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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 02.07.2009
Aktenzeichen: 9 K 2590/03
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 18 Abs. 4
AO § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 9. Senat -

am 2. Juli 2009

im Einvernehmen mit den Beteiligten

ohne mündliche Verhandlung

durch

Richter am FG ... als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 13. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2003 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer der "... GmbH ..." mit Sitz zuletzt in R (künftig: GmbH) für rückständige Abgabenverbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen kann.

Unternehmensgegenstand der am ... 1995 gegründeten GmbH war die "...". Mit Errichtung der Gesellschaft wurde deren Sitz zunächst unter der Kanzleianschrift des die Errichtungsverhandlung beurkundenden Notars X in S begründet. Durch Beschlüsse der Gesellschaftsversammlungen vom ... 1996 bzw. ... 1998 wurde der Sitz der GmbH nach T und sodann nach R verlegt.

Von dem auf 500.000 DM festgesetzten Stammkapital der GmbH übernahmen der Gründungsgesellschafter B einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 330.000 DM, der Gründungsgesellschafter C einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 50.000 DM und der Gründungsgesellschafter D einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 120.000 DM.

Am 21. September 1999 (UR-Nr. ... des Notars Y aus U) übertrugen die Gesellschafter E, F und C alle ihre Gesellschaftsanteile auf den Kläger. Danach gingen die Beteiligten davon aus, dass der Kläger Alleingesellschafter der GmbH geworden sei, nachdem ihm durch F auch der von D gehaltene Geschäftsanteil übertragen worden war. Tatsächlich jedoch kam es durch die Vereinbarung vom 21. September 1999 nur zur Übertragung von fünf Gesellschaftsanteilen im Nennbetrag von insgesamt 380.000 DM. Der von D mit Errichtung der GmbH übernommene Gesellschaftsanteil in Höhe von 120.000 DM wurde zu keinem Zeitpunkt wirksam auf den Kläger übertragen.

Geschäftsführer der GmbH waren zunächst B und F und anschließend als alleinige Geschäftsführerin G. Letztere wurde durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom ... 1996 abberufen und durch den Mitgesellschafter E ersetzt. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom ... 1998 wurde F neben E erneut zum Mitgeschäftsführer berufen. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 17. September 1999 wurden E und F abberufen und durch den Kläger als alleinigen GmbH-Geschäftsführer ersetzt. Am 17. September 1999 unterzeichneten der Kläger als "Alleingesellschafter" und GmbH-Geschäftsführer auf der einen Seite sowie F als künftiger freier Mitarbeiter der GmbH auf der anderen Seite eine schriftliche "Vereinbarung", wonach F weiterhin die "betriebswirtschaftliche, kaufmännische und technische Leitung" der GmbH gegen Zahlung eines "erfolgsabhängigen Honorars in Höhe von 20% des jeweiligen Gewinnes des Geschäftsjahres" wahrnehmen sollte. Der Kläger sollte nach dieser Vereinbarung innerhalb der GmbH-Geschäftsleitung nur für die Bereiche Marketing und Vertrieb zuständig sein.

Am 15. November 1999 gingen beim Beklagten ausschließlich vom Kläger als Vertreter der GmbH unter dem Datum "12.11.1999" unterschriebene Umsatz- und Körperschaftssteuererklärungen für das Jahr 1998 ein.

Mit Zuwendungsbescheid vom .. . Mai 1999, zuletzt geändert am .. . November 1999, wurde der GmbH seitens der J eine zweckgebundene Zuwendung in Höhe von 1.450.700 DM nach der Gemeinschaftsaufgabe "..." gewährt. Die Zuwendung wurde am 25. November 1999 vollständig ausgezahlt und mit Widerrufs- und Feststellungsbescheid vom 19. Juni 2001 wegen Zweckverfehlung von J zuzüglich Zinsen zurückgefordert (Gesamtforderung: 1.558.507,56 DM).

Ab dem 5. April 2000 verfügte nur noch der Kläger über eine Bankvollmacht bezüglich des Geschäftskontos der GmbH bei der ... .

Ende Juni 2000 stellte die GmbH ihre aktive Geschäftstätigkeit ein. Am 28. Juni 2000 stellte sie, vertreten durch den Kläger, beim Amtsgericht R einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen (Az.: ...). Diesem Antrag gab das Amtsgericht mit Beschluss vom .. . Januar 2001 statt. Bereits mit Beschluss vom 13. Juli 2000 hatte das Amtsgericht Rechtsanwalt Z aus U gemäß § 22 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und gleichzeitig angeordnet, dass Verfügungen der GmbH über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO).

