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Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 11.09.2006
Aktenzeichen: 9 K 9222/04
Rechtsgebiete: AO, ZPO


Vorschriften:

AO § 319
ZPO § 850 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen und zwar im Wesentlichen um die Frage, ob Lebensversicherungen mit und ohne Rentenwahlrecht pfändbar sind.

Der Beklagte nahm den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer der im Mai 1991 gegründeten und seit Dezember 1998 insolventen X... GmbH wegen deren Abgabenrückstände in Höhe von 87 038,61 DM durch Haftungsbescheid vom 18. Mai 2000 gemäß §§ 69 , 34 Abgabenordnung - AO - in Anspruch. Auf den Einspruch des Klägers hin wurde die Haftungssumme im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 7. September 2001 auf 76 386,00 DM herabgesetzt. Hiergegen richtete sich die unter dem Aktenzeichen 9 K 9366/01 erhobene Klage. In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2003 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, nachdem der Beklagte zugesagt hatte, die Inanspruchnahme des Klägers aus den angefochtenen Bescheiden auf eine Haftungssumme in Höhe von 34 000,00 DM (17 384,00 €) zu beschränken und von einer Vollstreckung bis zum 30. September 2003 abzusehen, soweit der Kläger bis zu dem letztgenannten Zeitpunkt seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse belegt und Zahlungsvorschläge unterbreitet. Mit Schreiben vom 28. September 2003 reichte der Kläger bei dem Beklagten eine Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse zum 30. September 2003 ein, woraufhin dieser mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 die Haftungsinanspruchnahme des Klägers auf einen Betrag von 17 384,00 € begrenzte.

Wegen der Haftungsschuld pfändete der Beklagte durch Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 9. März 2004, die nicht mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen waren, Ansprüche des Klägers aus den Lebensversicherungen bei der A... Lebensversicherung AG, der B... Lebensversicherung AG sowie der C.. Lebensversicherung AG. Darüber hinaus hatte der Beklagte den Kläger mit Verfügung vom 9. Februar 2004 aufgefordert, die Versicherungspolice zu einer Lebensversicherung bei der D.... Lebensversicherung Aktiengesellschaft, die der Kläger im Herbst 1993 in Form einer Rentenversicherung abgeschlossen hatte (Vers.-Nr.: ......-8) und die vom Beklagten mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Oktober 2003 gepfändet worden war, herauszugeben. Wegen der letztgenannten Pfändungs- und Einziehungsverfügung war beim Finanzgericht Berlin ein Klageverfahren zum Az.: 9 K 9119/04 rechtshängig. Der Beklagte erklärte in der dortigen mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2006, dass er "die Rechte aus der Pfändung ..... nur für den Fall geltend (mache), dass der Kläger die Kapitalabfindung wählt oder eine Versicherungsleistung beim Ableben des Klägers vor dem Rentenbeginn erbracht wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der Kläger innerhalb von zwei Monaten den Versicherungsschein der D.... übergibt und dies dem Finanzamt nachweist". Nachdem der Kläger die Übergabe des Versicherungsscheins an die D.... zugesagt hatte, wurde dieser Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die gegen die Verfügungen vom 9. Februar 2004 und vom 9. März 2004 eingelegten Einsprüche vom 14. Februar 2004 und 18. April 2004, im Rahmen derer sich der Kläger u. a. auf eine Abtretung der mit Verfügungen vom 9. März 2004 gepfändeten Lebensversicherungsansprüche berief, blieben erfolglos und wurden durch Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 als unbegründet zurückgewiesen. In der Einspruchsentscheidung führte der Beklagte u. a. aus, dass die behauptete Abtretung den Versicherungsgesellschaften nicht vor den Pfändungen angezeigt worden sei und damit letztere vorrangig seien.

