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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 25.11.2005
Aktenzeichen: 3 K 3165/01
Rechtsgebiete: EStG, BGB


Vorschriften:

EStG § 31 S. 1
EStG § 31 S. 4
EStG § 31 S. 5
BGB § 1612b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Der 1961 geborene Kläger, der als Triebfahrzeugführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, ist geschieden. Er hat sechs Kinder, von denen das älteste die im Streitjahr 17-jährige xxxxxx (M) ist, die bei ihrer Mutter, an die auch das Kindergeld von monatlich 250 DM ausgezahlt wurde, lebte. M war ab März 1999 gegen ein Entgelt von 1.430 DM brutto nichtselbständig tätig.

In seiner Einkommensteuererklärung für 1999 bezifferte der Kläger den zivilrechtlichen Kindergeld-Ausgleichsanspruch für M mit 375 DM. Der Beklagte brachte bei der Einkommensteuerveranlagung jedoch keinen Kinderfreibetrag für M in Ansatz. Er führte als Begründung an, die Günstigerprüfung habe ergeben, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen bewirkt worden sei.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit dem Einspruch. Er wies nach, dass er aufgrund des eigenen Einkommens des Kindes ab April 1999 von Unterhaltszahlungen an M befreit worden sei, und machte geltend, dass das hälftige Kindergeld den Regelunterhalt deshalb von diesem Zeitpunkt an nicht mehr habe mindern können. Es fehle daher insoweit an einem zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch im Sinne von § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-, der nach § 31 des Einkommensteuergesetzes -EStG- auf den ihm zustehenden halben Kinderfreibetrag angerechnet werden könne.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass bei dem Kläger wegen des gesetzlichen Verrechnungsgebots in § 31 Satz 5 EStG kein Kinderfreibetrag berücksichtigt werden könne. Für die Anwendung dieser Vorschrift genüge es, wenn der zivilrechtliche Ausgleichsanspruch abstrakt bestehe. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 10. April 2001 (Bl. 4 f. der Streitakten) Bezug genommen.

Mit der Klage verfolgt der Kläger sein auf die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags gerichtetes Begehren mit der Begründung weiter, dass ihm ab April 1999 kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch mehr zugestanden habe.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Bescheids vom 17. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2001 die Einkommensteuer für 1999 auf 9.717 DM herabzusetzen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er vertritt unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 30. November 2004 VIII R 73/99 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2005, 1029) und VIII R 76/00 (BFH/NV 2005, 856) die Ansicht, dass es nicht darauf ankommen könne, ob ein Steuerpflichtiger den ihm zustehenden Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes tatsächlich realisiere. Anderenfalls könnten die Berechtigten durch Überlassung des Kindergeldes an den anderen Elternteil eine vom Gesetz nicht beabsichtigte Mehrfachbegünstigung erreichen. Aufgrund der fehlenden Bedürftigkeit des Kindes barunterhaltspflichtiger Elternteile wäre der hälftige Kinderfreibetrag ohne Verrechnung mit dem hälftigen Kindergeld zu berücksichtigen, während bei der Günstigerprüfung des anderen Elternteils dem hälftigen Kinderfreibetrag das volle Kindergeld gegenüberzustellen wäre. Ein solches Ergebnis widerspräche nicht nur dem Halbteilungsgrundsatz, sondern auch dem erkennbaren Zweck der §§ 31, 36 Abs. 2 EStG, Doppelbegünstigungen für dasselbe Kind zu vermeiden. Aus diesem Grunde habe der Gesetzgeber auch die bis 1995 bestehende Möglichkeit der einvernehmlichen Übertragung des Kinderfreibetrags auf einen Elternteil abgeschafft, um ein Auseinanderfallen der Kindergeldberechtigung und des Anspruchs auf den Kinderfreibetrag und damit Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden.

Dem Gericht haben die vom Beklagten für den Kläger geführten Steuerakten (1 Bd.) vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt.

Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr durfte für M kein Kinderfreibetrag angesetzt werden, weil das dem Kläger anteilig zuzurechnende Kindergeld von 1.500 DM die steuerliche Entlastung, die sich bei Abzug des Kinderfreibetrages mit 757 DM ergibt, übersteigt (§ 31 Satz 4 EStG).

Nach § 31 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt. Der Kinderfreibetrag ist bei der Einkommensteuerveranlagung nur dann abzuziehen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Freistellung des Existenzminimums des Kindes nicht in vollem Umfang durch das während des Kalenderjahres gezahlte Kindergeld erreicht wird (§ 31 Satz 4 EStG). Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen besteht insoweit nicht. Ergibt die nach § 31 Satz 4 EStG vorzunehmende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung), dass die Steuerentlastung durch den Abzug des Kinderfreibetrages geringer ist als das dem Steuerpflichtigen anteilig zuzurechnende Kindergeld, so ist die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld bewirkt (§ 31 Satz 1, 2. Alternative EStG). Das gilt auch dann, wenn das Kindergeld nicht an den Steuerpflichtigen ausgezahlt wurde, ihm aber im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zusteht (§ 31 Satz 5 EStG).

Werden Eltern nicht nach § 26 EStG zur Einkommensteuer zusammenveranlagt, so ist im Regelfall, d.h., wenn beide Elternteile nach § 32 Abs. 6 EStG Anspruch auf einen Kinderfreibetrag haben, bei der Günstigerprüfung des zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils das an den anderen Elternteil ausgezahlte (hälftige) Kindergeld (im Streitjahr: 1.500 DM) so zu berücksichtigen, als hätte der barunterhaltspflichtige Elternteil es erhalten. Entsprechend ist bei der Veranlagung des anderen Elternteils zu verfahren, der seine Unterhaltsverpflichtung durch die Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 BGB); auch wenn das Kindergeld in voller Höhe an diesen Elternteil ausgezahlt wird (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG), darf es bei seiner Günstigerprüfung nur zur Hälfte berücksichtigt werden.

Durch diese Regelungen wird der sog. Halbteilungsgrundsatz verwirklicht, der besagt, dass die steuerlichen Entlastungen durch das Kindergeld oder - alternativ - den Kinderfreibetrag grundsätzlich beiden Elternteilen gleichermaßen wirtschaftlich zugute kommen sollen, ohne Rücksicht darauf, wer der Empfänger des Kindergeldes ist.

Bei der Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Klägers war dem Kinderfreibetrag das für M gezahlte hälftige Kindergeld gegenüber zu stellen, da dem Kläger insoweit ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Mutter des Kindes zustand (§ 31 Satz 5 EStG). Einem Elternteil, der nach seinen Einkommensverhältnissen verpflichtet ist, Unterhalt für ein minderjähriges Kind zu zahlen, kommt nach geltendem Recht das von dem anderen Elternteil vereinnahmte Kindergeld durch Anrechnung des hälftigen Kindergelds auf den Unterhaltsanspruch des Kindes zugute (vgl. § 1612b Abs. 1 BGB)

Im Streitfall besteht allerdings die Besonderheit, dass der Anspruch des Klägers auf das hälftige Kindergeld seine Unterhaltsverpflichtung ab April 1999 nicht mindern konnte, weil rein tatsächlich von diesem Zeitpunkt an kein Unterhaltsanspruch des Kindes mehr bestand und dem Kläger ein Ausgleichsanspruch folglich wirtschaftlich nicht zugute kommen konnte. Gleichwohl kann § 31 Sätze 4 und 5 EStG nicht dahin ausgelegt werden, dass dem Barunterhaltspflichtigen ein Ausgleichsanspruch nur in dem Umfang im Sinne dieser Vorschrift zusteht, in dem er diesen Anspruch durch Verrechnung mit dem Kindesunterhalt tatsächlich realisieren kann (vgl. BFH, Urteil vom 30. November 2004 VIII R 76/00, BFH/NV 2005, 856, 859). Da einer solchen Auslegung der Zusammenhang der Vorschrift mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG sowie Zweck und Systematik des steuerlichen Familienleistungsausgleichs entgegenstehen, gibt es keinen Grund dafür, die zu den sog. Mangelfällen ergangene Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 30. November 2004 VIII R 76/00 und VIII R 73/99 a.a.O.) nicht auch auf den Streitfall anzuwenden.

