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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.01.2008
Aktenzeichen: 3 V 3260/07
Rechtsgebiete: RL 76/308/EWG, AO, EG-Beitreibungsgesetz


Vorschriften:

RL 76/308/EWG Art. 7
AO § 250
EG-Beitreibungsgesetz § 7 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

3 V 3260/07

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO)

Leistungsgebot über finnische Einkommensteuer 2002 und 2003 sowie Nebenleistungen vom 26.07.2006

In dem Verfahren

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 3. Senat -

am 8. Januar 2008

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ... den Richter am Finanzgericht ...

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung des Leistungsgebots vom 26. Juli 2006 über finnische Einkommensteuer 2002 und 2003 sowie Nebenleistungen wird ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner betreibt gegen den Antragsteller die Zwangsvollstreckung aufgrund eines Leistungsgebots wegen rückständiger finnischer Einkommensteuern für die Jahre 2002 und 2003 sowie steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von 20.138,57 EUR. Als Rechtsgrundlage ist in dem Leistungsgebot das Abkommen vom 25. September 1935 zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Finnland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen mit Schlussprotokoll angegeben. Dem Leistungsgebot liegt ein Beitreibungsersuchen der finnischen Steuerverwaltung vom 21. Oktober 2005 zugrunde, mit dem die Beitreibung der betreffenden Forderungen gemäß Artikel 7 der Richtlinie 76/308/EWG beantragt wird. Nach einer Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern vom 7. Juli 2006 teilte die finnische Steuerverwaltung mit, dass die Steuerschulden die Kapitalgewinnsteuer von Verkäufen des Sommerhauses und des Grundstückes beträfen; dem Antragsteller seien "die Entscheidungen einer Besteuerung nach der Steuerbemessung zugesandt worden".

Den gegen das Leistungsgebot eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner durch Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2007 als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage (Az.: 3 K 3071/07), über die der Senat noch nicht entschieden hat.

Nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch den Antragsgegner mit Verwaltungsakt vom 29. März 2007 erhob der Antragsteller dagegen Einspruch, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.

Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2007 hat der Antragsteller das Gericht gemäß § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- angerufen.

Er macht geltend, ihm liege kein Bescheid vor. Ein Bescheid sei ihm weder zugestellt noch bekannt gegeben worden. Es gäbe keinen vollstreckbaren finnischen Bescheid. Die Existenz eines vollstreckbaren finnischen Verwaltungsaktes lasse sich auch nicht dem Inhalt der Steuerakten entnehmen. Die Angaben der finnischen Finanzbehörden seien insoweit unschlüssig, als nicht einmal selbst dessen Existenz behauptet, sondern lediglich von der angeblichen Zustellung einer Zahlungsaufforderung gesprochen werde. Abgesehen davon, dass eine derartige Zahlungsaufforderung nicht den zugrunde liegenden Bescheid ersetze, sei diese auch nicht zugestellt worden. Es fehle an jeder Art von Zustellnachweis.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Leistungsgebotes vom 26. Juli 2006 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und die Mitteilung der finnischen Steuerverwaltung laut Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern.

II.

Der Antrag ist gemäß § 69 Abs. 4 FGO zulässig und ferner gemäß § 69 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Leistungsgebotes bestehen.

Zum einen sind die Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Vollstreckungsersuchens nicht gegeben. Maßgeblich ist hier das Gesetz zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie - EG Beitreibungsgesetz - vom 3. Mai 2003 (Bundesgesetzblatt -BGBl.- I 2003, 654) in der Fassung vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I 2004, 3310, 3324). Das Ersuchen der obersten Finanzverwaltung in Finnland und das beigefügte Gesuch der obersten Finanzbehörde in Helsinki vom 28. September 2005 werden ausdrücklich auf Artikel 7 der Richtlinie 76/308/EWG gestützt. Dabei handelt es sich um die Richtlinie des Rates vom 15. März 1976, die in Artikel 24 die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft -EG -auffordert, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Beitreibungsrichtlinie (vgl. Bundessteuerblatt -BStBl.- I 2004, 92) nachzukommen. Die Beitreibungsrichtlinie legt die Regeln fest, welche die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten enthalten müssen, damit in jedem Mitgliedstaat die Beitreibung der in der Beitreibungsrichtlinie bezeichneten Forderungen gewährleistet ist, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind. Die betreffende Richtlinie ist durch spätere Richtlinien des Rates geändert und auf weitere Forderungen ausgedehnt worden (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung -AO- und FGO, § 250 AO Rz. 117). Zur Durchführung der Beitreibungsrichtlinie ist das EG-Beitreibungsgesetz erlassen worden. Es stellt die Rechtsgrundlage für die Vollstreckung bestimmter, in anderen Mitgliedstaaten der EG entstandener Geldforderungen im Verwaltungswege auf Ersuchen der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaates dar; dabei erfolgt die Vollstreckung nur im Wege der Amtshilfe, d.h. der Vollstreckungshilfe (siehe z.B. Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Tz. 120). Voraussetzung für die Vollstreckung ist nach § 4 Abs. 1 EG-Beitreibungsgesetz, dass u.a. die ersuchende Behörde einen in ihrem Staat vollstreckbaren Titel in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie vorlegt und bestätigt, dass die Forderung oder der Vollstreckungstitel in ihrem Staat nicht angefochten ist.

