Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 17.06.2009
Aktenzeichen: 2 K 925/06
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 15
UStG § 16
UStG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 2. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. Juni 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin ... sowie

die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid sowie der dazu ergangene Bescheid über Zinsen nach § 233 a AO vom 04.01.2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 17.05.2006 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt es nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger war im Streitjahr 2000 Insolvenzverwalter der X-GmbH. Er war mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom 15.08.2000 hierzu berufen worden. Die Insolvenzschuldnerin führte auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Betrieb fort. Für das dritte und vierte Quartal reichte der Kläger Umsatzsteuer-Voranmeldungen zum sogenannten Massekonto ein. Der Beklagte führte zunächst nur für das dritte in der Folge dann auch für das dritte und vierte Quartal eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch und erkannte dabei vom Kläger als abzugsfähig behandelte Vorsteuern an, verlagerte jedoch die Erfassung der Beträge in die Zeiträume des jeweiligen Rechnungserhalts. Im November 2004 reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum 15.8.2000 bis 31.12.2000 ein und berichtigte sie mit weiterer am 01.06.2005 eingegangener Erklärung. Die erklärten Bemerkungsgrundlagen enthielten Berichtigungsbeträge nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz

-UStG- aufgrund von Forderungsabschreibungen in Höhe von rund 16.000 DM, die zu einer Steuerminderung in Höhe von 1.343,98 EUR führten, sowie Vorsteuerbeträge von 63.545,26 DM aus vor Insolvenzeröffnung an die Insolvenzschuldnerin ausgeführten Umsätzen, für die die Rechnungslegungen und Zahlungen erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt waren. Mit Mitteilung vom 04.07.2005 stimmte der Beklagte der vom Kläger am 01.06.2005 eingereichten Umsatzsteuererklärung zunächst zu und setzte die Umsatzsteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung auf -8.868,10 EUR fest. Das sich daraus gegenüber dem Vorauszahlungssoll ergebende Guthaben rechnete er mit Insolvenzforderungen gegen die Insolvenzschuldnerin auf. Mit Antrag vom 09.11.2005 trat der Kläger unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung - InsO - der Aufrechnung entgegen und begehrte für die Masse die Berücksichtigung von Vorsteuern, die auf die Zeit vor Insolvenzeröffnung entfielen, sowie von Umsatzkorrekturen auf Umsätze vor der Insolvenz und damit einen Erstattungsbetrag in Höhe von 8.868,10 EUR. Unter Berücksichtigung der von der Masse in Höhe von 596,30 EUR geleisteten Zahlungen forderte der Kläger den Beklagten auf, ein Guthaben in Höhe von 9.464,40 EUR an die Masse auszukehren. In dieser Höhe war durch den Beklagten nach der Darstellung des Klägers im Schreiben vom 18.07.2005 eine Umbuchung/Aufrechnung erfolgt.

Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 08.12.2005 mit, dass er die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung der Entscheidung des FG Brandenburg vom 14.06.2005 1 K 2222/02 ohne die Berücksichtigung der auf Umsätze aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung entfallenden, aber erst nach Insolvenzeröffnung eingetretenen Forderungsverluste (steuerliche Auswirkung 1.343,98 EUR) und der vor der Insolvenz begründeten Vorsteuern in Höhe von 63.545,26 DM (= 32.490,18 EUR) festzusetzen beabsichtige. Insoweit seien die betreffenden Besteuerungsgrundlagen bereits vor Insolvenzeröffnung begründet gewesen und gehörten damit nicht zur Masse. Der Beklagte setzte entsprechend mit Bescheid vom 04.01.2006 die Umsatzsteuer 2000 auf 24.965,87 EUR fest und erließ für die sich daraus ergebende Differenz zu der vorangegangenen Festsetzung einen Zinsbescheid nach § 233 a Abgabenordnung -AO- über Zinsen in Höhe von 6.893,00 EUR. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einsprüchen unter anderem unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 16.11.2004 VII R 75/03 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 193). Der Beklagte blieb jedoch bei seiner Beurteilung und wies die Einsprüche als unbegründet zurück.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage insbesondere vor, dass die streitigen Vorsteuerbeträge in Höhe von 32.490,18 EUR zwar auf Leistungen vor Insolvenzeröffnung beruhten. Die entsprechenden Rechnungen seien aber erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt und der Anspruch auf Vorsteuerabzug damit auch erst nach Eröffnung des Verfahrens steuerrechtlich entstanden. Daher müsse unter Anwendung des § 16 UStG zunächst zwangsläufig eine Saldierung unter Einbeziehung der betreffenden Vorsteuern erfolgen. Der Kläger beruft sich dabei auf die BFH-Urteile vom 30.09.1976 V R 109/73; vom 24.03.1983 V R 8/81; vom 14.05.1998 V R 74/97; vom 21.09.1993 VII R 68/92 sowie auf den Beschluss des BFH vom 17.01.2006 VII B 326/04. Ihm stünden auch die Umsatzsteuerkorrekturen in Höhe von 1.344 EUR zu, weil ebenso wie die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG (mit Rechnungserhalt) auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 1 UStG (mit Eintritt der Uneinbringlichkeit der zugrunde liegenden Forderungen) erst nach Insolvenzeröffnung eingetreten seien. Unzulässigerweise erfasse der Beklagte die Umsatzsteuer 2000 vor Verfahrenseröffnung in einer eigenen Veranlagung außerhalb der Festsetzung für das Massekonto und rechne mit dem dort entstandenen Vorsteuerüberhang gegen Insolvenzforderungen auf.

Nachdem das Insolvenzverfahren aufgehoben wurde, hat der Kläger den Beschluss des Amtsgerichts M vom 11.06.2009 eingereicht. Nach diesem Beschluss bleibt die Nachtragsverteilung hinsichtlich eines sich aus dem vorliegenden Klageverfahren ergebenen Guthabens vorbehalten. Auf den zu den Gerichtsakten (Blatt 50) genommenen Beschluss wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den geänderten Umsatzsteuerbescheid sowie den dazu ergangenen Bescheid über Zinsen nach § 233 a AO vom 04.01.2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 17.05.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist wie bereits im Verwaltungsverfahren auf die Entscheidung des FG Brandenburg 1 K 2222/02.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts M ist der Bevollmächtigte zur Nachtragsverteilung eines sich möglicherweise aus dem Rechtsstreit ergebenden Guthabens berechtigt und damit weiterhin klagebefugt (vgl. auch FG Berlin-Brandenburg , Urteil vom 23.05.2007 3 K 1407/03 B, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2007, 1344).

Die Begründetheit folgt daraus, dass für die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Massekonto sämtliche Besteuerungsgrundlagen heranzuziehen sind, deren Tatbestand nach den Vorschriften des (Umsatz-) Steuerrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig verwirklicht worden ist. Allein nach dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des umsatzsteuerlichen Tatbestands entscheidet sich, ob die Besteuerungsgrundlagen zum Massevermögen (§ 55 InSO) oder zu dem den Regelungen über die Anmeldung und Behandlung des Vermögens des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren unterliegenden Vermögen zählen (vgl. BFH-Urteile vom 16.01.2007 VII R 4/06, BStBl II 2007, 747, dort vor allem die Klarstellungen in den letzten vier Absätzen der Entscheidungsgründe; vom 29.01.2009 V R 64/07, BFH/NV 2009, 1045, dort unter II 1.). Da im vorliegenden Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen hinsichtlich der streitigen Vorsteuern erst mit dem nach Insolvenzeröffnung erfolgten Rechnungserhalt sowie hinsichtlich der Umsatzsteuerberichtigungen erst mit den nach Insolvenzeröffnung dauerhaft eingetretenen Forderungsausfällen nach §§ 15 Abs. 1; 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 1 UStG vollständig verwirklicht worden waren, waren diese Besteuerungsgrundlagen im Rahmen der Saldierung nach § 16 Abs. 2 UStG für die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Massekonto zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BFH stellen einzelne Vorsteuerbeträge umsatzsteuerrechtlich lediglich unselbständige Besteuerungsgrundlagen dar, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen (BFH-Urteil vom 24.03.1983 V R 8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612). Gleiches muss für Berichtigungsbeträge nach § 17 UStG gelten. Eine Aufrechnung darf die Höhe der sich aus dem Gesetz ergebenden festzusetzenden Umsatzsteuer nicht beeinflussen (vgl. BFH-Urteil vom 14.05.1998 V R 74/97, BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634). Das aus § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG folgende umsatzsteuerrechtliche Erfordernis, sämtliche in den Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge mit der berechneten Umsatzsteuer zu saldieren, hat stets Vorrang (vgl. BFH vom 16.11.2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193).