Ausweislich ihrer Jahresabschlüsse 1998 und 1999 sowie des vorläufigen Abschlusses zum 13. Juni 2000 erzielte die GmbH in jenen Jahren folgende Umsätze bzw. Jahresüberschüsse (vgl. Gutachten von RA Z vom Januar 2001):

 Umsätze:Betriebsergebnisse:
1998:397.500 DM15.900 DM
1999:242.800 DM247.900 DM
1. Halbjahr 2000:165.400 DM./. 141.100 DM

Zu den "liquiden Mitteln" der GmbH heißt es in dem vorgenannten Gutachten vom Januar 2001 auf Seite 16:

" Die Schuldnerin verfügt über liquide Mittel lediglich in Gestalt eines Kontoguthabens in Höhe von rund DM 14.000,00. Aus der Verwertung der Betriebs- und Geschäftsausstattung ist der Zufluss weiterer maximal DM 14.500,00 brutto zu erwarten. Insgesamt beschränken sich die vorhandenen und kurzfristig zu erwartenden liquiden Mittel danach auf rund DM 28.500,00. Dem stehen Verbindlichkeiten allein gegenüber dem Finanzamt ... in Höhe von rund 25.000,00 und gegenüber dem Vermieter der Räume in R in Höhe weiterer DM 30.000,00 gegenüber. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen bestehen in Höhe weiterer DM 15.000,00. Hinzu treten Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis ... in Höhe weiterer DM 40.000,00. Diese Verbindlichkeiten können aus den vorhandenen und kurzzeitig erzielbaren liquiden Mitteln nicht beglichen werden. Die Schuldnerin ist zahlungsunfähig."

Sodann listet der Gutachter auf, dass den gesamten Aktiva der GmbH im Zeitpunkt der Stilllegung des Betriebes (30. Juni 2000) in Höhe von 54.645,97 DM Passiva in Höhe von rund 1,6 Mio. DM gegenüberstehen, wovon allein eine Fördermittelrückzahlungsverbindlichkeit gegenüber der J rund 1,529 Mio. DM beträgt.

Für die Monate September bis einschließlich Dezember 1999 reichte die GmbH zu folgenden Zeitpunkten Umsatzsteuervoranmeldungen mit folgenden Besteuerungsmerkmalen ein:

 Monat:Eingang FA:stfr. Umsatz:stpfl. Umsatz:Vorsteuern:Zahllast:
09/9911.10.199957.750 DM0,00 DM2.788,98 DM./. 2.788,98 DM
10/9905.11.19990 DM21.412 DM10.435.49 DM./. 7.009,57 DM
11/9907.12.19990 DM14.063 DM12.751,72 DM./. 10.501,64 DM
12/9913.01.20000 DM1.822 DM7.413,14 DM./. 7.121,62 DM

Insgesamt erhielt die GmbH vom Beklagten aufgrund ihrer monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1999, mit denen sie abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 58.469,79 DM geltend machte, Umsatzsteuererstattungen in Höhe von 76.643,72 DM (der größte Erstattungsbetrag in Höhe von 26.439,00 DM entfiel auf die am 6. September 1999 eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat August 1999, die einen negativen steuerpflichtigen Umsatz wegen Uneinbringlichkeit von Forderungen in Höhe von 150.862 DM beinhaltete).

Mangels Einreichungen von Jahressteuererklärungen für das Jahr 1999 und des dazugehörigen Jahresabschlusses durch die nicht durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretene GmbH schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer gemäß § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) am 28. November 2000 auf ./. 42.371,00 DM. Dieser Betrag beruht auf folgenden Besteuerungsmerkmalen:

Steuerpflichtige Lieferungen und Leistungen zu 16 v. H. : ./. 113.565,00 DM

Abziehbare Vorsteuerbeträge: 24.199,99 DM

Daraus ergab sich eine Nachzahlungsverpflichtung der GmbH in Höhe von 34.272,72 DM.

