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Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 20.11.2007
Aktenzeichen: 4 K 10515/06 B
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 | |
EStG § 32 Abs. 4 S. 2 | |
EStG § 62 Abs. 1 | |
EStG § 63 Abs.1 S. 1 | |
EStG § 63 Abs.1 S. 2 | |
EStG § 70 Abs. 4 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Kindergeld
In dem Rechtsstreit ...
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 4. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. November 2007 durch
die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht ..... , den Richter am Finanzgericht ..... , die Richterin am Finanzgericht ..... sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ..... und Herr .....
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid über die Aufhebung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 vom 18. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. September 2006 wird aufgehoben.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage der Anspruchsberechtigung von Kindergeld für das Jahr 2005.
Der Kläger ist Vater seiner am 7. August 1985 geborenen Tochter A... , welche im Anschluss an die Schulausbildung im September 2005 mit ihrer Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau begann. Neben der dortigen monatlichen Bruttovergütung in Höhe von ... ,- EUR erhielt die Tochter aus einer ganzjährigen Aushilfstätigkeit im elterlichen Betrieb monatlich weitere ... ,- EUR. Ferner erhielt sie im Kalenderjahr 2005 aufgrund eines im Jahre 2000 erlittenen Sportunfalls in der Schule eine Verletztenrente der Unfallkasse Berlin in Höhe von monatlich ... ,.. EUR. Ausweislich eines seitens des Klägers vorgelegten Bescheides der Unfallkasse Berlin vom 1. November 2005 über die vollständige Abhilfe eines Widerspruches bestand im Streitjahr weiterhin ein Anspruch auf die Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von 25%. Die zunächst zum 1. August 2005 eingestellte Rentenzahlung wurde aufgrund des erfolgreichen Widerspruches ab Dezember 2005 wieder aufgenommen. Die Nachzahlung für den Zeitraum August bis November 2005 erfolgte im November in Höhe von ... ,- EUR.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 18. August 2006 die Kindergeldfestsetzung für die Tochter A... für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 wegen Überschreitens der Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz - EStG - gemäß § 70 Abs. 4 EStG auf.
Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch, mit dem der Kläger neben erhöhten Werbungskosten die Berücksichtigung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs mindestens in Höhe des Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 3 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge begehrte, wurde mit Einspruchsentscheidung vom 25. September 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus, dass auch unter Berücksichtigung der erhöhten Werbungskosten die Einkünfte des Kindes in Höhe von insgesamt ... ,.. EUR den für das Streitjahr geltenden Grenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Höhe von 7680,- EUR überstiegen, so dass kein Kindergeldanspruch bestehe. Ein behinderungsbedingter Mehraufwand sei nicht zu berücksichtigen, weil das Kind nicht als behindertes Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Mit seiner fristgemäß erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Berücksichtigung des Behindertenpauschbetrages in Höhe von 310,- EUR würden die ansonsten zutreffend seitens des Beklagten ermittelten Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. Die Nichtberücksichtigung komme einer Ungleichbehandlung seines Kindes gegenüber anderen behinderten/erwerbsgeminderten Kindern gleich. Insbesondere ändere der Anlass, aus dem ein Kind zu berücksichtigen sei, ob nun aufgrund einer Berufsausbildung oder als behindertes Kind, nichts an dem Umstand, dass das Kind nachweislich erwerbsgemindert/behindert sei. Insoweit sei es nicht verständlich, dass die Beklagte einem Kind, welches als behindertes Kind berücksichtigt werde, einen behinderungsbedingten Mehraufwand zugestehe im Gegensatz zu einem - geringer - behinderten Kind, welches für einen Beruf ausgebildet werde. So habe auch der Bundesfinanzhof - BFH - in seinem Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97 bereits ausgeführt, dass der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einen Grenzbetrag bestimmt habe, weil dieser Regelung die Wertung zugrunde gelegen habe, dass nicht behinderte Kinder im Falle der Grenzwertüberschreitung über eine hinreichende Leistungsfähigkeit verfügten und eine Entlastung bei den Eltern nicht mehr geboten sei. Hieraus lasse sich schließen, dass bezüglich des Grenzwertes sehr wohl zwischen Eltern mit Kindern gänzlich ohne Behinderung und solchen mit nur in geringem Umfang behinderten Kindern zu unterscheiden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Klageschrift vom 17. Oktober 2006 sowie den Schriftsatz vom 6. Dezember 2006 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 18. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. September 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsentscheidung ergänzt die Beklagte ihr Vorbringen dahingehend, dass ein behinderungsbedingter Mehraufwand aufgrund der Gesetzessystematik nicht berücksichtigt werden könne. Für Kinder, die nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG für Kindergeld berücksichtigt werden könnten, gelte die - starre - Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, welche eine individuelle Betrachtungsweise des kindbezogenen Jahresbedarfs nicht zulasse. Demgegenüber gelte der Grenzbetrag nicht für die Berücksichtigung eines Kindes im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.