Erst wenn sich aus der mit der Steueranmeldung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG vorzunehmenden Saldierung ein Guthaben des Steuerpflichtigen ergibt, besteht ein erfüllbarer Anspruch, gegen den die Aufrechnung mit Steuerforderungen erklärt werden kann, sofern die übrigen Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen und - im Insolvenzverfahren - insolvenzrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen. Vorliegend ist aber ausdrücklich nur die Umsatzsteuerfestsetzung nicht eine eventuelle Aufrechnung streitig.

Soweit der BFH in ständiger Rechtsprechung die Ansicht vertritt, dass es hinsichtlich der Aufrechenbarkeit von Forderungen im Insolvenzverfahren nicht darauf ankommt, ob der Anspruch im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern allein darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH-Urteile vom 5.10.2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195 und in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, jeweils m.w.N.), bezieht sich diese Rechtsprechung auf das insolvenzrechtliche Aufrechnungshindernis des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die Frage, welcher Zeitpunkt maßgebend dafür ist, ob ein aufrechnender Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Diese Frage zu stellen setzt aber notwendigerweise voraus, dass überhaupt ein erfüllbarer zur Insolvenzmasse gehörender Anspruch gegen den Insolvenzgläubiger besteht; erst wenn dies bejaht werden kann, ist zu prüfen, ob nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder erst nach diesem Zeitpunkt gelegt war (vgl. BFH-Urteil vom 16.01.2007 VII R 4/06, BStBl 2007, 747).

Auch soweit der BFH unter der Geltung der Konkursordnung -KO- entschieden hat, es sei konkursrechtlich unerheblich, dass der Vorsteuerabzugsanspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage habe und keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstelle (vgl. BFH-Urteile vom 21.09.1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83 in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423), betraf diese Aussage allein die Frage, ob ein einzelner Vorsteuerabzugsanspruch auf sein vorkonkursliches Begründetsein untersucht werden kann. Die Frage, ob gegen einen solchen einzelnen Vorsteuerabzugsanspruch - ohne vorherige Verrechnung mit der berechneten Umsatzsteuer gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG - die Aufrechnung erklärt werden kann, stellte sich in jenen Fällen nicht, weil die Umsatzsteuer- Voranmeldung - anders als im Streitfall - ein Guthaben ergeben hatte.

Zu berücksichtigen ist grundsätzlich im vorliegenden Fall, dass eine Aufrechnung als Teil des Erhebungsverfahrens erst erfolgen kann, wenn die Steuer festgesetzt ist, und die Steuerfestsetzung, zu der im Umsatzsteuerrecht auch die Verrechnung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG gehört, nicht beeinflussen kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423). Hieran vermögen auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften nichts zu ändern. Aus einer Umsatzsteuerfestsetzung für einen Besteuerungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können daher einzelne Vorsteuerbeträge aus Leistungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung erbracht wurden, nicht ausgeschieden und durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634). Auch für die Berichtigungen wegen Forderungsausfalls gilt der Vorrang des § 16 UStG bei der Steuerfestsetzung (vgl. insoweit auch BFH-Beschluss vom 12.08.2008 VII B 213/07).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung - ZPO - i.V.m. §§ 151 Absatz 3, 155 FGO.

Ende der Entscheidung

Zurück