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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 5 K 840/05
Rechtsgebiete: AO, InsO


Vorschriften:

AO § 226 Abs. 1
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 129 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

5 K 840/05

Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. Januar 2008

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Abrechnungsbescheid vom 07.10.2004 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2005 dahingehend geändert, dass sich ein Guthaben in Höhe von 3.530,00 EUR ergibt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin).

Im Februar 2004 beantragte die Gemeinschuldnerin für den laufenden Veranlagungszeitraum eine Dauerfristverlängerung und meldete eine Sondervorauszahlung in Höhe von 3.530,00 EUR an. Hiervon tilgte sie am 16.2.2004 2.731,91 EUR.

Am 24.2.2004 stellte die Gemeinschuldnerin beim Amtsgericht L einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 25.3.2004 widerrief der Beklagte die gewährte Dauerfristverlängerung.

Am 13.4.2004 und am 19.4.2004 zahlte die Gemeinschuldnerin den noch offenen Differenzbetrag der angemeldeten Sondervorauszahlung. Die für die Monate Januar und April 2004 angemeldeten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen zahlte die Gemeinschuldnerin nicht.

Mit Beschluss vom 20.4.2004 eröffnete das Amtsgericht L das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

Mit der "Steuerberechnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat März 2004" vom 15.6.2004 errechnete der Beklagte ein Umsatzsteuerguthaben in Höhe von 3.530,00 EUR, welches aus der abgeführten Sondervorauszahlung resultierte. Dieses Guthaben rechnete der Beklagte mit der Umbuchungsmitteilung vom 25.6.2004 mit einer gegenüber der Gemeinschuldnerin bestehenden Umsatzsteuerforderung aus dem Monat Januar 2004 vollständig auf. Der gegen den am 7.10.2004 erlassenen Abrechnungsbescheid eingelegte Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung - InsO - unzulässig sei, weil der Beklagte als Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Das Umsatzsteuerguthaben resultiere aus dem am 25.3.2004 erfolgten Widerruf der Dauerfristverlängerung und sei somit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums zum 31.3.2004 entstanden. Begründet worden sei dieses Guthaben mit der Zahlung der Sondervorauszahlung im Februar und April 2004. Damit seien die Tilgungen alle innerhalb des letzten Monats vor der Stellung des Insolvenzantrags bzw. nach Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen worden. Der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei folglich erfüllt.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 7.10.2004 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2005 dahingehend zu ändern, dass sich ein Guthaben in Höhe von 3.530,00 EUR ergibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf Erstattung der gegenüber der Gemeinschuldnerin festgesetzten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung habe, weil die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2004 nicht vollständig beglichen worden seien. Dies sei Voraussetzung für die Rückzahlung der Umsatzsteuer- Sondervorauszahlung.

Dem Gericht hat bei der Entscheidung neben der Verfahrensakte eine Heftung "Vorgang zum Abrechnungsbescheid" vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-), weil das Guthaben nicht durch die Aufrechnung des Beklagten erloschen ist.

Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Aufrechnung bestimmt sich mithin nach §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- sowie für den Fall des Insolvenzverfahrens nach den §§ 94 bis 96 InsO.

Nach § 387 BGB kann der Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, sofern die gegenseitigen Forderungen auf Leistungen gerichtet sind, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Eine Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis setzt daher voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (sog. "Gegenforderung"), entstanden und auch fällig ist. Eine wirksame Aufrechnung setzt ferner voraus, dass die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (sog. "Hauptforderung"), bereits entstanden und schon erfüllbar ist. Die Hauptforderung muss aber noch nicht fällig sein (vgl. BFH-Urteil vom 13.01.2000 VII R 91/98, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2000, 246).

Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Rückzahlung der geleisteten Umsatzsteuer- Sondervorauszahlung zwar grundsätzlich vor. Die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung scheitert aber an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO in Verbindung mit § 129 ff. InsO. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Gemäß § 129 Abs. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. Das ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unter anderem der Fall, wenn eine Rechtshandlung einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Aufrechnungslage ist durch den Widerruf der Dauerfristverlängerung entstanden, weil diese die Rückzahlung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung zur Folge hatte. Der Widerruf der Dauerfristverlängerung ist eine Rechtshandlung im insolvenzrechtlichen Sinn. Rechtshandlungen sind nämlich alle vom Willen getragenen Betätigungen, die in irgendeiner Weise Rechtswirkungen auslösen können, ohne dass der Wille auf deren Eintritt gerichtet sein muss (BFH-Urteil vom 16.11.2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 unter Hinweis auf Braun/de Bra, Insolvenzordnung, § 129 Rz. 11; Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung -MünchKommInsO-, InsO § 129 Rdnr. 7). Dies ist bei dem Widerruf einer Dauerfristverlängerung der Fall, zumal die Finanzverwaltung auch im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verpflichtet ist, den Widerruf auszusprechen (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rdnr. 340).

Der Beklagte hat die Rechtshandlung ferner nach der Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen. Die Gemeinschuldnerin hatte den Antrag am 24.2.2004 gestellt; der Widerruf der Dauerfristverlängerung erfolgte erst am 25.3.2004.

Der Widerruf der Dauerfristverlängerung ermöglichte dem Beklagten schließlich eine Befriedigung, die er andernfalls nicht gehabt hätte. Denn ohne den Widerruf wäre es nicht zu dem aus der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung resultierenden Guthaben gekommen, gegen das der Beklagte dann die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Steuerschulden der Gemeinschuldnerin aufgerechnet hat. Der Beklagte hätte auch ansonsten keine Möglichkeit gehabt, die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung zur Tilgung dieser Steuerschulden der Gemeinschuldnerin zu verwenden. Denn die Sondervorauszahlung ist nach § 48 Abs. 4 Umsatzsteuerdurchführungsverordnung - UStDV - bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums anzurechnen. Dies gilt auch im Falle der Insolvenz (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 06.11.1999 - V R 21/02, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2003, 39), so dass hier nur eine Anrechnung auf die Massesteuerschulden in Betracht gekommen wäre, nicht aber auf die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Steuerschulden, deren Tilgung der Beklagte aber über die Aufrechnung erreichen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO zugelassen, da noch zahlreiche Fälle zu der identischen Rechtsfrage anhängig sind.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.



Ende der Entscheidung

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