Am 15. April 2002 nahm der Beklagte eine Neuberechnung der Umsatzsteuer 1999 vor und errechnete nunmehr einen Betrag in Höhe von ./. 12.771,00 DM (= ./. 6.529,71 EUR). Die an den Insolvenzverwalter der GmbH adressierte Steuerberechnung enthielt folgenden erläuternden Zusatz: "Die steuerfrei angemeldeten Umsätze i. H. v. 185.000 DM, die an ... ausgeführt worden sind, werden vom Finanzamt nicht als steuerfreie Umsätze anerkannt. Bei der ... handelt es sich lt. Auskunft vom Bundesamt für Finanzen um eine reine Briefkastengesellschaft, die folglich nicht Empfänger von Lieferungen und Leistungen sein kann." Aufgrund dieser Steuerneuberechnung ergab sich eine Mehrforderung des Beklagten gegenüber der GmbH in Höhe von 29.600 DM (= 15.134,24 EUR) zuzüglich 906 EUR Zinsen zur Umsatzsteuer 1999. Dieser vom Beklagten anschließend zur Insolvenztabelle nachgemeldete Betrag wurde vom Insolvenzgericht sodann nach Prüfung durch den Insolvenzverwalter zur Tabelle festgesetzt.

Mangels Einreichung einer Umsatzsteuervoranmeldung seitens der GmbH für das 2. Quartal 2000 schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 AO 1977 und errechnete Mitte November 2000 eine Umsatzsteuer-Zahllast in Höhe von 320,00 DM ( = 163,61 EUR) .

Mit auf § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 gestütztem Bescheid vom 13. September 2002 nahm der Beklagte den Kläger wegen rückständiger Umsatzsteuer 1999 (= zusätzlicher Nachentrichtungsbetrag aufgrund der Neuberechnung der Umsatzsteuer vom 15. April 2002) nebst Zinsen sowie Umsatzsteuervorauszahlung für das 2. Quartal 2000, alles zuzüglich Säumniszuschlägen, in Höhe von insgesamt 16.839,79 EUR persönlich in Haftung. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos und wurde vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2003 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger als alleiniger Geschäftsführer der GmbH grob fahrlässig nicht dafür gesorgt habe, dass die GmbH fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung 1999 sowie eine Umsatzsteuervoranmeldung für das 2. Quartal 2000 bei ihm eingereicht und die sich daraus ergebenden Nachzahlungsbeträge fristgerecht an ihn entrichtet habe.

Bei der Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe vollständiger Steuererklärungen oder Steueranmeldungen komme es im Rahmen der Prüfung des Haftungsumfangs nicht auf den von höchstrichterlicher Stelle entwickelten Grundsatz der anteiligen Tilgung an. Denn wären die Steuern rechtzeitig festgesetzt worden, hätte er, der Beklagte, zumindest Beitreibungsmaßnahmen einleiten können. Mithin hafte er, der Kläger, zu 100 v. H. für die genannten Steuerrückstände.

F sei nach Aktenlage im Haftungszeitraum weder ordentlich bestellter noch faktischer Geschäftsführer der GmbH gewesen, so dass er nicht als weiterer Haftungsschuldner in Betracht zu ziehen sei.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er im Zeitraum 17. September 1999 bis 13. Juli 2000 zwar alleiniger Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Jedoch habe vor seinem Amtsantritt als GmbH-Geschäftsführer der damalige Mitgesellschafter und -geschäftsführer F die Geschäftsleitung innegehabt und Kontovollmacht für das Geschäftskonto der GmbH gehabt. Während er, der Kläger, nur für die Bereiche Marketing und Vertrieb zuständig gewesen sei, sei F - nunmehr als Angestellter - noch immer betriebswirtschaftlicher, kaufmännischer und technischer Leiter der GmbH gewesen (Hinweis auf schriftliche "Vereinbarung" vom 17. September 1999). Er, der Kläger, sei durch F arglistig getäuscht worden, denn dieser habe unter Ausnutzung der für damals noch allein verfügbaren Bankvollmacht sämtliche von ... gewährte Fördergelder in Höhe von ca. 1,4 Mio. DM sofort nach Eingang der Valuta am 25. November 1999 zur Verwendung für seine privaten Belange vom Geschäftskonto der GmbH auf von ihm beherrschte Bankkonten im Ausland transferiert und dadurch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH verschuldet. Wegen dessen Täuschungshandlungen sei er nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig Gegenmaßnahmen gegen die drohende Insolvenz der GmbH zu ergreifen. Noch mit Schreiben vom 13. Juni 2000 habe F ihn als GmbH-Geschäftsführer aufgrund des am 17. September 1999 geschlossenen und bislang nicht gekündigten Mitarbeitervertrages aufgefordert, laufend (monatlich) Sozialversicherungsbeiträge bezüglich seiner Person an die Sozialversicherungsträger abzuführen. Aus dem fortbestehenden Mitarbeitervertrag ergebe sich zumindest die Alleinverantwortlichkeit von F für etwaige Versäumnisse der GmbH in steuerrechtlicher Hinsicht zumindest für das 1. Quartal 2000.