Nur hier sei ein Grundbedarf in Höhe des Existenzminimums zuzüglich eines behinderungsbedingten, individuellen Mehraufwandes zu ermitteln und sodann der Höhe der tatsächlich erzielten Einkünfte und Bezüge gegenüberzustellen. Die Voraussetzung der Berücksichtigung der Tochter A... als behindertes Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG lägen nicht vor, da nach der Dienstanweisung DAFamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 1 die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und damit zum Selbstunterhalt bei einem Grad der Behinderung unter 50% grundsätzlich verneint werde, sofern keine besonderen Umstände ersichtlich seien, nach denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden könne.
Dem Gericht hat bei der Entscheidung ein Band der bei der Beklagten für den Kläger geführten Kindergeldakte zur KG-Nr. ... vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 18. August 2006, mit dem die Beklagte das Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 aufgehoben hat, in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 5. September 2006, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Gemäß § 62 Abs. 1,§ 63 Abs.1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann und dies ihm wegen der Behinderung objektiv unmöglich ist (so z.B. Beschluss des BFH vom 14. Dezember 2001 VI B 178/01, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 486). Dies ist z.B. der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 12. November 1996 III R 53/95, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1997, 343, und vom 14. Juni 1996 III R 13/94, BStBl II 1997, 173). Andererseits kann Kindergeld nicht nur mit der Begründung versagt werden, dass die Behinderung einer normalen Berufsausbildung nicht im Wege stehe (so ausdrücklich Beschluss des BFH vom 14. Dezember 2001 VI B 178/01, a.a.O. unter Hinweis auf den Beschluss vom 22. Februar 2001 VI B 307/00, BFH/NV 2001, 781).
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stellt nicht ausschließlich darauf ab, dass ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung ist es weiter unverzichtbar, dass es wegen seiner Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Ist das Kind trotz seiner Behinderung (z.B. aufgrund hoher Einkünfte oder Bezüge) in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung keine Bedeutung zu. Diese Auslegung spiegelt den gesetzgeberischen Willen wider, bei hinreichender Leistungsfähigkeit des behinderten Kindes kein Kindergeld bzw. keinen Kinderfreibetrag zu gewähren (ebenso BFH-Urteil vom 4. November 2003 VIII R 43/02 BFH/NV 2004, 405 m.w.N.).
Positiv ausgedrückt ist ein behindertes Kind dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht (vgl. BFH-Urteile jeweils vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BStBl II 2000, 72, und VI R 40/98, BStBl II 2000, 75). Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist danach anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits, zu prüfen. Sobald sich daraus eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653, 658). Dann ist es aber auch gerechtfertigt, für diese behinderten Kinder kein Kindergeld und keinen Kinderfreibetrag mehr zu gewähren.
Der gesamte existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen (vgl. BFH vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, a.a.O.). Für das Jahr 2005 ist der Grundbedarf mit 7680,- EUR zu bemessen, entsprechend dem in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Jahresgrenzbetrag. Hinzu kommt ein individueller behinderungsbedingter Mehraufwand, den gesunde Kinder nicht haben. Erbringt der Steuerpflichtige insoweit keinen Einzelnachweis, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) als Anhalt für den betreffenden Mehrbedarf dienen (BFH-Urteile vom 19. August 2002 VIII R 17/02, BStBl II 2003, 88; VIII R 51/01, BStBl II 2003, 91).
