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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 24.09.2009
Aktenzeichen: 9 K 1081/05 B
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 34c Abs. 1
EStG § 34c Abs. 2
AO 1977 § 173 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 9. Senat -

in der Sitzung vom 24. September 2009

im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ... sowie

den ehrenamtlichen Richtern ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2005 verpflichtet, einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2000 zu erlassen, in dem vom Kläger entrichtete "Stückzinsen" in Höhe von 778,23 DM im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Anleihe der A - Bank als "negative Einnahmen" bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 80 v. H. und der Beklagte zu 20 v. H. zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte einen Antrag des Klägers auf Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2001 zu Recht abgelehnt hat.

Der Kläger, der seit dem ... 2001 dauernd von seiner damaligen Ehefrau getrennt gelebt hat und inzwischen von ihr geschieden ist, wurde für die Streitjahre - ebenso wie seine Ehefrau - vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Eheleute sind von Beruf ... . Für die Streitjahre 1999 und 2000 gaben die Eheleute Einkommensteuererklärungen mit dem Antrag auf Zusammenveranlagung ab (Eingang der Einkommensteuererklärungen beim Beklagten am 25. August 2000 bzw. 20. August 2001). Für das Streitjahr 2001 (Eingang der Einkommensteuererklärung: 9. Juli 2002) beantragte der Kläger von vorneherein eine getrennte Veranlagung.

Für das Streitjahr 1999 erklärten die Kläger im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung keinerlei Einkünfte aus Kapitalvermögen. Solche blieben daher auch im Rahmen des (endgültigen) Einkommensteuerbescheids 1999 vom 15. September 2000 außer Ansatz.

Das Bundesamt für Finanzen wertete in der Folgezeit die ihm nach § 45 d des Einkommensteuergesetzes - EStG - übermittelten Angaben über Freistellungsaufträge zur Überprüfung der rechtmäßigen Inanspruchnahme der steuerlichen Freibeträge aus. Dabei wurde festgestellt, dass für das Streitjahr 1999 auf Grund der erteilten Freistellungsaufträge höhere Kapitalerträge als gesetzlich zulässig vom Steuerabzug freigestellt wurden (13.786,00 DM statt 12.200,00 DM). Diesen Sachverhalt teilte der Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 22. Juni 2001 mit.

Daraufhin reichten die Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 2. August 2001 mehrere Bescheinigungen der B - Bank bzw. der C - Bank über ihre Kapitaleinkünfte im Streitjahr 1999 ein.

Der Beklagte erließ am 3. September 2001 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1999, in dem er bei den Besteuerungsgrundlagen die folgenden nachträglich erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigte:

 EhemannEhefrau
Einnahmen:11.886,00 DM2.250,00 DM
./. WK- Pauschbetrag169,00 DM31,00 DM
./. Sparerfreibetrag9.781,00 DM2.219,00 DM
Einkünfte1.936 DM

Außerdem wurde im Hinblick auf die Erträgnisaufstellung der B - Bank im sog. Anrechnungsteil des Steuerbescheids Kapitalertragsteuer in Höhe von 44,00 DM steuermindernd angerechnet.

Im Rahmen der von vorneherein der Einkommensteuererklärung 2000 beigefügten Anlage "KAP" differenzierte der Kläger nicht zwischen seinen inländischen und ausländischen Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern erklärte diese einheitlich als inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen. Allerdings waren der Einkommensteuererklärung die Original- Bankabrechnungen sowohl über die inländischen als auch über folgende ausländische Kapitalerträge beigefügt:

1. Brasilien DM-Anleihe ... Nennwert: 50.000,00 DM Zinsen: 8 v. H. = 4.000,00 DM

Anrechenbare Quellensteuer: 800,00 DM

2. Türkei DM-Min.... Nennwert: 14.000,00 DM Zinsen: 7,25 v. H. = 1.015,00 DM

Anrechenbare Quellensteuer: 101,50 DM

Für das Streitjahr 2001 erklärte der Kläger im Rahmen der Anlage "KAP" zu seiner Einkommensteuererklärung zwar ausdrücklich zusätzlich ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 7.027,00 DM, fügte aber die einschlägige Anlage "AUS" nicht ausgefüllt bei. Allerdings waren der Einkommensteuererklärung wie in den Vorjahren die Original-Bankabrechnungen der C - Bank über die betreffenden ausländischen Einkünfte aus Kapitalvermögen beigefügt:

1. Brasilien DM-Anleihe ... = 4.000,00 DM

Fiktive Quellensteuer: 800,00 DM

2. Türkei DM-Min. ... = 1.015,00 DM

Anrechenbarer Zinsabschlag 304,50 DM

Anrechenbarer Solidaritätszuschlag 16,74 DM

Fiktive Quellensteuer: 101,50 DM

3. Türkei DM-Anl. ... = 2.012,50 DM

Anrechenbarer Zinsabschlag 603,75 DM

Anrechenbarer Solidaritätszuschlag 33,20 DM

Fiktive Quellensteuer: 201,25 DM

Der Beklagte berücksichtigte im Rahmen seiner erstmaligen und endgültigen Einkommensteuerbescheide vom 19. Dezember 2001 (betr. 2000) bzw. vom 7. August 2002 (betr. 2001) folgende Einkünfte des separat veranlagten Klägers aus Kapitalvermögen:

Einkommensteuerbescheid für 2000:

 Einnahmen aus Kapitalvermögen:11.456,00 DM
ab Werbungskostenpauschbetrag100,00 DM
Sparerfreibetrag3.000,00 DM
Einkünfte8.356,00 DM

Einkommensteuerbescheid für 2001:

 Einnahmen aus Kapitalvermögen11.097,00 DM
ab Werbungskostenpauschbetrag100,00 DM
Sparerfreibetrag3.000,00 DM
Einkünfte7.997,00 DM

In den sog. Anrechnungsteilen dieser beiden Steuerbescheide berücksichtigte der Beklagte u.a. Kapitalertragsteuer in Höhe von 1.278,00 DM (2000) bzw. 528,00 DM (2001) sowie für das Streitjahr 2001 darüber hinaus noch "Zinsabschlag" in Höhe von 1.092,00 DM, der sich wie folgt zusammensetzt: 183,30 DM Zinsabschlag betr. inländische Kapitaleinkünfte + 908,25 DM Zinsabschlag betr. ausländische Kapitaleinkünfte.

Aus nicht streitgegenständlichen Gründen ergingen am 25. März 2004 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1999, 2000 und 2001.

Mit Schreiben vom 14. November 2004 beantragte der Kläger unter Beifügung von drei Anlagen "AUS" eine Neufestsetzung der Einkommensteuer 1999 bis 2001 mit der Begründung, dass die auf Kapitalerträgen beruhenden Einkünfte jener Jahre nicht zutreffend angesetzt worden seien. Hinsichtlich des Veranlagungszeitraumes 2000 trug er zusätzlich vor, dass bislang nicht geltend gemachte negative Stückzinsen zu berücksichtigen seien, was ihm nicht bekannt gewesen sei.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 lehnte der Beklagte eine Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 25. März 2004 ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Bescheide vom 25. März 2004 zwar fehlerhaft, aber inzwischen bestandskräftig seien und dass die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO 1977 tatbestandlich nicht eingreifen würden. Auf den hiergegen fristgerecht erhobenen Einspruch des Klägers hin erließ der Beklagte am 9. Februar 2005 eine Einspruchsentscheidung, mit der er den Einspruch als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Zum einen sei die Tatsache, dass der Kläger in den Streitjahren neben inländischen Einkünften aus Kapitalvermögen auch ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt habe, nicht "neu" im Sinne dieser Vorschrift, da diese Tatsache aus den ihm, dem Beklagten, von Anfang an vorliegenden Originalbescheinigungen der C - Bank ohne weiteres ersichtlich gewesen sei. Die Nichtberücksichtigung der mit den ausländischen Kapitalerträgen zusammenhängenden fiktiven Quellensteuern beruhe nicht auf einer mangelnden Tatsachenkenntnis des Sachbearbeiters der Veranlagungsstelle, sondern vielmehr auf einer unzutreffenden Rechtsanwendung auf der Grundlage eines bekannten Sachverhalts.

