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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: 8 K 6331/01 (1)
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob bei der Einkommensteuerveranlagung 1999 die von den Klägern im Streitjahr erzielten Verluste aus Gewerbebetrieb entgegen § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz - EStG - in der im Streitjahr geltenden Fassung in voller Höhe mit den übrigen positiven Einkünften der Kläger auszugleichen sind. Die Kläger berufen sich auf Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift.

Die Kläger, zusammenveranlagte Eheleute, gründeten im Jahr 1997 unter gleichzeitiger Beendigung ihrer nichtselbständigen Dienstverhältnisse eine GmbH & Co. KG. Sie sind deren alleinige Kommanditisten und alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. xxx xxx xxx xxx xxx xxx xxx xxx.

Die KG erwirtschaftete seit Gründung nur hohe Verluste. Für das Streitjahr 1999 wurde ein Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 701.135,00 DM festgestellt, wovon gemäß § 15 a EStG nur 564.308,00 DM sofort ausgleichsfähig waren.

Der Kläger erzielte im Streitjahr 1999 positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 522.584,00 DM, die Klägerin negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 7.258,00 DM.

Der Beklagte glich bei der Veranlagung 1999 die Einkünfte der Kläger aus Vermietung und Verpachtung aus und verrechnete die danach verbleibenden positiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 515 326,00 DM lediglich in Höhe von 364.921,00 DM mit dem ausgleichsfähigen Verlust aus Einkünften aus Gewerbebetrieb. Dementsprechend setzte er bei einem zu versteuernden Einkommen von 137.023,00 DM die Einkommensteuer auf 34.872,00 DM fest.

Gegen die Einkommensteuerfestsetzung 1999 legten die Kläger Einspruch ein und beantragten Aussetzung der Vollziehung. Nachdem der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzamt erfolglos blieb, beantragten sie - zeitgleich mit ihrer Klage gegen die Einspruchsentscheidung - beim Finanzgericht Aussetzung der Vollziehung.

Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides hat das Finanzgericht mit Beschluss zum Aktenzeichen 6 K 6331/01 auf Antrag der Kläger gemäß § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO - ausgesetzt, weil der beschließende 6. Senat die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 3 EStG bei der Anwendung auf den Streitfall für ernstlich zweifelhaft hielt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2002, 597).

Die Beschwerde des Beklagten gegen diese Entscheidung hat der Bundesfinanzhof - BFH - mit Beschluss vom 6. März 2003 (Az. XI B 76/02, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2003, 523) als unbegründet zurückgewiesen und entschieden, dass an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 insoweit ernstliche Zweifel bestehen, als aufgrund des begrenzten Verlustausgleichs - hier zwischen negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb und positiven Einkünften aus Vermietung und Verpachtung - eine Einkommensteuer auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt.

Den Entscheidungsgründen lassen sich folgende Grundsätze entnehmen:

Die sog. Mindestbesteuerung des § 2 Abs. 3 EStG verletzt nicht das allgemeine Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit i. S. des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG-. Denn durch diese Vorschrift wird der Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da Grundrechte ihre Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfalten; das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 EStG ist nur einfachgesetzlicher Natur (Festhaltung an BFH-Urteil vom 9. Mai 2005 XI B 151/00).

Das Existenzminimum eines Steuerpflichtigen muss grundsätzlich bewahrt bleiben. Es unterscheidet nicht nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Steuerpflichtigen und orientiert sich für sämtliche Steuerpflichtige ausschließlich an dem - typisierend zu ermittelnden - Bedarf für den Lebensunterhalt. Eine defizitäre Haushaltslage oder der durch die allgemeine Tarifsenkung des StEntlG1999/2000/2002 entstandene Finanzbedarf rechtfertigen keine Durchbrechung dieses Prinzips. Allein praktische Schwierigkeiten bei Feststellung der "wahren Leistungsfähigkeit" vermögen demgemäß eine Verletzung der Art. 1 Abs. 1 Art. 20 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen.

