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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 31.10.2006
Aktenzeichen: 9 K 9206/03
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 38 Abs. 4 S. 1
EStG § 38 Abs. 4 S. 2
AO 1977 § 69
AO 1977 § 34
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin

9 K 9206/03

Haftung für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag Dezember 1998

In dem Rechtsstreit ...

hat das Finanzgericht Berlin, 9. Senat, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Oktober 2006

in der Besetzung mit dem ... dem ... dem ... sowie dem ehrenamtlichen Richter der ehrenamtlichen Richterin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Streitwert beträgt ... EUR.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als ehemaligen Geschäfts- Führer einer Fa. ... mit Sitz in Berlin (künftig: GmbH 1) für rückständige Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag hierzu persönlich in Haftung nehmen kann.

Der ... geborene Kläger, von Beruf Kaufmann und damals wohnhaft ..., und eine Fa ..., deren Geschäftsführer der Kläger war (künftig: GmbH 2), gründeten am 6. Januar 1989 die GmbH 1. Der Kläger wurde zum alleinigen Geschäftsführer der GmbH 1 bestellt Unternehmensgegenstand war laut Satzung die "Verwaltung von Immobilien und sonstigen Wirtschaftsgütern im Eigenbesitz oder im Besitz Dritter, einschließlich deren Vermietung und Verpachtung". Mehrheitsgesellschafterin war anfangs die GmbH 2. Mit Notarvertrag vom 10. Januar 1990 trat die GmbH 2 ihren Anteil am Gesellschaftsvermögen an die GmbH 1 ab. Mit weiterem Notarvertrag vom 25. März 1997 trat die GmbH 1 einen Geschäftsanteil in Höhe von 25 500 DM des Gesamtstammkapitals der GmbH in Höhe von ... DM zu einem Kaufpreis in Höhe von 1.- DM an den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers ab. Gleichzeitig wurde der restliche Geschäftsanteil zu einem Kaufpreis in Höhe des Nominalbetrages an den Kläger abgetreten. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 25. März 1997 wurde das Stammkapital der GmbH 1 auf ... DM erhöht.

Im Anschluss daran wurde im Handelsregister u.a. Folgendes eingetragen:

"...

Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 2. Oktober 1997 ist die zum 10. Januar 1990 infolge des Erwerbs aller Anteile aufgelöste Gesellschaft fortgesetzt ... war Liquidator und ist zum Geschäftsführer bestellt. ..."

Die GmbH 1, die von dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers steuerlich beraten wurde, erzielte folgende Umsätze und Betriebsergebnisse: Umsatz Betriebsergebnis Die Abgabenrückstände der GmbH 1 betrugen per 13. November 1996 ... DM. Der Beklagte stellte deshalb am 18. Dezember 1996 einen Antrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft, nahm diesen jedoch nach mehreren Teilzahlungen in Höhe von insgesamt rund ... DM am 22. Juli 1997 wieder zurück (Az.: ...) Bereits am 17. November 1995 war über das Vermögen der GmbH 2 das Konkursverfahren eröffnet worden (Az.: ...; Konkursverwalter: ...). Die GmbH 1 hatte vor der Eröffnung dieses Konkursverfahrens den Geschäftsbetrieb der GmbH 2 übernommen

Mit Notarurkunde vom 25. August 1998 (UR-Nr. ... des Notars ... wurden die Fa. ...mit Sitz in Berlin (HRB ...; alleiniger Geschäftsführer: der Kläger; künftig: GmbH 3) und die Fa ... mit Sitz in Berlin (HRB ...; alleiniger Geschäftsführer: der Kläger; künftig: GmbH 4) jeweils als Ganzes gemäß § 2 Nr. 1 des Umwandlungsgesetzes - UmwG - auf die GmbH 1 verschmolzen. Die GmbH 1 war zu diesem Zeitpunkt bereits alleinige Anteilseignerin der GmbH 4 sowie Mehrheitsgesellschafterin der GmbH 3. Die Tatsache der Verschmelzung wurde am 10. Dezember 1998 im Handelsregister eingetragen.

Mit Gesellschafterbeschluss vom 9. Dezember 1998 wurde die Auflösung der GmbH 1 beschlossen und der Kläger zum alleinigen Liquidator bestellt.