Außerdem seien die Steueransprüche größtenteils in Zeiträumen vor seinem Amtsantritt als GmbH-Geschäftsführer entstanden. Auf Buchführungsunterlagen der GmbH habe er, der Kläger, größtenteils keinen Zugriff mehr, weil sich diese im Besitz des Insolvenzverwalters befänden. Im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsleitung der GmbH durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter hätten sich möglicherweise noch ca. 20 000 DM auf dem Geschäftskonto der GmbH befunden.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 13. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Mit Beschluss des Amtsgerichts V vom .. . August 2006 (Az.: ...) wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Dieses Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss desselben Amtsgerichts vom .. . April 2007 u.a. mit der Begründung wieder aufgehoben, dass keine verteilungsfähige Masse vorhanden sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Dem erkennenden Senat haben bei seiner Entscheidung drei Bände Akten des Insolvenzgerichts (Amtsgericht R), drei Bände Steuerakten sowie ein Hefter Rechtsbehelfsvorgang Haftungsbescheid (StNr.: ...) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 13. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Der Kläger hat zwar den Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO 1977 sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verwirklicht.

Nach § 69 Satz 1 AO 1977 haftet der GmbH-Geschäftsführer, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftungsvorschrift umfasst demnach als selbständige Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung die Nichtfestsetzung, die nicht rechtzeitige Festsetzung, die Nichterfüllung und die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche.

a.) Im Streitfall hat der Kläger den Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO 1977 dadurch erfüllt, dass er grob fahrlässig nicht dafür Sorge getragen hat, dass die GmbH die Umsatzsteuerjahreserklärung 1999 und die Umsatzsteuervoranmeldung für das 2. Quartal 2000 fristgerecht beim Beklagten eingereicht hat.

aa.) Die nicht durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretene GmbH hätte die Umsatzsteuererklärung 1999 spätestens am Mittwoch, den 31. Mai 2000, beim Beklagten einreichen müssen (vgl. dazu § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - i.V.m. § 149 Abs. 2 AO 1977) und den sich ergebenden Unterschiedsbetrag zugunsten des Beklagten , der gemäß § 18 Abs. 4 UStG einen Monat nach Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung fällig geworden wäre, bis zum 30. Juni 2000 an den Beklagten entrichten müssen. Somit hat am 30. Juni 2000 der Lauf des sog. Haftungszeitraums begonnen (vgl. dazu allgemein: Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Juli 1987, VII R 188/92, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1988, 172 m.w.N.). Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die GmbH, vertreten durch den Kläger, am 28. Juni 2000 einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hat und dass das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 13. Juli 2000 einen sog. "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt hat, der selbst als Haftungsschuldner i. S. von § 69 Satz 1 AO 1977 in Betracht kommt (vgl. dazu allgemein BFH-Beschluss vom 30. Dezember 2004, VII B 145/04, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2005, 665 sowie Jatzke, in: Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO Rz. 12 m.w.N.). Denn der Kläger bleibt für den Haftungszeitraum 30. Juni bis 12. Juli 2000 alleiniger Haftungsschuldner, weil der vorläufige Insolvenzverwalter unstreitig erst am 13. Juli 2000 bestellt worden ist.

Ihre Umsatzsteuervoranmeldung für das 2. Quartal 2000 hätte die GmbH mangels vom Beklagten gewährter Dauerfristverlängerung i. S. von §§ 48 ff. der Umsatzsteuer- Durchführungsverordnung (UStDVO) spätestens am Montag, den 10. Juli 2000, beim Beklagten einreichen müssen (vgl. dazu § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UStG). Zu diesem Zeitpunkt hatte das Insolvenzgericht ebenfalls noch keinen vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt, so dass der Kläger weiterhin als gesetzlicher Vertreter für die Einhaltung dieser umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtung allein verantwortlich gewesen ist.