Ob die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung sich auch auf negative Einkünfte beziehen, die nicht auf einem entsprechenden Mittelabfluss beruhen hat der Senat in diesem Beschluss offengelassen.

Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger weiterhin die Verfassungswidrigkeit der von dem Beklagten vorgenommenen Verlustbeschränkung geltend. Die Beschränkung der Verlustrechnung durch § 2 Abs. 3 EStG n. F. müsse sich am allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. Das objektive Nettoprinzip als Bestandteil des Leistungsfähigkeitsprinzips gebiete für die Heranziehung zur Zahlung von Einkommensteuer, dass nach Abzug aller Erwerbsaufwendungen noch positive Einkünfte verbleiben müssen.

Die Regelung des § 2 Abs. 3 EStG n. F. sei zur Missbrauchbekämpfung im Hinblick auf so genannte Steuersparmodelle eingeführt worden. Die Norm verfehle jedoch im vorliegenden Fall ihren Zweck, denn die entstandenen Verluste stammten nicht aus einem Steuersparmodell. Anders als im Beschluss des BFH vom 9. Mai 2001 (XI B 151/00, BStBl II 2001, 552) handele es sich bei den Verlusten der Kläger nämlich um "echte" Verluste.

Die Zweckverfehlung habe im Streitfall weitreichende Konsequenzen. Durch die Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG n. F. habe das zu versteuernde Einkommen der Kläger seine Funktion als Maßstab ihrer Leistungsfähigkeit verloren. Denn die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Kläger im Streitjahr trete nur nach einer vollständigen vertikalen Verlustrechnung zu Tage. Die Kläger hätten in ihr Unternehmen ein über eine rein kapitalmäßige Beteiligung weit hinausgehendes persönliches Engagement eingebracht. Neben ihrer Arbeitsleistung hätten sie sämtliche verfügbaren liquiden Mittel zur Verfügung gestellt und dabei persönliche Risiken übernommen. Durch den beschränkten Verlustausgleich würden dem jungen "Startup-Unternehmen" dringend benötigte Finanzmittel entzogen und der Unternehmenserfolg gefährdet, da diese Mittel dringend zur Reinvestition benötigt würden.

§ 2 Abs. 3 EStG n. F. stelle dem entgegen systemwidrig auf die zukünftige Leistungsfähigkeit ab, die höher sei als die tatsächliche Leistungsfähigkeit im Veranlagungszeitraum. Die Kläger würden deshalb zur Entrichtung von Steuern verpflichtet, obwohl ihnen dafür im Veranlagungszeitraum keine Einkünfte verblieben seien. Der Verlustausgleich sei deshalb im Streitfall nicht nach § 2 Abs. 3 EStG zu begrenzen.

Die gebotene Verrechnung echter Verluste entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 EStG n. F. ergebe sich unter Berücksichtigung des Normzwecks auch aus einem Vergleich mit § 15 a EStG. Nach § 15 a EStG habe der Gesetzgeber eine differenzierte Verlustbegrenzung vorgesehen, bei der Verluste der nur in Höhe ihrer Einlage haftenden Kommanditisten, soweit sie zu einem negativen Kapitalkonto führen, nur mit zukünftigen Gewinnen verrechnet werden können. Der Verlustabzug im Verlustentstehungszeitraum sei versagt worden, weil derartige Verluste in der Regel den Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Entstehung weder rechtlich noch tatsächlich belasteten. Im Übrigen sei aber die Zulässigkeit des Verlustabzugs unangetastet geblieben. Entsprechendes müsse auch für die Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG gelten.

Die Kläger beantragen,

abweichend von dem Bescheid vom xx. Mai 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom xx. August 2001 die Einkommensteuer 1999 auf 0,00 DM festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Wortlaut des § 2 Abs. 3 EStG n. F. gebiete die vorgenommene Beschränkung der Verlustrechnung, ohne dass verfassungsrechtliche Bedenken dem entgegenstünden.