Am 30. Dezember 1998 ging beim Amtsgericht Charlottenburg ein Antrag der GmbH 1, vertreten durch den Kläger als Liquidator, auf Eröffnung eines Konkursverfahrens über ihr Vermögen ein. Mit Beschluss des Konkursgerichts vom 18. Februar 1999 (Az.: ...) wurde die Sequestration des Vermögens der GmbH 1 angeordnet und RA ...zum Sequester bestellt.

Mit weiterem Beschluss vom 19. Juli 2000 wurde sodann das eigentliche Konkursverfahren eröffnet.

Am 25. Januar 1999 verfügte der Veranlagungssachbearbeiter des Beklagten einen Sperrvermerk für das Speicherkonto der GmbH 1 bei der Finanzkasse des Hauses mit der Begründung "vorläufiges Zahlungsverbot vom 12. Januar 1999". Die Verfügung ging am 26. Januar 1999 bei der Finanzkasse des Beklagten ein und wurde dort kassentechnisch umgesetzt.

Die GmbH 1 beschäftigte zuletzt 6 Angestellte. Sie sowie die mit ihr verschmolzene GmbH 3 verwalteten ausschließlich Grundeigentum und Wohnungseigentum einer Frau ..., der früheren Lebensgefährtin des Klägers in ... Am 21. Mai 1997 wurde ein Konkursverfahren über das Vermögen der Frau ... eröffnet (...). Der Generalmietvertrag zwischen Frau ... und der GmbH 1 wurde daraufhin zum 7. November 1997 gekündigt. Die GmbH 1 gab in der Folgezeit die bis dahin durch sie weitervermieteten Immobilienobjekte an den Konkursverwalter der Frau ... zurück.

Über erkennbare, freie Einnahmen verfügten die GmbH 1 und die GmbH 3 nach Ermittlungen von RA ... im Verlauf des Jahres 1998 nicht mehr. Gleichwohl wurde der Geschäftsbetrieb nach außen hin aufrechterhalten. Der Kläger wurde deshalb vom LG Berlin als Berufungsinstanz wegen Konkursverschleppung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt (...)

Am 17. Juni 1995 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH 3 , das Jahresbruttogehalt ihres alleinigen Geschäftsführers, des Klägers, gemäß Anstellungsvertrag vom 6. August 1993 wie folgt zu gewähren: - einen Teilbetrag in Höhe von ...- DM p.a. als Barvergütung in 12 gleichen Monatsraten - den Restbetrag in Höhe von ...- DM in Form einer Altersversorgung (Pensionszusage).

Am 15. Juni 1996 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH 3 eine Erhöhung der jährlichen Barvergütung um ... DM.

Am 20. Januar 1998 schloss der Kläger im eigenen Namen sowie im Namen der GmbH 1 und der GmbH 3 folgende "Vereinbarung":

"...

I.

Aufgrund des sich durch den Konkurs der Hauptkundin abzeichnenden Wegfalls der Nutzungsrechte gemäß § 31 WEG durch die Zwangsverwertung des vertraglich gebundenen Immobilienbestandes sowie der aufgrund der Marktentwicklung sich ergebenden Erlösinkongruenz zwischen den bei der Neuvermietung zu erzielenden Erlösen und den (angeblich) geschuldeten Dauernutzungsentgelten, in Verbindung mit dem rigiden Vorgehen des bei den Vertragsimmobilien von den dinglichen Gläubigern eingesetzten Zwangsverwalters und der immer noch fehlenden Besitzeinweisung bei einer großen Anzahl von Objekten ist auf Sicht ein Geschäftsumfang im ausreichenden Umfang nicht mehr zu erwarten, insbesondere wird es zu einem erheblichen Rückgang der Kostendeckungsbeiträge kommen.

Aus den vorgeschilderten Gründen bietet die ... - vertreten durch die Gesellschafter - gem. Gesellschafterbeschluß vom 19. Jan. 1998 dem Geschäftsführer ... die nachfolgende AUFHEBUNGSVEREINBARUNG bzgl. seines Anstellungsvertrages an: Das Anstellungsverhältnis wird vorzeitig zum 30. September 1998 anstatt vertragsgemäß zum 31. Dez. 2005 beendet.