bb.) Die Haftung des Klägers nach § 69 Satz 1 AO 1977 entfällt nicht deshalb, weil er geltend macht, dass ein anderer als er selbst (nämlich der "freie Mitarbeiter" F) innerhalb der GmbH für die Besorgung von deren steuerlichen Angelegenheiten zuständig gewesen sei. Wenn der alleinige Geschäftsführer einer GmbH die tatsächliche Geschäftsführung durch eine andere Person duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser die steuerlichen Pflichten der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. dazu nur BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2005, VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246 m.w.N.). Dass der Mitarbeiter F für die Besorgung der steuerlichen Angelegenheiten der GmbH persönlich ungeeignet gewesen ist, ergibt sich schon aus dem eigenen Vortrag des Klägers, wonach F bereits im November 1999 die der GmbH überlassenen Fördermittel der ... in Höhe von über 1,5 Mio. DM zu seinem eigenen Vorteil unterschlagen habe. Im Übrigen hat sich der Kläger von Anfang an auch mit den Steuerangelegenheiten der GmbH befasst, denn er hat unstreitig die Jahressteuererklärungen der GmbH für 1998 unter dem Datum "12.11.1999" (allein) unterschrieben. Schließlich ist davon auszugehen, dass eine etwaige anfängliche faktische Geschäftsführung des F i. S. von § 35 AO 1977 zu Beginn der Amtszeit des Klägers als ordentlich bestellter Geschäftsführer nach Bekanntwerden der vom Kläger behaupteten Unterschlagung beendet gewesen ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ab dem 5. April 2000, also bereits einige Zeit vor Beginn des hiesigen Haftungszeitraums, nur noch der Kläger als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer über eine Bankvollmacht bezüglich des Geschäftskontos der GmbH verfügt hat.

bb.) Einwendungen des Klägers gegen Grund und Höhe der streitgegenständlichen Nachforderung betr. Umsatzsteuer 1999 in Höhe von 29 600 DM bzw. Umsatzsteuervorauszahlung 2. Quartal 2000 in Höhe von 320 DM wären gemäß § 166 AO 1977 nicht ausgeschlossen, da der Kläger im Zeitpunkt der Feststellung dieser Abgabenverbindlichkeiten zur Tabelle unstreitig nicht mehr gesetzlicher Vertreter der GmbH gewesen ist. Der Kläger hat aber solche Einwendungen nicht geltend gemacht. Nach Aktenlage ist zumindest der Umsatzsteuernachforderungsanspruch des Beklagten für das Jahr 1999 nach Ansicht des erkennenden Gerichts bislang nicht schlüssig dargelegt. Das ergibt sich daraus, dass nach der neueren Rechtsprechung des BFH unter Umständen auch eine sog. "Briefkastengesellschaft", sofern sie juristisch wirksam gegründet worden ist und als juristische Person im Moment des behaupteten umsatzsteuerrechtlichen Leistungsaustauschs noch existent ist, Empfängerin von Lieferungen oder Leistungen i. S. von § 1 UStG sein kann (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Klenk, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rz. 221 ff., 225).

Eine Haftung des Klägers nach § 69 Satz 1 AO 1977 für Säumniszuschläge zur Umsatzsteuernachforderung vom 15. April 2002 ist nicht gegeben, da er zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung dieser Nachforderung im April 2002 bereits geraume Zeit nicht mehr gesetzlicher Vertreter der GmbH gewesen ist.

cc.) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Betriebssteuern im Umfang auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der (ggf. fiktiven) Fälligkeit der Steuerforderungen das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat ("anteilige Tilgungsquote"). Das Finanzamt muss deshalb von dem Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen nicht entrichteter Betriebssteuern in Haftung nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen, um die anteiligen Betriebssteuern, für die der Geschäftsführer in Haftung genommen werden kann, zu berechnen. Hierfür müssen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der (fiktiven) Fälligkeit der Steuerschulden, der Höhe der Steuerschulden sowie der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen werden. Hierbei ist das Finanzamt im Rahmen der Amtsermittlung auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen (§§ 88 Abs.1, 90 Abs. 1 AO 1977; § 76 Abs. 1 FGO). Danach ist der Beteiligte verpflichtet, sich über alle tatsächlich bedeutsamen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) und dabei dem Gericht auf Verlangen in seinem Besitz befindliche Urkunden und sonstige Unterlagen zur Einsicht und zur Prüfung vorzulegen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 97 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 AO 1977).

Der Grundsatz der anteiligen Tilgung erfährt insoweit eine Einschränkung, als eine Berufung darauf ausscheidet, wenn bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärungen der Steuerausfall vermieden worden wäre. Dies kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung dann angenommen werden, wenn bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärungen die Steuern tatsächlich hätten bezahlt oder beigetrieben werden können (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 20. Februar 2001, VII B 111/00, BFH/NV 2001, 1097 m.w.N.; Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 69 Rz. 25; Jatzke, in: Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO Rz. 41).