Dem Senat hat bei seiner Entscheidung neben der Streitakte die Streitakte zum AdV-Verfahren 6 B 6331/01 vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet, weil die angefochtene Steuerfestsetzung dem Gesetz entspricht und das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die hier maßgebliche Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG gegen das Grundgesetz verstößt.

Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, entspricht die von dem Beklagten vorgenommene Berechnung der Einkommensteuer 1999 dem Wortlaut der Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG. Entgegen der Ansicht der Kläger verstößt diese Vorschrift auch nicht gegen die Regelungen des Grundgesetzes.

Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit der einzelnen Einkunftsarten ("Synthetische Einkommensteuer" im Gegensatz zur "Schedulen Besteuerung"). Denn durch die streitige Regelung werden die Einkunftsarten gleich behandelt. Eine Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Einkunftsarten, wie sie z. B. im Fall des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG gegeben war (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht -BVerfG-Beschluss in Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Bd. 99, S. 88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1999, S. 44) findet nicht statt und ist auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Insofern geht der Gesetzgeber lediglich davon aus, dass durch die Erzielung positiver Einkünfte - welcher Einkunftsart auch immer - eine bestimmte Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt, die auch durch entsprechende negative Einkünfte nicht in vollem Umfang geschmälert wird (vgl. Birk/Kulosa, Fi­n­anzrundschau - FR - 1999, S. 433 auf S. 439).

Die Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG im Streitfall begegnet auch im Hinblick auf das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende grundsätzliche Verbot, rückwirkend belastende Steuergesetze zu erlassen, keinen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwischen einer sog. "echten" und "unechten" Rückwirkung bzw. einer Rückbewirkung der Rechtsfolgen und einer tatbestandlichen Rückanknüpfung zu unterscheiden. Eine sog. echte Rückwirkung liegt danach vor, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird (vgl. BFH, Urteil vom 1. März 2005, Az. VIII R 92/03 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Eine derartige echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig und nur in bestimmten schwerwiegenden Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn eine bis dahin ungeklärte Rechtslage beseitigt werden muss oder ein Haushaltsnotstand vorliegt. Im vorliegenden Fall enthält das Gesetz nach Überzeugung des erkennenden Senats jedoch lediglich eine sog. unechte Rückwirkung. Eine solche Rückwirkung liegt vor, wenn das Gesetz nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt. Um eine solche Regelung handelt es sich hier, weil die Einschränkung des Verlustausgleichs durch die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG sich nur auf Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1999 (und zukünftiger Veranlagungszeiträume) erstreckt, nicht jedoch auf Einkünfte, die in der Vergangenheit erzielt worden sind. Für die Zulässigkeit einer solchen unechten Rückwirkung gelten geringere Anforderungen (vgl. Beschlüsse des 2. Senats vom 14. Mai 1986, 2 BvL 2/83, Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 72, S. 200 auf S. 257 und 258; des 1. Senats vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44, 48/92, Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 95, S. 64 auf den S. 86 und 87 sowie des 2. Senats vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bd. 97, S. 67, 79, 80). Die Zulässigkeit einer solchen sog. unechten Rückwirkung ist insbesondere anhand einer sog. Güterabwägung zu messen. Dabei ist das schutzwürdige Interesse des Steuerpflichtigen an einer Weitergeltung der bisherigen Rechtslage der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl gegenüberzustellen (vgl. Beschluss des 2. Senats vom 15. Mai 1995 2 BvL 19/91, 2 BvR 1206, 1584/91 und 2601/93, Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 92, S. 277 auf S. 325 und 344).