Zum Ausgleich aller durch die Vertragsauflösung entstandenen und in Zukunft entstehenden Nachteile zahlt ... an Herrn ... eine Abfindung i. H. d. 1,5-fachen des im Vertrag vom 6. Aug. 93 vereinbarten Festgehaltes von ... p.a. = ...,- DM.

Die Abfindung ist bis zum 31. Dez. 98 (eingehend) zu zahlen.

Bei verspäteter Zahlung (nach dem 31.12.98) verzinst sich der (restl.) rückständige Betrag mit 9% p.a. zu Gunsten von Herrn ...

II.

Wegen der vorzeitigen Auflösung des Anstellungsverhältnisses gem. Punkt I. wird hiermit zwischen ... - vertreten durch die Gesellschafter und Herrn ..., gem. Gesellschafterbeschluß vom 19. Jan. 1998 die EINVERNEHMLICHE AUFHEBUNG der Pensionszusage vom 17. Juni 1995 (i.V.m. der Gehaltsverzichts- Vereinbarung, gem. Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 15. Jan. 1996 zu TOP 6) in der Fassung vom 15. Juni 1996 vereinbart.

Die ... kehrt an Herrn ... die bis zum 30. Sept. 1998 erfolgten - aus dem Gehaltsverzicht gespeisten - Rückstellungen für die erteilte Pensionszusage i. H. v. ...,- DM aus..."

Am 25. Februar 1998 gab der Kläger im eigenen Namen gegenüber der GmbH 3, vertreten wiederum durch ihn, folgende schriftliche "Aufrechnungserklärung" ab:

"... hiermit erkläre ich die Aufrechnung bezgl. eines Teilbetrages meines Erstattungsanspruches i.H.v. DM ...,- aus der Aufhebungsvereinbarung vom 20.1.1998 wegen meiner Pensionsansprüche mit Ihrer Forderung aus dem Kaufvertrag vom 2. Dez. 1997 zur UR,-Nr. ... wg. Grundbuchblatt ... u.a. in Dahlem. ..."

Am 5. Oktober 1998 gab der Kläger im eigenen Namen gegenüber der GmbH 3, vertreten wiederum durch ihn, folgende schriftliche "Aufrechnungserklärung" ab:

"... hiermit erkläre ich - vorsorglich erneut - Aufrechnung bzgl. eines Teilbetrages meines Erstattungsanspruches i. H. v. ... DM (zzgl. entstandener Zinsen) aus der Aufhebungsvereinbarung vom 20.01.1998 wegen meiner Pensionsansprüche (hilfsweise mit meinen Ansprüchen wg. der vorzeitigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses) mit Ihrer Forderung aus dem Kaufvertrag vom 2. Dez. 1997 zur UR-Nr. ... wg. Grundbuchblatt ...u.a. in Dahlem... "

Am 9. Oktober 1998 erklärte der Kläger Folgendes schriftlich gegenüber der GmbH 3, die den Zugang dieser Erklärung schriftlich bestätigte: "Betr.: Aufrechnungserklärungen vom 25.02. und 5.10.98 Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit ziehe ich die Aufrechnungserklärungen vom 25. Februar 1998 und 5. Oktober 1998 i.H. des Teilbetrages von ... DM zzgl. Zinsen zurück." Am 4. Dezember 1998 erklärte der Kläger Folgendes schriftlich gegenüber der GmbH 3, die den Zugang des Schreibens noch am selben Tag bestätigte:

" ...hiermit erkläre ich Aufrechnung meiner Erstattungsansprüche aus dem Aufhebungsvertrag Pensionszusage und Geschäftsführer-Anstellungsvertrag i. H. v. insgesamt DM ... mit meinen Verbindlichkeiten aus Darlehen/Zinsen i.H.v. insgesamt DM ... per 30. Dezember 1998..."

Die GmbH 1 reichte am 16. Dezember 1998 eine erste Lohnsteueranmeldung über einen Gesamtbetrag in Höhe von ... DM betr. den Monat Dezember 1998 beim Beklagten ein.