In seiner am 1. Juli 2004 erhobenen Klage trägt der Kläger unter anderem vor, dass die angefochtenen Verfügungen eine unmittelbar existenzgefährdende Wirkung hätten und grob unbillig seien. Zum einen seien die Ansprüche aus den Lebensversicherungen, die durch die Verfügungen vom 9. März 2004 gepfändet worden seien, bereits mit Vereinbarung vom 3. März 2000 an seinen ältesten Sohn abgetreten worden. Zum anderen würden sämtliche gepfändete Lebensversicherungsverträge - mangels ausreichender Ansprüche des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung - der Altersversorgung und der notwendigen Existenzabsicherung dienen.

Der Kläger beantragt (wie dies bereits mit Schriftsatz vom 12. September 2004 klargestellt wurde), die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 9. März 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2004 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Vertreter des Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Soweit der Kläger hinsichtlich der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 9. März 2004 auf die Abtretung der Ansprüche verweise, fehle es schon nach dem klägerischen Vortrag an einer Beschwer. Unabhängig davon seien die gepfändeten Lebensversicherungsansprüche mangels einschlägiger Pfändungsbeschränkungen in vollem Umfang pfändbar, die angefochtenen Verfügungen seien daher rechtmäßig.

Der Senat hat mit Schreiben vom 1. März 2006 bei der A... Lebensversicherung AG (Versicherung Nr. L ......... sowie L ..........), der C.. Lebensversicherung a.G. (Versicherung Nr. ......) sowie der B... Lebensversicherung AG (Versicherung Nr. ..........) um Erteilung einer Auskunft dergestalt ersucht, um welche Art von Lebensversicherung es sich handelt, ob ein Rentenwahlrecht besteht und ob die Lebensversicherung unbeschränkt pfändbar ist oder ob Pfändungsschutzbestimmungen, insbesondere § 850 Abs. 3 lit. b Zivilprozessordnung - ZPO - zu beachten sind. Sowohl die B... Lebensversicherung AG als auch die C.. Lebensversicherung a.G. teilten darauf hin mit, dass es sich bei den entsprechenden Verträgen um fondgebundene Lebensversicherungen handele, bei denen ein Rentenwahlrecht nicht bestünde, und dass sie unbeschränkt pfändbar seien. Nachdem die A... Lebensversicherung AG mit Schreiben vom 11. Mai 2006 zunächst gleichlautende Erklärungen abgab, stellte sie diese unter dem 14. Juli 2006 dahingehend richtig, dass es sich bei den Verträgen um fondgebundene Lebensversicherungen handele, bei denen bei Ablauf der Versicherung ein Rentenwahlrecht gegeben sei.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte ist insbesondere zu Recht davon ausgegangen, dass die Ansprüche aus den streitgegenständlichen Lebensversicherungen pfändbar sind.

Der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 9. März 2004 steht zunächst nicht entgegen, dass - wie der Kläger geltend macht - mit Vereinbarung vom 3. März 2000 die Ansprüche aus den Lebensversicherungen abgetreten worden seien. Denn für die Pfändung einer Forderung kommt es nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich nicht darauf an, ob die Forderung dem Vollstreckungsschuldner zusteht oder ob dieser sie etwa wirksam abgetreten hat. Diese Frage ist nicht schon im Verfahren wegen der Pfändung, sondern erst im Verfahren wegen der Geltendmachung der Forderung zu prüfen. Zur Geltendmachung gepfändeter Lebensversicherungsansprüche ist grundsätzlich der Zivilgerichtsweg eröffnet, so dass die Frage einer wirksamen Abtretung in einem Rechtsstreit vor den Zivilgerichten zu klären wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 8. April 1997 VII B 210/96, BFH/NV 1997, 640 ; Urteil des BFH vom 24. Juli 1984 VII R 135/83, BStBl II 1984, 740 ).