Im vorliegenden Fall haben die Kläger die für die Entstehung der streitigen Verluste maßgeblichen Investitionsentscheidungen bereits in den Jahren 1992 bis 1996 getroffen. Nach der damals geltenden Rechtslage konnten sie davon ausgehen, dass sie die entstehenden Verluste mit den positiven Einkünften aus Gewerbebetrieb würden ausgleichen können und dass insofern lediglich die Beschränkung des § 15 a EStG gelten würde. Diese Möglichkeit ist ihnen für das Streitjahr 1999 durch die Änderung des EStG und die Einführung des § 2 Abs. 3 EStG genommen worden.

Bei der gebotenen Güterabwägung hat jedoch nach Ansicht des Senats im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen der Kläger gegenüber dem Gemeinwohl zurückzutreten. Denn zu dem damaligen Zeitpunkt war der Gesetzgeber gehalten, den Verlustausgleich zu beschränken, um im Einkommensteuerrecht wieder Belastungsgleichheit herzustellen, die nicht zuletzt wegen der zu steuerlichen Verlusten führenden Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nicht mehr gegeben war. Der Gesetzgeber war gehalten, einem weiteren Rückgang des Aufkommens an veranlagter Einkommensteuer entgegenzuwirken. Hierfür war die Beschränkung des Verlustausgleichs eine geeignete Maßnahme, die sich auch in einem maßvollen Rahmen hält. Denn die hier streitige Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG führte nicht dazu, dass die steuerliche Berücksichtigung der Verluste überhaupt versagt wird. Der Abzug wird lediglich zeitlich gestreckt. Die Abziehbarkeit der Verluste im Verlustentstehungsjahr bleibt in Höhe von 100 000,00 DM zuzüglich der Hälfte der diesen Betrag übersteigenden positiven anderen Einkünfte im Vergleich zur früheren Gesetzeslage unverändert. Die im Verlustentstehungsjahr nicht ausgeglichenen Verluste gehen nicht verloren, sondern mindern das Einkommen späterer Veranlagungszeiträume. Wirtschaftlich betrachtet wird die Einkommensteuerzahlung der Kläger damit lediglich vorgezogen. Sie erleiden durch die Neuregelung in erster Linie einen Zinsnachteil. Dieser Nachteil ist angesichts der Bedeutung des Anliegens des Gesetzgebers nach Ansicht des Gerichts in Kauf zu nehmen (vgl. hierzu auch das Urteil des BFH vom 1. März 2005, Az. VIII R 92/03 zur Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze im Rahmen des § 17 EStG).

Schließlich verstößt die Regelung des § 2 Abs. 3 EStG nach Ansicht des erkennenden Senats auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, weil die vom Gesetzgeber dadurch bewirkte Verkomplizierung des Einkommensteuergesetzes nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg steht.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel legt dem Gesetzgeber auf, nur insoweit in die Rechte des Bürgers einzugreifen, wie dies erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Dabei muss außerdem das mildeste Mittel gewählt werden und der Eingriff darf nicht außer Verhältnis zu dem erzielten Erfolg stehen. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die Verfassungsmäßigkeit von Steuergesetzes nicht allein im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und das Gebot der Gleichbehandlung zu überprüfen. Vielmehr ist Prüfungsmaßstab auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Denn das Ausmaß der Belastung, denen die Bürger durch das Steuerrecht unterliegen, wird nicht allein durch die Höhe der Steuer bestimmt. Vielmehr stellt auch die Kompliziertheit des Steuerrechts eine weitere Belastung und einen zusätzlichen Eingriff dar. Dies ergibt sich schon - vordergründig - aus den Kosten für die Beratung, die durch die Schwierigkeiten des Steuerrechts erforderlich werden. Aber auch die Notwendigkeit, die erforderlichen Aufzeichnungen und Berechnungen zu machen, stellt nach Ansicht des Gerichts einen verfassungsrechtlich relevanten Eingriff dar.