Am 15. Januar 1999 reichte sie eine korrigierte Lohnsteueranmeldung für denselben Monat ein, wonach die Zahllast ...DM betrug. Außerdem reichte sie eine Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Dezember 1998 ein, mit der sie einen Umsatzsteuererstattungsanspruch in Höhe von ... DM zur Verrechnung mit der Lohnsteuerschuld geltend machte.

Infolge einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung verminderte sich der Erstattungsanspruch der GmbH 1 auf ... DM. Grund hierfür war, dass die GmbH 1 im Voranmeldungszeitraum Dezember 1998 uneinbringliche Mietforderungen ausgebucht und deshalb die Umsatzsteuer entsprechend gemindert hatte. Ein Teil der ausgebuchten Forderungen bezog sich auf die Mietumsätze der GmbH 3. Vor der Ausbuchung hatte die GmbH 1 von Mietern beim Amtsgericht hinterlegte Beträge in Höhe von ... DM abgesetzt. Gemäß Auskunft des für diese Objekte zuständigen Zwangsverwalters ... betrugen die hinterlegten Mieten jedoch insgesamt ... DM. Gegen die (überarbeiteten) Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurden seitens der GmbH 1 keine Einwendungen mehr erhoben. Ebensowenig wurde seitens der GmbH 1 Einspruch gegen den - auf den Feststellungen der Umsatzsteuer- Sonderprüfung basierenden - Schätzungsbescheid des Beklagten betr. Umsatzsteuer 1997 vom 9. Juni 2000 erhoben

Der Kläger ließ sich die von der GmbH 1 nicht abgeführte Lohnsteuer, soweit sie sein Beschäftigungsverhältnis betraf, in Höhe von über ... DM bei seiner persönlichen Einkommensteuerveranlagung anrechnen (Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes ... vom 2. Juli 2001).

Wegen der noch nicht getilgten Lohnsteuerverbindlichkeiten erließ der Beklagte am 1. August 2001 gegenüber dem Kläger einen auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Haftungsbescheid. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers hatte nur in sehr geringem Umfang Erfolg und führte in der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2003 zu einer Herabsetzung der Haftungssumme auf ... EUR.

Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme des Klägers führte der Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger habe es grob fahrlässig verabsäumt, anlässlich der Auszahlung der entsprechenden Beträge durch die GmbH 1 an ihn für eine fristgerechte Abführung der darauf entfallenden Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlag hierzu zu sorgen. Im Übrigen treffe ihn als GmbH-Geschäftsführer eine sog. Mittelvorsorgepflicht, so dass er sich haftungsentlastend nicht darauf berufen könne, der GmbH 1 hätten im Zeitpunkt der tatsächlichen Fälligkeit der streitgegenständlichen Abgabenverpflichtungen keine finanziellen Mittel zur Tilgung dieser Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden.

Am 2. Juli 2003 stellte das Amtsgericht Charlottenburg als Konkursgericht die streitgegenständlichen Primärschulden der GmbH 1 (Lohnsteuer Dezember 1998 sowie Solidaritätszuschlag hierzu) zur Tabelle fest.

Mit seiner Anfechtungsklage gegen den Haftungsbescheid macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er im Zeitpunkt der Einreichung der streitgegenständlichen Lohnsteueranmeldung durch die GmbH 1 mit einem aufrechenbaren Erstattungsanspruch betr. Umsatzsteuer Dezember 1998 in Höhe von rund ... DM habe rechnen dürfen und deshalb in Bezug auf die Unterlassung der Entrichtung der fraglichen Lohnsteuer Dezember 1998 nebst Solidaritätszuschlag hierzu durch die GmbH 1 nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Der tatsächliche Umfang der hinterlegten Mieten betr. die GmbH 3 sei der GmbH 1 im Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 1998 nicht bekannt gewesen. Über dieses Wissen habe nur der Zwangsverwalter Dr. ... verfügt.

Eine sog. Mittelvorsorgepflicht der GmbH 1 könne für das Streitjahr 1998 nicht eingreifen, weil die GmbH 1 sowohl bereits zum 31. Januar 1998 als auch zum 30. September 1998 kräftig überschuldet gewesen sei wie eine Gegenüberstellung der verfügbaren Mittel und der fälligen Zahlungsverbindlichkeiten ergebe: Verfügbare Mittel: Fällige Verbindlichkeiten: 31. Januar 1998: ... ... 30. September 1998: ... ...