Diesen Erfordernissen genügen die Ersuchen der finnischen Steuerverwaltung nicht in vollem Umfang. So hat die finnische oberste Finanzverwaltung neben dem Ersuchen lediglich tabellarische "Angaben zu den Forderungen" sowie ein Beitreibungsgesuch der obersten Finanzbehörde in Helsinki mit einem beigefügten "Verzeichnis der Steuerschulden" des Antragstellers vorgelegt. Zwar heißt es in dem Ersuchen der obersten Finanzverwaltung, dass ein Vollstreckungstitel beigefügt und die Voraussetzungen des Artikel 7 Abs. 2 Buchstabe a und b erfüllt seien. Ferner ist in dem Beitreibungsgesuch der obersten Finanzbehörde in Helsinki davon die Rede, dass die Voraussetzungen des Artikel 7 Abs. 2 a und b erfüllt seien und eine Zahlungsaufforderung dem Schuldner am 7. Juni 2005 zugestellt worden sei.

Tabellarische Angaben sind aber jedenfalls dann unzureichend, wenn sich ihnen die Rechtsgrundlage der beizutreibenden Steuer sowie die Art und Weise der Zustellung der zu vollstreckenden Verwaltungsakte nicht entnehmen lässt. So ist in den tabellarischen Angaben lediglich von Einkommensteuern 2002 und 2003 und in dem Verzeichnis von Reststeuern 2002 und 2003 die Rede. Darüber hinaus ist in den tabellarischen Angaben die Spalte "Datum der Zustellung an den Empfänger" nicht ausgefüllt. Außerdem fehlt eine ausdrückliche Bestätigung, dass die Forderung, die Gegenstand der Vollstreckung sein soll, und der vorgelegte Vollstreckungstitel in Finnland nicht angefochten sind und dass ein Vollstreckungsverfahren aufgrund des vorgelegten Titels erfolglos oder nicht mit vollem Erfolg durchgeführt worden ist und/oder dass ein solches Vollstreckungsverfahren voraussichtlich nicht zur vollständigen Tilgung der Forderung führen wird (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Tz. 154.1). Unter diesen Umständen ist die spätere Mitteilung der finnischen Steuerverwaltung, dass die Entscheidungen dem Antragsteller zugesandt worden seien und dass Einwendungen "nach Finnland adressiert" werden müssten, ohne Bedeutung.

Auch wenn man eine Rückstandsanzeige als Vollstreckungstitel genügen lässt (vgl. das Merkblatt des Bundesministers der Finanzen vom 19. Januar 2004 zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung -Beitreibung-, BStBl. I S. 66 Ziffer 2.2.3.), so fehlen jedenfalls Angaben über den Tag, der als Bekanntgabe des Steuerbescheides gilt oder an dem zugestellt wurde (vgl. dazu Ziffer 2.2.2.1. des eben genannten Merkblattes). Zwar betrifft diese Regelung ausgehende Ersuchen. Da es sich dabei aber um eine zutreffende Konkretisierung des § 4 EG-Beitreibungsgesetz handelt, ist die Regelung auch auf eingehende Ersuchen anzuwenden, zumal deren Zulässigkeit die zuständige Behörde prüfen muss und eingehende Ersuchen wie ausgehende Ersuchen erledigen muss (Ziff. 3.1. Abs. 1 Satz 1 und Ziff. 3.2.1. Abs. 1 Satz 1). Demgegenüber ist die Mitteilung, dass eine Zahlungsaufforderung zugestellt worden sei, unzureichend.

