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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: 6 K 1170/06
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 9
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

6 K 1170/06

Einkommensteuer 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg -6. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. September 2007

durch

den Richter am Finanzgericht ...

als sog. "konsentierter Berichterstatter" (§ 79 a Abs. 3 u. 4 der Finanzgerichtsordnung -FGO -)

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Einkommensteuer 2004 wird unter Änderung des Bescheids vom 4. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 dahin gehend festgesetzt, dass hinsichtlich der von der Fa. ... AG geleisteten Sonderzahlung in Höhe von 30 000 EUR § 3 Nr. 9 EStG zur Anwendung kommt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Beschluss:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine an den Kläger im Streitjahr 2004 seitens der Fa. ... AG ausgezahlte Abfindung im Zusammenhang mit der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes teilweise einkommensteuerfrei ist oder nicht.

Der 1961 geborene Kläger ist verheiratet und wird zusammen mit seiner Ehefrau vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Er war im Vorjahr des Streitjahres, also im Jahr 2003 ganzjährig zu einem Bruttoarbeitslohn in Höhe von rund 50 000 EUR als Fertigungsfachmann bei der Fa. ... AG am Standort ... beschäftigt. Dort war er im Bereich der Zentralen Nockenwellenfertigung eingesetzt.

Im Herbst 2002 entschloss sich die Fa. ... AG, die Zentrale Nockenwellenfertigung als Eigengeschäft aufzugeben und dieses Geschäft der Fa. ... GmbH (künftig: M-GmbH) zu überlassen. Zu diesem Zweck gründete sie zusammen mit der M-GmbH eine Joint Venture Gesellschaft namens "... GmbH & Co. KG", deren Geschäftsleitung durch die M- GmbH besetzt wurde.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 teilte die Fa. ... AG dem Kläger u.a. Folgendes mit:

"......

1. xSie werden bei vorgenanntem Gemeinschaftsunternehmen ....... voraussichtlich ab 1. Januar 2003 weiterbeschäftigt. Diese Beschäftigung dauert längstens bis zum 31. Dezember 2008.

2. Während der Beschäftigung für das Gemeinschaftsunternehmen bliebt Ihr bisheriger Arbeitsvertrag unverändert bestehen ......

3. Spätestens zum 1. Januar 2009 werden Sie wieder in einer ... Betriebsstätte beschäftigt. ......

4. .....

5. .......

6. Die Firma ... (M-GmbH) ist berechtigt, Ihnen ein Angebot für einen endgültigen Wechsel zu vorgenanntem Unternehmen zu unterbreiten. Falls Sie ein solches Angebot vor Ablauf des 31. Dezember 2008 annehmen und damit auf Ihr Recht zur Weiterbeschäftigung bei der ... AG verzichten, haben Sie in diesem Fall einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung .......".

Diesem Zusageschreiben war am 18. Dezember 2002 der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zwischen der Fa. ... AG und der Fa. ... GmbH & Co. oHG auf der einen und dem Betriebsrat der Fa. ... AG vorangegangen, in der die o.g. Zusageelemente des bisherigen Arbeitgebers des Klägers im Hinblick auf die bevorstehende Aufgabe der Zentralen Nockenwellenfertigung enthalten sind.

Der Kläger schloss am 17. Dezember 2003 einen Arbeitsvertrag mit der Fa. M-GmbH für die Zeit ab 1. Februar 2004 ab. In der Folgezeit wurde er vertragsgemäß als Fertigungsfachmann im Nockenwellenfertigungsbetrieb in ... eingesetzt.

Am 2. Januar 2004 schlossen die Fa. ... AG und der Kläger eine "Vereinbarung" mit folgendem Wortlaut ab:

".... Sie haben sich auf unsere Veranlassung hin entschlossen, das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aus betrieblichen Gründen zu beenden.

Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten Sie in Anlehnung an die §§ 9 und 10 des Kündigungsschutzgesetzes eine soziale Abfindung in Höhe von 30 000 EUR.

Dieser Betrag wird Ihnen zum 31. Januar 2004 auf Ihr Lohnkonto überwiesen und ist im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften steuer- und abgabenfrei.

Mit dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten. ......"

Der Beklagte wich bei der Durchführung der Einkommensteuerveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau für das Streitjahr 2004 insoweit von den Angaben in der Einkommensteuererklärung ab als er die Zahlung der 30 000 EUR seitens der Fa. ... AG nicht als nach § 3 Nr. 9 EStG teilweise einkommensteuerfrei behandelte (Bescheid vom 4. Juli 2005). Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos und wurde vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Veranlassung für die Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der Fa. ... AG im Wesentlichen vom Kläger ausgegangen sei, denn er habe sich aus freien Stücken dazu entschlossen, ein neues Arbeitsverhältnis mit der Fa. M-GmbH einzugehen. Im Übrigen handele es sich -wirtschaftlich betrachtet -nur um eine Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines Konzerns, da die Vertragsbedingungen bei der Fa. M-GmbH mit denen bei der Fa. ... AG vergleichbar seien und die Fa. ... AG überdies eine Zusage dahin gehend gemacht habe, dass der Kläger spätestens ab dem 1. Januar 2009 wieder bei der Fa. ... AG selbst weiterbeschäftigt werde.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger hauptsächlich geltend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH -davon auszugehen sei, dass der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst habe, wenn er in diesem Zusammenhang eine Abfindungszahlung leiste (Hinweis auf BFH-Urteile vom 10. November 2004 XI R 64/03, BStBl II 2005, 181 und vom 6. März 2002 XI R 51/00, BStBl II 2002, 516). Es handele sich im Streitfall auch nicht um eine bloße Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines Konzerns, denn die Fa. M-GmbH sein ein eigenständiges Unternehmen außerhalb des ...-Konzerns. Der neue Arbeitsvertrag enthalte im Übrigen zum Teil andere Konditionen als der alte Arbeitsvertrag. Er, der Kläger, habe auch kaum eine andere Wahl gehabt als die Aufhebungsvereinbarung zu akzeptieren, wenn er sichergehen wollte, in seinem vertrauten Arbeitsbereich, der Nockenwellenfertigung, weiterarbeiten zu können.