Vorstehende, die Grundsätze über die anteilige Tilgungsquotenberechnung einschränkende Rechtsprechungsregel ist im Streitfall nach Überzeugung des erkennenden Senats hinsichtlich der Umsatzsteuernachforderung vom 15. April 2002 aus folgenden Gründen nicht anwendbar: Zwar ist es denkbar, dass die anteilige Umsatzsteuer 1999, die auf der Nachversteuerung der von der GmbH in ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen umsatzsteuerfrei belassenen Umsätze in Höhe von insgesamt 185 000 DM durch den Beklagten beruht, bei fristgerechter Voranmeldung der Umsätze durch die GmbH in ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen als voll umsatzsteuerpflichtig von der Gesellschaft zeitnah hätte entrichtet werden können. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat in den angefochtenen Steuerverwaltungsakten aber nicht einmal ansatzweise ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers i. S. von § 69 Satz 1 AO 1977 in Bezug darauf dargetan, dass die vorgenannten Umsätze von der GmbH in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen als umsatzsteuerfrei behandelt worden sind oder dass die GmbH - was unstreitig der Fall ist - keine zeitnahe Berichtigung ihrer Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 153 AO 1977 durchgeführt hat. Eine solche Verantwortlichkeit des Klägers ist auch nicht anhand der Aktenlage ohne weiteres schlüssig nachvollziehbar, da er erst kurz vor dem Ende des 3. Quartal des Jahres 1999, am 17. September, überhaupt zum GmbH-Geschäftsführer berufen und offensichtlich vom Vorgänger-Geschäftsführer F in mehrerer Hinsicht nicht wahrheitsgemäß über die tatsächlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der GmbH informiert worden ist.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsgrundsätze über die Tilgungsquotenermittlung sowie der Ausführungen des späteren Insolvenzverwalters in seinem Gutachten vom Januar 2001 zu den Umsätzen und Betriebsergebnissen der GmbH im Jahr 1999 sowie im 1. Halbjahr 2000 und den Fragen nach der Zahlungsfähigkeit und der Überschuldung der GmbH schätzt der erkennende Senat die sog. Tilgungsquote im Streitfall für den Haftungszeitraum 30. Juni bis 12. Juli 2000 auf 10 v. H. des rückständigen Abgabenverbindlichkeiten mit Ausnahme der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuernachforderung 1999 vom 15. April 2002. Ein sehr entscheidender Gesichtspunkt für diese Wertung ist der Umstand, dass die GmbH bereits vor Beginn des Haftungszeitraums, nämlich am 28. Juni 2000, einen Insolvenzantrag gestellt und der spätere Insolvenzverwalter, RA Z, im o. g. Gutachten die Insolvenzreife der Gesellschaft in diesem Zeitpunkt sowohl wegen Überschuldung als auch wegen Zahlungsunfähigkeit überzeugend dargelegt hat. Bei seiner Schätzung der Tilgungsquote hat der Senat die Rückzahlungsverbindlichkeit der GmbH gegenüber der J in Höhe von rund 1,5 Mio. DM nach den oben genannten höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätzen außer Betracht gelassen, weil diese erst einige Monate nach Ablauf des Haftungszeitraums, nämlich mit der Bekanntgabe des insoweit rechtskonstitutiven Widerrufsbescheids der J vom 19. Juni 2001 gegenüber dem Insolvenzverwalter der GmbH, entstanden und fällig geworden ist.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ergäbe sich eine Haftungsschuld in Höhe von 10 v. H. von 16.235,79 EUR = 1.623,57 EUR.

b.) Allerdings ist der angefochtene Haftungsbescheid verfahrensfehlerhaft zustande gekommen: der Beklagte hat die Grundsätze über das sog. Auswahlermessen betr. die verschiedenen, in Betracht zu ziehenden Haftungsschuldner verletzt. Nach einem Aktenvermerk vom 27. Januar 2003 hat er von einer parallelen Haftungsinanspruchnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters im Hinblick darauf abgesehen, dass es sich dabei in der Phase vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens um einen "weichen" Verwalter ohne Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich des Vermögens der GmbH gehandelt habe. Diese Einschätzung ist, wie der Inhalt der Insolvenzakten belegt, unzutreffend. Der Beklagte ist somit hinsichtlich der Betätigung seines Auswahlermessens von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, was seine Entscheidung ermessensfehlerhaft macht und zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Steuerverwaltungsakte führt (vgl. dazu allgemein BFH-Urteil vom 17. Mai 1995, I R 8/94, BStBl, II 1996, 2 sowie Gersch, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 5 Rz. 4, jeweils m.w.N.).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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