Die vom Kläger im Rahmen seines Änderungsantrags nunmehr erstmals geltend gemachten und belegten Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM in Bezug auf die am 26. Mai 2000 von ihm erworbene Anleihe der A - Bank seien zwar eine "neue Tatsache" im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Gleichwohl sei eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2000 nicht möglich, weil den Kläger ein "grobes Verschulden" daran treffe, dass er diese Tatsache ihm, dem Beklagten, nicht bereits vor dem Erlass des Einkommensteuerbescheids vom 25. März 2004 mitgeteilt hat. Der Kläger sei verpflichtet, seine Einkünfte in der Einkommensteuererklärung vollständig und richtig zu erklären. Dabei auftretende Zweifel wegen Unkenntnis bestimmter banktechnischer Fachbegriffe wie "Stückzinsen" oder "Quellensteuer" müsse er aus eigenem Antrieb klären und die den Steuererklärungsformularen beigefügten Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen. So sei in den vom Bundesfinanzministerium herausgegebenen "Anleitungen zur Einkommensteuererklärung 1999 bis 2001" speziell zum Ausfüllen der Anlage KAP ausgeführt, dass Stückzinsen "negative Einnahmen" seien. Im Zweifel hätte der Kläger den fachlichen Rat eines Steuerberaters einholen können und müssen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass der Beklagte hinsichtlich aller drei Streitjahre zu Unrecht die Anrechnung der fiktiven Quellensteuern verweigere. Außerdem seien die von ihm für das Streitjahr 2000 nachträglich erklärten Stückzinsen einkünftemindernd zu berücksichtigen, weil ihn gerade kein grobes Verschulden an der verzögerten Geltendmachung dieser steuermindernden Tatsache treffe. Er habe in den einschlägigen Bankunterlagen keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anleihe der A - Bank durch ihn "Stückzinsen" angefallen seien. Ihm könne also im Zusammenhang mit der Erstellung und Einreichung der Einkommensteuererklärung 2000 nicht vorgeworfen werden, er sei schuldhaft einer offenen steuerrechtlichen Frage nicht nachgegangen (z.B. durch Einholung der Rechtsauskunft eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2005 zu verpflichten, Änderungsbescheide betr. Einkommensteuer 1999 bis 2001 zu erlassen, in denen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ausländische Quellensteuern für die Jahre 1999 und 2001 in Höhe von 1.102,75 DM sowie für das Jahr 2000 in Höhe von 901,50 DM einkünftemindernd angerechnet und außerdem im Jahr 2000 im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Anleihe der A - Bank entrichtete Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM als "negative Einnahmen" in Abzug gebracht werden;

hilfsweise

festzustellen, dass er einen Anspruch auf Berücksichtigung der (fiktiven) ausländischen Quellensteuern wegen offen gebliebener/ unvollständiger Verwaltungsverfahren aus rechtzeitigen Anträgen habe.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, der Kläger müsse bedenken, dass die Quellensteuer nur insoweit angerechnet werden könne, als sie der inländischen Einkommensteuer entspreche, die Werbungskosten und der Sparerfreibetrag bei dieser Berechnung anteilig aufgeteilt würden und sich daher die erklärten Beträge nicht ohne Weiteres in den Steuerbescheiden bzw. in den Prüfberechnungen wiederfinden ließen.

Die Prozessbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung des erkennenden Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung zwei Bände Steuerakten betr. den Kläger und seine Ehefrau (StNr.: ... und ...) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bis auf den Hilfsantrag zulässig. Dessen Zulässigkeit ist im Hinblick auf die Regelung in § 41 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage) zu verneinen, weil der Kläger sein Ziel der steuermindernden Berücksichtigung ausländischer Quellensteuern durch die Erhebung einer Verpflichtungsklage - wie hier mit dem Hauptantrag geschehen - auf Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide, in denen eine entsprechende Steuerminderung nach § 34 c Abs. 1 bzw. 2 EStG vorgenommen wird, verfolgen kann.