In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze, denen sich der erkennende Senat vollinhaltlich anschließt, ist zunächst festzustellen, dass die Tochter des Klägers im Jahr 2005 nicht über ausreichende Mittel verfügte, um ihren gesamten existenziellen Lebensbedarf zu decken. Den ermittelten Einkünften und Bezügen des Kindes in Höhe von ...,.. EUR steht ein existenzieller Lebensbedarf in Höhe von 7990,- EUR gegenüber (7680,- EUR Grundbedarf und 310,- EUR behinderungsbedingter Mehrbedarf). Diese Deckungslücke zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und notwendigem Lebensbedarf ist ausschließlich auf die Behinderung zurückzuführen.
Die im Gesetz vorgesehene Kausalitätsprüfung zwischen Behinderung und Unmöglichkeit des Selbstunterhalts setzt voraus, dass auszuschließen ist, dass die Unmöglichkeit des Selbstunterhalts nicht (auch) auf andere, subjektive Umstände in der Person des Kindes zurückzuführen ist. So ist beispielsweise in den Fällen, in denen das Kind keiner Erwerbstätigkeit oder nur einer zeitlich eingeschränkten Erwerbstätigkeit nachgeht, insbesondere der Frage nachzugehen, ob die insoweit fehlenden ausreichenden Beschäftigungsentgelte ihre Ursache in der Schwere der Behinderung und den dadurch bedingten Beschränkungen haben oder ob diese darin begründet sind, dass keine oder nur eingeschränkte Arbeitsbemühungen unternommen wurden, obwohl hierzu die körperlichen, geistigen und seelischen Voraussetzungen gegeben waren. Im Streitfall hatte sich die Tochter des Klägers am allgemeinen Arbeitsmarkt um eine Ausbildungsstelle bemüht und diese auch erhalten. Sie verdiente ebenso wie ihre nichtbehinderten Ausbildungskollegen ein entsprechendes Ausbildungsentgelt. Die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt rührt allein daher, dass sie gegenüber ihren nichtbehinderten Ausbildungskollegen einen erhöhten existenziellen Lebensbedarf aufgrund der Behinderung hatte, der durch die Einkünfte und Bezüge nicht gedeckt werden konnte. Die objektive Unmöglichkeit, durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, setzt entgegen der offenbar von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung dagegen nicht voraus, dass das Kind ggf. in einem anderen gewählten Ausbildungsberuf höhere Einkünfte hätte erzielen können oder nach Abschluss der Ausbildung ggf. in einem sich anschließenden Beschäftigungsverhältnis auch höhere Einkünfte erzielen wird. Denn eine derartige Betrachtungs- weise verstieße im erstgenannten Fall gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz - GG - sowie gegen Art. 12 Abs. 1 GG und würde im letztgenannten Fall dem Monatsprinzip, nach dem das Kindergeld in §§ 66 Abs. 1, 71 EStG als ein Monatsbetrag bezeichnet und nach § 66 Abs. 2 EStG vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen, widersprechen. Das Kind des Klägers war trotz der betriebenen Vollzeitausbildung nicht in der Lage, aus dieser Tätigkeit seinen erhöhten Lebensbedarf zu decken, während es - wäre es nicht behindert gewesen - den notwendigen Lebensbedarf aus seinen Einkünften und Bezügen hätte bestreiten können. Hierin zeigt sich die für einen Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erforderliche Kausalität. Auch der BFH hat im Übrigen in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2001 VI B 178/01, BStBl II 2002, 486 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für ein behindertes Kind Kindergeld nicht mit der Begründung versagt werden könne, die Behinderung habe einer normalen Berufsausbildung nicht im Wege gestanden.