Nach alledem fehlt es bereits an einem ordnungsgemäßen Vollstreckungsersuchen.

Darüber hinaus wird das Leistungsgebot zu Unrecht auf das Abkommen vom 25. September 1935 zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Finnland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen mit Schlussprotokoll gestützt, denn die finnische Steuerverwaltung, die insoweit ein Wahlrecht hat, beruft sich nicht auf dieses Abkommen, sondern allein auf die EG-Beitreibungsrichtlinie.

Des Weiteren ist der Einwand des Antragstellers, die finnische Steuerverwaltung habe ihm keinen diesbezüglichen Steuerverwaltungsakt zugestellt, erheblich. Gemäß § 2 Abs. 1 EG-Beitreibungsgesetz richtet sich das Verwaltungszwangsverfahren nach den Vorschriften der Abgabenordnung, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. Maßgeblich für die Statthaftigkeit einer Vollstreckung im Rahmen der Abgabenordnung ist aber, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist. Damit wird nämlich eine Einwendung, mit der die Unwirksamkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes geltend gemacht wird, erhoben, die sich auch unmittelbar gegen die Statthaftigkeit der Vollstreckung und damit auch unmittelbar gegen deren Rechtmäßigkeit richtet (siehe z.B. Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. Tz. 43; Klein, Kommentar zur AO, § 257 Tz. 5-vor § 245Tz. 5).

Diese Auslegung des § 256 AO, der vergleichbar mit § 7 Abs. 1 EG-Beitreibungsgesetz Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt im Vollstreckungsverfahren ausschließt, ist hier entscheidend, da mit dem betreffenden Einwand unmittelbar die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes gerügt wird.

Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich ferner daraus, dass sich ein Steuerpflichtiger, dem die ausländischen Steuerfestsetzungen nicht bekannt sind, gegen diese Verwaltungsakte im ausländischen Staat nicht wirksam wehren kann. Dies gilt hier auch deshalb, weil das betreffende Ersuchen der finnischen Steuerverwaltung die den geltend gemachten Steuerforderungen zugrunde liegenden Bescheide nicht bezeichnet. Ein effektiver Rechtsschutz in Finnland wird durch die pauschalen Angaben in dem Ersuchen zumindest erschwert. Zu keinem anderen Ergebnis führt die Mitteilung der finnischen Steuerverwaltung laut Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern, weil in der Mitteilung die zugrunde liegenden Bescheide nicht konkretisiert sind.

Ferner ist das Leistungsgebot deshalb rechtswidrig, weil die erforderliche Zustellung der streitigen Steuerbescheide weder durch die ersuchende noch durch die ersuchte Behörde ersichtlich ist. Nichts anderes gilt, falls sich die finnische Steuerverwaltung auf das oben erwähnte Abkommen vom 25. September 1935 berufen sollte. Auch dort ist in Artikel 6 vorgeschrieben, dass für die Zustellung die zuständige Behörde des ersuchten Staates Sorge zu tragen hat. Allerdings besteht neben der förmlichen zwischenstaatlichen Zustellungshilfe die Möglichkeit einer einfachen postalischen Zustellung an einen Empfänger im Ausland, falls der Empfängerstaat dazu seine Zustimmung erteilt. Eine derartige generelle Zustimmung zur postalischen Zustellung haben sämtliche Staaten, mit denen Deutschland Doppelbesteuerungsabkommen mit Vollstreckungshilfevorschriften oder Amts- und Rechtshilfeverträge abgeschlossen haben, erteilt (vgl. Anwendungserlass zur AO, § 122 Ziffer 3.1.4.1. Abs. 1 Satz 4). Geht man davon aus, dass auch Deutschland eine derartige Zustimmung gegenüber Finnland erteilt hat, so lässt sich aber nicht feststellen, ob und inwieweit die finnische Steuerverwaltung diesen Weg beschritten hat. Außerdem wäre auch in diesem Fall der Nachweis erforderlich, dass die streitigen Bescheide dem Antragssteller zugegangen sind. Dafür ist derzeit nichts ersichtlich. Auf einen derartigen Nachweis kommt es aber an, da die Vollstreckung nur statthaft ist, wenn der zu vollstreckende Verwaltungsakt wirksam, d.h. u.a. ordnungsgemäß bekannt gegeben ist (siehe oben).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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