Die Klage ist nur zum Teil begründet. Anders als hinsichtlich des Streitjahres 2000 hat der Kläger keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf den Erlass von Änderungsbescheiden betr. Einkommensteuer 1999 und 2001.

1. Die vom Kläger mit Schreiben vom 14. November 2004 begehrte Berücksichtigung der von ihm im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anleihe der A - Bank am 26. Mai 2000 gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen ist durch § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) legitimiert.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Dem Beklagten ist die ihm bislang unbekannte "Tatsache" der Entrichtung von Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Anleihe der A - Bank unstreitig erst "nachträglich", nämlich durch sein Antragsschreiben vom 14. November 2004 mit der beigefügten Abrechnung der C -Bank über den Wertpapierkauf vom 26. Mai 2000 bekannt geworden.

Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. November 2008, III R 107/06, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2009, 545 m.w.N.). Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist nach Ansicht des BFH im Wesentlichen eine Tatfrage.

Grob fahrlässiges Handeln liegt nach der Rechtsprechung des BFH insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger eine in einem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht, schlecht und unvollständig oder falsch beantwortet (vgl. dazu die zahlreichen Rechtsprechungsnachweise bei Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 173 AO Rz. 76 a). Einen solchen Fehler haben der Kläger oder seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau unstreitig nicht begangen: In dem Steuererklärungsformular betr. die (inländischen) Einkünfte aus Kapitalvermögen (= Anlage KAP) wird nämlich unstreitig nicht speziell nach der Bezifferung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für "Stückzinsen" o. ä. m. gefragt, sondern es ist nur ganz allgemein ein Eintragungsfeld für etwaige "Werbungskosten zu den inländischen Kapitalerträgen" vorhanden.

Grob fahrlässiges Handeln liegt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, wenn ein Steuerpflichtiger es unterlässt, die zur Einkommensteuererklärung dazugehörige, vom Bundesfinanzministerium herausgegebene "Anleitung zur Einkommensteuererklärung" im Einzelnen durchzulesen und die darin enthaltenen Erläuterungen zu beachten. Das gilt nach Ansicht des BFH jedenfalls dann, wenn die Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht verständlich abgefasst sind und auf die besondere Situation eingehen, an die die Mitwirkungspflicht anknüpft (vgl. dazu BFH-Urteile vom 23. Januar 2001, XI R 42/00, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2001, 379 und vom 21. Januar 2004, VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910 betr. "Merkblatt über Kindergeld"; Loose, a.a.O., § 173 Rz. 77, Rüsken, in: Klein, AO, 10. Aufl., § 173 Rz. 112). Zwar ist in der "Anleitungen zur Anlage KAP 2000" ausgeführt, dass beim Erwerb gezahlte "Stückzinsen" als "negative Einkünfte" zu betrachten seien. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine "leicht verständliche Erläuterung" i. S. der o. g. BFH-Rechtsprechung, denn welcher steuerrechtliche Laie weiß schon, was "Stückzinsen" bzw. was "negative Einkünfte" bedeuten und wo diese ggf. in der Anlage KAP einzutragen sind (es gibt für die Geltendmachung von "negativen Einnahmen" in der Anlage KAP keine gesonderte Rubrik!).