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 1. August 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2003 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Dem erkennenden Senat haben bei seiner Entscheidung die Gerichtsakte des FG Berlin 9 B 9385/01, 2 Bände Handelsregisterakten ..., 3 Bände Akten des Konkursgerichts (Az.: ...), 2 Bände Steuer- und Vollstreckungsakten betr. den Kläger, 2 Bände LoStArbG-Akten sowie 7 Bände Steuer- und Vollstreckungsakten betr. die GmbH 1 vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Haftungsbescheid vom 1. August 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2003 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

1. Der Kläger hat den Haftungstatbestand des § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 erfüllt.

Nach § 69 Abs. 1 AO 1977 haftet der GmbH-Geschäftsführer, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftungsvorschrift umfasst demnach als selbständige Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung die Nichtfestsetzung, die nicht rechtzeitige Festsetzung, die Nichterfüllung und die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche.

a.) Für den Kläger als GmbH-Geschäftsführer liegt die grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. von § 69 Abs. 1 AO 1977 darin, dass er nicht dafür gesorgt hat, dass die GmbH fristgerecht eine inhaltlich zutreffende Lohnsteueranmeldung für den Monat Dezember 1998 beim Beklagten eingereicht und die sich daraus ergebende Zahllast fristgerecht beglichen hat.

aa.) Die Höhe der zum 10. Januar 1999 anzumelden Lohnsteuerschuld (vgl. dazu allgemein § 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) ist zwischen den Beteiligten unstreitig und im Übrigen am 2. Juli 2003 vom Amtsgericht Charlottenburg bestandskräftig zur Tabelle festgestellt worden.

bb.) Die aus der Anmeldung der GmbH hervorgehende Lohnsteuerschuld hätte ebenfalls bis zum 10. Januar 1999 an den Beklagten abgeführt werden müssen. Hinsichtlich des auf das Beschäftigungsverhältnis des Klägers entfallenden Teilbetrags der Lohnsteuer in Höhe von ... DM ist die GmbH trotz ihres am 30. Dezember 1998 gestellten Konkursantrags als zahlungsfähig anzusehen, denn diesen Betrag hätte ihr der Kläger - wie bereits in der mündlichen Verhandlung mit den Prozessbeteiligten erörtert wurde - mangels Lohnauszahlung und damit mangels Lohnsteuereinbehaltungsmöglichkeit seitens der GmbH als Arbeitgeberin in vollem Umfang aus eigenen Finanzmitteln zur Verfügung stellen müssen (vgl. § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG). Dass der Kläger hierzu nicht in der Lage gewesen sei, hat er selbst nicht geltend gemacht. Im Falle einer Weigerung des Klägers als Arbeitnehmer zur fristgerechten Begleichung der auf ihn entfallenden Lohnsteuerschuld hätte die GmbH dem Beklagten dies bis zum 10. Januar 1999 anzeigen können und müssen, um von ihrer Lohnsteuerabführungspflicht frei zu werden (vgl. § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG). All dies ist nach der Überzeugung des erkennenden Senats aus grober Fahrlässigkeit nicht geschehen, denn der Kläger hätte in diesem Zusammenhang den Rat eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe einholen müssen, was unstreitig unterblieben ist.

cc.) Der Kläger kann sich haftungsentlastend nicht darauf berufen, dass er darauf vertraut habe, aus der zeitgleich von der GmbH eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Dezember 1998 würde sich ein verrechenbares Guthaben in einem die Lohnsteuerschuld übersteigendem Umfang ergeben. Der im Streitfall vorliegende Sachverhalt ist mit dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juli 1986 VII R 132/83, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1987,74 nicht vergleichbar, weil der Kläger im hiesigen Fall nicht auf die Existenz eines verrechenbaren Umsatzsteuerguthabens vertrauen durfte. Im Falle der BFH-Entscheidung ergab sich das fragliche Umsatzsteuerguthaben aus einem testierten Wirtschaftsprüfungsberichts.

Im Streitfall dagegen wurde die Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 1998 von der GmbH unstreitig ohne Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellt.