Im Ergebnis bedeutet dies zunächst, dass Steuergesetze nur so kompliziert sein dürfen, wie dies zur gleichmäßigen Erhebung der Steuern unbedingt erforderlich ist. Darüber hinaus muss bei jeder Änderung des Steuergesetzes, die zu einer Verkomplizierung des Rechts oder zu einer Verschärfung der Aufzeichnungspflichten des Steuerpflichtigen führt, geprüft werden, ob der dadurch erreichte Zuwachs an Gerechtigkeit hierzu in einem angemessenen Verhältnis steht.

Auch bei einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe kann der erkennende Senat eine Verfassungswidrigkeit der streitigen Vorschrift jedoch nicht feststellen. Denn der Finanzverwaltung ist es nach einiger Zeit gelungen, ein Programm zu entwickeln, das die rechnerischen Schwierigkeiten des § 2 Abs. 3 EStG bewältigt (vgl. hierzu etwa Betz, Böckstigel, Der widerspenstigen Zähmung, FR 2000, S. 793).

Darüber hinaus ist bei der Entscheidung des vorliegenden Falles zu beachten, dass hier zwischen den Beteiligten keinerlei Streitigkeiten über die Berechnung des ausgleichsfähigen Verlustes bestehen und deshalb die Vorschrift jedenfalls im Streitfall keine übermäßige rechnerische Verkomplizierung darstellt.

Entgegen der Ansicht der Kläger ist die streitige Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie durch den angefochtenen Bescheid zur Steuerzahlung herangezogen werden, obwohl ihnen nach einer Verrechnung ihrer positiven Einkünfte mit den erzielten Verlusten nicht einmal mehr das sog. Existenzminimum zur Verfügung bleibt. Wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden hat (vgl. zum Nachweis Palm, DStR 2002, S. 152 auf S. 155) gebietet es allerdings die Verfassung, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie von der Besteuerung frei zu stellen. Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Danach darf im Ergebnis die Einkommensteuer nur auf das verfügbare Einkommen zugreifen. Auf den existenzsichernden Aufwand ist dem Gesetzgeber dagegen der Zugriff verwehrt. Nach Erfüllung der Einkommensteuerschuld muss dem Steuerpflichtigen und seiner Familie noch der notwendige Lebensunterhalt als Existenzminimum verbleiben.

Auch ist den Klägern einzuräumen, dass die von ihnen geltend gemachten Verluste nicht aus Sonderabschreibungen oder ähnlichen Steuervergünstigungen herrühren, sondern aus ihrer unternehmerischen Betätigung. Es handelt sich deshalb nicht um sog. Buchverluste, sondern vielmehr um "echte" Verluste (vgl. Kohlhaas, "Echte" Verluste und Mindestbesteuerung DStR 2002, S. 1250).

Dennoch ist die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG jedenfalls im Streitjahr nach Ansicht des erkennenden Senats nicht verfassungswidrig, weil diese darauf angelegt war, nur für einen bestimmten und begrenzten Zeitraum zu gelten.

