veräußerungserlös im Verhältnis zu den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten nicht mehr als 10 v. H. betrage.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Bindefristen sachgerecht, die 10 v. H. -Grenze nicht bei einem wirtschaftlichen Totalschaden in Folge eines Unfalls anzuwenden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Restwert aufgrund der Ersetzung des zerstörten Wirtschaftsguts nicht dazu führt, dass der Steuerpflichtige von diesen Kosten entlastet wird. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Nach der unwidersprochenen Darstellung der Antragstellerin wurde der Unfall-Lkw Anfang des Jahres 2005 durch einen vergleichbaren Lkw ersetzt.

Zwar weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass § 2 Abs. 1 Satz 4 InvZulG 2005 grundsätzlich nicht auf das InvZulG 1999 übertragbar ist. Der hinter dieser Regelung stehende Rechtsgedanke liegt aber auch der BFH-Rechtsprechung zur 10 v. H. -Grenze zu Grunde. In dem Urteil vom 9. Dezember 1999 wird die Anwendung der 10 v. H. -Grenze nämlich maßgeblich damit begründet, dass ohne eine solche Grenze Investitionszulage auf die vollen Anschaffungs- und Herstellungskosten gewährt werden würde, obwohl der Steuerpflichtige wirtschaftlich betrachtet von diesen Kosten entlastet sei und sie im Ergebnis in erheblichem Umfang gar nicht getragen habe (vgl. BFH, Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 49/97, BStBl II 2000, 434 m.w.N.). Diese Begründung kann im Fall der Anschaffung eines vergleichbaren Ersatz-Wirtschaftsguts nicht eingreifen.

3. Die Aussetzung der Vollziehung erfolgt ohne Sicherheitsleistung (§ 155 FGO i.V.m. §§ 108 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -). Aus den Gerichtsakten sind keine Anhaltspunkte erkennbar, nach denen die Durchsetzung des Steueranspruchs im Fall des Unterliegens der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren gefährdet wäre.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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