Der Kläger beantragt,

die Einkommensteuer 2004 unter Änderung des Bescheids vom 4. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 dahin gehend festzusetzen, dass hinsichtlich der Sonderzahlung der Fa. ... AG in Höhe von 30 000 EUR § 3 Nr. 9 EStG zur Anwendung kommt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Dem erkennenden Gericht haben bei seiner Entscheidung 2 Heftungen mit Verwaltungsvorgängen des Beklagten (StNr.: ...) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid vom 4. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine teilweise Steuerfreiheit der Zahlung der Fa. ... AG in Höhe von 30 000 EUR sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts erfüllt. Nach § 3 Nr. 9 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses bis zu einer bestimmten, nach dem Lebensalter des Steuerpflichtigen gestaffelten Höhe steuerfrei.

Nach Ansicht des BFH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist die Auflösung eines Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst, wenn der Arbeitgeber die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat. Die entscheidende Ursache für die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung "betrieben hat". Im Regelfall kann nach Ansicht des BFH davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung gewollt und damit auch veranlasst hat; denn anderenfalls wäre er kaum bereit gewesen, eine Abfindung zu zahlen (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 10. November 2004 XI R 64/03, BStBl II 2005, 181 m.w.N.). im Streitfall hat nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht der Kläger, sondern im Herbst 2002 die Fa. ... AG die entscheidende Ursache für die Aufhebung des Arbeitsvertrages durch ihre autonome Entscheidung gesetzt, die Zentrale Nockenwellenfertigung am Standort ... als Eigengeschäft aufzugeben und mit der Erledigung dieser Aufgabe ein neu zu gründendes Gemeinschaftsunternehmen zu beauftragen, in dem die Fa. ... AG nicht die Geschäftsleitung stellen würde, sondern dies dem Joint-Venture-Partner, der Fa. M- GmbH, überlassen würde. Da der Kläger als Fertigungsfachmann daran interessiert war, in seinem bisherigen Aufgabenbereich weiterhin beruflich tätig zu sein, konnte er seine Interessen in diesem veränderten Unternehmensumfeld am besten wahren, in dem er arbeitsrechtlich zu dem neuen Betreiber der Nockenwellenfertigung, der Fa. M-GmbH überwechselte.

Sein neuer Arbeitgeber, die Fa. M-GmbH mit Sitz in ...., war nicht in den ...Konzern eingegliedert, sonder ein völlig eigenständiges Unternehmen mit eigenständigen Gesellschaftern. Es handelt sich bei der beruflichen Umorientierung des Klägers daher nicht bloß um eine Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines einheitlichen Konzerns, sondern um einen kompletten Arbeitgeberwechsel. Dies führt u.a. dazu, dass nach den Regelungen des auf das neue Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in ... und ... für den Kläger ab dem 1. Februar 2004 eine neue arbeitsrechtliche Probezeit lief. Der Arbeitgeberwechsel unter Aufgabe des bisherigen Dienstverhältnisses (vgl. zu diesem wichtigen Kriterium für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG: BFH-Urteil vom 12. April 2000 XI R 1/99, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH -BFH/NV -2000, 1195 m.w.N.) war somit für den Kläger mit erheblichen finanziellen Risiken (z.B. Möglichkeit des Arbeitsplatzverlustes währen der Probezeit) verbunden, was dafür spricht, dass der soziale Schutzzweck des § 3 Nr. 9 EStG auch im Streitfall tangiert ist. In dieselbe Richtung geht die Überlegung, dass der Kläger durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrages mit der Fa. M-GmbH, der zeitlich vor der Auflösung des alten Arbeitsvertrages liegt, seine Ansprüche auf Weiterbeschäftigung durch die Fa. ... AG für die Zeit nach dem 31. Dezember 2008 verloren hat (vgl. dazu die Regelung in Ziffer 6 des Zusageschreibens der Fa. ... AG vom 20. Dezember 2002 sowie die Regelungen in der zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung der Fa. ... AG geschlossenen Betriebsvereinbarung vom 18. Dezember 2002 aus Anlass der bevorstehenden Einstellung der Zentralen Nockenwellenfertigung). Der BFH hat deshalb bereits entschieden, dass § 3 Nr. 9 EStG auch dann anwendbar sein kann, wenn der Steuerpflichtige nach Auflösung seines alten Arbeitsvertrages nicht arbeitslos ist, sondern ohne Zeiten der Arbeitslosigkeit im Rahmen eines neuen Arbeitsverhältnisses weiterhin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (vgl. nur die Rechtsprechungsnachweise bei Kreft, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 9 EStG Rz. 13).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. 3. im Tenor des am 7. September 2007 verkündeten Urteils ist hinsichtlich des Datum des Ausgangs-Steuerbescheids ein Schreibfehler enthalten ("2004" statt richtig "2005") der hiermit gemäß § 107 Abs. 1 FGO berichtigt wird.

Ende der Entscheidung

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