Dies ergibt sich zunächst aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Gegen Ende des Geltungszeitraums des Fördergebietsgesetzes kam immer mehr Kritik daran auf, dass dieses Gesetz es gut verdienenden Steuerpflichtigen ermögliche, durch Investitionen im Fördergebiet ihre Einkommensteuerschuld zu senken oder sogar auf null zu drücken. Das Wort von den sog. Steuerschlupflöchern machte die Runde. Nach dem Regierungswechsel im Herbst 1998 nahm die neue Bundesregierung sich vor, diese Möglichkeit so schnell wie möglich zu beseitigen. Da es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich schien, das Fördergebietsgesetz rückwirkend abzuschaffen oder wenigstens den Begünstigungszeitraum zu verkürzen, wurden Möglichkeiten ersonnen, den Ausgleich von Verlusten mit positiven Einkünften zu beschränken. Schon in dem 1998 veröffentlichten Koalitionsentwurf war eine Regelung über die sog. Mindestbesteuerung enthalten. Entsprechend einem Vorschlag des Landes Hamburg sollte geregelt werden, dass bei Ermittlung der Summe der Einkünfte positive Einkünfte nicht in vollem Umfang mit Verlusten aus anderen Einkünften ausgeglichen werden können, sondern ein bestimmter Mindestbetrag in jedem Fall der Besteuerung unterworfen werden muss. Aus dem Land Nordrhein-Westfalen ist dagegen ein Vorschlag gekommen, wodurch den Steuersparmodellen ein Ende bereitet werden sollte, indem man es verbietet, Verluste aus derartigen Modellen überhaupt mit anderen positiven Einkünften zu verrechnen (§ 2 b EStG). Obwohl dieser Vorschlag als Alternative zu dem Vorschlag des Landes Hamburg gedacht war, sind beide Vorschriften nebeneinander in das Steuerentlastungsgesetz aufgenommen worden. Die Verlustausgleichsbeschränkung des § 2 Abs. 3 EStG war somit nach ihrem Sinn und Zweck darauf gerichtet, die steuerliche Geltendmachung der von der "Vorgängerregierung" geschaffenen Sonderabschreibungen nach dem FördG nachträglich einzuschränken. Dadurch sollte das Steueraufkommen gesteigert und die Steuergerechtigkeit erhöht werden. Bereits daraus ergibt sich, dass die Vorschrift darauf angelegt war, dass sie nach Auslaufen des Begünstigungszeitraums für die Sonderabschreibungen wieder abgeschafft werden würde.

Das gleiche ergibt sich auch aus der rechnerischen Struktur der Vorschrift. Insbesondere aus dem Umstand, dass nach dieser Vorschrift die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichenen Verluste auch in den Folgejahren nicht uneingeschränkt verrechnet werden dürfen, sondern auch im Rahmen des Verlustvortrags innerhalb derselben Einkunftsart "gefangen" bleiben sollten und nur nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 EStG verrechnet werden durften, ergibt sich, dass mit den Jahren die rechnerischen Probleme kumulieren und nicht mehr beherrschbar sein würden. Diese Struktur des Gesetzes ist nach Ansicht des erkennenden Senats dahingehend zu verstehen, dass das Gesetz von vornherein nur für eine bestimmte Übergangszeit gedacht war und darauf angelegt war, nach Ablauf des Begünstigungszeitraums für die Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz wieder aufgehoben zu werden.

Nach Überzeugung des erkennenden Senats muss bei einer derartigen Vorschrift, die nur für einen Übergangszeitraum gelten sollte, jedoch hingenommen werden, dass das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums in gewissen Fällen eingeschränkt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH gilt das verfassungsrechtliche Gebot der Freistellung des Existenzminimums nicht uneingeschränkt (vgl. BFH, Beschluss vom 6. März 2003, Az. XI B 76/02). So gilt dieses Prinzip insbesondere bei der Verlustverrechnung im Rahmen des Verlustvor- und Rücktrags nicht uneingeschränkt (vgl. BFH, Beschluss vom 29. April 2005 - Az. XI B 127/04). Nach Ansicht des erkennenden Senats gilt das verfassungsrechtliche Gebot der Freistellung des Existenzminimums in ähnlicher Weise auch dann nicht uneingeschränkt, wenn es sich wie hier um eine Vorschrift handelt, die nur für einen begrenzten Übergangszeitraum gedacht ist. Für derartige Übergangszeiträume muss nach Ansicht des Gerichts hingenommen werden, dass das Gesetz typisierend davon ausgeht, dass dem Steuerpflichtigen aufgrund der von ihnen erzielten - hohen - positiven Einkünfte genügend Mittel verbleiben, die zur Deckung des Existenzminimums geeignet sind. Denn typischerweise wird in derartigen Fällen der Steuerpflichtige die Möglichkeit haben, die dadurch entstehenden Probleme zu überbrücken, beispielsweise indem er ein Darlehen aufnimmt.

Die Revision hat das Gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier erörterten Rechtsfragen zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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