Soweit sich die Beklagte in ihrem Klageabweisungsantrag auf die sie bindende Dienstanweisung bezieht und zwar insbesondere auf DA FamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 1, ist das Gericht hieran nicht gebunden. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass sich die dortigen Ausführungen gerade nicht mit dem hier zu entscheidenden Fall einer Vollzeitausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigen, sondern die Fälle betrifft, in denen eine verminderte oder keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird und hierzu Abgrenzungskriterien aufgestellt werden, wann ggf. typisierend gleichwohl eine Ursächlichkeit der Behinderung für die bestehende Unfähigkeit zum Selbstunterhalt angenommen werden könne und wann grundsätzlich diese Kausalität abzulehnen sei. Ferner ist auch in der DAFamEStG in 63.3.6.1 Abs. 4 geregelt, dass bei behinderten Kindern in Berufsausbildung zunächst zu prüfen ist, ob diese bereits nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt werden können und erst danach eine Prüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorzunehmen sei. Danach schließt aber auch die Dienstanweisung der Beklagten nicht aus, dass ein behindertes Kind in einer normalen Berufsausbildung gleichwohl außerstande sein kann, sich selbst zu unterhalten.
Die Tochter des Klägers war allein aufgrund ihrer Behinderung objektiv außerstande, sich selbst zu unterhalten, so dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Streitzeitraum rechtswidrig und der Klage stattzugeben ist.
Eine Berücksichtigung bereits als in Ausbildung befindliches Kind gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG scheidet dagegen nach Auffassung des Senats aus. Die Einkünfte und Bezüge der Tochter übersteigen den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Betrag. Die Einkünfte und Bezüge sind auch vollumfänglich zu berücksichtigen, da sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet und bestimmt sind. Dies gilt auch für die Unterhaltsrente aus der Unfallversicherung. Mit ihr sollen gerade die durch die Erwerbsminderung eingetretenen Beschränkungen zur Bestreitung des Unterhalts aufgefangen werden.
Eine Minderung der Einkünfte und Bezüge um die behinderungsbedingten Mehraufwendungen im Umfang des Behindertenpauschbetrages kommt aufgrund der Gesetzessystematik nicht in Betracht. Denn insoweit handelt es sich um im Rahmen der gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durchzuführenden Einkünfteermittlung ausdrücklich außer Betracht zu lassende außergewöhnliche Belastungen im steuerlichen Sinne (vgl. Urteil des BFH vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BStBl II 2000, 566 m.w.N.). Eine Vergleichbarkeit mit den Beiträgen zur Sozialversicherung, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 112, 164) als steuerrechtliche Sonderausgaben gleichwohl bei der Ermittlung der Einkünfte im Rahmen der Grenzbetragsberechnung außer Ansatz bleiben, ist nicht gegeben. Während das Kind über die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge von vornherein nicht verfügen und nicht in die Dispositionen über seinen Lebensunterhalt mit einbeziehen kann, fließen dem behinderten Kind die übrigen Einkünfte zunächst allesamt zu und stehen für die Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung, auch wenn ein Teil der Aufwendungen zwangsläufig für den Ausgleich der behinderungsbedingten Einschränkungen verwendet werden muss. Wie dies erfolgt und welche Aufwendungen getätigt werden, steht indes weiter in der Verfügungsmacht des Betroffenen. Allein aufgrund der Zwangsläufigkeit hier zu tätigender Aufwendungen besteht kein Anlass, weiter von dem steuerlich einheitlichen Begriff der Einkünfte abzuweichen. Denn insoweit hat der Kindergeldberechtigte - anders als in den Fällen der Sozialversicherungsbeiträge - die Möglichkeit, diesen behinderungsbedingten erhöhten Unterhaltsbedarf und -aufwand im Rahmen einer auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG gestützten Antragstellung zu berücksichtigen. Insoweit ist der Fall auch nicht vergleichbar mit der Entscheidung des FG Hamburg vom 7. August 2007 1 K 15/05, Steuer-Eildienst - StE - 2007, 674, in welchem das Gericht den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um einen unfallbedingten Mehrbedarf des Kindes in Höhe tatsächlich angefallener Unfallfolgekosten erhöht hat.
Die Revision hat das Gericht gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
Ende der Entscheidung
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