Insbesondere liegt hier nicht der in der "Anleitung zur Anlage KAP" ausdrücklich erläuterte Fallsituation vor, dass "das Kreditinstitut in der Abrechnung die positiven Einnahmen (z.B. Zinsen...) bereits mit negativen Einnahmen (z.B. gezahlte Stückzinsen ...) verrechnet" hat mit der Folge, dass nur noch der Unterschiedsbetrag als Zinseinnahmen aus festverzinslichen Wertpapieren in Zeile 6 der Anlage KAP eingetragen werden soll. Denn in der "Zinsgutschrift als Steuerbescheinigung" der C - Bank vom 29. Dezember 2000 sind die bei Erwerb der Anleihe am 26. Mai 2000 gezahlten Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM - anders als bei der Kaufabrechnung vom 26. Mai 2000 - überhaupt gar nicht aufgeführt und erst recht nicht im Sinne der o. g. Anleitung von den Jahres-Zinseinnahmen des Klägers aufgrund dieser Anleihe in Abzug gebracht worden.

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist ein Steuerpflichtiger auch nicht verpflichtet, zur Vermeidung von Fehlern beim Ausfüllen der Steuererklärungsformulare den Rat eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe einzuholen. Er muss aber den sich ihm "beim Ausfüllen von Steuererklärungen aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen" (vgl. dazu BFH-Urteil in BStBl II 2001, 379 m.w.N.). Die Einlassung des Klägers, dass er den ihm von der C - Bank im Zusammenhang mit dem Erwerb der streitgegenständlichen Anleihe zur Verfügung gestellten schriftlichen Unterlagen an keiner Stelle habe entnehmen können, dass "Stückzinsen" angefallen seien, erscheint dem erkennenden Senat glaubhaft (in der Abrechnung vom 26. Mai 2000 ist nur von "Zinsen für 148 Tage" die Rede). Beruht die unvollständige Steuererklärung aber - wie hier gegeben - auf einem Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen nach mittlerweile ständiger BFH-Rechtsprechung in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (vgl. dazu nur BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 545 m.w.N.).

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Herabsetzung seiner bisher vom Beklagten der Besteuerung zugrunde gelegten Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1999 bis 2001 durch einen Steuerabzug oder eine Steueranrechnung von Quellensteuern aus den Ländern Brasilien oder Türkei i. S. von § 34 c EStG nicht möglich. Die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 greift nicht ein, weil dem Beklagten die Tatsache des Ausweises von fiktiven Quellensteuern im Zusammenhang mit der Erzielung von Kapitaleinkünften im Ausland durch den Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2001 unstreitig bekannt gewesen ist mit der Folge, dass es sich insoweit nicht um "neue" Tatsachen handelt.#

Bei den streitgegenständlichen Abgabenbelastungen handelt es sich außerdem ausschließlich um sog. fiktive Quellensteuern nach Maßgabe von Art. 23 Abs. 1 Buchst. b des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 16. April 1985# (Bundesgesetzblatt - BGBl. - 1989 II S. 867) bzw. nach Maßgabe von Art. 24 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 27. Juni 1975 (BGBl. 1975 II S. 2245).

Statt der in den vorgenannten DBA i.V.m. § 34 c Abs. 1 EStG vorgesehenen Anrechnung dieser (fiktiven) Quellensteuern auf die deutsche Einkommensteuer erlaubte § 34 c Abs. 2 i.V.m. Abs. 6 EStG a.F. auf Antrag des Steuerpflichtigen einen Abzug dieser Abgabenbelastungen bereits auf der Ebene der Einkünfteermittlung. Durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2310) wurde durch Änderung des § 34 c Abs. 6 Satz 2 EStG der Abzug als Alternative zur fiktiven Steueranrechnung untersagt. Das Abzugsverbot gilt nach § 52 Abs. 1 EStG erstmals für Veranlagungszeiträume ab 1994 (vgl. dazu Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA Türkei, Art. 23 Rz. 36 sowie Wied, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 34 c EStG Rz. 3). Auch eine Anrechnung dieser fiktiven Steuern im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. dazu allgemein FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 1998 6 K 3473/94 K, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1999, 268 sowie R 4 der Einkommensteuerrichtlinien 1999 - 2001) ist nicht möglich, da es - wie bereits oben gesehen - in der AO 1977 keine Berichtigungsvorschrift gibt, die eine Stattgabe des Änderungsantrags des Klägers vom 14. November 2004 trotz der bereits bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für 1999 bis 2001 erlauben würden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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