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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 01.10.2009
Aktenzeichen: 5 K 858/05
Rechtsgebiete: UStG, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 2 Abs. 3
UStG § 14
UStG § 15 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 01. Oktober 2009

...

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung des Bescheides vom 28.2.2002 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29.4.2005 wird die Umsatzsteuer 1997 auf - 119.885,10 DM/ - 61.296,27 EUR festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Zwischen dem Kläger und der X-GmbH bestand im Streitjahr eine Betriebsaufspaltung mit dem Kläger als Besitzunternehmen. Mit notariellem Kaufvertrag vom 12.12.1996 erwarb der Kläger von der Stadt M das Grundstück A-Straße. Hinsichtlich des auf das Gebäude entfallenden Kaufpreisanteils wurde die Umsatzsteuer in Höhe von 32.100 DM offen ausgewiesen. Der Kläger zog diesen Betrag im Streitjahr als Vorsteuer ab. Im Ergebnis einer Betriebsprüfung wurde der Vorsteuerabzug versagt mit der Begründung, das Grundstück sei dem Kläger nicht von einem Unternehmer geliefert worden. Auf Textziffer 13 des Prüfungsberichts vom 8.11.2001 wird Bezug genommen. Der Einspruch gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 28.2.2002 blieb erfolglos.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, die Stadt M habe das Grundstück im Rahmen ihres Betriebes gewerblicher Art veräußert und sei insoweit als Unternehmer tätig geworden. Die Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) stelle zudem für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht auf den Unternehmerbegriff, sondern auf die Steuerpflicht nach Art. 17 Abs. 2 S. 1 ab. Diese ergebe sich nicht aus der Unternehmereigenschaft, sondern aus der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Eine wirtschaftliche Tätigkeit sei hiernach die Tätigkeit der Erzeuger, Händler und Dienstleister sowie Anbieter von Nutzungen, sofern nachhaltige Einnahmen erzielt werden sollen. Der Bundesfinanzhof (BFH) mache die Unternehmereigenschaft von dem Vorliegen folgender Typenmerkmale abhängig: Entstehung von Kosten zur Errichtung der Umsatzbereitschaft, Verschaffung des Marktzugangs, planmäßiges, selbstbestimmtes Handeln sowie Auftreten gegenüber Geschäftspartnern und Behörden. Diese Voraussetzungen seien sämtlich bei den Verkaufsgeschäften der Stadt M gegeben. Hiervon sei offenbar auch die Stadt M ausgegangen, als sie von der Option zur Umsatzsteuer Gebrauch gemacht habe. Sie habe zudem das Grundstück nicht zum Zwecke der Durchführung städtebaulicher Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen verkauft.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Bescheides vom 28.2.2002 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29.4.2005 die Umsatzsteuer 1997 auf -119.885,10 DM / - 61.296,27 EUR festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, mit dem Verkauf des Grundstücks habe die Stadt M keinen Betrieb gewerblicher Art begründet. Sie unterliege daher gemäß § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) als Personen des öffentlichen Rechts nicht der Umsatzsteuer. Ferner werde auf Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG verwiesen, wonach von den Gemeinden ausgeübte Tätigkeiten, die nach Art. 13 von der Steuer befreit seien, als Tätigkeiten behandelt würden, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt oblägen. Nach Art. 13 Unterabschnitt B Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG seien Lieferungen von Gebäuden und Gebäudeteilen und des dazugehörigen Grund und Bodens von der Steuer befreit.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band Umsatzsteuerakten, jeweils ein Band Betriebsprüfungsakten (Veranlagungsstelle) und Betriebsprüfungsakten (Betriebsprüfungsstelle), ein Band Rechtsbehelfsakten und ein Band Bilanzakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Der Kläger ist zum Vorsteuerabzug berechtigt, weil die Stadt M das in Rede stehende Grundstück als Unternehmer veräußert hat und daher zur Umsatzsteuer optieren durfte.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (in der für das Streitjahr geltenden Fassung) kann der Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 UStG).

Nach § 2 Abs. 3 S. 1 UStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts - wie hier die Stadt M - grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Körperschaftsteuergesetz -KStG-) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben; die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 KStG). Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Für die Annahme eines Hoheitsbetriebs reichen Zwangs- oder Monopolrechte nicht aus (§ 4 Abs. 5 KStG).

Ob im Streitfall die Stadt M im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art gehandelt hat, kann jedoch offen bleiben, da sich der Kläger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/30088/EWG berufen kann. Nach dieser Bestimmung gelten Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG). Etwas anderes gilt dann, wenn eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG). Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten dieser Einrichtungen, die nach Art. 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG).

Für die Frage, ob die nach Art. 13 Abschn. B Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG steuerfreie Grundstückslieferung von dem Mitgliedsstaat Deutschland als Tätigkeit im Rahmen öffentlicher Gewalt "behandelt" wird, kommt es darauf an, ob eine entsprechende ausdrückliche nationale Regelung existiert. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4.6.2009 (Rs. C-102/08, [...]) ist Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG als Ausnahme von den Grundregeln der Richtlinie eng auszulegen. Daraus folge, dass die Mitgliedstaaten, um sich auf die Befugnis nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 berufen zu können, eine ausdrückliche Entscheidung in diesem Sinne treffen müssen. Die Rechtsetzungstechnik sei dabei den Mitgliedstaaten überlassen. Die getroffene Entscheidung müsse verbindlich, konkret, bestimmt und klar und gerichtlich überprüfbar sein.

Eine Bestimmung, die Grundstücksgeschäfte durch staatliche Einrichtungen als Ausübung hoheitlicher Gewalt regelt, gibt es im deutschen Recht nicht. Dies hat zur Folge, dass es sich bei dem streitigen Grundstücksgeschäft nicht um eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 und 4 der Richtlinie 77/388/EWG handelt. Ob im Übrigen die Behandlung der Stadt M als Nicht- Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten steuerpflichtiger privater Grundstücksanbieter führen würde, bedarf daher keiner Entscheidung.

Die Stadt M war daher berechtigt, gemäß den §§ 9 Abs. 1, 4 Nr. 9 Buchst. a UStG zur Umsatzsteuer zu optieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Ende der Entscheidung

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