Der Kläger selbst verfügte unstreitig ebenfalls über keine examinierten Kenntnisse im Umsatzsteuerrecht.

Da das Umsatzsteuerrecht eine komplizierte Rechtsmaterie ist und im Streitfall nicht ganz einfache Geschäftsvorfälle umsatzsteuerrechtlich auszuwerten waren (Hinterlegung von Mietzahlungen seitens der Mieter beim Amtsgericht), war es nach Ansicht des erkennenden Senats grob fahrlässig, dass der Kläger als GmbH-Geschäftsführer auf die Richtigkeit dieser Umsatzsteuervoranmeldung vertraut hat. Der erkennende Senat sieht sich in dieser Einschätzung darin bestätigt, dass das auf den Monat Dezember 1998 entfallende Umsatzsteuerguthaben der GmbH später aufgrund der Erkenntnisse der vom Beklagten durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung ohne Widerspruch seitens der GmbH 1 von ... DM auf ... DM gekürzt worden ist.

b.) Die Haftung des Klägers für die streitgegenständliche Lohnsteuerschuld entfällt auch nicht wegen Nichteintritt eines kausalen Schadens im Hinblick auf gesetzliche Anfechtungsmöglichkeiten des Konkursverwalters nach §§ 30 ff. der Konkursordnung (KO; vgl. dazu allgemein BFH-Beschluss vom 11. August 2005 VII B 244/04, BFH/NV 2005,2084 sowie Erörterungsschreiben des Berichterstatters vom 19. September 2005). Wegen der Konkursantragstellung noch im Jahr 1998 (am 30. Dezember) sind im Streitfall nicht die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO), sondern der KO anwendbar.

aa.) Die Voraussetzungen der Anfechtungstatbestände des § 30 Nr. 1, 2. Halbs. KO (Rechtshandlung nach Zahlungseinstellung oder Konkursantragstellung) sind nicht erfüllt, weil der Beklagte nach Aktenlage im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuerschuld (10. Januar 1999) noch keine Kenntnis von einer etwaigen Zahlungseinstellung oder von einem Konkursantrag der GmbH gehabt hat. Der Konkursantrag der GmbH vom 30. Dezember 1998 wurde vom Konkursgericht erst mit Beschluss vom 18. Februar 1999 (Sequestrationsanordnung) Dritten gegenüber publik gemacht. Eine etwaige Kenntnis des Beklagten von einer zwischenzeitlichen Zahlungseinstellung der GmbH wäre im Übrigen anfechtungsrechtlich irrelevant, weil der Beschänkungstatbestand des § 33 KO eingreift (Konkurseröffnung erst nach Ablauf von weiteren 6 Monaten nach Konkursantragstellung).

bb.) Die Voraussetzungen des Anfechtungstatbestandes des § 31 KO (sog. Absichtanfechtung) sind im Streitfall ebenfalls nicht erfüllt, weil dem Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt (10. Januar 1999) eine Absicht der GmbH, Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt gewesen ist. Der Beklagte kannte zu diesem Zeitpunkt weder die Tatsache der Konkursantragstellung noch war ihm bekannt, dass die GmbH möglicherweise zahlungsunfähig war (vgl. zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit § 102 Abs. 2 KO). Die GmbH hatte keine vollstreckbaren Rückstände. Jahresabschlüsse der Gesellschaft lagen dem Beklagten nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1996 vor. Von einem "vorläufigen Zahlungsverbot vom 12. Januar 1999" betr. die GmbH 1 , welches möglicherweise mit der Zwangsverwaltung der Frau Müller gehörenden Eigentumswohnungen zusammenhängt, hat der Veranlagungssachbearbeiter des Beklagten offensichtlich erst am 25. Januar 1999 erfahren, denn von jenem Tag stammt erst seine entsprechende Sperrverfügung an die Finanzkasse.

2. Wegen der weiteren Gründe für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids wird zur Entlastung des Gerichts auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dessen Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2003 verwiesen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 13 und 25 des Gerichtskostengesetzes - GKG -

4. Die Revision wurde mangels Vorliegens eines Revisionszulassungsgrundes i. S. von § 115 Abs. 2 FGO nicht zugelassen.



Ende der Entscheidung

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