Gemäß dem Halbteilungsgrundsatz, auf dem der Familienleistungsausgleich beruht, bestimmt § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG, dass in den Fällen, in denen das Existenzminimum des Kindes durch den Kinderfreibetrag von der Einkommensteuer freigestellt wird, das Kindergeld "im entsprechenden Umfang" der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen ist. Zu einer vom Halbteilungsgrundsatz abweichenden Zurechnung des Kinderfreibetrages kommt es bei geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteilen nur, wenn der zum Barunterhalt Verpflichtete seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nicht nachkommt und deshalb der ihm zustehende Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen wird. Bei einem Unterhaltspflichtigen, der - wie der Kläger - seine, wenn auch auf Null herabgesetzte, Unterhaltspflicht in vollem Umfang erfüllt hat, ist der Anspruch auf Kindergeld bei der Günstigerprüfung und ggf. auch bei der Hinzurechnung nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG stets "in entsprechendem Umfang", d.h. mit der Hälfte des gesetzlichen Kindergelds anzusetzen (vgl. BFH, Urteil vom 30. November 2004 VIII R 76/00 a.a.O.).

Auch der Zweck des Familienleistungsausgleichs rechtfertigt keine abweichende Auslegung des § 31 Sätze 4 und 5 EStG. Die Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG soll zum einen gewährleisten, dass das Einkommen des Steuerpflichtigen in Höhe des Existenzminimums seines Kindes von der Einkommensteuer freigestellt wird; zum anderen soll ihm zumindest das für den Veranlagungszeitraum gezahlte Kindergeld verbleiben, wenn dieses höher ist als die steuerliche Entlastung durch den Ansatz des Kinderfreibetrags. Auch wenn sich der Ausgleichsanspruch eines zum Barunterhalt Verpflichteten im Ergebnis nicht auf die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung mindernd ausgewirkt hat, ist es mit der Zielsetzung des § 31 EStG nicht vereinbar, keinen Ausgleichsanspruch bei der Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG anzusetzen. Durch den steuerlichen Familienleistungsausgleich soll zwar das Einkommen insoweit von dem Zugriff der Einkommensteuer freigestellt werden, als es zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs des Steuerpflichtigen und seiner Kinder benötigt wird. Das Existenzminimum der Kinder soll jedoch bezogen auf beide Elternteile nur einmal von der Besteuerung freigestellt werden; eine mehrfache Begünstigung der Unterhaltsaufwendungen für ein und dasselbe Kind durch die Freibeträge und das Kindergeld soll ausgeschlossen sein. Zu einer solchen Mehrfachbegünstigung für ein und dasselbe Kind in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes kommt es jedoch, wenn das Kindergeld bei der Günstigerprüfung des zum Barunterhalt Verpflichteten nicht mit dem hälftigen Anteil, sondern mit Null angesetzt würde. Bei der Veranlagung dieses Steuerpflichtigen wäre der Kinderfreibetrag ohne Hinzurechnung des hälftigen Kindergeldanteils zu berücksichtigen, während bei der Veranlagung des Elternteils, der das Kindergeld vereinnahmt hat, nur der diesem zustehende hälftige Kindergeldanteil berücksichtigt werden dürfte. Im Ergebnis käme diesen Eltern dann die Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes anrechnungsfrei zugute. Bei geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern wäre somit ein höheres Existenzminimum des Kindes von der Besteuerung freigestellt als bei zusammenveranlagten Eltern.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO- und den §§ 25, 13 des Gerichtskostengesetzes -GKG- in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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