Im Weiteren sind die Ansprüche aus den Lebensversicherungen auch pfändbar. Nach § 319 AO gelten Beschränkungen und Verbote, die nach §§ 850 bis 852 ZPO und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß auch bei der Vollstreckung nach der AO.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. nur BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 VII B 49/03, BFH/NV 2003, 1538 m.w.N.), der der erkennende Senat beitritt, ist eine Kapitallebensversicherung, deren Versicherungssumme mit dem Tod des Versicherungsnehmers, spätestens jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig und in einem Betrag ausgezahlt wird, grundsätzlich unbeschränkt pfändbar. Der Bundesfinanzhof (a.a.O.) vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass kein allgemeiner Grundsatz dahingehend bestehe, dass dem "Bürger stets der existenznotwendige Lebensbedarf verbleiben müsste und er mithin stets vor Pfändungen geschützt wäre, die sein monatlich verfügbares Einkommen unter die Sozialhilfegrenze absenken würden. Die geltenden Pfändungsschutzvorschriften kennen einen solchen Schutz nicht. Wer kein Arbeitseinkommen und sonstiges im Sinne der Pfändungsschutzvorschriften privilegiertes Einkommen bezieht, muss es ertragen, dass seine Gläubiger nicht privilegierte Forderungen vollständig wegpfänden und er dadurch sozialhilfebedürftig wird". Entsprechendes gilt auch dann, wenn es sich um eine sogenannte befreiende Lebensversicherung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 1991 VII R 54/90, BStBl II 1991, 747 ), also sie Voraussetzung für die Entlassung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist.

Zwar soll nach Auffassung des Finanzgerichts des Saarlands (zuletzt Urteil vom 7. November 2000 1 K 168/99 , EFG 2001, 189 ) Pfändungsschutz dann bestehen, wenn es sich - nach Ausübung eines bestehenden Wahlrechts - um wiederkehrende Bezüge handelt, die dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensunterhalt zu decken. Der Rechtsauffassung des Finanzgerichts des Saarlands folgt aber der erkennende Senat dann nicht, wenn die Pfändbarkeit nicht auf Grund der Pfändungsschutzvorschriften des § 319 AO 1977 in Verbindung mit §§ 850 ff. ZPO ausgeschlossen oder beschränkt ist. Sie findet - soweit dies für den Senat ersichtlich ist - auch keine ausreichende Stütze in der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs.

In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1991 ( VII R 54/90 , BStBl II 1991, 747 ), auf die in den Urteilen des Finanzgerichts des Saarlands (zuletzt Urteil vom 7. November 2000 1 K 168/99 , EFG 2001, 189 ) Bezug genommen wird, hat dieser im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO es für maßgeblich erachtet, dass "es sich um wiederkehrende Bezüge handelt, die dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensunterhalt zu decken". Hierum geht es aber im Streitfall nicht. Denn § 850 Abs. 3 lit. b ZPO betrifft Versorgungsrenten früherer Arbeitnehmer, die auf Versicherungsverträgen beruhen und bestimmungsgemäß Ruhegeld oder Hinterbliebenenbezüge ersetzen oder ergänzen sollen, nicht aber beispielsweise Versicherungsrenten für den Lebensunterhalt im Alter (siehe Zöller, ZPO, 25. Aufl., Rdnr. 11 zu § 850; ferner Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., Rdnr. 9 zu § 850; jeweils m.w.N.). Von Ersterem kann aber bezüglich der streitgegenständlichen Versicherungen nicht ausgegangen werden; es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Leistungen aus den Lebensversicherungen solche sind, die ein Ruhegehalt oder eine Hinterbliebenenversorgung, die unter § 850 Abs. 2 ZPO fallen, ersetzen oder ergänzen.

Eine gewisse Rechtfertigung des zuvor Gesagten folgt auch aus dem Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung (BT-Drucks. 16/886). Nach diesem Entwurf sollen nämlich Renten, die auf Grund von Verträgen gewährt werden, nur wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können, wenn und soweit bestimmte (weitere, im Streitfall nicht vorliegende) Voraussetzungen erfüllt sind. Auch nach diesem Gesetzesentwurf käme es mithin nicht allein darauf an, ob es sich um wiederkehrende Bezüge handelt, die dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensunterhalt zu decken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO . Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 52, 63 Gerichtskostengesetz festgesetzt.

Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO .

Ende der Entscheidung

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